Positionen zur Stadtentwicklung von Politik und Immobilienwirtschaft

Stadtentwicklung global und lokal

Dr. Barbara Hendricks, MdB Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Berlin

Der Schlüssel für eine klimagerechte Welt liegt nach Meinung der Autorin Dr. Barbara Hendricks vor allem in den Städten. Man müsse daher in die richtige Infrastruktur investieren. Ein gelungenes Beispiel sei demnach die "New Urban Agenda", bei der es gelungen sei, einen weltweit gültigen Handlungsrahmen für eine nachhaltige Entwicklung von Städten zu beschließen. Es müssten nun aber konsequente Schritte zur Umsetzung folgen. Ein zentraler Punkt sei eine nachhaltige, bezahlbare Mobilität. Nach rund 605 Millionen Euro in diesem Jahr stünden nun im laufenden Jahr allein 790 Millionen Euro an Bundesmitteln für die Städtebauförderung zur Verfügung. Gegenüber dem Vorjahr seien die Programme Soziale Stadt sowie Stadtumbau erhöht worden. Red.

Wir haben das Jahrhundert der Städte. Erstmals leben mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, und es werden jeden Tag 200 000 mehr. Zur nächsten Jahrhundertwende werden voraussichtlich 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Dieses Wachstum findet vor allem in Asien und Afrika statt, in einer Geschwindigkeit, die wir in Deutschland und Europa so nicht kennen. In den Städten liegen darum die Schlüssel für eine nachhaltige und klimagerechte Welt.

Es kommt darauf an, heute in die richtige Infrastruktur zu investieren. Dafür brauchen die Städte Unterstützung. Sie müssen in die Lage versetzt werden, die Ansprüche ihrer Bewohner auf menschenwürdiges Wohnen, auf Zugang zu Energie, sauberem Wasser oder Abwasser- und Abfallentsorgung, aber auch auf Bildung und Teilhabe zu erfüllen. Auf der Weltkonferenz der Städte Habitat III im ecuadorianischen Quito haben wir im Oktober diesen Jahres mit der "New Urban Agenda" erstmals einen weltweit gültigen Handlungsrahmen für eine nachhaltige Entwicklung von Städten beschlossen.

Nachhaltige Stadtentwicklung ist der Schlüssel, um die Ziele der 2030-Agenda und die globalen Klimaschutzziele zu erreichen. Unsere Aufgabe ist es, die Potenziale von Städten und Stadtregionen für die Transformation zu nutzen. Eine Transformation hin zu einer nachhaltigen und klimagerechten Welt. Die Entscheidungen, die wir heute treffen, sei es für Infrastrukturen oder andere Investitionen, legen den Ressourcenverbrauch und den CO2-Ausstoß von Städten für Jahrzehnte fest.

Mehr Nachhaltigkeit führt zu Klimaschutz

Die New Urban Agenda muss daher mehr sein, als ein einfaches Dokument. Sie muss als Handlungsauftrag verstanden werden, um Armut und den Klimawandel erfolgreich zu bekämpfen. Die klassischen Entwicklungskonzepte können nicht mehr als Blaupause dienen. Mit einem "Weiter so" steuern wir die Welt in den Klimakollaps und riskieren große soziale Verwerfungen - mit Elend, Gewalt und Fluchtwellen.

Die Kernziele der New Urban Agenda sind aus meiner Sicht die folgenden drei:

1. Städte müssen als Entwicklungsakteure anerkannt und befähigt werden.

2. Städte und Siedlungen müssen lebenswert gemacht werden.

3. Wir brauchen eine integrierte und nachhaltige Stadtentwicklung.

Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist, diese Ziele in der New Urban Agenda zu verankern. Das ist ein sehr wichtiger Schritt. Nun kommt es darauf an, diese Punkte mit Engagement umzusetzen, und darauf, dass die Nationalregierungen Follow-up-Prozesse anschieben und unterstützen. Deutschland wird sich dieser Aufgabe stellen. Wir werden internationale Partnerschaften zwischen Staaten und Städten fördern, wie auch Netzwerke. Wir werden uns im Rahmen unserer Internationalen Klimaschutzinitiative noch stärker den Städten widmen und bilaterale und globale Projekte fördern, die das Potenzial haben, beispielgebend für nachhaltige Entwicklung zu sein.

Drei Säulen für die New Urban Agenda

Ich stelle mir drei Säulen vor, die die New Urban Agenda tragen: Erstens, Städte und Gemeinden, die mit Kompetenz und finanziellen Mitteln ausgestattet sind, um ihrer wichtigen Rolle gerecht zu werden. Zweitens, Staaten, die ihre Städte bei deren Aufgaben unterstützen. Und schließlich globale Partnerschaften im Rahmen der UN und im Rahmen von Netzwerken, die die Akteure, insbesondere auf der lokalen Ebene, länderübergreifend unterstützen.

Deutschland hat Erfahrungen mit integrierter Stadtentwicklungspolitik. Das gilt zum Beispiel für nachhaltiges Bauen und Wohnen und nachhaltige lokale Infrastrukturen. Städte müssen die Ansprüche ihrer Bewohnerinnen und Bewohner sichern, das gilt für das Wohnen, den Zugang zu nachhaltiger Energie, sauberem Wasser bis hin zu einer entsprechenden Abwasser- und Abfallentsorgung.

Und die Städte der Zukunft brauchen eine nachhaltige, bezahlbare Mobilität. Denn Mobilität ermöglicht Teilhabe. Sie darf aber nicht auf Kosten der Umwelt gehen - oder sogar auf Kosten der Gesundheit von Menschen. Darum wollen wir eine globale Mobilitätswende voranbringen.

Die Zukunft der Mobilität ist eine der zentralen Fragen unserer Zeit, auch für mich als Ministerin, die für Umwelt- und Klimaschutz und auch Stadtentwicklung gleichermaßen zuständig ist. Es wird darum gehen, wie wir die Mobilität in unseren Städten organisieren. Wie wir Mobilität sicherstellen und gleichzeitig die Lebensqualität erhalten, also wie wir Mobilität nachhaltig gestalten. Auch in Europa und Deutschland nimmt dieser Trend zu, was ich für die deutschen Großstädte nicht extra betonen muss, die jedes Jahr wachsen - wie beispielsweise Berlin um 40 000 bis 50 000 Einwohner, wobei die zu uns Geflüchteten noch nicht einmal mitgerechnet sind.

Viele Verkehrssysteme können gar nicht so schnell angepasst werden. Daher ersticken viele Städte schon heute sprichwörtlich im Straßenverkehr. Allein in Deutschland sind 45 Millionen Pkw unterwegs. Treibhausgase, Schadstoffe und Lärm belasten die Umwelt und die Lebensqualität der Menschen. Das hat auch eine soziale Komponente: Oft wohnen die einkommensschwächeren Menschen an den lautesten und schadstoffreichsten Straßen der Stadt.

Fehler der Vergangenheit vermeiden

Diese Entwicklung ist noch nicht zu Ende. Für alle Menschen, die neu in die Stadt kommen, muss nicht nur Wohnraum geschaffen werden. Hinzu kommen die soziale Infrastruktur und ein entsprechendes Verkehrsangebot. Denn Mobilität ist eine Voraussetzung für Teilhabe. In diesen Herausforderungen liegen aber auch große Chancen. Nutzen wir diese Prozesse doch und gestalten wir den Wandel mit. Und lassen Sie uns dabei die Fehler der Vergangenheit vermeiden und schrittweise heilen.

Unsere Städte müssen in mehrfacher Hinsicht durchmischt und vielfältig sein: In den Nutzungen, in den sozialen Milieus und in der städtebaulichen Struktur. Das macht für uns eine lebenswerte Stadt doch eigentlich aus. Wir verfolgen das Leitbild einer Stadt, die umweltfreundlich, vielfältig und offen ist. Mit kurzen Wegen, mit hochwertigen Grün- und Freiflächen - eben eine Stadt, in der man gut zusammenleben kann. Für die Städte besteht jetzt die Gelegenheit, dieses Leitbild schrittweise umzusetzen.

Ich bin davon überzeugt, dass wir soziale Probleme nur lösen können, wenn es Strukturen gibt, auf die sich die Menschen im Alltag verlassen können. Da haben ländliche Regionen den Städten etwas voraus. Zum Beispiel soziale Netzwerke, intakte Nachbarschaften, Hilfsangebote. Ein Stück verlässliche Heimat in einer komplizierten Welt. Dort, wo es diese Strukturen nicht gibt, häufig in den Ballungszentren und in vernachlässigten Quartieren, müssen wir unterstützen und helfen. Das tun wir mit unseren Programmen der Städtebauförderung. Ich bin froh, dass wir diese erfolgreichen Programme für das kommende Jahr nochmals aufstocken konnten auf nunmehr über eine Milliarde Euro für den Städtebau.

Mittel für Städtebauförderung erweitert

Nach rund 605 Millionen Euro in diesem Jahr stehen 2017 allein 790 Millionen Euro an Bundesmitteln für die Städtebauförderung zur Verfügung. Gegenüber dem Vorjahr wurden die Programme Soziale Stadt sowie Stadtumbau erhöht. Auch die Förderung von Grün in der Stadt wird weiter gestärkt.

Zusätzlich zur Städtebauförderung kommen 200 Millionen Euro für den neuen Investitionspakt Soziale Integration im Quartier zum Einsatz, der mit einem höheren Bundesanteil auch Kommunen in schwieriger Haushaltslage unterstützt. Daneben wurden mit den Beschlüssen zum Haushalt 2017 auch die Mittel für die Nationalen Projekte des Städtebaus auf 75 Millionen Euro erhöht.

Die Städtebauförderung hilft Städten und Gemeinden, sich an den wirtschaftlichen, sozialen, demografischen und ökologischen Wandel anzupassen. Mit den Bundesmitteln werden nachhaltige Investitionen angestoßen. Im aktuellen Programmjahr 2016 wurden mit Bundesmitteln der Städtebauförderung in Deutschland in über 2 100 Städten und Gemeinden städtebauliche Maßnahmen gefördert.

Mit diesen Mitteln unterstützen wir die Kommunen bei einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Wir stellen sicher, dass unsere Städte und Gemeinden beispielsweise notwendige Investitionen in einen nachhaltigen Stadtumbau und in moderne und zukunftsfeste soziale Infrastrukturen tätigen können. Insbesondere der Start des neuen Investitionspakts Soziale Integration im Quartier eröffnet ab 2017 die Möglichkeit, Orte der sozialen Integration und des Zusammenhalts zu schaffen.

Mit den dafür eingestellten Bundesmitteln - jährlich 200 Millionen Euro bis 2020 - können Orte saniert werden, die für die Integration und das nachbarschaftliche Miteinander unverzichtbar sind: Stadtteilzentren, Kitas, Vereinsheime, Schulen und so weiter.

Die Städtebauförderung ist auch ein erheblicher Wirtschaftsfaktor. Mit einem Euro Städtebauförderung stoßen Bund und Land durchschnittlich sieben Euro Investitionen an. Die Fördermittel unterstützen in hohem Maße die klein- und mittelständige Wirtschaft vor Ort: Rund 36 Prozent des erwarteten Bauvolumens verbleibt in der Kommune selbst, rund 48 Prozent verbleiben in der Region mit einem Umkreis von 50 Kilometern. Die Bauwirtschaft profitiert dabei mit 71 Prozent der umgesetzten Investitionsmittel.

22 Milliarden Euro zur Entlastung der Kommunen

Es muss in unser aller Interesse liegen, handlungsfähige - also auch finanziell gut ausgestattete - Kommunen zu haben. Dies gilt vor allem für die schon genannte soziale Infrastruktur. Wir brauchen gute Kitas und gut bezahlte Kindergärtnerinnen und Kindergärtner. An unseren Schulen muss man ablesen können, dass Bildung etwas wert ist. Es kann doch nicht sein, dass der letzte frische Anstrich stattgefunden hat, als die eigenen Eltern gerade eingeschult wurden.

Wir brauchen mehr Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, vor allem dort, wo Konflikte herrschen. Die jetzige Bundesregierung hat von Beginn an darauf hingewirkt, die Kommunen finanziell zu entlasten. Mit 22 Milliarden Euro unterstützt der Bund die Kommunen in dieser Legislaturperiode.

Lebenswerte Städte müssen sich immer und vor allem an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Dafür müssen sie ihre Verantwortung dezentral wahrnehmen können, was bedeutet, dass die Stadtbevölkerung beteiligt werden muss. Die Mitgestaltung durch Bürgerinnen und Bürger ist absolut zentral. In Deutschland können wir dabei auf unsere Erfahrungen mit der Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt aufbauen. Wir dürfen aber keine Zeit verlieren: In den Städten von heute entscheidet sich die Welt von morgen.

Die Autorin Dr. Barbara Hendricks, MdB Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Berlin
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