Ein Dilemma

Philipp Otto, Chefredakteur FLF, Frankfurt am Main, Foto: FKV

Inflation, Zins und Wachstum - an diesen Begrifflichkeiten und Zusammenhängen haben sich Heerscharen von wirtschaftswissenschaftlichen Nachwuchskräften bis hin zu gestandenen Ökonomen abgearbeitet. Herausgekommen sind viele schöne Modelle der monetären Theorie, doch auch nicht mehr. Denn die Geschichte lehrt uns: Keine Währung der Welt hat es bislang geschafft, ihren Wert dauerhaft stabil zu halten. Hinzu kommt: Leider gleichen sich Rahmenbedingungen keineswegs wie ein Ei dem anderen, sodass selbst die überzeugendsten Gedanken der klügsten Köpfe nicht all gemeingültig anwendbar und heilsam sind.

Spätestens seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine ist klar, dass die Inflation in Deutschland und Europa kein vorüberziehendes Phänomen mehr ist, wie sie von der Europäischen Zentralbank (EZB) noch bis vor Kurzem so gerne bezeichnet wurde, sondern sich mittelfristig festsetzen und schmerzhaft auf den Wohlstand auswirken wird. Für Deutschland betrug die Inflationsrate im März 2022 stolze 7,3 Prozent, ein Wert, der selbst in den vielzitierten 1970er-Jahren nicht erreicht wurde. Höher war sie laut Statistischem Bundesamt nämlich nur einmal im Jahr 1951 mit 7,6 Prozent. Sollten sich die Preissteigerungen vor allem für Benzin und Energie, aber auch für Mieten, Lebensmittel und wichtige Produktionsgüter so fortschreiben, drohen im laufenden Jahr schlimmstenfalls sogar zweistellige Inflationsraten. Diese hohe Inflation trifft auf eine immer noch wachsende Wirtschaft, allerdings lässt das Tempo spürbar nach. Die Konjunktur in Deutschland wird den Prognosen zufolge in diesem Jahr nur noch um 1,5 bis 1,8 Prozent zulegen. Für die Eurozone wurden die Erwartungen von 3,2 Prozent auf rund 2 Prozent zurückgenommen. Weltweit rechnet der Internationale Währungsfonds immerhin noch mit einem Zuwachs um 4,4 Prozent.

Diese Gemengelage offenbart das gesamte Dilemma der EZB, wobei Dilemma ganz im klassischen Sinne als Wahl zwischen zwei Übeln zu verstehen ist. Denn die Notenbank hat sich ihren Spielraum durch eigenes Handeln in den vergangenen Jahren sehr stark eingeschränkt und sich in eine Sackgasse manövriert, aus der sie ohne Weiteres nicht mehr herauskommt. Reagiert sie mit den klassischen geldpolitischen Mitteln, erhöht also die Zinsen, läuft sie Gefahr, die ohnehin schwächelnde Wirtschaft weiter in eine Abwärtspirale zu treiben. Gleichzeitig würde sich die Refinanzierung der Staaten in der Eurozone verteuern. Und das kann und wird nicht jedes Land ohne Schaden aushalten. Tut sie es nicht, drohen Inflationsraten im zweistelligen Bereich und im schlimmsten Fall die Stagflation. Die EZB hat sich (leider) lange Zeit geirrt und muss nun reagieren.

Für die Wirtschaft heißt das vor allem eines: zunehmende Unsicherheit. Und das sind weder für Investitionen noch für Finanzierungen gute Rahmendingungen. Aber wir werden es aushalten müssen, bis wieder bessere Zeiten mit stabilen Rahmenbedingungen und mehr Wirtschaftswachstum folgen.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
Noch keine Bewertungen vorhanden


X