Level Playing Field - mühsames Gerangel um kleine Erfolge

Berthold Morschhäuser

Wie kann ein eigentlich positiv besetzter Begriff wie Level Playing Field so viele heftige Diskussionen hervorrufen, einen solchen Wust von sachlichen Positionspapieren und/oder hitzigen, emotionalen Stellungnahmen hervorbringen? Wieso lässt die Debatte um den richtigen Weg zu einem oft unbestrittenen und akzeptierten Ziel am Ende so viele in Politik und Wirtschaft, in der Wissenschaft sowie ganz allgemein die interessierte Öffentlichkeit mit einer latenten Unzufriedenheit zurück? Ein Grund ist die Unschärfe beziehungsweise das unterschiedliche Grundverständnis des Begriffes.

Geht es nur darum, gleiche Startchancen zu schaffen? Oder werden letztlich gar gleiche Lebensbedingungen für alle angestrebt? Inwieweit ist es auf dem Weg zur Schaffung vergleichbarer Rahmenbedingungen angebracht oder ratsam, ungleiche Voraussetzungen zu tolerieren, um damit einen Anreiz zu schaffen, mit allen Kräften auf das Machbare hinzuarbeiten? In welchen Größenordnungen und über welche Zeiträume dürfen Bürger, Unternehmen und Staaten benachteiligt, sprich mit größeren Anpassungsbelastungen belegt werden, um den anvisierten Zustand zu erreichen? Schon diese rein exemplarischen Fragen vermitteln einen Eindruck, wieso sich alle Beteiligten an der Schaffung eines Level Playing Field mühelos abarbeiten können. In einer durch die Informations- und Verkehrstechnik immer näher zusammenrückenden Welt lässt sich dieses Muster in vielen Lebensbereichen beobachten, angefangen von der Weltklimakonferenz bis hin zur Schaffung akzeptabler Wettbewerbsbedingungen für die europäische Finanzdienstleistungsindustrie. Harmonisierungsbestrebungen sind oft gerade nicht mit Harmonie verbunden, sondern mit einem harten Gerangel um die Wahrung von Besitzständen.

In den Überlegungen der Wirtschaftstheorie ist das anders. Man braucht nur die störenden Nebenbedingungen auszublenden und allein auf die freien Marktkräfte zu vertrauen, um in den Vorstellungen der Klassiker immer wieder einen Zustand zu erreichen, der ohne weiteres Zutun einem stabilen Gleichgewicht zustrebt. Ein hilfreiches Grundverständnis für die positiven Impulse eines freien Marktes mögen solche Überlegungen vermitteln. Die Wirklichkeit sieht freilich anders aus. In der realen Welt haben sich im Laufe der Menschheitsgeschichte so viele unterschiedliche geografische, klimatische, religiöse, rechtliche, wirtschaftliche und politische Unterschiede herausgebildet, dass man gerade in einer globalisierten Welt nicht auf Knopfdruck vergleichbare Bedingungen schaffen kann. Auf dem Weg dorthin gibt es immer Gewinner und Verlierer.

So fehlt denn auch vielen Beiträgen dieses Heftes die Leichtigkeit, mit der in der praktischen Umsetzung die angepeilten Ziele erreicht werden können. Oder anders gewendet, die jeweiligen Autoren sind realistisch genug, sich mit kleinen Fortschritten zufriedenzugeben, solange die Richtung stimmt. Das gilt für Wolfgang Schäuble bei seiner Bestandsaufnahme der Steuerharmonisierung in Europa ebenso wie für seinen Ministerkollegen Heiko Maas. Gleich zu Beginn seiner Betrachtung betont der Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz den besonderen Charme einer Harmonisierung des europäischen oder sogar des internationalen Insolvenzrechtes. Aber angesichts der Erfahrungen aus langwierigen Verhandlungen allein um eine Verfahrenseröffnung in anderen Mitgliedstaaten der EU gibt er sich keinen Illusionen hin, binnen kurzer Frist weitreichende und umfassende Lösungen erreichen zu können. Bei aller Bereitschaft der deutschen Politik, an der Schaffung eines echten europäischen Insolvenzrechtes mitzuwirken, verweist er angesichts der vielfältigen Interdependenzen mit sämtlichen Bereichen des Wirtschafts- und Unternehmensrechts auf die besonderen Tücken der Detailregelungen.

Ähnlich realistisch bewertet der Bundesfinanzminister die Schaffung eines steuerlichen Level Playing Field in Europa eher als politische Daueraufgabe, denn als Projekt mit schnellen Erfolgsaussichten. Einen gewissen Wettbewerb um die günstigsten Standortbedingungen hält er für vertretbar. Gewinnverlagerungen und -verkürzungen, wie sie bei internationalen Konzernen zu beobachten sind, will er aber möglichst eingedämmt sehen. Einen erfreulichen Durchbruch registriert er in den vergangenen Jahren beim steuerlichen Informationsaustausch zu Finanzkonten. Für den Ende vergangenen Jahres vorgelegten modifizierten Referentenentwurf seines Hauses zur Reform der Investmentsteuer hat er sogar Lob aus der Fondsbranche geerntet.

Ganz nebenbei kann sich Wolfgang Schäuble eine grundsätzliche Kritik an den Ende November 2015 vorgelegten und seither heiß diskutierten Vorschlägen der EU-Kommission zur europäischen Einlagensicherung nicht verkneifen. Ansonsten bleibt das Thema in diesem Heft den kontroversen Einschätzungen von EU-Kommissar Jonathan Hill und dem Hauptgeschäftsführer des BdB, Michael Kemmer, überlassen, dessen Verband im laufenden Jahr die Federführung der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) innehat. Brüssel räumt offensichtlich dem vertrauensbildenden Signal einer möglichst frühen Festlegung auf eine gemeinsame europäische Einlagensicherung einen hohen Stellenwert ein. Der DK als Ganzes sichert der zuständige Kommissar eine schrittweise Vergemeinschaftung der Risiken zu. Die beiden Verbundgruppen werden dabei wie schon im Vorfeld der Veröffentlichung mit der Beibehaltung ihrer Sicherungssysteme gelockt. Gleichwohl bleibt die DK geschlossen und spricht in der vorliegenden Fassung in harter Tonlage von einem unausgereiften Vorschlag. Ihre Gesprächsbereitschaft knüpft sie zudem an eine Umsetzung der seit Mitte 2015 geltenden EU-Richtlinie zur Einlagensicherung, die derzeit noch in 13 Mitgliedsländern aussteht. Kompromissbereitschaft klingt anders. Aber angesichts der langen Zeitläufe der Umsetzung lässt sich möglicherweise mithilfe des EU-Parlamentes eine Formel für eine tragfähige Roadmap des Projektes finden.

Dass es der DK gelingen kann, bei den EU-Parlamentariern Gehör zu finden, unterstreicht der Beitrag von Markus Ferber. Mit Blick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip schlägt dieser sich nicht nur bei der Einlagensicherung auf die Seite der hiesigen Kreditwirtschaft, sondern macht sich auch bei Ana-Credit und den Leitlinien zu den Vergütungsvorschriften für eine Sonderbehandlung der kleinen und mittleren Institute stark. Eine blinde Uniformität in der Bankenaufsicht darf es nicht geben, auf diese Formel lässt sich auch Felix Hufeld festlegen. Aber dem Grundtenor nach spricht sich der BaFin-Präsident im Redaktionsgespräch bei allem Einfühlungsvermögen seines Hauses in die Belange des hiesigen Finanzdienstleistungssektors klar für eine Beseitigung der Heterogenität aus. Dazu rechnet er auch die dezente Abkehr von nationalen Wahlrechten und einen Regimewechsel hin zu einer verstärkten Datenerhebung sowie einer Vereinheitlichung des Meldewesens, auch wenn Letzteres die deutschen Banken stärker belastet.

Sorge vor unerwünschten Auswirkungen eines falsch verstandenen Harmonisierungsbestrebens äußerst Gunter Dunkel mit Blick auf den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (SREP) der europäischen Bankenaufsicht. Im Zuge der Bewertung der Geschäftsmodelle warnt der VÖB-Präsident vor den Gefahren einer Angleichung der Strategien und appelliert an die deutsche Bankenaufsicht, ihre qualitative Ausrichtung der Prüfungspraxis nicht dem quantitativen Ansatz der EZB zu opfern. In seiner Warnung vor Gleichmacherei und einem fehlenden Gefühl für nationale Besonderheiten weiß er sich mit Alexander Erdland einig, der gleiche Befürchtungen für die deutsche Versicherungswirtschaft hegt. Im Übrigen sieht der Präsident des GDV die Regulierungsansätze für die Versicherungspraxis viel zu stark an das Aufsichtsmodell für systemrelevante Banken angelehnt und zu wenig auf die Besonderheiten seiner Branche ausgelegt.

Ein eigenes Kapitel des Level Playing Field ist schließlich die Geldpolitik. Als direkte Auswirkung der Niedrigzinspolitik auf die Kreditwirtschaft rät Ulrich Kater den hiesigen Banken zu einer Anpassung ihrer Kreditschöpfungskapazitäten. Für die Eurozone erwartet der Chefvolkswirt der Dekabank zudem eine zeitverzögerte Anpassung an die Entwicklung in den USA. Die zögerliche Art, mit der die Fed im Dezember 2015 ihre Leitzinserhöhung vollzogen hat, zeigt allerdings zu gut, wie eng die Aktivitäten der Notenbanken in einer globalen Welt zusammenhängen. Die Fed hat auch die Aus- oder Nebenwirkungen ihrer Geldpolitik auf die Schwellenländer im Auge. Und die EZB weiß sehr wohl um das Dilemma, dass ihre geldpolitischen Maßnahmen in den Mitgliedsländern mit deren eigenständiger Wirtschaftspolitik unterschiedliche Effekte haben.

Je mehr die Welt zusammenwächst, umso mehr erweist sich die Arbeit an einem Level Playing Field als ein Bündel von Projekten der kleinen Schritte. Denn bei dem Blick auf die Interdependenzen gilt es in den freiheitlichen Gesellschaften, immer die demokratischen Entscheidungsprozesse mit ins Kalkül zu nehmen. Die Gesamtbelastungen auszutarieren und Schritte in die falsche Richtung zu vermeiden, ist schon anspruchsvoll genug.

Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag
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