Bewertung

Wann lohnt sich ein Rettungserwerb?

Barbara Reimer, Rechtsanwältin, Head of Claim Mortgage Management, Immofori AG, Hamburg

Auch wenn zu versteigernde Immobilien keine Abnehmer finden, sind sie noch nicht verloren. Ein Rettungserwerb kann sich lohnen, um sie wieder marktgängig zu machen. Doch kann es zu Komplikationen kommen. Diesen Schwierigkeiten widmet sich die Autorin ausführlich und zeigt Lösungswege auf. Besondere Vorsicht sei bei Betreiberimmobilien wie Hotels, Gastronomiebetrieben oder Altenheimen geboten. Oft schieden diese Immobilienarten für den Rettungserwerb bereits in der Vorprüfung aus, weil der Gläubiger den Betrieb nicht weiterführen könne und wolle. Bei Objektarten wie Produktion, Gewerbebetrieben und Baugrundstücken seien Rettungserwerbe hingegen eher selten. Red.

Der Rettungserwerb wird nach wie vor im Work-out eingesetzt, um Immobilien, die in der Zwangsversteigerung keine Nachfrage haben, marktgängig zu machen. Auch wenn durch die Zinslandschaft der letzten Jahre die Nachfrage für Zwangsobjekte stark gestiegen ist, gibt es weiterhin Situationen, in denen es sich aus Gläubigersicht lohnt, Immobilien in den Eigenbestand zu nehmen. Denn so können die Gläubiger die Immobilien wieder handelbar machen, Makel beseitigen oder das Objekt in anderer Weise optimieren und im Anschluss zu einem marktgerechten Preis weiterverkaufen. Ziele sind die Wertsicherung und Wertmaximierung.

Bei einem Rettungserwerb steigert der (betreibende) Gläubiger, meist eine Bank, in der Zwangsversteigerung das Sicherungsobjekt selbst an, um es in den Eigenbestand zu nehmen. Dies erfolgt in der Regel durch eine Objektgesellschaft als Tochter der Gläubigerin, um die Risiken zu separieren. Nach Inbesitznahme wird die Immobilie zunächst verwaltet und die Vermarktungsfähigkeit hergestellt, um anschließend den Verkauf durchzuführen. Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang von einer Real-Estate-Owned-Strategie oder kurz: REO. Der Rettungserwerb ist nur in ausgewählten Fällen mit detaillierter Risikoanalyse sinnvoll und kann daher weiterhin nur als sekundäre Exitstrategie eine Berechtigung haben. In den meisten Fällen ist ein unkooperativer Schuldner der Grund.

Anwendungsfälle für den Rettungserwerb

1. Wenn der Bewohner nicht ausziehen will: Ein Standard-Anwendungsfall für den Rettungserwerb ist das durch den Schuldner bewohnte Einfamilienhaus oder die Eigentumswohnung. In diesem Fall macht das Verhalten des Darlehensnehmers, der die Immobilie selbst nutzt und sich vehement weigert, auszuziehen, das Objekt für einen anderen privaten Eigennutzer als Bieter sehr unattraktiv. Denn die Vorstellung, ein bewohntes Objekt zu kaufen und eine andere Familie zwangsräumen zu müssen, überfordert viele private Käufer emotional und fachlich. Oft können sie Zeit und Kosten nicht abschätzen. Der Eigennutzer kauft in Deutschland oft nur einmal im Leben eine Immobilie, und die meisten möchten ungern in einem Haus leben aus dem vorher jemand "vertrieben" wurde. So kommt es zu mangelnder Nachfrage beziehungsweise sehr niedrigen Geboten.

2. Sonderfall "Reichsbürger": Teilweise gibt es Darlehensnehmer, die zusätzlich das Verfahren blockieren und in die Länge ziehen. Die sogenannten "Reichsbürger" beispielsweise haben in jüngster Zeit auch in Versteigerungsverfahren von sich reden gemacht. Sie nutzen zum Beispiel formelle Verfahrensfehler, um das Verfahren zu strecken. Insbesondere verzögern Reichsbürger die Vollstreckungsverfahren durch Beschwerden, die Bezug zum Verfassungsrecht haben, zweifeln Geschäftsverteilungspläne an, weisen sich mit selbst erstellten Ausweispapieren nicht existenter Staaten aus oder bringen gar vor, das Grundgesetz sei nie in Kraft getreten.

Zudem irritieren sie Bieter und Rechtspfleger im Termin durch eine Vielzahl von Anträgen, die ein Rechtspfleger allein nicht bewältigen kann. Daher ist das Gericht meist mit mehreren Beamten besetzt, um der Flut der Anträge Herr zu werden und auch psychologisch dem Druck von Eigentümerseite standzuhalten. Die meisten Bieter können dies in der Kürze der Zeit und der Anspannung im Zwangsversteigerungstermin nicht erfassen beziehungsweise nicht sicher bewerten. Sie sind verängstigt und abgeschreckt.

3. Bedrohung der Bieter: In manchen Fällen werden gegenüber den Erwerbern auch Drohungen ausgesprochen, das Objekt zu besetzen oder zu zerstören. Teilweise werden die Objekte absichtlich beschädigt. In diesen Situationen ist ein (Rest-)Wert für das Objekt tatsächlich nur durch einen Rettungserwerb zu realisieren.

4. Handwerksbetriebe in gemischter Nutzung: Bei gemischt genutzten Gewerbeimmobilien gibt es immer wieder nicht profitable Familien- oder Handwerksbetriebe. In dieser Fallgruppe leben und arbeiten die Darlehensnehmer als Familie im Objekt ohne eine langfristige Perspektive auf den Wert der Immobilie oder eine angemessene Rückführung des Kredites. Gleichzeitig werden häufig sehr geringe Teilzahlungen geleistet, die keinen maßgeblichen Beitrag zu einer langfristigen Lösung darstellen. Das Affektionsinteresse ist meist groß und die Bereitschaft, das Objekt zu verlassen oder zu verkaufen, gering. So kommt es zu emotionalen Verhärtungen, die nur durch einen Rettungserwerb zu lösen sind. Hier hat der Rettungserwerb in der Regel auch die Schließung des Betriebes zur Folge.

5. Der Schuldner ist abgetaucht: Eine weitere Konstellation für den Rettungserwerb sind leerstehende Immobilien, bei denen sich der Schuldner im Ausland befindet oder der Aufenthaltsort unbekannt ist. Die Objekte haben oft einen hohen Instandsetzungs- oder Verbesserungsbedarf, der im Rahmen einer Zwangsverwaltung nicht kostendeckend umgesetzt werden kann. Hierzu gehören auch Objekte, die nicht zu Ende gebaut wurden.

Voraussetzungen für den Rettungserwerb

Am Anfang jeder Prüfung eines Rettungserwerbes stehen Vorüberlegungen, ob die jeweilige Immobilie überhaupt für einen Rettungserwerb geeignet ist. Kriterien sind dabei die Objektart, die Lage, ein bestimmter Mindestmarktwert, das Fehlen von Ausschlusskriterien sowie Reputationsrisiken.

Filter 1: Objektart

Als Objektart sind grundsätzlich wohnwirtschaftliche Objekte üblicherweise unproblematisch. Besonders zu beachten ist immer eine Analyse der Wohnungseigentümergemeinschaft und deren wirtschaftlicher Tragfähigkeit. Im gewerblichen Bereich ist eine detaillierte Prüfung als Einzelfallentscheidung wichtig. Rettungserwerbe sind hier grundsätzlich seltener.

Gerade bei Betreiberimmobilien wie Hotels, Gastronomiebetrieben oder Altenheimen muss genau hingeschaut werden. Oft scheiden diese Immobilienarten für den Rettungserwerb bereits in der Vorprüfung aus, weil der Gläubiger den Betrieb nicht weiterführen kann und will.

In Einzelfällen kann die strukturierte Schließung des Betriebes sinnvoll sein. Dies steht immer in Wechselwirkung auch mit der Größe des Objektes und den wirtschaftlichen Verflechtungen des Gläubigers zu den Betreibern.

Bei Wohn- und Geschäftshäusern oder Bürogebäuden sind Vermietungsstand, Erträge und deren Prognose maßgebend. Faustformel ist, dass die Erträge mindestens kostendeckend sein müssen. Bei den weiteren Objektarten wie Produktion, Gewerbebetrieben und Baugrundstücken sind Rettungserwerbe eher selten.

Filter 2: Objektzustand

Der Objektzustand sollte für einen Rettungserwerb mindestens durchschnittlich sein. Der Mehrwert von Immobilien in schlechtem oder katastrophalem Zustand ist meist begrenzt, sodass sich ein Rettungserwerb nicht rechnet.

Filter 3: Lage

Als Faustformel für die Lage gilt: Je schlechter die Lage, desto genauer muss ein Rettungserwerb geprüft werden. Bei sehr schlechten Lagen ist das Mehrerlöspotenzial begrenzt und das Risiko, die Immobilie für einen längeren Zeitraum zu halten, steigt.

Filter 4: Mindestmarktwert

Aus Gläubigersicht ist ein Rettungserwerb ab einem erzielbaren Marktwert von 50 000 Euro rentabel. Darunter entstehen unproportional hohe Erwerbs- und Nebenkosten sowie ein Verwaltungsaufwand, der die Aufnahme in den Eigenbestand in der Regel unattraktiv macht.

Filter 5: Negativmerkmale

Kontaminationen, Verdacht auf Bergschäden, besondere Verkehrssicherungspflichten, unübersichtliche Eigentümerhaftung, hohe Erschließungsbeiträge und Ähnliches schließen eine Rettungserwerb aus.

Filter 6: Reputation

Reputationsrisiken sind abzuwägen: Ältere Herrschaften oder Familien mit zahlreichen minderjährigen Kindern, Menschen mit Behinderungen im Objekt oder Bezug zum Rotlichtmilieu sprechen gegen eine Ansteigerung von Gläubigerseite.

Ablauf und Vorgehensweise

Die vorgenannten Kriterien sind durch einen Vororttermin mit Innenbesichtigung und Bewertung zu verifizieren und erneut zu prüfen. Gegebenenfalls kann der Zutritt durch die Anordnung einer Zwangsverwaltung oder bei der Einwertung durch den Gerichtsgutachter gelingen. Wichtig ist es, den Rettungserwerb sehr frühzeitig anzugehen, um genug Vorlauf für die Vorbereitung zu haben. Im Anschluss erfolgt die Erstellung eines Businessplans um Laufzeit, Kosten und Verkaufspreis realistisch einschätzen zu können. Bei dieser Kalkulation wird ebenfalls ein zuschlagsfähiges Drittgebot ermittelt. Dieses stellt im Zwangsversteigerungstermin den Abgabepreis dar, ab dem ein Rettungserwerb für den Gläubiger kein Mehrerlöspotenzial mehr bietet und der Zuschlag an einen Dritten lukrativer ist.

Die Kosten für einen Rettungserwerb sind vielfältig. Unter anderem gehören dazu: Grunderwerbssteuer, Gerichtsgebühren für die Zuschlagserteilung, Grundbuchkosten, Ablösung von Vorranggläubigern, Räumungskosten, Objektsicherung und Inbesitznahme, Objekt- und Mietverwaltung, Betriebskosten, Grundsteuern, Feuerversicherung, Investitionen in das Objekt sowie Maklerkosten.

Die Ergebnisse dieser Kalkulation sind das

- Mindestgebot eines Dritten,

- ein Eigengebot für den Termin sowie

- der REO-Businessplan.

Bei der Höhe des Eigengebots ist insbesondere auf die sogenannte Befriedigungsfiktion gemäß § 114 a ZVG zu achten. Hiernach ist der Gläubiger durch die Zuschlagserteilung an ihn in Höhe von 70 Prozent des Verkehrswertes bezüglich seines Grundpfandrechtes als befriedigt anzusehen. Die Vorschrift gilt auch für Objektgesellschaften als Tochtergesellschaften des Gläubigers und ist maßgebend für die Berechnung der Grunderwerbssteuer. Zudem schlägt dies auch auf die zugrunde liegenden Darlehensforderung durch. Um Verwirrungen vorzubeugen und Transparenz gegenüber dem Finanzamt zu schaffen, bieten in der Praxis viele Gläubiger 7/10 des Objektwertes.

Im Zwangsversteigerungstermin muss der Gläubiger alle Voraussetzungen eines Bieters erfüllen - das heißt: eine gültige Vollmacht nebst Handelsregisterauszug nachweisen und Bietsicherheit leisten. Bei zu erwartendem Störfeuer vom Eigentümer ist eine gute mentale Vorbereitung wichtig. Gegebenenfalls ist die Anwesenheit von Ordnungspersonal oder Polizei anzuregen. Die Möglichkeit selbst zu bieten, regt gleichzeitig auch weitere Drittgebote an und führt oft zum Bietergefecht.

Ein Rettungserwerb bietet daher immer die Möglichkeit den Appetit auf das Objekt zu steigern. Es bietet sich daher an, am Anfang der Bietstunde mit Geboten unter dem akzeptablen Drittgebot verhältnismäßig niedrig einzusteigen, um im Anschluss die Gebote schrittweise in Richtung des akzeptablen Drittgebotes zu lenken. Wird dies nicht erreicht, wird regelmäßig gegen Ende der Bietstunde das Gebot in Höhe von 7/10 des Verkehrswertes abgegeben.

Wird der Zuschlag im Termin erteilt, geht das Eigentum sofort über und wird umgehend in Besitz genommen - soweit möglich. Bei Bedarf sind die Schlösser auszutauschen und das Objekt zeitweise zu sichern. Ist das Objekt vom Eigentümer bewohnt, wird die Räumung durch den Gerichtsvollzieher aufgrund des Zuschlagsbeschlusses eingeleitet. Dieser Vorgang zieht sich in der Praxis oft sehr lange hin. Teilweise brechen die Schuldner mehrfach wieder in ihr eigenes Objekt ein, um dort zu wohnen.

Schlösser austauschen und Objekt zeitweise sichern

In anderen Fällen wird das Objekt gegen eine Nutzungsentschädigung zeitweise weiter vom Eigentümer genutzt und später freiwillig geräumt. Wenn die Verwaltung des Objektes beginnt, ist bei vermieteten Einheiten der Eigentumswechsel anzuzeigen. Außerdem müssen die Versorger und Behörden informiert und Versicherungen abgeschlossen werden. Bei leeren und geräumten Objekten kann umgehend die Optimierung beginnen, oft durch Entmüllung oder Säuberung und anschließende Instandsetzung und Entwicklung, gegebenenfalls Aufmietung. Zum Schluss ist das Objekt unter der Kontrolle des Gläubigers vermarktungsfähig geworden und kann nun im Wege des Freihandverkaufs zu einem angemessenen Preis in den Markt zurückgegeben werden.

Rettungserwerbe sind in einem engen Anwendungsbereich und mit intensiver Prüfung als Verwertungsstrategie einsetzbar. Sie sind kosten- und betreuungsintensiv. Durch das Mitbieten in Zwangsversteigerungen lassen sich andere Bieter bis zu einem akzeptablen Steigpreis hochbieten. Einige Fallgruppen lassen sich ausschließlich durch einen Rettungserwerb kontrollieren, alternativ bleibt allenfalls die 100-prozentige Abschreibung. Risiken wie der tatsächliche Objektzustand und somit der erzielbare Ertrag sowie die Kosten und die Dauer der Räumung können nicht immer mit Sicherheit vorhergesagt werden. Ein akzeptables Drittgebot als Grenzwert unter Berücksichtigung von Kosten, Laufzeit und Erträgen ist auf jeden Fall vorab zu ermitteln. So ist der Rettungserwerb oft ein mühsamer und steiniger Weg - aber eben auch der einzige.

Die Autorin Barbara Reimer Rechtsanwältin, Head of Claim Mortgage Management, Immofori AG, Hamburg
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