FACETTEN DER NACHHALTIGKEIT

NACHHALTIGE IMMOBILIENFONDS: MEHR VERBINDLICHKEIT WAGEN

Christian Paul, Foto: Fundamenta

Offenlegungsverordnung und Taxonomie halten die Fondsbranche seit Monaten gehörig auf Trab. Indes hat sich bislang nur eine Minderheit der Immobilienfondsgesellschaften dazu durchgerungen, für ihre Fonds verbindliche Nachhaltigkeitsversprechen abzugeben. Den Grund dafür sieht der Autor in einer ganzen Reihe von Missverständnissen - sowohl aufseiten der Anbieter als auch der Investoren. Zwar räumt er ein, dass die regulatorischen Vorgaben noch unscharf sind, etwas mehr Mut und ein klareres Bekenntnis zur Nachhaltigkeit wären trotzdem wünschenswert und zudem auch angebracht. Gut unterfüttern ließe sich ein solches Bekenntnis im Übrigen mit einer validen ESG-Strategie. Red.

Seit März 2021 müssen sich die Kapitalanlagegesellschaften bekennen. Inwieweit berücksichtigen ihre Strategien Nachhaltigkeitskriterien? Sind die Fonds, die sie anbieten, "dunkelgrün" im Sinne der EU-Offenlegungsverordnung, sehen also Nachhaltigkeit als wesentliches Anlageziel, oder zumindest "hellgrün", weil sie solche Kriterien neben anderen berücksichtigen? Oder erfüllen sie keine dieser Vorgaben?

Mehr Dynamik, Transparenz und Verbindlichkeit

Die Offenlegungsverordnung und die EU-Taxonomie werden der Entwicklung der Finanzbranche in Richtung Nachhaltigkeit mehr Dynamik geben. Die Nachhaltigkeit von Finanzprodukten wird transparenter, die Versprechen der Anbieter verbindlicher. Mehr Kapital wird in ESG-konforme Bereiche gelenkt - was dringend notwendig ist, um die Emissionsziele zu erreichen. Gerade auf den Immobiliensektor, der in Europa für rund ein Drittel des Treibhausgasausstoßes verantwortlich ist, kommt es hier an.

Und die Regulierung wird stärker. Auf nationaler und internationaler Ebene sind weitere Schritte in Vorbereitung, um den Wandel zu beschleunigen. Doch bereits heute ist die Nachfrage der Investoren nach nachhaltigen Produkten groß - und sie wächst weiter.

Für die Fondsbranche heißt das: Produkte nach Artikel 8, besser noch Artikel 9 der EU-Offenlegungsverordnung, werden zum Standard, und Artikel-6-Fonds, die keine ESG-Kriterien berücksichtigen, werden zum Ladenhüter. Trotzdem haben die Kapitalanlagegesellschaften bislang nur bei etwa einem Fünftel der Fonds in Europa den Mut aufgebracht, diese als hellgrün oder dunkelgrün zu deklarieren.

Missverständnis 1 - "Der Regulierer muss für glasklare Vorgaben sorgen": Als Grund für die Zurückhaltung wird häufig angegeben, die Vorgaben seien unklar. Tatsächlich ist in weiten Teilen undefiniert, welche Tätigkeiten als nachhaltig gelten dürfen und welche nicht. Die EU-Taxonomie legt das bislang nur für den Bereich Klimaschutz fest - weitere ökologische Themen und das weite Feld der sozialen Nachhaltigkeit werden erst in den nächsten Jahren folgen.

Angst vor Sanktionen

Die Anbieter sind also in weiten Teilen auf ihr eigenes Ermessen angewiesen, wenn sie ihre ESG-Strategie festlegen - mit dem Risiko, dass der Regulierer die Einstufung eines Produkts im Nachhinein moniert. Die Angst vor Sanktionen, als "Greenwasher" gebrandmarkt zu werden und an der Reputation Schaden zu nehmen, soll erklären, warum es noch nicht viel mehr Artikel-8-und Artikel-9-Fonds gibt.

Wer so argumentiert, verkennt, dass sich die Regulatorik noch auf Jahre hinaus sehr dynamisch entwickeln wird. Erst nach und nach werden die Kriterien für "nachhaltig" und "nicht nachhaltig" klarer werden. Derweil wird die technologische Entwicklung dafür sorgen, dass bereits eingeführte Kriterien wieder revidiert werden.

Der Markt wartet das nicht ab. Bereits heute werden Milliarden gezielt in nachhaltige Produkte investiert und die Volumina nehmen rapide zu. In diesem wachsenden Markt verlangen die Investoren Orientierung. Wer sich versteckt und keine glaubwürdige Nachhaltigkeitsstrategie präsentiert, wird abgehängt werden.

Sozialen Kriterien kommt Schlüsselrolle zu

Missverständnis 2 - "Nachhaltigkeit ist gleich Ökologie": Selbstverständlich müssen Anbieter dafür Sorge tragen, dass sie ihre Nachhaltigkeitsversprechen auch einhalten können. Immobilien-Asset-Manager etwa müssen valide Scoringmodelle entwickeln, um Zukäufe und Bestand unter ESG-Gesichtspunkten zu bewerten.

Die Kriterien dafür sind mit großer Sorgfalt festzulegen. Welchen Energieeffizienz-Standard müssen Gebäude erfüllen? Welchen Anteil seines Heizenergiebedarfs soll ein Objekt aus erneuerbaren Energien decken? Das Unternehmen muss auch Prozesse definieren, wie das ESG-Screening in den Ankaufsprozess integriert wird und wie es turnusmäßig auf den Bestand anzuwenden ist. Und es ist festzulegen, wie und in welchem Zeitraum nicht nachhaltige Objekte nachhaltig gemacht werden können oder ob sie veräußert werden sollen.

Allgemeinverbindliche Kriterien für soziale Nachhaltigkeit gibt es noch weniger als für ökologische. Trotzdem ist dieser Bereich sehr wichtig - gerade für die Immobilienbranche. Denn Gebäude können die Lebensqualität der Menschen, die in ihnen wohnen oder arbeiten, erheblich positiv oder negativ beeinflussen. Darüber hinaus strahlen die Architektur und die Nutzung von Bauten auch auf deren Nachbarschaft aus, mit erheblichen Störpotenzialen, aber auch der Chance auf eine positive städtebauliche Wirkung auf ganze Stadtviertel. Beim ESG-Scoring im Immobilienbereich spielen darum die sozialen Kriterien eine ganz bedeutende Rolle. Dabei geht es um bauliche Themen wie Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung, Fragen der Standortauswahl, um Bewohnern die Nahversorgung mit notwendiger Infrastruktur zu garantieren, oder die Ausgestaltung der Mieterauswahl und Mietpreispolitik, um bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen und Gentrifizierung entgegenzuwirken.

Implementierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette

Missverständnis 3 - "Abwarten ist die beste Strategie": Eine solche ESG-Strategie zu entwickeln ist aufwendig, aber machbar - auch ohne eindeutige Vorgaben vonseiten der Regulierer. Warten auf klare Ansagen ist keine Option - zum einen weil diese nicht so bald kommen werden, und zum anderen, weil in der Zwischenzeit der Markt bereits Fakten schafft. Auf alle Unternehmen kommt der Umbau der Geschäftsmodelle und die Anpassung der Portfolios in Richtung Nachhaltigkeit zu - und wer diese Aufgabe auf später verschiebt, fällt bereits heute im Wettbewerb zurück.

Wird die ESG-Strategie richtig aufgesetzt, ist auch ein transparentes und realistisches ESG-Reporting möglich. Damit minimiert man das Risiko, nicht haltbare Nachhaltigkeitsversprechen abzugeben. Wichtig ist dabei, dass ESG-Kriterien entlang der gesamten Wertschöpfungskette implementiert werden und dass sie klar definiert und quantifiziert sind.

Ein Backtesting schließlich legt offen, welchen Einfluss die Aufnahme bestimmter Kriterien auf das eigene Geschäft hat. Im Einkauf können sie das Universum verfügbarer Objekte reduzieren, ein Bestandsobjekt, das bislang als Cash Cow galt, kann sich nach Berücksichtigung von ESG-Kriterien als nicht mehr tragfähig erweisen.

Die vierte Dimension im Raum der Anlageziele

Missverständnis 4 - "Nachhaltigkeit darf keine Rendite kosten": Damit verändert die Aufnahme von ESG-Kriterien auch die Zusammensetzung der Portfolios, was sich auf die Rendite negativ auswirken kann. Die Gründe dafür sind vielfältig: Das Anlageuniversum schrumpft, eine Mieterauswahl nach sozialen Kriterien kann zu einer Absenkung der Mieterbonität führen, Dekarbonisierung und energetische Sanierung verursachen Investitionskosten. Bei Immobilienfonds, die sich nach Artikel 8 der Offenlegungsverordnung klassifizieren, können die Auswirkungen auf die Rendite spürbar, bei Artikel 9 signifikant sein.

Bislang tun sich viele Investoren noch schwer zu akzeptieren, dass ein Mehr an Nachhaltigkeit ein weniger an Rendite bedeuten soll. Dabei ist Nachhaltigkeit nichts anderes als eine vierte Dimension im Raum der Anlageziele. Investoren müssen weg von der Denke "Nachhaltigkeit kostet Rendite" und hin zu "Welche Anlage bietet das für mich richtige Verhältnis von Rendite, Sicherheit, Liquidität und Nachhaltigkeit?". Schließlich gibt es auch günstige Korrelationen mit anderen Anlagezielen. Wer etwa in die Verkleinerung des CO2-Footprints investiert, bekommt damit ein marktfähigeres Objekt, mit dem sich auf lange Sicht höhere Mieten und Verkaufspreise erzielen lassen. Bei einem Gebäude dagegen, das den neuen ESG-Standards nicht entspricht, wird das Leerstandsrisiko steigen und der Marktwert sinkt.

Ein mutigeres Bekenntnis zur Nachhaltigkeit wäre wünschenswert, damit die Immobilienbranche ihren Beitrag zu einer nachhaltigeren Welt leisten kann. Mit validen ESG-Strategien lässt sich dieses Bekenntnis gut unterfüttern - auch wenn die regulatorischen Vorgaben noch unscharf sind.

Christian Paul , Mitgründer und Vorsitzender des Vorstands , Fundamenta Group Deutschland AG
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