Perspektiven von Blockchain-Technologien aus Sicht einer Großbank

Michael F. Spitz, Commerzbank AG, Frankfurt am Main

Quelle: Commerzbank AG

Michael F. Spitz, Commerzbank AG, Frankfurt am Main - Dezentral, unveränderlich und transparent, mit diesen Schlagwörtern skizziert der Autor die wichtigsten Merkmale, die die Blockchain-Technologie für Banken wie auch für andere Wirtschaftsbereiche derzeit so reizvoll macht. Die vielerorts angelaufene Entwicklung von Prototypen durch eigens aufgebaute Blockchain-Teams wertet er zwar als gute Basis für eine technische Weiterentwicklung. Gleichwohl warnt er vor übertriebenen Hoffnungen und plädiert im derzeitigen Erkenntnisstadium für sorgfältige Kosten-Nutzen-Analysen. Viele Prozesse, so seine These, lassen sich derzeit noch mit bestehenden Lösungen einfacher und effizienter als mit Blockchain-Technologien abbilden. Erst wenn im Dialog von Fachkräften, Kunden und anderen Banken die Standardisierung weiter vorangetrieben worden ist, sieht er die Grundvoraussetzung geschaffen, blockchainbasierte Anwendungen aus dem Status der Prototypen herauszuführen und als etablierte Technologien weiterzuentwickeln. Für den Markterfolg hält er es zudem für wichtig, dass Anwendungsbeispiele sicher, schnell und skalierbar sind. (Red.)

Der Erfolg der Blockchain begann im Jahr 2009, also vor bald zehn Jahren mit der Veröffentlichung eines White Papers mit dem Titel "Bitcoin a Peer to Peer Electronic Cash System" unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto. Diese Publikation und der vergleichsweise hohe Bekanntheitsgrad der Kryptowährung sind sicherlich Gründe dafür, warum die Begriffe Bitcoin und Blockchain oft synonym verwendet werden. Allerdings ist das zu kurz gedacht, denn die Kryptowährung basiert zwar auf der Blockchain-Technologie, ist aber lediglich eines von vielen möglichen Anwendungsbeispielen.

Dezentralität, Unveränderlichkeit und Transparenz

Die Blockchain- oder auch Distributed-Ledger-Technologie ist eine dezentrale Datenstruktur und Grundlage für digitale Kryptowährungen und intelligente elektronische Verträge, sogenannte "Smart Contracts". Die Technologie zeichnet sich vor allem durch Dezentralität, Unveränderlichkeit und Transparenz aus. In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Anwendungsbereiche entwickelt, die auf Blockchain-Technologien basieren und die weit über den Einsatz von Kryptowährungen hinausgehen. So ist die Blockchain heute in aller Munde. Das gilt insbesondere für den Finanzdienstleistungssektor. Doch wo steht die Branche zurzeit in der Entwicklung und Anwendung dieser Technologie?

Finanzdienstleister sind sehr eng mit technologischen Entwicklungen verbunden. Neben Anwendungsbeispielen im Fremdwährungshandel und im Zahlungsverkehr beschäftigen sich Banken insbesondere mit den Einsatzmöglichkeiten von Distributed-Ledger-Technologien im Bereich von Smart Contracts. Hier werden bestehende Geschäfts- und Organisationsmodelle herausgefordert, denn durch verteilte Kontenbücher entsteht bei den Nutzern dieser Technologie ein Vertrauen an den Wahrheitsgehalt der Informationen, die in der heutigen Zeit des Misstrauens ganz neue Möglichkeiten eröffnen können. So ist es denkbar, dass die Blockchain Grundbücher, Handelsregister und sogar einige Aufgaben von Notaren ablösen wird. Die veränderten Anforderungen an Transparenz durch regulatorische Rahmenbedingungen sind ein weiteres Einsatzgebiet der Blockchain. Neben den Banken entwickeln auch Fintechs Lösungen auf diesem Gebiet, teils in sehr enger Kooperation mit der Finanzdienstleistungsindustrie.

Weiterentwicklung in Industriekonsortien

Viele Unternehmen befinden sich zurzeit in der Testphase und entwickeln Prototypen. Hierfür haben einige Häuser Emerging-Technologies-, Innovations- oder Blockchain-Teams aufgebaut. In diesen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen arbeiten IT-Experten mit Bankexperten zusammen an den Einsatzmöglichkeiten der Blockchain. Um sehr flexibel agieren zu können, befinden sich diese Labore häufig in Testumgebungen. Es haben sich zudem Industriekonsortien entwickelt, die den Einsatz von Distributed-Ledger-Technologien für bestimmte Teilbereiche erforschen und Anwendungen entwickeln. So haben sich beispielsweise rund 80 Banken gemeinsam in der Distributed-Ledger-Group zusammengetan, um Produkte und Blockchain-Anwendungen mit dem Unternehmen R3 auf Basis der Technologie Corda zu entwickeln. Corda ist eine Plattform, die speziell für Anwendungen zwischen Finanzinstituten entwickelt wurde. Im Gegensatz zu Bitcoin handelt es sich bei Corda um ein geschlossenes System, das nur zwischen autorisierten Geschäftspartnern besteht. Corda ist eine Open-Source-Lösung und ermöglicht auch dem Regulator beziehungsweise den Aufsichtsbehörden Zugriff auf Informationen.

Wie von Klaus Schwab in seinem Buch "Die Vierte Industrielle Revolution" beschrieben, gibt es derzeit tiefgreifende Veränderungen in allen Wirtschaftszweigen und der Gesellschaft. Über die Grenzen der physischen, digitalen und biologischen Welt hinweg verschmelzen Innovationen miteinander und verstärken sich zudem gegenseitig. Als Konsequenz kommt der Erforschung neuer Technologien auch bei Banken eine immer größere Bedeutung zu. Im Falle der Blockchain-Technologie bietet diese neben der Optimierung bestehender Prozesse das Potenzial, die Chancen verteilter Netzwerke auch über die eigenen Branchengrenzen hinaus zu erschließen.

Die Unveränderlichkeit von Daten und Transaktionen in einer Blockchain ist neben der hohen Transparenz sowohl für Banken ebenso wie für Aufsichtsbehörden besonders interessant. Informationsketten, die einmal in einer Blockchain erfasst wurden, können aufgrund der dezentralen und weit verteilten Datenstruktur im Nachhinein nicht manipuliert werden. Daneben erlaubt es die Distributed-Ledger-Technologie, bestehende Prozesse auf den Prüfstand zu stellen und neue Geschäfts- und Organisationsstrukturen zu entwickeln.

Kosten-Nutzen-Überlegungen

Bei aller Euphorie rund um die Blockchain ist jedoch klar: Nicht alle Transaktionen und Geschäftsvorfälle sind für eine Abbildung auf Basis von Blockchain geeignet. Der Einsatz dieser Technologie muss für Kunden Mehrwert stiften und ökonomisch sinnvoll sein. Und Fakt ist: Viele Prozesse lassen sich mit bestehenden Technologien einfacher und effizienter als mit Blockchain-Technologien abbilden. Bei der Entscheidung, welche Technologie zum Einsatz kommt, sind zudem die Sicherheit und die Skalierbarkeit von Transaktionsprozessen von entscheidender Bedeutung (siehe Abbildung).

Banken haben eine sehr gute Ausgangslage bei der Entwicklung solcher Technologien. Sie bewegen sich in einem Umfeld, das schon lange starken Wandlungen unterliegt. Diese sind wesentlich bestimmt durch veränderte Kundenanforderungen ebenso wie wirtschaftliche, regulatorische oder politische Veränderungen. Wie kaum eine andere Industrie haben Banken gelernt, sich in einem stark regulierten Umfeld zu bewegen. Ebenso gehört der Umgang mit komplexen Transaktionen in unterschiedlichen Wirtschafts- und Rechtssystemen zum Tagesgeschäft von Großbanken. Ein zentrales Thema bei der Anwendung von Blockchain-Technologien ist zudem die Sicherheit von Transaktionen und Daten. Hier gibt es grundsätzlich eine starke Expertise in der Entwicklung von Lösungen und bei der Umsetzung und Überwachung von Transaktionsprozessen.

Banken arbeiten in ganz unterschiedlichen Produktbereichen und Teilen der Wertschöpfungskette am Einsatz von Distributed-Ledger-Technologien. Erste Prototypen wurden bereits erfolgreich umgesetzt, beispielsweise Transaktionen in den Bereichen der Unternehmens- und Handelsfinanzierung, in der Treasury sowie bei festverzinslichen- oder Kapitalmarktprodukten. Häufig wird ein Teil der bestehenden Wertschöpfungskette betrachtet, um die Machbarkeit und den Einsatzbereich von Blockchain-Technologien aufzuzeigen.

Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Kooperation mit Kunden bei physischen Lieferketten und im Bereich des Internets der Dinge (IoT), wo zukünftig Geräte zunehmend selbstständig miteinander kommunizieren. Hier arbeiten Banken eng verzahnt mit Kunden und wissenschaftlichen Einrichtungen wie Universitäten oder Forschungsinstituten zusammen. So ist es heute dank des Internets der Dinge und intelligenter Güter möglich, Material- und Energieflüsse nachzuverfolgen und so auf der gesamten Wertschöpfungskette enorme Effizienzsteigerungen zu erreichen. Dies geschieht beispielsweise durch die Kombinationen von neuen Technologien wie etwa autonom fahrenden Fahrzeugen, durch künstliche Intelligenz, 3D-Druck oder Robotik. Hier können Banken mit ihren Erfahrungen und mithilfe von Blockchain-Technologien ihren Kunden bei der Umsetzung der Industrie 4.0 helfen.

Internet der Dinge als Anwendungsgebiet

Die Finanzindustrie steht beim Einsatz von Distributed-Ledger-Technologien und darauf basierenden Lösungen in den Startblöcken. Aus der Arbeit in den Blockchain-Teams und durch die Entwicklung von Prototypen lernen Unternehmen, wo die Blockchain eingesetzt werden kann und wo Herausforderungen dieser Technologie liegen.

Zurzeit werden bestehende Prozesse oft noch eins zu eins auf Basis von Blockchain-Technologien übertragen. Jedoch lassen sich bereits heute schon Möglichkeiten im Einsatz der Technologie für neue Geschäftsmodelle und Lösungen erkennen. Denkbar sind beispielsweise Plattformen für 3D-Druckobjekte, neue Formen der manipulationsfreien Rechtevermarktung im Kunst- oder Musikbereich, automatisierte Abrechnungen zwischen miteinander verbundenen Maschinen beziehungsweise Robotern oder neue Marktlogiken in dezentralen intelligenten Energienetzen. Und hier liegt das wahre Potenzial von Blockchain-Technologien. Letztendlich wird sich zeigen, welche neuen Produkte und Dienstleistungen Kunden zukünftig auf Basis der Blockchain erhalten können.

Nicht allein eine Frage von technischer Kompetenz

Wesentliche Grundvoraussetzungen für Anwendungserfolge liegen zudem in der Auswahl der richtigen Technologien, hier gibt es mit Corda von R3 oder Hyperledger fabrics ganz unterschiedliche Ansätze. Darüber hinaus spielen die Standardisierung von Systemen und Wertschöpfungsketten ebenso wie der enge Dialog mit Kunden und Aufsichtsbehörden wesentliche Rollen in der erfolgreichen Adaption von Blockchain-Technologien. Dies zeigt, dass die Nutzung von Blockchain-Anwendungen nicht allein eine Frage von technischen Kompetenzen ist, vielmehr braucht es ein stark verzahntes Ökosystem aus bestehen und neuen Partnern für eine erfolgreiche Weiterentwicklung dieser Technologie.

Wo genau die Reise bei der Anwendung von Blockchain-Technologien hinführt, ist sicherlich nicht in Stein gemeißelt. Gleichwohl werden sich aufgrund der physikalischen, digitalen und biologischen Trends bestehende "klassische" Industrien und Finanzdienstleister verändern. Der intensive Dialog mit Kunden und anderen Partnern, auch anderen Banken im Ökosystem, wird die Standardisierung von Blockchain-Modellen weiter vorantreiben. Dies ist eine wesentliche Grundvoraussetzung, bevor Blockchain basierte Anwendungen sich aus dem Status der Prototypen hinaus zu etablierten Technologien entwickeln können. Zudem ist es wichtig, dass Anwendungsbeispiele skalierbar, sicher und schnell sind, nur so werden sich diese Technologien durchsetzen können. Dann jedoch haben sie enormes Potenzial, bestehende Transaktionsprozesse abzulösen und ganz neue Produkte und Dienstleistungen entstehen zu lassen. Durch den Austausch virtuell eindeutig gesicherter, nicht kopierbarer Wertgegenstände kann dem Internet eine weitere Dimension hinzugefügt werden.

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