Unternehmensfinanzierung: Wieder eine Sonderentwicklung in Deutschland?

Dr. Berthold Morschhäuser, Foto: Fritz Knapp Verlag GmbH

Seit der zweiten Jahreshälfte 2018 registrierten Wirtschaft, Politik, internationale Organisationen und Wissenschaftler mehr oder weniger deutliche Anzeichen für eine sich abflauende Konjunktur. Nach und nach wurden diese Signale durch Absenkung vieler einschlägiger Prognosen zur Wirtschaftsentwicklung oder durch Stimmungsbilder aus einzelnen Branchen untermauert. Nachdem das Statistische Bundesamt schon für das dritte Quartal 2018 für das Bruttoinlandsprodukt ein Minus von 0,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr gemeldet hatte, zeigen die Mitte Februar dieses Jahres veröffentlichten Q4-Zahlen immerhin ein dünnes Plus von 0,02 Prozent, womit das Gespenst einer sogenannten technischen Rezession gerade so vermieden wurde. Aber die Aussichten bleiben alles andere als rosig, auch wenn die Deutsche Bundesbank in ihrer aktuellen Lagebeurteilung noch auf die gute Verfassung am deutschen Arbeitsmarkt verweist. Die EZB bleibt vorsichtig und beginnt in der Ausgabe 1-2019 ihres Anfang Februar veröffentlichten Wirtschaftsberichtes den Blick auf die Konjunkturentwicklung in der Eurozone mit dem wenig hoffnungsfrohen Satz, dass die aktuellen Daten überraschend negativ ausgefallen sind.

Vor diesem Hintergrund erinnerte schon eine Anfang des Jahres veröffentlichte EZB-Meldung von leicht verschärften Standards für die Vergabe von Krediten an Verbraucher und Unternehmen an eine lebhafte Debatte im Zuge der Bewältigung der jüngsten Finanzkrise. Nicht zuletzt um ihre Niedrigzinspolitik und weitere unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen zu rechtfertigen, hatte die EZB seinerzeit sogar die Gefahr einer Kreditklemme beschworen. An diesem Punkt ist der derzeitige Diskussionsstand der Notenbank sicherlich noch nicht angekommen, noch werden den geldpolitischen Sondermaßnahmen der EZB seit 2014 eine nachweislich dämpfende Wirkung auf Bankkreditzinsen bescheinigt, die zu einer insgesamt verbesserten Angebots- und Nachfragesituation bei den Bankkrediten geführt hat. Der im Mai aus dem EZB-Direktorium ausscheidende Chefvolkswirt Peter Praet hat dieser Tage in einem Interview allerdings unmissverständlich durchblicken lassen, dass die Notenbank die Kreditvergabepolitik der Banken genau im Auge behalten und bei Engpässen der Kreditversorgung reagieren wird - sei es mit einer modifizierten Form an langfristigen Refinanzierungsgeschäften (TLTROs) oder anderen Maßnahmen.

Auf europäischer Ebene dürfte angesichts der konjunkturellen Abkühlung zur Sicherstellung oder zumindest Flankierung einer reibungslosen Unternehmensfinanzierung auch die Idee der STS-Verbriefungen (Simple, Transparent and Standardised) einen neuen Impuls erhalten. Die Rahmenbedingungen für solche einfachen, transparenten und standardisierten Verbriefungen, die im Rahmenwerk zur Schaffung einer Kapitalmarktunion verankert sind und eine bevorzugte Behandlung bei den Eigenmittelanforderungen an Institute ermöglichen, hat die europäische Aufsichtsbehörde EBA Mitte Dezember 2018 präzisiert. Dass mit STS-Verbriefungen die Finanzierungsbedingungen für die deutsche und europäische Wirtschaft spürbar verbessert werden, wird allerdings bezweifelt. Lediglich bei Autoverbriefungen erwarten die hiesigen Institute und ihre Vertreter bei der TSI einen gewissen Aufschwung. Die Verbriefung von Handels- und Leasingforderungen sehen sie durch die neuen Anforderungen eher erschwert. Und für die Unternehmensfinanzierung allgemein halten sie die Konzentration auf die True-Sale-Variante und den Verzicht auf die syndizierte Verbriefung als großes Hindernis für eine angemessene Akzeptanz am Markt.

Gleichwohl hat die TSI bei der BaFin einen Antrag gestellt, künftig mit einer spezialisierten Einheit als privatwirtschaftliche Prüfungsinstanz zu fungieren, wie es im Konzept der EBA vorgesehen ist. Sollte es wie erhofft in absehbarer Zeit die Zulassung als Third-Party-Zertifizierer geben, erhofft sich die TSI ab dem Frühjahr dieses Jahres auf diesem Weg einige neue STS-Verbriefungstransaktionen.

Ein wirklich entscheidendes Finanzierungsinstrument sind solche Varianten für die europäische Wirtschaft einstweilen noch nicht. Mit einem Volumen von 1 484 Milliarden Euro an Krediten an Unternehmen und Selbstständige per Ende 2018 wird die Unternehmensfinanzierung hierzulande eindeutig vom Kreditgeschäft dominiert. Zur Einordnung: Die Leasingbranche brachte es 2017 laut Branchenverband auf gut 57 Milliarden Euro an Neugeschäft im Immobilienlieasing. Befürchtungen um eine zunehmend erschwerte Kreditversorgung sind allerdings derzeit in der hiesigen Wirtschaft noch nicht virulent. Laut dem von einem Finanzierungsdienstleister in Zusammenarbeit mit der TU Darmstadt initiierten Finanzierungsmonitor 2019 beobachtet zwar inzwischen fast die Hälfte der Mittelständler einen schlechteren Zugang zu Krediten als vor Jahresfrist. Aber bei allen trüben Vorzeichen wie den unklaren Auswirkungen möglicher US-Zölle für die europäische Autoindustrie, die begründete Sorge um einen harten Brexit sowie die generelle Unsicherheit über die Weiterentwicklung der EU spielt dieses Szenario wirklich ernsthafter Engpässe in der Unternehmensfinanzierung in der derzeitigen Phase der Konjunkturabkühlung noch keine zentrale Rolle. Andererseits ist es aber sicher auch kein Zufall, dass der Deutsche Industrie- und Handelskammertag Ende 2018 in einem Positionspapier einen Verlust an Vielfalt in der Unternehmensfinanzierung durch Standardisierung, Regulierung und das unzureichende Verständnis sowie damit verbunden eine mangelnde Wertschätzung des deutschen Dreisäulensystems beklagt hat.

Den einschlägigen Erhebungen diverser Banken und Informationsdienstleister aus dem Herbst 2018 zufolge sieht der hiesige Mittelstand seine Ertragslage allerdings weiterhin vergleichsweise optimistisch und bekundet auch wenig Probleme mit dem Zahlungsverhalten seiner Kunden. Auf Deutschland bezogen hatte sich die Sorge der EZB vor einer erschwerten Kreditversorgung der Wirtschaft auch nach der vergangenen Finanzkrise ohnehin als unbegründet erwiesen, weil insbesondere die Verbundinstitute ihr Kreditgeschäft deutlich ausgeweitet und damit Finanzierungsengpässe der Wirtschaft vermieden hatten. Die EZB indes darf und wird ihre geldpolitischen Aktivitäten nicht an Sonderentwicklungen in einzelnen Ländern ausrichten, sondern muss alle Volkswirtschaften im Blick haben.

Gegen eine dramatische Zuspitzung der Unternehmensfinanzierung der Wirtschaft sprechen hierzulande im derzeitigen Konjunkturzyklus auch andere Argumente. So hat insbesondere der Mittelstand, der unabhängig von der konkreten Abgrenzung mehr als neunundneunzig Prozent aller Unternehmen ausmacht, mehr als ein Drittel der Umsätze generiert und fast 60 Prozent der Arbeitsplätze stellt, seine Eigenkapitalausstattung in den vergangenen zwei Jahrzehnten kontinuierlich gesteigert. Auf über 30 Prozent wird mittlerweile diese Quote veranschlagt nach gut 18 Prozent im Jahre 2002. Die Bundesbank sieht die KMU damit diesbezüglich auf Augenhöhe mit den Großunternehmen. Der Spielraum für die Innenfinanzierung ist damit auch im Mittelstand erheblich ausgeweitet.

In Zeiten hohen Wettbewerbsdrucks durch die Digitalisierung in allen Branchen und für alle Unternehmensgrößen stellt sich gleichwohl die Frage, ob sich bei abflauender Konjunktur der anstehende Investitionsbedarf bewältigen lässt. Auch dafür gibt es hierzulande durchaus ermutigende Anzeichen. Die derzeit vorhandene Kraft zur Eigenfinanzierung dürfte genügend Spielraum für eine zusätzliche Kreditfinanzierung mit kontrollierbaren Risiken lassen. Mehr noch, für den hiesigen Arbeitsmarkt bedeutet der Digitalisierungsdruck auf den ersten Blick sogar eine glückliche Konstellation, denn der demografische Wandel begünstigt rein rechnerisch der Tendenz nach die Anpassung an einen geringeren Bedarf an Arbeitskräften. Die deutsche Wirtschaft sieht das freilich differenzierter und beklagt in nahezu jeder einschlägigen Umfrage, wie schwierig es ist, die richtigen Fachkräfte für den digitalen Wandel zu finden. Mit Blick auf die demografische Entwicklung wird hierzulande weniger die Unternehmensfinanzierung als wichtigste volkswirtschaftliche Problemlage wahrgenommen, sondern eine zukunftssichere Regelung der Altersvorsorge. In den europäischen Ländern mit einer anderen Altersstruktur der Bevölkerung fällt die Gewichtung anders aus.

Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag
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