Revolution

Philipp Otto, Chefredakteur, Foto: Fritz Knapp Verlag GmbH

"Facebook is dangerous!" So drastisch drückte US-Senator Sherrod Brown kürzlich seine Bedenken gegenüber dem amerikanischen Internetriesen aus. Und er meinte damit nicht etwa den immer wieder öffentlich angeprangerten Umgang mit Kundendaten, die zweifelhafte Transparenz über die Geschäftsgrundlagen, den Weiterverkauf von Informationen an Drittanbieter, die Verwicklung in Wahlen überall auf der Welt, sondern es ging um den Einstieg des US-Konzerns in den Zahlungsverkehr: die geplante künstliche Währung Libra. Wörtlich übersetzen lässt sich das lateinische Libra mit Waage, es war aber auch ein altrömisches Gewichtsmaß, das später auch in Portugal, Spanien und Brasilien gebraucht wurde, war ein Synonym für das Pfund und wurde zeitweise auch als alternativer Begriff für die Währung Pfund gebraucht.

Und nun? "Libras Mission ist es, eine einfache, globale Währung und eine finanzielle Infrastruktur für Milliarden von Menschen bereitzustellen, die ihnen das Leben leichter machen", heißt es im offiziellen Whitepaper der Libra Association, in der sich die Unterstützer der Kryptotoken rund um Facebook zusammengeschlossen haben. Dazu gehören neben Facebook derzeit 27 Unternehmen wie Visa, Mastercard, E-Bay oder Uber. Allerdings ist noch keines der Unternehmen der Libra Association offiziell beigetreten, es wurden lediglich unverbindliche Absichtserklärungen für den Beitritt unterzeichnet, wie der CEO von Visa, Alfred F. Kelly, Jr., klarstellte. Die Idee hinter Libra: Über eine neue dezentrale Blockchain, eine Kryptowährung mit hoher Preisstabilität, sowie eine Plattform für Smart Contracts soll ein neues Ökosystem für verantwortungsbewusste Innovationen im Finanzdienstleistungsbereich entstehen. Denn, so heißt es, immer noch sei der Zugriff auf Finanzdienstleistungen für einen Großteil der Menschen begrenzt oder eingeschränkt: 1,7 Milliarden Erwachsene weltweit sind nach wie vor vom Finanzsystem ausgeschlossen, haben also keinen Zugang zu einer herkömmlichen Bank. Allerdings haben zwei Drittel von ihnen ein Mobiltelefon mit Internetzugang. Hier sehen die Betreiber die Chance von Libra, das viel mehr Menschen Zugriff auf Finanzdienstleistungen und günstiges Kapital bieten soll.

So weit die Vorstellung der Initiatoren. Die Begeisterung wird allerdings keineswegs uneingeschränkt geteilt. Im Gegenteil: Selten zuvor war eine Innovation schon vor ihrer Markteinführung so umstritten und hat so viel Widerstand hervorgerufen wie die Facebook-Coins. Nahezu alle Politiker, nicht nur der US-Senator Brown, sondern auch die G7-Finanzminister, Donald Trump, Emanuel Macron und nahezu alle anderen, die sich bislang öffentlich geäußert haben, sowie die führenden Notenbanker und auch Bankenaufseher lehnen die Pläne bislang strikt ab. Nun könnte man sagen: verständlicherweise. Schließlich würden Facebook & Co. damit das Zentralbankenprivileg der Geldschöpfung aushebeln und somit den Staaten und Notenbanken die Kontrolle über die Währungen entziehen. Die G7 haben auf ihrem letzten Treffen eine hochrangige Arbeitsgruppe zu solchen Digitaldevisen eingerichtet. Und im Bundesfinanzministerium gibt es offensichtlich bereits ein internes Papier, laut dem Bundesregierung und Bundesbank prüfen wollen, wie eine Etablierung der Libra als Alternative zu staatlichen Währungen verhindert werden könne. Finanzminister Olaf Scholz äußerte sich sehr klar: "Die Herausgabe einer Währung gehört nicht in die Hände eines Privatunternehmens, denn sie ist ein Kernelement staatlicher Souveränität. Der Euro ist und bleibt das einzige gesetzliche Zahlungsmittel im Euro- Raum." Aber wäre es wirklich so schlimm, wenn ein Teil der weltweiten Bezahlvorgänge erstmals in der Hand einiger privater Konzerne wäre?

Die reinen Fakten sprechen nicht dagegen: Angelegt als Stable Coin scheint die neue Kryptowährung deutlich sicherer und spürbar weniger schwankungsanfällig als beispielsweise Bitcoins. Das wird erreicht, indem Libra an einen Währungskorb gebunden sein wird. Verbraucher können Libra kaufen und auch wieder in reales Geld zurücktauschen, natürlich zum jeweiligen Kurs. Da dieser, wie erwähnt, aber deutlich weniger schwanken dürfte, sollten sich Spekulationen in Libra eher nicht lohnen. Die Kryptotoken werden in einer eigenen Wallet namens Calibra gespeichert, über die die Bezahlvorgänge abgewickelt werden.

Die größte Sorge vor allem der Kritiker ist, das Libra und ähnlich angelegte Digitalwährungen als "Einfallstore für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung" genutzt werden und sich zu einer Gefahr für die Finanzstabilität entwickeln könnten. Unbestritten bestehen ein gewisses, wenn auch überschaubares Wechselkursrisiko sowie ein ungleich größeres Kreditrisiko, wenn der Anbieter im Moment des Rücktauschs nicht mehr zahlungsfähig ist. Mit einer weltweiten Regulierung solcher Digitalwährungen, an der gearbeitet wird, ließen sich diese Gefahren aber sicherlich eindämmen.

Bleibt die Gretchenfrage: Will Facebook die Welt wirklich ein Stückchen besser machen? George McDonaugh, CEO und Mitgründer des Londoner Kryptowährungs- und Blockchain-Investors KR1, hat hierzu eine klare Meinung: Facebook sei kein Weltverbesserer: "Um das klar zu sagen, Facebook will nur eines: Daten." Entsprechend groß ist auch die Skepsis der deutschen Verbraucher. 71 Prozent zeigten sich in einer Umfrage skeptisch, nur zwölf Prozent äußerten sich positiv zu Libra. Selbst unter deutschen Facebook-Nutzern hält sich die Begeisterung in Grenzen: Gut zwei Drittel sehen Libra sehr skeptisch oder jedenfalls eher skeptisch. Dagegen haben 64 Prozent der Befragten Vertrauen in Zentralbanken als Herausgeber von Währungen, aber nur 4 Prozent in private Großunternehmen. Nun sind deutsche Verbraucher an dieser Stelle vielleicht nicht repräsentativ, denn zum einen verfügt die Bundesrepublik mit dem Euro über eine sehr stabile Währung, zum anderen über ein breit aufgestelltes und bestens funktionierendes Bankensystem und zum dritten über sehr wenig bis gar keine Korruption. Das sieht in anderen Ländern, gerade in Afrika anders aus. Entsprechend äußerte sich Bundesbank-Präsident Jens Weidmann keineswegs so ablehnend wie die meisten seiner Kollegen zu Digitalwährungen: "Wenn die Stable Coins halten, was sie versprechen, könnten sie für Endverbraucher durchaus attraktiv sein." Etwa, wenn es um Zahlungen über Ländergrenzen hinweg gehe, denn der grenzüberschreitende Zahlungsverkehr sei heute oft noch vergleichsweise langsam und teuer.

Ist Libra also die Revolution im Zahlungsverkehr? Sie kann zu einer werden, aber bis zur Einführung müssen noch viele Gespräche geführt und Bedenken ausgeräumt werden. Für die Banken ist Libra derzeit ohnehin noch kein Thema. Für sie findet nicht die eine, sondern ganz viele kleine Revolutionen statt, direkt bei ihren Kunden. Wie heißt es so schön: "Digitalisierung ändert nichts. Nur alles!" In den schleichenden Prozess der Veränderungen im Kundenverhalten und dem Entstehen immer neuer Angebote von Nichtbanken kommt am 14. September mit Scharfschalten der PSD2 ein Big Bang. Hatte der Gesetzgeber hier ursprünglich lediglich vereinfachte Markteintrittsbedingungen für Start-ups im Sinn, wird die Zahlungsverkehrsrichtlinie nun aber von breit aufgestellten Tech- und Handelsgiganten aus den USA als Einfallstor in den europäischen Zahlungsverkehr genutzt. Der Webfehler: Banken müssen ihre Schnittstellen öffnen, sodass Dritte in bestimmte Kundendaten Einblick nehmen können, andersrum gilt das jedoch nicht. Hier wird aber wohl in naher Zukunft nachgebessert werden.

Welche Chancen haben Banken und Sparkassen also noch in einer Welt, in der sich eines ihrer bislang einträglichsten Geschäftsfelder, der Zahlungsverkehr, spürbar und nachhaltig verändert? Vieles dazu lesen Sie in dieser Ausgabe zum Zahlungsverkehrssymposium 2019, die die Redaktion der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen erneut gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank zusammenstellen durfte. Christian Schäfer von der Deutschen Bank bringt es in der Podiumsdiskussion auf den Punkt: "Das Erfolgsmodell für die Banken sind integrierte Lösungen. Es reicht nicht aus, einen Peer-to-Peer-Dienst zu haben, einen Instant-Payment-Dienst oder einen Onlinekredit. Das muss alles integriert sein in einer Kundenerfahrung. Wenn das gelingt, werden wir hochgradig relevant bleiben. Wenn nicht sehe ich die Gefahr, dass wir Service für Service disintermediert werden."

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