Positionen zur Stadtentwicklung von Politik und Immobilienwirtschaft

Bezahlbares Wohnen als große soziale Herausforderung

Katrin Göring-Eckardt

Mietsteigerungen und der Wegfall der Mietpreisbremse vernichten bezahl baren Wohnraum. Davon sind die Autoren des Beitrages überzeugt. Ob Menschen beim nächsten Bewerbungsgespräch eine Chance haben oder ob die eigenen Kinder in eine gute Kita oder Schule gehen können, hänge unmittelbar vom Wohnort ab. Die Lösung könne daher nur sein, mehr Wohnungen zu bauen. Als Ziel geben die Grünen-Politiker eine Million bezahlbarer Wohnungen in den nächsten zehn Jahren an. Auf diese Weise könne eine lebendige und vielfältige Nachbarschaft ermöglicht werden. Auch die ökologische Erneuerung von Immobilien müsse sozialverträglich geschehen. Die Kosten zwischen Mietern, Eigentümern und dem Staat müssen fair verteilt werden, ohne dass soziale Härten entstehen. Red.

Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten. Urbanisierung ist ein globaler Trend, der Veränderungen in vielfältiger Weise mit sich bringt. Migration, Polarisierung der Gesellschaften in Arm und Reich, oder ressourcenbezogene Probleme, wie die Belastung durch Müll, Abwasser oder Luftverschmutzung stehen dabei oben auf der Agenda. Gleichzeitig geht es aber auch um Fragen, wie sich Städte erneuern können, wie sie wieder mehr Lebens,- Wohn -und Kulturraum für ihre Bewohnerinnen und Bewohner werden können. Für diese Herausforderungen braucht es nicht nur nachhaltige Lösungen in den Megastädten Asiens, Afrikas oder Südamerikas, sondern auch, aber in anderen Ausprägungen, in Großstädten und Ballungsräumen Deutschlands. Hier stehen Fragen von Wohnen und Zusammenleben, die Gestaltung öffentlicher Räume, Energieversorgung und Mobilität im Vordergrund, für die es sozial gerechte und klimaschonende Lösungen zu organisieren gilt.

Verdrängung in unattraktive Stadtrandlagen

Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum ist in vielen deutschen Groß- und Mittelstädten enorm. Der Platz auf vielen Wohnungsmärkten wird immer enger, weil Mietsteigerungen und der Wegfall von Mietpreisbindungen bezahlbaren Wohnraum vernichten. So gehen jährlich mindestens 100 000 Wohnungen verloren. Leidtragende dieser Entwicklungen sind Familien mit kleinem Geldbeutel, Rentnerinnen und Rentner, Studierende oder Alleinerziehende, die sich die Frage stellen müssen, wieviel Geld ihres Einkommens oder ihrer Rente sie für die Miete ausgeben können. Zunehmend heißt das für viele Menschen, dass sie an unattraktive Stadtrandlagen verdrängt werden.

Bezahlbares Wohnen wird damit zu einer der großen sozialen Herausforderungen, denn vom Wohnort hängt viel ab. Ob Menschen beim nächsten Bewerbungsgespräch eine Chance haben oder ob die eigenen Kinder in eine gute Kita oder Schule gehen können. Wie lang der Weg zur Arbeit oder ins nächste Krankenhaus ist. Nachbarschaften, wo sich für jeden Geldbeutel der passende Wohnraum finden lässt, werden immer seltener. Damit könnte künftig einer der wesentlichen Gründe wegfallen, der das Leben in deutschen Städten im Vergleich zu anderen Ländern so attraktiv macht. Der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft geht verloren. Wer weniger hat, wird an den Rand gedrängt.

Sozialer Zusammenhalt geht verloren

Unsere Antwort darauf ist: Mehr Wohnungen bauen. Eine Million bezahlbarer Wohnungen in den nächsten zehn Jahren ist unser Ziel, um lebendige und vielfältige Nachbarschaften zu ermöglichen. Wir treten für einen starken Zusammenhalt ein. Für Kommunen, Genossenschaften und private Anbieter bieten wir eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit an. Wir belohnen mit Investitionszuschüssen eine öffentliche Leistung: dauerhaft günstige Wohnungen in den wachsenden Städten - bezahlbar, lebenswert und klimafreundlich. Schon bis zum Jahr 2019 sehen wir dafür drei Milliarden Euro vor. Mit weiteren zwei Milliarden Euro für die Wohnraumförderung der Länder, einer neuen Liegenschaftspolitik und starken Kommunen wollen wir dem Gemeinwohl auf dem Wohnungsmarkt mehr Raum geben.

Wir setzen uns für ein verbraucherfreundliches Mietrecht ein, mit einer wirksamen Mietpreisbremse zum Schutz von Mieterinnen und Mietern vor Verdrängung. Wir entlasten mehr Menschen von steigenden Wohnkosten mit dem Wohngeld. Wir sorgen für hohen Verbraucherschutz beim Erwerb von Wohneigentum und unterstützen Familien beim Erwerb der eigenen vier Wände. Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen erleichtern wir den Erwerb von genossenschaftlichem Wohneigentum oder dem Ansparen für das Alter in Genossenschaften. So wollen wir für ein gutes Leben im Alter sorgen, dafür dass Verdrängung vermieden und der soziale Zusammenhalt wieder gestärkt wird.

Energiewende als Modernisierungsmotor

Wenn wir den Neu- und Umbau ökologisch gestalten, haben alle etwas davon. Mit mehr Klimaschutz erhalten wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Die Energiewende ist zudem ein starker Modernisierungsmotor für Wirtschaft und Gesellschaft. Mit Erneuerbaren Energien ersetzen wir Schritt für Schritt schmutzige, gefährliche und klimaschädliche Energien. Häuser und Gebäude verbrauchen fast 40 Prozent der gesamten Endenergie, allein die Hälfte davon für die Raumwärme.

Unser Ziel ist es, binnen dreier Jahrzehnte die Wärmeversorgung komplett auf erneuerbare Energien umzustellen. Dafür gilt es, solarbasierte Wärmenetze, Speicher und lokale Wärmepumpen in die Wärmeversorgung einzubeziehen, und mit nachwachsenden Bau- und Dämmmaterialien nicht nur CO2 auf gesunde Art zu speichern, sondern auch die Wärmeverluste der Häuser zu begrenzen.

Es ist absolut keine nachhaltige Investition, fossile Heizsysteme mit Hilfe öffentlicher Gelder neu einzubauen, oder Gebäude in giftiges Plastik einzupacken. In zukunftsfähigen Städten findet ökologische Modernisierung nicht länger von Haus zu Haus statt, sondern in ganzen Stadtvierteln und Wohngebieten. Wir wollen, dass die Kosten zwischen Mieterinnen und Mietern, Eigentümerinnen und Eigentümern und dem Staat fair verteilt werden, und zwar so, dass keine sozialen Härten entstehen.

Deshalb müssen wir die warmmietenneutrale energetische Sanierung in Nachbarschaften mit geringen Einkommen fördern, die Modernisierungs-Mieterhöhung deutlich absenken und mit einem Klimawohngeld sicher stellen, dass auch Wohngeldempfänger in klimafreundlichen warmen Wohnungen leben können. Ökologische Baustoffe sollten besser gefördert werden, Bürgerenergie und Mieterstrommodelle können direkt auf Hausdächern erneuerbaren Strom produzieren, der vor Ort genutzt werden kann.

Gemischte und barrierefreie Viertel

Die eigene Nachbarschaft, der Stadtteil ist ein wichtiger Lebensmittelpunkt. Wir wollen daher Stadtteile stärken und zu lebenswerten Nachbarschaften beitragen. Anonyme Siedlungen sind out. Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft fängt im eigenen Kiez an. Nicht nur Flüchtlinge, Menschen in Not, Alleinstehende oder Ältere sind auf eine aktive Zivilgesellschaft und starke Infrastrukturen angewiesen, sondern Alle.

Wohnen im lebenswerten Viertel bedeutet für uns auch, sich für neue Wohn- und Lebensformen entscheiden zu können: dazu gehört die Alten-WG genauso wie das Wohnprojekt von Studierenden mit jungen Flüchtlingen oder das Mehrgenerationenhaus. Heute gibt es in ganz Deutschland nur 600 000 bis 800 000 altersgerechte Wohnungen, bis 2030 fehlen ganze 2,9 Millionen. Denn die meisten Menschen möchten im Alter möglichst lange in ihrer eigenen Wohnung und im bekannten Wohnumfeld leben. Eine gute Nahversorgung kann dazu beitragen, dass ein Umzug in ein Heim erst sehr viel später erforderlich wird, wenn überhaupt. Dazu gehören für uns auch bedarfsgerechte Zuschüsse für den Abbau von Barrieren im Wohnumfeld und in den Wohnungen, um die aktive Teilhabe aller auch im Alter zu ermöglichen.

Lebenswerte Nachbarschaften brauchen kurze Wege zu Arzt und Arbeit, Bäcker und Bolzplatz, grüne Wege und Dächer, sowie mehr Platz für Fußgänger und Radler. Insofern ist auch der Vorschlag im Entwurf für ein verändertes Bauplanungsrecht der Bundesregierung zu begrüßen, der dichtere urbane Gebiete ermöglicht. Damit sollen Kommunen leichter gemischte Nutzungen in Städten ermöglichen können.

Doch gibt es zwei Pferdefüße: Der Lärmschutz wird in urbanen Gebieten pauschal abgesenkt, sodass die Bewohner des Gebiets Tag und Nacht gesundheitsgefährdendem Lärm ausgesetzt werden dürfen. Besser wäre es, Lärmschutzmaßnahmen wie schallschluckende Fenster zu erleichtern, statt die Gesundheit zu gefährden.

Außerdem wird der Flächenfraß auf der grünen Wiese deutlich erleichtert, und zwar in wachsenden Städten und schrumpfenden Dörfern. Das ist nicht nachhaltig und kommt die Natur ebenso wie die Dorfbewohner, die die neuen, dünn besiedelten Wohn- und Gewerbegebiete finanzieren müssen, teuer zu stehen.

Wien und Kopenhagen als Vorbilder

Anziehungspunkte sind gerade solche Städte, die unsere Lebensgrundlagen schützen statt sie zu zerstören. Die Stadt Kopenhagen setzt seit vielen Jahren konsequent auf lebenswerte öffentliche Räume im Umweltverbund aus Fußgängern, Radfahren und öffentlichem Verkehr. Sozial sinnvolle Investitionen, auf die etwa die Stadt Wien seit den zwanziger Jahren konsequent setzt, bescheren der Stadt heute erschwingliche Mieten in hochwertigen städtischen und gemeinnützigen Wohnungen. Auch Wien rangiert bei den lebenswertesten Städten des Globus immer wieder auf den ganz vorderen Plätzen.

Der Trend wachsender Städte kann eine große Chance sein, wenn wir sie richtig nutzen. Wir können mehr Lebensqualität und sozialen Zusammenhalt erreichen und gleichzeitig weniger Umwelt zerstören. Dem trägt die Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt Rechnung, die 2007 von den EU-Mitgliedstaaten als Leitbild beschlossen wurde. Sie fordert eine stärkere integrierte Stadtentwicklungspolitik, auf Basis von Bürgerbeteiligung, mit nutzerorientierten öffentlichen Räumen, kurzen Wegen, gesteigerter Energieeffizienz und modernen Infrastrukturnetzen, lokaler Wirtschafts-, Bildungs- und Innovationspolitik und sozialer Teilhabe, etwa durch die Stärkung benachteiligter Stadtviertel. Dieses Leitbild ist für uns die Grundlage für lebenswerte und grüne Städte der Zukunft.

Die Autoren Katrin Göring-Eckardt, MdB Vorsitzende der Bundestagsfraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN, Berlin Chris Kühn, MdB Sprecher für Bau- und Wohnungspolitik der Bundestagsfraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN, Berlin

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