Wohnungsmarkt

Multilokales Wohnen als große Herausforderung

Dr. Stefan Brauckmann Direktor, Moses Mendelssohn Institut GmbH, Berlin

Die zunehmende Multilokalität ist eine zentrale Herausforderung für die Immobilienmärkte der Großstädte. Davon ist der Autor des Beitrags überzeugt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass heute bereits in bis zu fünf Prozent der bundesdeutschen Haushalte Menschen mit multilokalen Wohnbedürfnissen leben. Neben der mangelnden Verfügbarkeit von geeigneten Wohnungen sei vor allem das oftmals begrenzte Mietkostenbudget ein limitierender Faktor bei der Umsetzung multilokaler Wohnwünsche. Daraus leitet der Autor, der die Zahlen wissenschaftlich untermauert, die Forderung ab, dass der Kleinwohnungsbau gezielt gefördert werden müsse. Dies könne auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen, etwa über direkte finanzielle Förderungen, Steuererleichterungen oder der Anpassung von Auflagen an die Wohnfläche eines Gebäudes statt an die Zahl der Wohneinheiten. Red.

Immer mehr Menschen in Deutschland stehen vor der Herausforderung, den aus beruflichen oder privaten Gründen gestiegenen Mobilitätserwartungen gerecht zu werden. So liegt beispielsweise der Arbeitsplatz häufig nicht in dem Ort, in dem das soziale Netzwerk aus Freunden und Familie ansässig ist. In der Folge pendeln die Mitglieder dieser Personengruppe täglich oder nehmen sich als sogenannte Wochenendpendler einen zweiten Wohnsitz. Diese Gruppe wohnt also multilokal.

Diese zunehmende Multilokalität ist eine zentrale Herausforderung für die Immobilienmärkte der Großstädte. Wissenschaftler gehen davon aus, dass heute bereits in bis zu fünf Prozent der bundesdeutschen Haushalte Menschen mit multilokalen Wohnbedürfnissen leben. Das sind fast 1,9 Millionen Haushalte, die dauerhaft mindestens einen weiteren Wohnsitz unterhalten. Wird zeitlich begrenzte Multilokalität von unter sechs Monaten hinzugerechnet, dürften noch erheblich mehr Haushalte beziehungsweise Personen multilokal leben.

Abseits der Wohnsitzstatistik sind weitere Effekte zu beobachten, die im Kontext von Multilokalität und gestiegener Mobilität stehen. Dies ist zum einen das Phänomen der Reurbanisierung, das insbesondere im Wanderungssaldo der erwerbsfähigen Bevölkerung deutlich wird. Gerade jüngere Menschen zieht es verstärkt in die großen Städte und Wirtschaftszentren, während viele andere Regionen von stetiger oder gar zunehmender Abwanderung betroffen sind.

Pendlerzahlen in Großstädten steigen deutlich

Ein weiterer Faktor: In den Großstädten steigen die Pendlerzahlen absolut und relativ zur Bevölkerung deutlich. Zudem zählen zu den Fernpendlern zunehmend auch hochqualifizierte und besserverdienende Beschäftigte. Diese bleiben bezüglich des Wohnorts flexibel und wählen oft einen temporären Zweitwohnsitz in den Zentrumslagen der wachsenden Großstädte.

Multilokales Wohnen hat nicht nur berufliche Gründe, sondern zunehmend auch private Ursachen. So leben zum Beispiel Personen in einer Fernbeziehung oder Scheidungskinder häufig an mehreren Orten. Auch Senioren, die sich regelmäßig in ihrem "Ferienhaus" oder Wohnwagen aufhalten, gehören zu dieser Gruppe. Solche Personenkreise werden jedoch von der Statistik in der Regel nicht erfasst, da sie ihren zweiten Wohnsitz meist nicht melden müssen.

Für die verschiedenen Gruppen, die mehrere Wohnsitze benötigen, ist die Suche nach der zweiten Unterkunft unterschiedlich schwierig.

Schwierigkeiten bei der Zweitwohnungssuche

Diese Rahmenbedingungen hängen sehr stark von dem beabsichtigten Aufenthaltszeitraum ab:

- Diejenigen die vorhaben, mehrere Jahre und zunächst unbefristet Zeit an verschiedenen Orten zu verbringen, zum Beispiel Fernpendelnde oder Personen im Rentenalter mit Ferienwohnsitz oder Stadtwohnung, können sich relativ leicht am herkömmlichen Wohnungsmarkt mit Wohnraum versorgen. Einzige Determinante ist hier das Budget, mit dem mindestens zwei Wohnungen finanziert werden müssen.

- Personen die mittelfristig, also ungefähr ein bis drei Jahre multilokal leben (etwa Projektmitarbeiter sowie junge Menschen in der Ausbildungs- und Berufseintrittsphase), stehen bereits vor größeren Herausforderungen: Ein Kauf ist innerhalb der kurzen Frist in der Regel nicht darstell- und finanzierbar. Auch Vermieter ziehen meist langfristige Mietinteressenten vor. Dies führt dazu, dass viele bei der Suche nach einer Unterkunft auf ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft oder in den Markt des möblierten Wohnens auf Zeit ausweichen.

- Kann bereits vorausgesehen werden, dass die Aufenthaltsdauer bei weniger als einem Jahr liegt, gibt es für diese wachsende Gruppe noch weniger bezahlbare Möglichkeiten einer Unterkunft. Hotels und klassische Serviced Apartments sind - wenn der Arbeitgeber sich nicht an den Kosten beteiligt - oft außerhalb des Budgets, während der normale Mietwohnungsmarkt nicht zur Verfügung steht.

Die meisten multilokal Wohnenden benötigen eine Unterkunft, welche möglichst folgende Kriterien erfüllen soll:

- Lage in einer großen Stadt beziehungsweise wirtschaftlich starken Region.

- Zentraler Standort, um schnell den Arbeitsplatz sowie Nahversorgung und Naherholung erreichen oder - meist mittels der Bahn - zwischen den Wohnorten pendeln zu können.

- Eine Unterkunft, bei der sich die Bewohner nicht lange binden müssen.

- Wohnungen in Mehrparteienhäusern mit geringem Instandhaltungsaufwand statt in Ein- und Zweiparteienhäusern.

- Passende Mikroapartments mit ein oder maximal zwei Zimmern, die also von ihrer Größe und dem Gesamtpreis in das zeitliche und finanzielle Budget der Zielgruppe passen.

Anteil kleinerer Haushaltsgrößen steigt

Solche Wohnungen werden jedoch auch von anderen Personengruppen nachgefragt. Diese sind aufgrund einer in der Regel längeren Mietdauer für den Anbieter der Unterkunft attraktiver. Bei Personen mit temporären Wohnbedürfnissen kommt hinzu, dass diese vor allem möblierte oder teilmöblierte Wohnungen suchen, die sofort bezugsfertig sind und einen Auszug ohne großen organisatorischen Aufwand ermöglichen.

Der steigende Nachfragedruck bei kleineren Wohnungen in Zentrumslagen wird vor allem anhand des begrenzten Angebots sowie der veränderten Haushaltsstruktur deutlich. Wurden in den sechziger Jahren lediglich 51 Prozent aller Haushalte von einer oder zwei Personen gebildet, waren es 2014 schon 75 Prozent. Laut Prognose des Statistischen Bundesamtes soll der Anteil bis 2030 sogar auf 81 Prozent ansteigen. In Großstädten und dort verstärkt in den Zentrumslagen ist der Anteil kleinerer Haushaltsgrößen bereits heute teilweise höher als für 2030 prognostiziert.

Im Vergleich zu den kleineren Haushaltsstrukturen haben sich die durchschnittlichen Wohnungsgrößen jedoch vergrößert. Aktuell liegt der Anteil der größeren Wohnungen mit vier und mehr Räumen deutschlandweit bei rund 66 Prozent. Bei zwischen 2010 und 2014 errichteten Wohnungen liegt dieser Wert sogar noch drei Prozentpunkte höher. In den Millionenstädten ist der Anteil kleinerer Wohnungen zwar traditionell höher, aber auch hier wurden in der Regel in den letzten Jahren vor allem größere Wohnungen gebaut. Trotz eines sehr hohen Anteils an Ein- und Zweipersonenhaushalten sowie steigenden Mieten erreicht der Kleinwohnungsbau gerade einmal die im Bestand messbare Quote. Diese wird entgegen des Bedarfs also nicht steigen. Aufgrund dieser Diskrepanz liegen immer mehr Wohnungen außerhalb des Wohnkostenbudgets breiter Bevölkerungsschichten.

Neben der mangelnden Verfügbarkeit von geeigneten Wohnungen, ist vor allem das oftmals begrenzte Mietkostenbudget ein limitierender Faktor bei der Umsetzung multilokaler Wohnwünsche. Werden die durchschnittlichen Nettoeinkommen von Alleinlebenden verschiedener Berufsgruppen mit dem üblichen Wohnkostenanteil in Bezug gesetzt, so wird deutlich, dass es selbst für Normalverdienende kaum möglich ist, das Wohnkostenbudget auf zwei Standorte aufzuteilen - nur Arbeitgeberzuschüsse oder Steuererleichterungen können das in vielen Fällen ändern.

Das Mietkostenbudget als limitierender Faktor

Am Beispiel Berlins zeigt sich, dass Berufstätige in der Regel ein Wohnkostenbudget von knapp unter 900 Euro haben, bei jungen Menschen in der Ausbildungsphase beträgt dieses sogar nur rund die Hälfte. Selbst aus diesen Durchschnittswerten wird ersichtlich, dass in einer Stadt wie Berlin nur wenige Wohnungen innerhalb des durchschnittlichen Wohnkostenbudgets angeboten werden. Vor allem, wer sich nur temporär in der Stadt aufhält, wird in diesen Marktsegmenten kaum ein Angebot finden oder suchen. Dies liegt insbesondere daran, dass Vermieter grundsätzlich nicht für einen Zeitraum von unter sechs Monaten vermieten. Auch wird durch jüngste Gesetzesänderungen, welche unter den Stichworten "Mietpreisbremse" und "Bestellerprinzip" bekannt sind, die Mieter-Fluktuation noch unattraktiver. Wechselt der Bewohner, befürchten die Immobilieneigentümer zum einen die nicht mehr umlegbaren Maklergebühren sowie geringere Einnahmen durch Leerstands-Zeiten, die nicht über Mieterhöhungen kompensiert werden können.

Die Nachfrage bezüglich der Unterkünfte, die sich für temporäre, multilokale Wohnbedürfnisse eignen, ist innerhalb einer Stadt nicht gleichverteilt. Um herauszufinden, welche Lagen prädestiniert sind, hat das Moses Mendelssohn Institut verschiedene Marktdaten, insbesondere in Hinblick auf die Angebotssituation und das Preisniveau, möglichst kleinräumig ausgewertet. Mithilfe der sogenannten Fischnetzmethode wurden Lagen - in einer Genauigkeit von 500 mal 500 Metern - identifiziert, die potentiell auf stärkere oder geringere Nachfrage durch die Zielgruppe stoßen. Diese Standorte liegen in der Regel in den zentralen Lagen der Städte, mit - nicht nur verkehrstechnisch - sehr guter Infrastruktur.

Auf die zunehmende Nachfrage von temporär multilokal Wohnenden an diesen Standorten kann nur mit einer Ausweitung des Angebots reagiert werden. Konkret bedeutet dies den Neubau von Wohnungen zu forcieren, die vom Konzept, der Lage sowie dem Preis die Ansprüche der Zielgruppe erfüllen.

Forderung nach mehr Engagement der Politik

Doch nur wenige Projektentwickler legen besonderen Wert auf diesen Mikroapartment-Bereich, für die meisten Anbieter erscheint der Bau größerer Einheiten immer noch lukrativer. So ist beispielsweise die GBI AG mit der Dachmarke Smartments einer der wenigen Anbieter, welcher Mikroapartments jeweils angepasst an unterschiedliche Zielgruppen und beabsichtigten Aufenthaltsdauern entwickelt. Zielgruppen sind Studierende und Auszubildende, Geschäftsreisende und Gesundheitstouristen sowie Ein- und Zweipersonenhaushalte auf der Suche nach einer urbanen, barrierearmen Kleinwohnung.

Nicht nur vonseite der Projektentwickler muss auf diesen Trend zum multilokalen Wohnen reagiert werden, sondern auch vonseiten der Politik und Stadtplanung. So sollte der Kleinwohnungsbau gezielt gefördert werden. Dies kann auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen, etwa über direkte finanzielle Förderungen, Steuererleichterungen oder die Anpassung von Auflagen (zum Beispiel Stellplatzsatzungen) an die Wohnfläche eines Gebäudes statt an die Zahl der Wohneinheiten. Anderenfalls bleibt die Errichtung von Mikroapartments teurer als der Bau größerer Wohnungen - aufgrund der größenbedingten Kosten für die Ausstattung von Küche und Sanitär sowie des Anteils an Treppenhaus und Erschließungsflächen auf den Quadratmeterpreis der Wohnung gesehen.

Dies kann dazu führen, dass von Investorenseite häufig lieber größere Einheiten zum Verkauf an Eigennutzer errichtet werden als Miet- und Eigentumswohnungen für Normal- und Geringverdiener. Dieser Zustand sollte im Sinne einer Stadt, die für unterschiedliche Bedürfnisse der Bevölkerung offen ist, behoben werden.

Für die Gruppe der Menschen, die sich nur temporär in der Stadt aufhält, sind vor allem zentrale Mischgebiete geeignet. Hier können gezielt Platzreserven entwickelt werden, die sich gegebenenfalls weniger für Dauerwohnen eignen.

Der Autor Dr. Stefan Brauckmann Direktor, Moses Mendelssohn Institut GmbH, Berlin

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