Positionen zur Stadtentwicklung von Politik und Immobilienwirtschaft

Faktoren einer modernen Stadt

Dr. Andreas Mattner; Quelle: ZIA

Der hohe Zuzug in deutsche Metropolregionen hat so mancherorts für Wohnungsnotstand gesorgt. Der Autor ist überzeugt davon, dass die Städte diesen Nachfrageanstieg mithilfe von Verdichtung und Wachstum bewältigen können. Gleichzeitig bedarf es seiner Ansicht nach integrierter Konzepte, die eine ausgewogene Mischung verschiedener Nutzungsarten gewährleisten. Die funktionale Trennung von Wohn-, Büro- und Einzelhandelsimmobilien sei nicht mehr zeitgemäß für die moderne Stadt. An die Politik appelliert er, die Anforderungen an das moderne städtische Zusammenleben nicht mit überholten Vorgaben zu unterminieren. Red.

Deutschlands Metropolregionen, Groß- und Universitätsstädte stehen vor großen Herausforderungen. Die anhaltende Urbanisierung, die demografische Entwicklung und der hohe Zuzug aus dem In- und Ausland haben dazu geführt, dass in nachgefragten Märkten kaum noch Wohnungsleerstände vorherrschen. Unsere Städte platzen aus allen Nähten. Doch sie besitzen das Potenzial, sich zu verdichten und zu wachsen - nicht nur nach Außen, sondern auch im Inneren.

Stadtentwicklung aus dem Inneren heraus

Die schnelle Umsetzung des "Urbanen Gebiets" als neuer Baugebietstyp nach dem kürzlich erfolgten Kabinettsbeschluss ist daher dringend nötig. Dieser Gebietstyp ist elementar, um die städtebaulichen Potenziale unserer Innenstädte ausschöpfen zu können und eine zukunftsfähige und lebenswerte Entwicklung unserer Städte voranzutreiben. Die effizientere Bebauung in Kombination mit einer Mischung aus Wohn- und Nichtwohngebäuden wird die Innenstädte motivieren und neue Möglichkeiten für die Stadtentwicklung aus dem Inneren heraus bieten. Kommunen und Gemeinden sowie die Planer vor Ort bekommen bei der richtigen Ausgestaltung die notwendigen Instrumente an die Hand, um moderne, effiziente und nachhaltige Zentren zu entwickeln.

In den siebziger und achtziger Jahren hatten wir eine Vielzahl von monostrukturierten Wohngebieten, die auch aus Sicht der Politik schlichtweg nicht mehr zeitgemäß sind. Heutzutage brauchen wir lebendige, verdichtete und integrierte Stadtquartiere mit einer ausgewogenen Mischung sämtlicher Nutzungsarten in der direkten Umgebung.

Die Stadt der Zukunft ist eine der kurzen Wege. "Städter" stehen möglichen Nachteilen offen gegenüber, wie eine Forsa-Umfrage zeigt, die der ZIA vor einigen Monaten in Auftrag gegeben hat. 48 Prozent aller etwa 1 000 Befragten gaben beispielsweise an, bestimmte Einschränkungen in Kauf zu nehmen, um in einem innerstädtischen Bereich einer größeren Stadt zu wohnen, etwa eine dichtere Bebauung als außerhalb des Zentrums (34 Prozent der Befragten) oder auch eine höhere Geräuschkulisse als auf dem Land (25 Prozent der Befragten).

Bei Umfrageteilnehmern, die in Städten mit mehr als 100000 Einwohnern leben, wurde dieser Punkt umso deutlicher herausgestellt: Für jeden zweiten war eine dichtere Bebauung in Ordnung und 41 Prozent würden auch eine höhere Geräuschkulisse in Kauf nehmen. Darüber hinaus stuften 30 Prozent aller Bewohner in Städten dieser Größenordnung eine zentrale Innenstadtlage bei der Wohnungssuche als wichtig beziehungsweise sehr wichtig ein. Bei der Planung eines Quartiers muss den Planern rechtssicher gestattet werden, dieses als Ganzes zu entwickeln, ohne dass hierfür jedes Gebäude einer festgelegten Nutzungsart entsprechen muss. Auch eine flexible Nutzungsmischung innerhalb eines Gebäudes muss planerisch möglich sein.

Es wächst zudem die Erkenntnis, dass ohne eine soziale Stadterweiterung zumindest unsere Großstädte an ihre Grenzen der Entwicklung stoßen. Dies darf nicht zulasten der Kernstadt gehen und muss ökologisch vertretbar sein. Aus diesem Grund müssen Entwicklungsachsen der Städte auf ihre Fähigkeit hin untersucht werden, nach Außen Potenziale für eine Erweiterung bei möglichst geringer Flächenversiegelung zu bieten. Beim Andocken an Achsen lässt sich gegebenenfalls auch die vorhandene Verkehrsinfrastruktur erweitern.

Dreiklang aus Leben, Arbeiten und Versorgen

Eine moderne Stadt besteht aus dem Dreiklang Leben, Arbeiten und Versorgen. Eine funktionale Trennung von Wohnungen, Büros, Versorgungseinrichtungen sowie Kultur- und Freizeitangeboten ist nicht mehr zeitgemäß. Die Anforderungen an unser Zusammenleben in den Städten haben sich grundlegend verändert. Dafür ist es ungemein wichtig, dass wir ein ausgewogenes Angebot an Wohn- und Wirtschaftsimmobilien herstellen.

Gleichwohl auf den ersten Blick die Nachfrage nach Wohnimmobilien am sichtbarsten erscheint und dies auch oftmals durch die Politik so kommuniziert wird, sind es doch vor allem Wirtschaftsimmobilien - Logistik, Büros, Handelsflächen oder auch Hotels - die die wirtschaftliche Stärke unserer Gesellschaft und die Attraktivität unserer Städte ausmachen. Die Akteure innerhalb dieser einzelnen Segmente benötigen die passenden politischen Rahmenbedingungen, um sowohl sich selbst als auch die Städte zukunftsfähig weiter zu entwickeln.

Seitens der Politik gibt es jedoch an manchen Stellen weiterhin Nachholbedarf. So gelten etwa in Städten für Gewerbelärm nach wie vor höhere Auflagen als für Verkehrslärm. Diese Ungleichbehandlung führt jedoch zu einer Benachteiligung von wachsender urbaner Logistik, die für unsere Städte unumgänglich ist und - angesichts des wachsenden Online-Handels und der Digitalisierung - in ihrer Bedeutung seit Jahren zunimmt. In dem Segment des innerstädtischen Lieferverkehrs geht der Trend hin zur Elektromobilität, die nahezu emissionsfrei gelingt. Dennoch wird dieses Segment nicht als normaler Verkehrslärm anerkannt, sodass die generelle Privilegierung von Verkehrslärm gegenüber Gewerbelärm kritisch hinterfragt werden muss. Ebenso müssen zukünftig technologische Fortschritte viel stärker als bisher berücksichtigt werden. Dazu zählen etwa passive Schallschutzmaßnahmen wie das "Hafen-City-Fenster", das den passiven Lärmschutz bei gekipptem Fenster ermöglicht, aber auch neue Technologien in der Gebäudetechnik.

Auch das Einzelhandelssegment trägt als Rückgrat der städtischen Nahversorgung zur Stadtentwicklung bei und bildet eine zentrale Säule der modernen und lebenswerten Stadt - in Zukunft wird sich das nicht ändern. Dies belegt die Forsa-Umfrage des ZIA. Natürlich kauft ein jeder von uns seine Waren on- und offline. Weiterhin bevorzugt aber eine deutliche Mehrheit der Kunden in Deutschland das stationäre Geschäft für den Kauf der wichtigsten Produktgruppen wie Lebensmittel, Drogerieartikel, Möbel, Kleidung/ Schuhe, Unterhaltungselektronik und Bücher. Denn für viele ist der stationäre Einzelhandel die erste Anlaufstelle, um dort Produkte selbst testen und begutachten zu können. Selbst Buchläden, die in der Öffentlichkeit als Verlierer des Online-Handels angesehen werden, werden noch von 55 Prozent aller Befragten als Einkaufsziel angegeben. Trotz des wachsenden Angebots an Online-Lieferanten bevorzugen fast alle Befragten den stationären Einzelhandel. Die persönliche Beratung spielt für insgesamt 83 Prozent, vor allem bei den über 45-jährigen, eine zentrale Rolle. Der stationäre Einzelhandel behält also auch in Zukunft seine Rolle als erster Versorger der Konsumenten.

Mehr Spielraum für stationären Einzelhandel

Allerdings wird dieser Entwicklung in der Politik oftmals zu wenig Beachtung geschenkt. So befand sich bis zuletzt noch im Regierungsentwurf zum "Urbanen Gebiet" die längst überholte Verkaufsflächenbegrenzung wieder - ein Einkaufsverständnis aus den siebziger Jahren, das die Erweiterung des Sortiments, aber auch die aufgelockerte Anordnung der Waren verhindert. Dabei sind großzügigere Verkaufsflächen insbesondere für ältere und körperlich beeinträchtigte Menschen elementar. Gerade der stationäre Einzelhandel braucht also deutlich mehr Spielraum. Die Politik muss den Einzelhändlern mehr Flexibilität und weniger Restriktionen bei Flächen und Sortimenten gewähren, damit er sich auf die aktuellen Rahmenbedingungen rund um die Digitalisierung einstellen kann. Kommunen greifen bei der Stadtentwicklung beispielsweise nach wie vor auf starre Sortimentsbeschränkungen zurück, die schlichtweg nicht mehr zeitgemäß sind und gegenüber dem Online-Handel einen erheblichen Wettbewerbsnachteil darstellen. Beispielsweise ist ein ebenso hoher Anteil an Buchläden wie vor zwanzig Jahren keinesfalls mehr sinnvoll und schon gar nicht mehr notwendig. Stattdessen gibt es neue Handelskonzepte, die weitaus stärker nachgefragt werden.

Sortimentsbeschränkungen sollten daher mit einem Haltbarkeitsdatum versehen und regelmäßig überprüft werden. Nur so kann sich der stationäre Einzelhandel auf die veränderten Bedürfnisse einstellen. Es ist unverständlich, weshalb Kommunen dies noch immer für die Innenstadt durchführen. Die Verkaufsflächenbegrenzung ist ebenso nicht mehr zeitgemäß, da diese eine flexible Ausgestaltung bei der Produktauswahl und beim Ambiente verhindert.

Für die Entwicklung einer modernen Stadt muss sich aber auch der Einzelhandel selbst auf die neuen Rahmenbedingungen einstellen. Der vernetzte Kunde steht mit seinem Smartphone als ständigen Begleiter zunehmend im Fokus. Er ist ständig informiert und erster Treiber für Veränderungen in diesem Segment. Also muss der Bereich des Omnichanneling weiter ausgebaut werden, um den Konsumenten kanalübergreifend anzusprechen. Nur indem sich der stationäre Einzelhandel vom reinen Distributions- hin zum Kommunikations- und Erlebniskanal entwickelt, bleibt die Konkurrenzfähigkeit erhalten.

Stiefmütterliche Behandlung von Büroimmobilien

Büroimmobilien werden in Politik und Öffentlichkeit ebenfalls häufig stiefmütterlich behandelt, obwohl sie wichtige Produktionsstätten und eines der zentralen Fundamente der wirtschaftlichen Stärke unserer Gesellschaft darstellen: Jeder dritte Erwerbstätige in Deutschland ist Büronutzer, das sind mehr als 14 Millionen Menschen in Deutschland. Die Entwicklung von Büroimmobilien wirkt sich auf die Entwicklung unserer Städte aus. Umso unverständlicher ist die falsche Wertschätzung dieser Nutzungsart, wodurch das Umfeld von Büroentwicklern und -vermietern und damit auch Büronutzern erheblich erschwert wird.

So bindet etwa die Bundesregierung durch die konstante Novellierung der Arbeitsstättenverordnung den Entwicklern von Büroimmobilien die Hände und entzieht ihnen die dringend benötigte Flexibilität bei der Bereitstellung von modernen Flächen. Verunsicherung darüber hinaus entsteht bei professionellen Anlegern und Investoren im Bereich von Büroimmobilien durch neue Finanzmarktstandards und -regulierungen wie IFRS 16 oder das OGAW-V-Umsetzungsgesetz.

Für die Ausgestaltung einer modernen Stadtentwicklung ist diese Entwicklung fatal angesichts der Tatsache, dass das Bedürfnis nach modernen, innovativen und flexiblen Büroflächen wächst. Diese Assetklasse wird in Zukunft durch neue Arbeitsplatzmodelle und die Digitalisierung enorm von Veränderungen im Nutzungsverhalten betroffen sein. Maßnahmen, die das Umfeld von Büroimmobilien erschweren, besitzen das Potenzial, die erforderlichen Investitionen und Innovationen in diesem Segment zu blockieren. Am Ende wird durch eine unverhältnismäßige Überregulierung im Büroimmobilienbereich womöglich auch der Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet.

Um unsere Städte auf die Zukunft einzustellen und eine moderne Stadtentwicklung zu ermöglichen, dürfen insgesamt die Herstellungskosten für Neubauten nicht durch politische Eingriffe verteuert werden - sowohl bei Wohn- als auch bei Wirtschaftsimmobilien. Dazu zählen auch klimaschutzpolitische Maßnahmen, wie sie im aktuellen Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung aufgeführt sind.

Unsere Branche, mit 19 Prozent der Bruttowertschöpfung und zwölf Prozent aller Erwerbstätigen eine zentrale Säule der deutschen Volkswirtschaft, gerät durch die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung und die beschlossene Mehrbelastung für den Gebäudesektor in Deutschland ins Hintertreffen. Für die Zukunftsfähigkeit unserer Städte und eine moderne Stadtentwicklung ist dies angesichts der aktuellen Herausforderungen kein gutes Zeichen.

Der Autor Dr. Andreas Mattner Präsident, ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V., Berlin
Dr. Andreas Mattner , Präsident , ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.

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