Kapitalanlage

Einzelhandelsimmobilien: Investors Liebling oder Opfer von Amazon & Co.?

Abbildung 1: Lebenszyklusphasen von Betriebsformen Quelle: Darstellung in Anlehnung an Vahs und Burmeister, 2002, S. 94

Die Diskussion um die Zukunft des Einzelhandels wird in Deutschland so lebhaft geführt wie nur in wenigen anderen Ländern. Um ein realistisches Bild der Situation des Einzelhandels zu entwickeln, ist aus Sicht des Autors die einseitige Fixierung auf die vermeintliche Konkurrenz zwischen E-Commerce und stationärem Einzelhandel hinderlich. Das Umfeld hat auch massive Konsequenzen für den Markt für Einzelhandelsimmobilien. Hier stellt sich die Frage, wie eine solche Immobilie bewertet wird und wie sie nachhaltig attraktiv und leistungsfähig bleiben kann. Auch 2015 übte der Sektor eine hohe Anziehungskraft auf Investorengelder aus, im ersten Halbjahr 2015 entfielen 38 Prozent der Investments in Gewerbeimmobilien auf Einzelhandelsobjekte. Bei Anlagen in entsprechende Objekte können Erfahrungen mit Büroimmobilien nur begrenzt als Grundlage dienen, denn Handelsimmobilien funktionieren anders: Sie müssen nicht nur die Mieter, sondern auch deren Kunden ansprechen und ihre (Einkaufs-) Bedürfnisse befriedigen. Auf welche Entwicklungen dabei zu achten sind, erläutert der Autor. Red.

Ab dem dritten Adventswochenende kam das Weihnachtsgeschäft 2015 trotz der warmen Witterung endlich in Schwung. Es herrschte dichtes Gedränge in Innenstädten, Einkaufszentren und Fachmärkten. Volle Einkaufstüten erfreuten die Händler. Und das trotz Online-Handel und massiven Marketingaktionen von Amazon & Co. Irren die Auguren, die warnen: Der stationäre Handel stehe vor dem Aus, die Innenstädte vor der Verödung und der Verbraucher vor der Verblödung, weil er ohne Beratung, nur noch auf Basis von Bewertungsportalen im Netz, online einkauft? Liegen die Investoren richtig, die im Jahr 2015 voraussichtlich mehr als 17 Milliarden Euro in deutsche Einzelhandelsimmobilien investiert und somit für ein Rekordjahr am Investmentmarkt gesorgt haben?

Um ein realistisches Bild der Situation des Einzelhandels zu entwickeln, ist die einseitige Fixierung auf die vermeintliche Konkurrenz zwischen E-Commerce und stationärem Einzelhandel hinderlich. Getrieben von dem was der Kunde wünscht, sollte vielmehr eine intelligente Kombination unterschiedlicher Handelsplätze und -strategien der Zukunftsbetrachtung zugrunde gelegt werden. Investoren und Verwalter müssen sich die Frage stellen, wie eine Einzelhandelsimmobilie nachhaltig attraktiv und leistungsfähig bleibt.

Welche Parameter kennzeichnen den Status quo?

Eines vorweg - die Diskussion um die Zukunft des Einzelhandels wird in Deutschland so lebhaft geführt wie nur in wenigen anderen Ländern. Allgemein gilt gerade der deutsche Lebensmitteleinzelhandel als weltweit führend, da er sich hierzulande härtester Konkurrenz und im internationalen Vergleich besonders preissensiblen Verbrauchern zu stellen hat. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Discounter in den Jahren zwischen 2000 und 2013 ihren Marktanteil von 10 auf 16 Prozent steigern konnten. Auch Fachmärkte konnten in dieser Zeitspanne von 12 auf 16 Prozent zulegen, während der nicht filialisierte Fachhandel einen Rückgang seines Marktanteils von 32 auf 19 Prozent hinnehmen musste. Unterm Strich konnten Betriebstypen mit dem Preis als wichtigen Profilierungsfaktor zulegen, Be triebstypen ohne ausgeprägte Preisprofilierung mussten zurückstecken. Verdeutlichen lässt sich die Entwicklung sehr anschaulich, wenn man sie sich in Anlehnung an den Lebenszyklus der Betriebstypen vor Augen führt (siehe Abbildung 1).

Demnach befinden sich Fachmärkte, SB-Warenhäuser und Shoppingcenter in der Reifephase, klassische Kauf- und Warenhäuser hingegen bereits im Schrumpfungsprozess, besonders solche in weniger guten Lagen. Zusammenfassend gilt: Austauschbare Einkaufsstätten ohne Alleinstellungsmerkmale sind angreifbar, beispielsweise durch konkurrierende modernere Läden oder Online-Shops. Allgemein profitieren die Online-Wettbewerber von restriktiven Ladenschlussgesetzen und Einschränkungen des stationären Handels durch Raumordnung, Landesplanung und ähnlichen Normen.

Doch nicht nur das, auch die Wandelungen im Lebensstil bleiben nicht ohne Einfluss auf die Konkurrenzfähigkeit verschiedener Handelstypen: Immer vehementer drängen junge Menschen in für sie attraktive Städte, informieren sich bevorzugt online und erwarten vom stationären Einzelhandel spürbaren Service, Unterhaltung, kurz - ein positives Einkaufserlebnis. Dieser Herausforderung können sich beispielsweise spezialisierte Fachmärkte stellen, die in der strategischen Kombination von Discounter und Fachgeschäft sowohl günstige Preise als auch Kompetenz und Beratung anbieten können.

Die Frage nach der Nachhaltigkeit einer Einzelhandelsimmobilie ist für Investoren von zentraler Bedeutung - und die werden immer mehr: Auf dem deutschen Markt für Gewerbeinvestments haben Einzelhandelsimmobilien im ersten Halbjahr 2015 nach Angaben von Colliers International Deutschland einen Marktanteil von 38 Prozent erzielt und sind dem Allzeit-Liebling Büroimmobilien, der einen Anteil von 40 Prozent erreicht hatte, knapp auf den Fersen.

Diese Anziehungskraft auf in- und ausländische Investoren könnten Einzelhandelsimmobilien kaum erreichen, wenn sie dem Online-Handel hoffnungslos unterlegen wären. Das ist zumindest derzeit nicht der Fall: Der Anteil des Internethandels mit Endverbrauchern am gesamten Einzelhandelsumsatz in Deutschland steigt zwar kontinuierlich, wie die folgende Abbildung zeigt, liegt jedoch immer noch im einstelligen Bereich (siehe Abbildung 2).

Experten prognostizieren einen weiteren Anstieg der Online-Quote in den nächsten Jahren. Dies sagt jedoch nichts darüber aus, wer den Umsatz macht, das heißt derzeit überwiegend stationär tätige Händler oder Online-Händler, sondern nur über welchen Kanal der Abschluss getätigt wird. "Die Trennung zwischen stationär und online ist von der Herangehensweise eigentlich falsch. Das Kernproblem ist das Multi-Kanal-Thema", charakterisiert Egbert Wege, Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger, die zentrale Herausforderung für den Einzelhandel. Darunter versteht er die Suche nach digitalen Möglichkeiten, die das stationäre Geschäft attraktiver machen können. Beispiele sind eine Online-Verfügbarkeitsprüfung, die verhindern kann, dass Kunden über vergebliche Artikelsuche beim Einzelhändler vor Ort enttäuscht werden, digitale Produktinformationen direkt am Regal, eine Mitbestimmung beim Sortiment via Internet, kontaktloses Bezahlen, mobile SB-Kassen, Abholung (Click & Collect) und Umtausch sowie Home-Delivery (Lieferung nach Hause). Größter Vorteil des stationären Einzelhandels bleibt, so Wege, das Thema Emotion - Artikel direkt anfassen können, Parfüms riechen können et cetera trägt direkt zum Einkaufserlebnis bei.

Für den Kunden ist letztendlich nicht der Kanal wichtig über den er den Kaufabschluss tätigt, sondern wo er mehr Leistung bekommt. E-Commerce kann hier beispielsweise durch ein besonders breites Sortiment punkten, nicht jedoch durch die "live" Erfahrung von Waren. Entsprechend wird der Kunde einige Produkte eher online bestellen als andere (siehe Abbildung 3).

Einzelhandelsimmobilien auch in Zukunft leistungsfähig?

Wer langfristig in eine oder mehrere Einzelhandelsimmobilien investieren will, achtet bei der Auswahl auf die Nachhaltigkeit seines Assets - es muss nicht nur heute, sondern auch während der Laufzeit der Beteiligung von häufig zehn Jahren und mehr stabile Rückflüsse ermöglichen. Dabei können Erfahrungen mit Büroimmobilien nur begrenzt als Grundlage dienen, denn Handelsimmobilien funktionieren anders: Sie müssen nicht nur die Mieter, sondern auch deren Kunden ansprechen und ihre (Einkaufs-) Bedürfnisse befriedigen. Während ein Büromieter zumindest kurzfristig die kaputte Eingangstür durch die Benutzung der Hintertür ersetzen kann, ist der Einzelhandelsmieter in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entscheidend auf die Funktionsfähigkeit des Objekts angewiesen. Er kennt seine Kunden, er steht mit ihnen in Kontakt - deshalb ist es für Investoren unerlässlich, sein Geschäft zu verstehen und seine Bedürfnisse zu kennen.

Die ILG Gruppe hat im Sommer 2015 in Zusammenarbeit mit der Berlin Hyp AG und der BBE Handelsberatung 750 Betreiber von Einzelhandelskonzepten aus dem Fachmarktsegment zu ihrer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung ihres Marktumfeldes und ihrer Positionierung im Spannungsfeld von stationärem Handel zu E-Commerce und Multi-Channel-Handel befragt. Die Antworten von 123 Teilnehmern zeigten die folgenden Ergebnisse:

- Die zunehmende Urbanisierung macht Agglomerationen und Innenstädte zu den Favoriten der Einzelhändler. Solitärstandorte werden nur noch vom Lebensmitteleinzelhandel bevorzugt. Er fungiert in erster Linie als Frequenzbringer, nicht als Frequenznutzer, mit ausgeprägter Magnetfunktion (siehe Abbildung 4).

- Die Erreichbarkeit per Pkw wird auch in Zukunft von Bedeutung sein, noch vor Parametern wie der umgebenden Wohnbevölkerung und der Mieterstruktur. Die Anbindung an den ÖPNV tritt nicht als Konkurrenz, sondern lediglich als Ergänzung hinzu (siehe Abbildung 5).

- Digitalisierung schreckt die Studienteilnehmer nicht: Via Click & Collect und digitales Instore-Marketing stellen sie sich dieser Herausforderung. 61,3 Prozent der antwortenden Händler verfügen bereits über einen Online-Shop.

- Deshalb sind sie überwiegend zuversichtlich hinsichtlich Verkaufsflächenzahlen und Standorten, insbesondere der Drogerie- und Baumarktbereich sowie die Gastronomie streben eine Ausweitung ihrer Verkaufsflächen an.

Lediglich der Unterhaltungselektronik werden übereinstimmend rückläufige

Verkaufsflächen prognostiziert und sie verliert entsprechend an Bedeutung für Center.

- Die Digitalisierung stellt zusammen mit demografischen Veränderungen die wichtigste Herausforderung für den stationären Einzelhandel dar - sie trifft Betriebstypen und Standorte unterschiedlich. Derzeit stabilster Kundenmagnet ist der Lebensmitteleinzelhandel.

- Ein zentrales Bedürfnis der Mieter liegt in einem besseren Verständnis des Asset- und Center-Managements für ihr Geschäft. Die reine Präsenz vor Ort reicht deshalb nicht aus. Assetbeziehungsweise Center-Manager fungieren als Bindeglied zwischen den Mietern und den Eigentümern der jeweiligen Handelsimmobilie. Ihr Verständnis vom Handel führt dazu, dass für Kunden attraktive Handelsplätze entstehen.

Ein erfahrener und kompetenter Assetund Center-Manager, der den Mietern flexible Lösungen zur Umsetzung von Strategien im Wettbewerb mit anderen Handelsplätzen ermöglicht und die Immobilie regional und überregional entsprechend positionieren kann, wird zum zentralen Erfolgsfaktor des Einzelhandels-Immobilieninvestments.

Er ist das Scharnier zur Herstellung des notwendigen Interessengleichlaufs von Mietern und Investoren.

Nur wenn sich Mieter und Verwalter als Partner verstehen und die Bedürfnisse der Kunden in den Mittelpunkt stellen, kann die Investition in eine Einzelhandelsimmobilie dauerhaft erfolgreich sein.

Der Autor

Florian Lauerbach Geschäftsführer, ILG Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH, München

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