DIGITALISIERUNG

DIGITALISIERUNGSSTRATEGIEN IN DER DEUTSCHEN IMMOBILIENWIRTSCHAFT

Heike Gündling, Foto: Eucon

Steter Tropfen höhlt den Stein. Dieser Grundsatz besitzt auch für die Digitalisierung der Immobilienunternehmen in Deutschland Gültigkeit. So haben unzählige Artikel, Konferenzen und Praxisbeispiele bereits viele Akteure zu effektiven Digitalisierungsansätzen einzelner Geschäftsbereiche geführt. Doch unabhängig davon, ob das Unternehmen noch in den digitalen Kinderschuhen steckt oder bereits einen höheren Reifegrad erreicht hat - nach Meinung der beiden Autorinnen benötigt die digitale Transformation stets eine klare Strategie. Diese müsse von einer innovationsfördernden Kultur getragen sein, die den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit ins Zentrum stellt. Red.

Im Jahr 2017 hat das Bundeswirtschaftsministerium ohne große öffentliche Aufmerksamkeit den Leitfaden "Weißbuch Digitale Plattformen" herausgegeben. Es handelt sich nicht um eine reine Absichtserklärung, sondern um eine 116 Seiten starke Abhandlung zu allen politischen Implikationen der Digitalisierung in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Neben seiner Zielsetzung, den europaweiten Ausbau digitaler Plattformgeschäftsmodelle, verweist der Leitfaden auf dafür notwendige Rahmenbedingungen - so zum Beispiel die Schaffung eines europäischen Rechtsrahmens, einheitlicher Datenschutzstandards oder auch Zertifizierungen für Digitalisierungsprozesse.

Das Weißbuch ist insofern ein großer Wurf, als es zunächst Digitalisierung im geeigneten Makrorahmen begreift. Es ist nicht die Rede von der Überführung analoger Dokumentenbestände in PDF-Dateien, sondern von Beginn an sind Datenplattformen mit einer umfassenden Vernetzung der Akteure das Ziel. Darüber hinaus deckt das Papier alle relevanten politischen Begleiterscheinungen der Digitalisierung ab.

Mit dem "Weißbuch Digitale Plattformen" wird nicht nur der ordnungspolitische Rahmen abgesteckt, sondern auch ein Beispiel für eine Digitalstrategie geliefert, das als Muster für Digitalisierungsprozesse in den einzelnen Wirtschaftsbranchen gelten kann. Wer sich mit Blick auf die Immobilienwirtschaft nach vergleichbaren Dokumenten umschaut, wird jedoch leider enttäuscht.

Trial-and-Error-Kultur

Digitalisierungskapitel in Geschäftsberichten sind zwar vorhanden, ebenso werblich gefasste Artikel zur Bedeutung der Digitalisierung auf den einzelnen Internetseiten der Unternehmen. Doch ausformulierte Strategien mit klaren Zielsetzungen und konkreten Projektschritten zum Ziel bilden ein Desiderat. Noch 2018 konstatierte die ZIA-Digitalisierungsstudie, dass das Haupthindernis für eine effektive Digitalisierung nach fehlenden personellen Ressourcen in der mangelnden Digitalisierungsstrategie liege.

Warum verzichten die Akteure der Immobilienwirtschaft auf Digitalstrategien, obgleich sie nahezu ausnahmslos die Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse als notwendige Aufgabe betrachten? Ein wesentlicher Grund liegt in der noch vorherrschenden Trial-and-Error-Digitalkultur, wie sie auch in der kürzlich von der TH Aschaffenburg, Blackprint Booster und Brickalize vorgelegten Proptech Germany 2020 Studie vonseiten der digitalen Dienstleister konstatiert wurde.

Abbildung 2: Die größten Hürden für Proptechs beim Aufbau des Geschäftsmodells (in Prozent) Quelle: Proptech-Germany-Studie TH Aschaffenburg, 2020

Digitalisierung geschieht in der deutschen Immobilienwirtschaft vorwiegend durch Kooperationen mit oder Beteiligung an digitalen Dienstleistern, zumeist Start-ups. Erweist sich das daraus hervorgehende Proptech-Produkt als tragfähig, kann es sich etablieren. Doch bis dahin können Jahre vergehen, die viele Mühen und Enttäuschungen mit sich bringen. Eine Mitverantwortung tragen hin und wieder manche Proptechs selbst durch großspurige Ankündigungen, die sich im Nachhinein als Luftnummer erweisen. Wenn die digitale Lösung hingegen erfolgreich implementiert wurde, präsentieren sich die Immobilienunternehmen gerne mit ihren digitalen Innovationen.

Nicht selten waren sie aber das Resultat glücklicher Umstände und weniger einer ausgereiften digitalen Agenda, die nach intensiver Due Diligence die passgenaue Lösung identifizierte. Gewiss: Ausnahmen bestätigen die Regel. Digitale Flaggschiffe der Branche wie Union Investment oder Deutsche Wohnen verbringen bis zu einem Jahr mit der Auswahl passender Digitalpartner, denen ein umfangreiches Pflichtenheft mit fest definierten Kriterien vorgelegt wird.

Klar umrissene Kriterien als Ausgangspunkt

Eine digitale Agenda legt fest, welche Projekte in welcher Reihenfolge, in welchen Zeiträumen und mit welchen Ressourcen anzugehen sind, wie die Umsetzung erfolgen soll und der Fortschritt systematisch nachgehalten wird. Dieses Vorgehen klar umrissener Kriterien wird zum Ausgangspunkt einer gelungenen Digitalstrategie. Zu Beginn muss ein Ziel formuliert werden, das innerhalb eines Zeitraums von maximal fünf Jahren realistisch umzusetzen ist. Dies kann beispielsweise die Schaffung einer zentralen Datenplattform sein, die bestehende und einlaufende Daten intelligent kategorisiert und zugleich Verwaltungsfunktionen bietet. Das Datenmanagement als Ausgangspunkt für die Digitalisierung festzulegen ist sinnvoll, da eine mangelnde Datenstruktur bei den meisten Immobilienunternehmen erhebliche interne Ineffizienzen produziert. Die in den Daten enthaltenen Informationen entziehen sich zudem häufig einer wertschöpfenden Nutzung.

Abbildung 1: Einsatz digitaler Technologien in der Immobilienwirtschaft (in Prozent) Quelle: pom+ Digital-Real-Estate-Umfrage Deutschland und Schweiz, 2020

Nicht selten sind Kundenlösungen, wie beispielsweise eine Mieter-App, der Ausgangspunkt der Digitalstrategie. Dies erhöht zwar den Servicecharakter des Unternehmens nach außen, doch die internen Prozesse erfahren dabei oftmals keinen Wandel hin zu einer authentischen Innovationskultur. Digitalisierung muss zunächst im Unternehmen verankert werden. Denn digitale Services, die von noch überwiegend analog organisierten Unternehmen angeboten werden, sind wenig überzeugend.

Digitalstrategien schaffen Abhilfe, indem sie klare Zuständigkeiten für die Implementierung der zu transformierenden Prozesse sowie die notwendigen Schritte für die interne Kommunikation festlegen. Vor diesem Hintergrund ist es dringend geboten, Digitalisierung auf keinen Fall ausschließlich der IT-Abteilung zu überlassen, sondern die involvierten Fachabteilungen von Anfang an in den Transformationsprozess einzubinden. Eine ausformulierte Digitalstrategie ist dabei eine wesentliche Voraussetzung, um das gesamte Unternehmen für diesen umfassenden Change-Management-Prozess zu gewinnen und allen Mitarbeitern den Mehrwert der neuen Lösungen vor Augen zu führen.

In der weit überwiegenden Zahl der Fälle werden Immobilienunternehmen bei der Digitalisierung ihrer Prozesse auf Partner aus der Digitalwirtschaft zurückgreifen. Digitalstrategien können die Anforderungen an diese Dienstleister definieren und zur gemeinsamen Weiterentwicklung des Produkts animieren. Es ist unklug, von Beginn an zu starre Zeiträume und Budgets für die Implementierung neuer digitaler Lösungen und Geschäftsmodelle festzulegen. Unvorhergesehene Umstände sind - nicht anders als bei Bauprojekten - ebenso einzukalkulieren wie die dynamische Entwicklung des Pflichtenhefts. Denn die Wünsche des Auftraggebers steigen erfahrungsgemäß mit zunehmender Tragfähigkeit des digitalen Produkts. Digitalstrategien sollten daher Raum für eine flexible Budgetpolitik lassen, die zudem eine gelungene, da druckfreie Kommunikation zwischen Unternehmen und Digitalisierungspartnern erlaubt.

Gradmesser für die gesamte Unternehmensentwicklung

Ausformulierte Digitalstrategien sind ein notwendiges Mittel für alle Unternehmen, die noch nicht zu einem hohen Digitalisierungsgrad gelangt sind. Ihre zentralen Elemente liegen in einer klar umrissenen Zielsetzung und einem Stufenplan, welche Geschäftsbereiche sukzessive digitalisiert werden sollen. Sie enthalten exakte Anforderungen an die Auftragnehmer aus der Digitalwirtschaft und zeigen sich flexibel bei Zeiträumen und Finanzplanungen. Dem Datenmanagement kommt die Schlüsselrolle für effiziente Prozesse und Geschäftsmodelle im Unternehmen zu, weshalb es in der digitalen Startphase Priorität vor digitalen Ser viceleistungen genießen sollte. Denn über den Augenblick hinaus profitiert der Kunde weit mehr von der gestiegenen Effizienz im Unternehmen als von einzelnen digital durchführbaren Dienstleistungen, wenn diese im Unternehmen (noch) keinen prozessualen Unterbau aufweisen.

Für die Ausformulierung einer solchen Digitalisierungsstrategie bieten sich Partner an, die langjährige Erfahrungen aus der Immobilien- wie auch der Digitalwirtschaft miteinander kombinieren. So wird die Digitalstrategie zur verbindlichen Agenda, an der sich, dank zunehmender Digitalisierung aller Angebote und Geschäftsprozesse, die gesamte Unternehmensentwicklung orientieren kann.

DIE AUTORIN HEIKE GÜNDLING Managing Director Real Estate, Eucon Digital GmbH, Münster
DIE AUTORIN PROF. DR. VERENA ROCK Fakultät Wirtschaft und Recht, Technische Hochschule Aschaffenburg
Heike Gündling , CEO , 21st Real Estate
Prof. Dr. Verena Rock , Fakultät Wirtschaft und Recht, Technische Hochschule Aschaffenburg

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