DIGITALISIERUNG

Digitalisierung ist ein Mannschaftssport

Innovative Geschäftsmodelle durch ergänzende Expertise

Ulf Könekamp, Foto: Peter Welp

Das industrielle Internet der Dinge ist auf dem Vormarsch. Deshalb ist es höchste Zeit, sich mit neuen datenbasierten Geschäftsmodellen und deren Möglichkeiten intensiv zu befassen. Durch einen branchen- und wettbewerbsübergreifenden Austausch lässt sich das enorme Potenzial, das Daten mit sich bringen, bestmöglich ausschöpfen. Mit der Mindsphere World e. V. wurde eine Plattform geschaffen, auf der Unternehmen mit unterschiedlichster Expertise gemeinsam die Entwicklung vorantreiben, wie einige Erfolgsbeispiele zeigen. (Red.)

Es war einmal eine Zeit, da wurde Erfolg an der Leistung Einzelner gemessen. Starke Persönlichkeiten gaben den Ausschlag für die Performance eines Unternehmens. Dann erkannte man, dass sich mit Teamwork sowohl die Produktivität als auch die Qualität der Ergebnisse deutlich steigern lässt - im amerikanischen oft unter dem Motto zusammengefasst: "Teamwork makes the dream work." Gerade in Sachen Teamwork hat die Digitalisierung vieles auf eine völlig neue und für die meisten inzwischen selbstverständliche Ebene gehoben. Doch genau diese Digitalisierung ist es auch, die nun den nächsten Schritt nicht nur einläutet, sondern - und davon handelt dieser Beitrag - sogar erforderlich macht: Die übergreifende Zusammenarbeit nicht nur im Team, sondern mit anderen Teams aus anderen Unternehmen, sogar Mitbewerbern und auch aus anderen Branchen.

"Daten sind das Öl der Zukunft", "Der wahre Wert von Öl entsteht in der Raffinerie, der wahre Wert von Daten liegt in ihrer Aufbereitung, Verknüpfung und Nutzung von künstlicher Intelligenz". Aussagen wie diese sind inzwischen branchenübergreifend allgegenwärtig. Doch, so zeigen Untersuchungen immer wieder, sind sich zwar viele Unternehmen der Möglichkeiten und Anforderungen theoretisch durchaus bewusst, allein es hakt in der Umsetzung.

Mehr als Visionen

Software-as-a-Service und Everything-as-a-Service, Edge, Cloud, Pay-per-Use, Shared-Data-Pools, Digital Twins und Closed-Loop-Manufacturing - allein die Begrifflichkeiten lassen nicht IT-affine Geschäftsführer und Finanzchefs gern wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange erstarren. Da werden Entscheidungen pro Digitalisierung mancherorts sogar aufgeschoben, allein um sich keine Blöße zu geben. Attribute wie teuer, risikobehaftet oder zeitintensiv werden vorgeschoben. Ja - Digitalisierung hätte man "on top" vielleicht gerne, aber es muss ja nicht gleich jetzt sein.

"Investitionen in das Internet of Things lohnen sich nicht unbedingt morgen, sie nicht zu tätigen, rächt sich aber übermorgen." Mit diesem klaren Statement brachte Dr. Verena Brenner, CEO von HDI TH!NX, auf einem der letzten Financial Summits der Mindsphere World die vielerorts herrschende Situation treffend auf den Punkt. Die Veranstaltung, in deren Mittelpunkt der Austausch hochrangiger Vertreter aus der Finanz- und Versicherungsbranche zu neuen datenbasierten Geschäftsmodellen und Möglichkeiten der Wertschöpfung steht, zeigt jährlich aufs Neue: Die Frage des Returnon-Investment, also wann und wie sich die Investitionen in die Digitalisierung bezahlt machen, beschäftigt derzeit so gut wie jedes Unternehmen. Auf das wann gibt es keine universelle Antwort. Dass es sich bezahlt machen wird, ist dagegen unumstritten. Um das jedoch umsetzen zu können, braucht es mehr als Ideen und Visionen. Denn dazu ist die digitale Transformation mit all ihren Aspekten viel zu komplex, gestalten sich die in ihr liegenden Herausforderungen zunehmend dynamisch und disruptiv. Nicht länger geht es nur darum, Daten zu erheben und zu sammeln. Vielmehr müssen diese Daten in einen oder besser unterschiedlichste Kontext(e) gestellt werden. Und hier ist vor allem Teamarbeit gefragt. Nur durch sich ergänzende Expertisen, durch die komplementären Kompetenzen von Menschen und Unternehmen, können die neuen Geschäftsmodelle entstehen, die für alle Beteiligten Mehrwert bringen.

Ein Paradebeispiel dafür liefert der Motorsport: Bereits lange vor dem eigentlichen Rennen arbeiten zahllose Spezialisten aus den unterschiedlichsten Fachbereichen übergreifend zusammen, um mit jedem Detail das Beste herauszuholen. So entsteht gemeinsam ein Gesamtpaket, mit dem der Fahrer später im Rennen um die Führung kämpfen kann. Auf dem Siegertreppchen stehen dann anschließend die Fahrer, deren Teams diese Gemeinschaftsaufgabe am besten gelöst haben. Gleichzeitig zeigt der Motorsport aber auch die Grenzen auf, denn hier kämpft jedes Team für sich und seinen Erfolg.

In der Digitalisierung muss an genau dieser Stelle der entscheidende Schritt weitergegangen werden. Darum wurde die Mindsphere World gegründet. Als unabhängige Nutzerorganisation bietet der Verein die Möglichkeit, dass unterschiedliche Teams - in diesem Fall Unternehmen -, die eventuell sogar als Wettbewerber im gleichen Markt konkurrieren, gemeinsam die Entwicklung vorantreiben. Aus hochqualifizierten Einzelkämpfern wird so eine schlagkräftige Mannschaft.

Verträge per App

Ein passendes Beispiel der Teamarbeit verdeutlicht den Mindsphere-World-Ansatz. Wie bereits erwähnt, liegt das wahre Potenzial der Industrie 4.0 und des industriellen Internet of Things (IIoT) einerseits in einer möglichst hohen Zahl von Daten und andererseits in deren entsprechenden Auswertung - im Idealfall im Verbund von Partnern und im Netzwerk von Unternehmen. Doch das bringt auch rechtliche Probleme mit sich, denn wer teilt schon gern seine wertvollen Daten mit anderen.

Darum entstand in einer Interessengruppe die Idee zu einem automatischen Vertragsgenerator. Inzwischen ist aus dieser Idee eine App entstanden, der "Mindsphere World Ecosystem Manager". Mit einfach zu erstellenden, vorgeprüften Vertragsbausteinen bringt diese rechtliche Sicherheit in gemeinsame Projekte. Damit der Datenaustausch über mehrere Beteiligte nicht allein zu einer Frage des Vertrauens wird und gemeinsame IIoT-Projekte schneller umgesetzt werden können. Und damit Geschäftsgeheimnisse vertraglich abgesichert bleiben - entworfen und entwickelt von vielen zum Nutzen von allen.

Ein weiteres Beispiel: Aus dem Financial Summit der Mindsphere World heraus entwickelte der traditionsreiche Werkzeughersteller Stahlwille ein neues Geschäftsmodell, das inzwischen Furore macht: den digitalen Drehmomentschlüssel. Aus IoT-fähigen Werkzeugen gepaart mit neuen Finanzdienstleistungen ergeben sich so innovative Dienstleistungen. Genutzt, um beispielsweise Räder am Kraftfahrzeug zu montieren, mussten Mechaniker bisher für jedes Fahrzeug nachschauen, welches Drehmoment das richtige ist. Der neue digitale Drehmomentschlüssel kann dagegen auf eine Datenbank zugreifen, stellt automatisch das richtige Drehmoment ein und dokumentiert die Anwendung. Gerade in Bereichen, in denen Wartung, Kalibrierung und Dokumentation verpflichtend sind, trägt dieser so maßgeblich zur Qualitäts- und Effizienzsteigerung bei.

Drehmoment nach Bedarf und Gebrauch

Darauf basierend entwickelte Stahlwille das neue Geschäftsmodell Drehmomentas-a-Service: Die Einmalkosten, Datenaktualisierung, Schulungs- und Wartungsaufwände werden dabei in Nutzungsgebühren zusammengefasst, die nach Gebrauch abgerechnet werden. So sinkt auch die Eintrittsbarriere für kleinere Werkstätten. Einige Zahlen verdeutlichen das Potenzial: Allein in Deutschland führen aktuell über 40 000 Servicebetriebe geschätzt mehr als 40 Millionen Radmontagevorgänge pro Jahr durch. Das Traditionsunternehmen hat mit Erfolg Neuland betreten und plant bereits die nächsten Schritte: der weitere Ausbau des eigens installierten Innovations-Ecosystems mit namhaften Partnern aus Werkstattketten, Lösungsanbietern, Werkstattausrüstern und Datendienstleistern.

Eine weitere Interessengruppe der Mindsphere World beschäftigt sich ausschließlich mit den Themen "Finance and Insurance". Hier treffen sich inzwischen regelmäßig über 20 Banken und Versicherungen, die zum Teil auf dem Markt im harten Wettbewerb miteinander stehen, um gemeinsam und kooperativ neue Geschäftsideen und -modelle zu entwickeln.

Prämien und Leasing-Raten nach Nutzung

Ein kleiner Blick hinter die Kulissen der dort laufenden, aktuellen Diskussionen zeigt einige der Möglichkeiten, die hier gerade durchaus laut gedacht werden: Wie wäre es zum Beispiel, wenn ein Leasing-Geber oder auch eine Versicherung nicht nur wüsste, welche Maschinen beim Kunden mit welchem Wert in den Büchern stehen, sondern auch Zugriff auf deren aktuelle Nutzung und Auslastung hätte. Dann könnte man vielleicht die Leasing-Raten an die Nutzung immer wieder aktuell anpassen, denn wenig genutzt geht einher mit weniger Verschleiß und längerer Haltbarkeit. Wenn der Versicherer zusätzlich Einblick hätte, wie und dass diese Maschinen auch regelmäßig gewartet werden - oftmals könnten sogar dank Nutzung der Daten Unregelmäßigkeiten bereits im Vorfeld erkannt und frühzeitig behoben werden. So könnte die Versicherungsprämie agil an das aktuelle Ausfallrisiko angepasst werden.

Leasing- und Versicherungsgeber könnten so dank der übergreifenden Datennutzung ganz neue Geschäftsmodelle entwickeln, die sich nicht länger allein am Buchwert einer Maschine, sondern an deren Nutzung oder tatsächlichen Wertschöpfung orientieren. Und Leasing- und Versicherungsnehmer tauschen ihre Daten gegen faire Raten.

Und damit zurück zum eigentlichen Thema - dem Wandel und Umdenken. Ja, Digitalisierung braucht Superstars. Ihre Leistung entfalten können diese aber nicht mehr allein, sondern nur durch Transparenz, durch Lern- und Adaptionsfähigkeit, durch gegenseitige Akzeptanz und Bereitschaft zur Teamarbeit. Alles Parameter die helfen, das ausbremsende Silodenken zu eliminieren.

Vom Ego-System zum Eco-System

Digitalisierung braucht darum Mannschaften und Teams aus unterschiedlichen Experten. Nur in übergreifenden Eco-Systemen können die Innovationen von morgen entwickelt und vorangetrieben werden. Mit fundiertem Wissen aus unterschiedlichen Systemen, mit Menschen und Unternehmen, die offen sind für Neues und Zusammenarbeit mit anderen gleichzeitig als Herausforderung, aber auch als Lösung verstehen.

Dieser Artikel begann bewusst mit den Worten "Es war einmal". Anders als ein Märchen, das in dieser Vergangenheit verhaftet bleibt, sollte er einen Blick in die Gegenwart und Zukunft eröffnen. Genau wie ein Märchen, soll er aber auch mit einer "Moral der Geschichte" enden. Diese lautet: Den Herausforderungen der Digitalisierung kann man nur als Eco-System, als Team und als Mannschaft begegnen. Mit vernetzten Daten, mit vernetzten Technologien und vor allem mit vernetzten Menschen.

Mindsphere World e. V. Die Mindsphere World e. V. ist eine unabhängige und offene Community für alle Interessenten am industriellen Internet der Dinge (IIoT), die sich treffen, lernen und durch die digitale Transformation wachsen wollen - seien es Unternehmen verschiedener Branchen, Forschungs- oder Regierungseinrichtungen. Nach dem Motto "The Power of Many" will Mindsphere World einen Mechanismus bieten, um innerhalb von Ökosystemen neue zukunftsweisende IIoT-Geschäftsmodelle zu ermitteln und zu nutzen, branchenspezifische Anwendungsfälle zu identifizieren, Erfahrungen und Best Practices auszutauschen sowie effizientere digitale Lösungen in der Gemeinschaft zu entwickeln und umzusetzen. Der interdisziplinäre Thinktank fördert außerdem Wissenschaft, Forschung und Bildung rund um IIoT. Insgesamt umfasst Mindsphere World sieben regionale Verbände in Europa, Asien-Pazifik und Nordamerika mit mehr als 170 Mitgliedern. Als inzwischen regelmäßig jährlich stattfindendes Event lädt die Mindsphere World Mitglieder sowie interessierte Gäste zum Financial Summit. Hier treffen sich namhafte Spezialisten mit Geschäftsführern und Finanzchefs von sowohl Industrieunternehmen als auch aus der Versicherungs- und Finanzbranche. Gemeinsam werden Erfahrungen ausgetauscht, Fallbeispiele gezeigt und neue Geschäftsmodelle diskutiert. Der nächste Financial Summit "Pay4Outcome - Equipment-as-a-Service" wird am 14. Oktober 2022 bei Kärcher in Winnenden stattfinden. Interessenten können sich registrieren unter info@mind sphereworld.org.www.mindsphereworld.org
Ulf Könekamp , Vorsitzender des Vorstands, Mindsphere World e. V., Karlsruhe

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