Wohnungsmarkt

Energieautarke Mehrfamilienhäuser - Geschäftsmodelle für die Energiewende 2.0

Abbildung 1: Kostenmodell Pauschalmiete (30 Jahre) Quelle: Prof. Dipl.-Ing. Timo Leukefeld

Die Sonne als einzige Energiequelle eines Hauses - diese Vision ist gerade vor dem Hintergrund der ehrgeizigen Ziele im Rahmen der Energiewende aktueller denn je. Neben der ökologischen Sinnhaftigkeit stellen energieautarke Häuser auch eine interessante Investmentoption für Akteure der Immobilienwirtschaft dar. Erste Projekte sind bereits umgesetzt worden, weitere sollen folgen. Der Autor präsentiert die aktuellen Entwicklungen rund um das Wohnen der Zukunft und die damit einhergehenden Vorzüge für alle Beteiligten.. Red.

Energieautarke Mehrfamilienhäuser sind nicht nur ökologisch sinnvoll, sie bieten Banken, Wohnungswirtschaft und Energieversorgungsunternehmen interessante und lukrative Geschäftsmodelle. Neben diesen "inneren Werten" verfügen die Gebäude zudem über ein spektakuläres Äußeres und haben mit einem Mietshaus im herkömmlichen Sinne nur mehr wenig gemein: Fotovoltaikmodule und Solarthermiekollektoren teilen sich Dachflächen und Balkonbrüstungen und, was von außen gesehen am augenfälligsten ist, jeder Parkplatz ist mit einer Elektro-Tankstellen versehen.

Langzeitspeicher für Wärme und Strom halten die Energie für die Bewohner vor, sodass diese Häuser bis zu 60 bis 80 Prozent energieautark sind. Innovative Lösungen vernetzen diese Gebäude - nicht um Energie zu beziehen, sondern um die Energiespeicher des Gebäudes den regionalen Energieversorgern zur Lagerung von Energieüberschüssen zur Verfügung zu stellen und damit die öffentlichen Netze zu entlasten.

Um ein Mehrfamilienhaus als energieautarkes Gebäude zu gestalten, beläuft sich die Mehrinvestition für das Energieautarkiepaket bei einem Gebäude mit beispielsweise sechs Wohneinheiten auf etwa 380 Euro brutto pro Quadratmeter, ohne Berücksichtigung eventueller staatlicher Fördermittel. Damit liegen die spezifischen Zusatzkosten der Energieautarkie pro Wohneinheit 60 Prozent unter denen für Einfamilienhäuser.

Neue Modelle zur Finanzierung und Vermietung

Werden die zukünftigen Betriebskosten in die Investitionskosten einbezogen, entstehen völlig neuartige Finanzierungs- und Vermietungsmodelle: Banken können ihren Anlegern über zehn Jahre hinweg feste, attraktive Rendite versprechen; als Vermieter feste Pauschalmieten anbieten, die neben dem Entgelt für das Wohnen außerdem Wärme, Strom und E-Mobilität als Flatrate enthalten. Die Attraktivität des Modells kann mit einem oder mehreren Elektromobilen als Gemeinschaftsfahrzeuge noch erhöht werden.

Die VR Bank Altenburger Land eG ist das erste Finanzinstitut Deutschlands, das ein energieautarkes Mehrfamilienhaus baut und es zudem selbst vermieten will. Mit diesem Bauprojekt will die Bank wichtige Erfahrungen sammeln, wie moderne energetische Konzepte in einem wirtschaftlichen Rahmen für Wohnimmobilien umgesetzt werden können.

Energetische Wohnkonzepte im Kommen

Die so gewonnenen Erkenntnisse sind für die Weiterentwicklung energieautarker Immobilien relevant: Die Vernetzung und der Energieaustausch zwischen Immobilien gestaltet Energieautarkie in Zukunft noch effizienter, versorgungssicherer und preiswerter. Das Modell macht bereits Schule: Insgesamt sechs energieautarke Mehrfamilienhäuser werden im kommenden Jahr gebaut, zehn weitere sind in Deutschland und Österreich in der Planung.

Auch Vermietern bietet dieses Konzept viele Vorteile: Die langfristigen vertraglichen Bindungen führen zu längeren Verweildauern in den Wohnungen. Stetiger Mieterwechsel und der damit verbundene Verwaltungsaufwand entfallen ebenso wie derjenige in Bezug auf die jährliche Betriebskostenabrechnungen und das Prozessrisiko etwaiger daraus resultierender Streitigkeiten, noch dazu um häufig relativ geringe Beträge. Selbst in Regionen ohne Wohnungsknappheit kommen rund 80 Bewerber auf eine Wohneinheit.

Pauschalmieten und Energieflatrate

Das Modell stellt darüber hinaus Vermietern eine größerer Bandbreite bei der Kalkulation des Mietpreises zur Verfügung: In einer deutschen Kleinstadt beispielsweise steht der errechneten Energiepauschalmiete von 11,43 Euro pro Quadratmeter die höchste ortsübliche Kaltmiete in Höhe von 10,50 Euro gegenüber, die sich mit den Nebenkosten für Wärme, Strom und Benzin auf rund 12,50 Euro erhöht.

Über das tatsächliche Interesse an der Grundversorgung mit Wärme, Strom und Mobilität hinaus ergeben sich auch für Mieter weitere Vorteile. Sie sind über einen langen Zeitraum vor den stetig wachsenden Nebenkostenforderungen geschützt. So kommt das Modell älteren Menschen entgegen, die im Hinblick auf ihre Renten nach Kostensicherheit streben wie auch jungen Familien. Permanente Vergleiche komplizierter Kostengefüge von Stromanbietern entfallen ebenso wie der stete Blick auf die Tankuhr sowie "böse" Überraschungen im Zusammenhang mit Nebenkostenabrechnungen.

Die neue Rolle der Energieversorger

Auch Energieversorgungsunternehmen erschließen energieautarke Mehrfamilienhäuser neue Ertragsquellen und gleichzeitig tragen sie zur Netzstabilisierung bei. Das Konzept dient in zweierlei Hinsicht dem Nutzen der Allgemeinheit: Die Häuser speisen den erzeugten Strom nicht einfach ins öffentliche Stromnetz ein und verlagern damit die Bewältigung von unregelmäßig auftretenden Mengen auf die Netzbetreiber, wie dies häufig bei Häusern mit Fotovoltaikanlagen der Fall ist. Sie sind im Gegenteil netzdienlich, indem sie die Energiespeicher der Gebäude den Versorgungsunternehmen zur Lagerung von Energieüberschüssen zur Verfügung stellen.

Energieüberschüsse treten immer dann auf, wenn fluktuierende alternative Stromerzeuger, wie zum Beispiel Windkraft- oder Fotovoltaikanlagen, zu viel Strom erzeugen. In diesen Fällen bleiben Versorgungsunternehmen häufig nur zwei Möglichkeiten. Zum einen die Anlagen abzuschalten, mit der Folge dennoch die Einspeisevergütung zu zahlen, obwohl sie ihren Kunden keinen Strom anbieten können. Zum anderen für die Abgabe des Überschussstroms in ein ausländisches Netz zu zahlen (negativer Börsenpreis). Für die Versorger bedeutet es in jedem Fall "doppelte" Kosten, ohne jeden Nutzen.

Dezentrale Einlagerung von Stromüberschüssen

Sobald an der Strombörse Angebot und Nachfrage keinen kostendeckenden Absatz von Strom zulassen, öffnen einfache Steuereinheiten die "Tore" zu den Speichern der energieautarken Gebäude. So können die Energieversorger ihre Stromüberschüsse einlagern. Die Vorteile, Überschüsse dezentral in die Speicher dieser Gebäude einzulagern, liegen auf der Hand: Es gibt Versorgungsunternehmen die Möglichkeit, ihre Windkraftanlagen konstanter zu betrieben und damit den Anteil an erneuerbaren Energien zu erhöhen. Darüber hinaus können sie die Energie so zu einem definierten Bezugspreis verkaufen, der günstiger für die Abnehmer ist, als beispielsweise die konventionelle Wärme, an die das Haus angeschlossen ist.

Dieses Geschäftsmodell macht den Energieversorger zum "Contractor". Als Dienstleister für Planung, Installation und Betrieb eines "Rundum-Sorglos-Pakets" liefert er die gesamte Energietechnik für das energieautarke Mehrfamilienhaus und stellt die Elektromobilität zur Verfügung. Mit dem Vermieter vereinbart er eine Energiepauschale. Darin ist der kalkulatorische Anteil der Energie festgeschrieben, die zugekauft werden muss: Zum Beispiel deckt das Haus 70 Prozent seines Bedarfs an Wärme und Strom selbst - aus der Sonne.

Die fehlenden 30 Prozent bezieht es aus dem Strom- oder Gasnetz des Energieversorgers. Durch günstige Eigenproduktion und geschickte Nutzung der dezentralen Speicher kann der Energieversorger den kostenträchtigen Anteil minimieren und den eigenen Gewinn erhöhen. Dieses Modell ist eindeutig "smarter" als der sogenannte "smart grid", da auf diese Weise größere Mengen Strom rangiert ("shunted") werden.

Aufgrund ihrer Infrastruktur ist es Energieversorgern darüber hinaus möglich, die von dem Mehrfamilienhaus produzierten Überschüsse an Sonnenwärme und -strom, beispielsweise im Sommer, an die Nachbarhäuser gewinnbringend zu verkaufen. Die ersten regionalen Energieversorgungsunternehmen planen bereits in eigene vernetzte energieautarke Mehrfamilienhäuser zu investieren, um Spielräume zu erproben und die Vermarktung zu optimieren.

Ökologische Altersvorsorge für Selbstnutzer

Nicht zuletzt stellt die Investition in ein energieautarkes Gebäude für Eigentümer und Selbstnutzer zudem eine weitreichende Möglichkeit der Altersvorsorge dar und sichert ein komfortables Leben. Anders als bei Investitionen in zu versteuernde Einnahmen, ermöglicht dieses Modell die Kosten für Energie auf einem niedrigen Niveau einzufrieren. Ein typisches Einfamilienhaus spart so etwa 3000 bis 3500 Euro pro Jahr. Steuerfreie Einsparungen wirken sich zwei- bis dreifach rentabler auf die Kaufkraft aus, als die zu versteuernden Einnahmen, die im Rahmen der Einspeisevergütung oder aus einer Kapitalversicherung erzielt werden.

Investitionen in energieautarke Gebäude bieten Finanzinstituten, Wohnungswirtschaft, Energieversorgern und Hauseigentümern die Möglichkeit, sich jenseits staatlicher Subventionen aktiv in die allgemeine Versorgungslage einzubringen. Sie reduzieren schon heute die Kosten für den zukünftigen Energiebezug und sichern den Wohnkomfort für morgen.

Intelligente Eigenversorgung mit Wärme, Strom und E-Mobilität aus der Sonne Energieautarke Mehrfamilienhäuser versorgen sich weitestgehend selbst mit Wärme, Strom aus der Sonne und stellen darüber hinaus auch Energie für die Elektromobilität bereit - die Tankstelle liegt im Carport vor dem Haus. Für die sonnenärmere Jahreszeit sind die Häuser mit einer zusätzlichen Heizmöglichkeit ausgestattet, auf Basis von Pellets, Gas, Fern- oder Nahwärme. Um Energieüberschüsse der Versorgungsunternehmen einzulagern und aus Sicherheitsgründen sind die Häuser mit einem Stromanschluss ausgestattet.

Simulationen bestätigt

Modell stand das energieautarke Einfamilienhaus, das in Zusammenarbeit mit der Helma Eigenheimbau AG entstand. Mit 161 Quadratmetern Wohnfläche kostet dieses schlüsselfertige Einfamilienhaus 450000 Euro. In dem vernetzten energieautarken Konzept sind die positiven Erfahrungen bekannter Baustandards wie Sonnenhaus, Plusenergie- oder Effizienzhaus Plus sowie Passivhaus erstmalig zusammengeführt worden.

In Freiberg, Sachsen, wurde die Idee der vernetzten Autarkie in Kooperation mit dem regionalen Energieversorger Enviam in die Tat umgesetzt. Hauptakteure sind zwei energieautarke Häuser in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander, die gemeinsam mit der TU Bergakademie Freiberg vermessen und ausgewertet werden. Pro Haus erheben seither 190 Sensoren sämtliche energetisch relevanten Daten und bestätigen die ursprüngliche rechnerische Simulationen.

Der Autor

Prof. Dipl.-Ing. Timo Leukefeld Honorarprofessor, Technische Universität Bergakademie Freiberg

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