Immobilien-Konjunktur 2016

Wandel der Bankenrefinanzierung in der Finanzkrise

Refinanzierungsvolumina ausgewählter Zentralbanken des Eurosystems Quelle: Deutsche Bundesbank, Eurosystem

Die über viele Jahrzehnte stabil funktionierende Bankenrefinanzierung, auch über die Notenbanken, hat sich weltweit grundlegend geändert. Beigetragen haben hierzu die Veränderungen durch die europäische Währungsunion, aber vor allem die Auswirkungen durch die Finanzkrise 2007/2008 und die folgende Staatsschuldenkrise. Hier nahm das Eurosystem der Zentralbanken eine zentrale Intermediationsrolle ein und stellte dem Bankensektor rekordhohe und rekordlange Zentralbankliquidität zur Verfügung. Das Eurosystem ist mit seinen Krisenmaßnahmen bis in den Grenzbereich seines Mandats gegangen. Der Autor gibt hierzu einen detaillierten Überblick über die Entwicklung der Refinanzierung der Banken und die Rolle der Notenbanken. Wie sich in den modernen Finanzsystemen das Arrangement zwischen privaten Banken und Zentralbanken künftig gestaltet, wird von marktimmanenten Trends und von der politischen Willensbildung abhängen. Auf dem Geldmarkt werden sich die Verhältnisse der Vorkrisenzeit nicht wiederherstellen lassen und großvolumige unbesicherte Transaktionen scheinen einstweilen nicht mehr denkbar. Red.

Die Bankenrefinanzierung war lange Zeit eher ein Thema für Lehrbücher der Bankbetriebslehre: Im Großen und Ganzen schien das System zu funktionieren, dramatische Veränderungen waren über Jahrzehnte kaum zu verzeichnen. Das hat sich inzwischen weltweit grundlegend geändert.

In Deutschland hat sich die Bankenrefinanzierung strukturell gewandelt. Zum einen seit den 1990er Jahren infolge der aufsichtlichen Deregulierung und dann in Gegenrichtung infolge der Finanz- und Staatsschuldenkrise ab 2008. Darüber hinaus haben sich die Refinanzierungsmuster im Euro-Raum auch durch die Währungsunion verändert. Die Renditedifferenzen bei Staatsanleihen der Mitgliedsländer des Euro-Raums, als Maß für die unterschiedlichen Risikoeinschätzungen, konvergierten bis 2008. Eine Unterscheidung fand faktisch nicht mehr statt. Mit Beginn der Finanzkrise kippte diese Entwicklung ins dramatische Gegenteil. Die Renditedifferenzen stiegen stark an und damit auch das Bewusstsein für die Möglichkeit von Zahlungsausfällen bei Staatsanleihen des Euro-Raums.

Bankenrefinanzierung und geldpolitische Transmission

Um dem Thema Bankenrefinanzierung aus Sicht einer Zentralbank einen Rahmen zu geben, gilt es zunächst, sich die Bedeutung der Bankenrefinanzierung für die konventionelle Geldpolitik ins Gedächtnis zu rufen, wie wir sie bis zur Finanzkrise jahrzehntelang verfolgt haben.

Als Zentralbanken sehen wir Banken grundsätzlich als "Schuldenumwandler": Sie reichen Kredite kurz-, lang- und mittelfristig aus und erzeugen dabei Geld in Form von Guthaben auf Bankkonten. Die ausgereichten Kredite müssen gegenfinanziert werden. Das geschieht durch Eigenkapital, vor allem aber durch Einlagen, Mittelaufnahmen bei anderen Banken und die Ausgabe von Anleihen.

Während Banken Buchgeld durch ihr Kreditgeschäft selbst schaffen, brauchen sie für kurzfristige Verpflichtungen Zentralbankgeld. Zentralbankguthaben sind das Monopol der Zentralbanken. Banken benötigen diese Guthaben zur Teilnahme am unbaren Zahlungsverkehr, zur Mindestreserveerfüllung und zur Deckung des Bargeldbedarfs. Aus diesen kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen entsteht im Wesentlichen das strukturelle Liquiditätsdefizit. Nur hierbei sind die Banken auf die Primärliquidität in Zentralbankgeld angewiesen. Dieser strukturelle Liquiditätsbedarf des Bankensektors ist der Ansatzpunkt der Geldpolitik. Das Eurosystem stellt zur Erfüllung dieser kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen das notwendige Zentralbankgeld über seine geldpolitischen Refinanzierungsgeschäfte zur Verfügung.

600 Milliarden Euro an Überschussliquidität

Seit Ausbruch der Finanzkrise hat sich diese Beziehung durch die geldpolitischen Hilfsmaßnahmen gewandelt: Infolge der Mengentender mit Vollzuteilung und den umfangreichen Wertpapierankäufen des Eurosystems dürfte das Bankensystem noch über Jahre in der Position eines strukturellen Liquiditätsüberschusses verbleiben. Das Eurosystem stellt derzeit weit mehr Liquidität zur Verfügung, als für die Erfüllung der Liquiditätsbedürfnisse von Banken notwendig wäre. Die Überschussliquidität liegt deshalb aktuell bei knapp 600 Milliarden Euro.

Der strukturelle Liquiditätsbedarf ist aber weiterhin der Ansatzpunkt unserer Geldpolitik. Zur Erfüllung unseres Mandats, für Preisniveaustabilität zu sorgen, ist die Bankenrefinanzierung daher besonders wichtig. Preisniveaustabilität unterstützt langfristig wirtschaftliche Stabilität, Wachstum und Beschäftigung. Das Bankensystem und seine Aufgaben sind für Zentralbanken kein Selbstzweck, sie sind gegebene Strukturen für die geldpolitische Transmission.

Die spannende Frage dabei ist, wie sich der kurzfristige geldpolitische Impuls der Zentralbank auf die langfristige Kreditvergabe der Banken auswirkt und wie damit das Wirtschaftswachstum und letztlich die Preisniveaustabilität beeinflusst werden kann. Jahrzehntelang hat das anscheinend ganz gut funktioniert. Doch seit den 1990er Jahren hat es Entwicklungen gegeben, wodurch an den bestehenden Mechanismus grundsätzliche Fragen aufgeworfen werden.

In den 1980er Jahren schien einigen Banken das klassische Bankgeschäft im Hinblick auf die Erträge nicht mehr auszureichen. Man erwartete dauerhaft niedrigere Margen und sah die Zukunft vor allem im Eigenhandel. In den 1990er Jahren begann zudem auch in Deutschland eine schrittweise Deregulierung der Finanzmärkte. Diese erlaubte es den Banken, das Spektrum ihrer Geschäfte auszuweiten und teils zu verschieben. Insbesondere große Banken stiegen, dem internationalen Trend folgend, ins Investmentbanking ein und führten zunehmend komplexe und umfangreiche Kapitalmarktoperationen durch.

Die 1990er und 2000er Jahre waren für viele Banken eine Phase außerordentlichen Wachstums. Dieses beruhte neben der Deregulierung auch auf einer zunehmenden internationalen und europäischen Verflechtung der Finanzmärkte. So wie einige Banken ihre Geschäfte in den Kapitalmarkt hinein expandierten, so refinanzierten sie sich auch in zunehmendem Maße an diesem Markt. Deutsche Banken emittierten seit Mitte der 1990er Jahre zunehmend Schuldverschreibungen, später dann auch Verbriefungen. Die Bankschuldverschreibungen waren oftmals unbesichert.

Finanzkrise und Bankenrefinanzierung

Mit Zunahme dieser marktbasierten Refinanzierung sank bei einigen großen Banken in der Folge die relative Bedeutung der klassischen Refinanzierung durch Depositen und Eigenkapital. Stattdessen wuchs die Abhängigkeit vom Geld- und Kapitalmarkt. Die Zentralbankrefinanzierung machte bei den meisten Banken nur einen relativ geringen Anteil ihres Refinanzierungsmixes aus, denn ihren Liquiditätsbedarf konnten sie problemlos am Interbankenmarkt decken.

Im Sommer 2007 griff dann die Subprime-Krise auch auf den Euro-Geldmarkt über. Für die deutschen Banken wurde es spürbar teurer, sich über den Interbanken- und Kapitalmarkt zu refinanzieren. Die Lehman-Insolvenz im Herbst 2008 verstärkte diese Entwicklung. Mit steigender Risikowahrnehmung lösten besicherte die bisher unbesicherten Interbankengeschäfte ab. Der Interbanken-Geldmarkt trocknete in der Folge de facto aus. Die Liquiditätsumverteilung unter den Banken fand aufgrund des allgemeinen Vertrauensverlustes nicht mehr statt. Das Eurosystem intervenierte im Herbst 2008, indem es - neben Leitzinssenkungen und weiteren Maßnahmen - zum Mengentender mit Vollzuteilung überging. Damit nahm das Eurosystem eine zentrale Intermediationsrolle ein.

Als sich die Finanzkrise zu einer europäischen Staatsschuldenkrise wandelte, stellte das Eurosystem zum Jahreswechsel 2011/2012 mittels zwei Dreijahrestendern rund eine Billion Euro bereit - eine rekordhohe und rekordlange Bereitstellung von Zentralbankliquidität, welche die im Bankensystem ohnehin schon reichlich vorhandene Überschussliquidität noch weiter erhöhte. In 2014 beschloss das Eurosystem zudem, die Kreditvergabe an den realwirtschaftlichen Sektor im Euroraum mit gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäften zu unterstützen.

Europas Banken können sich seither sehr günstig refinanzieren. In Deutschland sinkt das Emissionsvolumen von Schuldverschreibungen im Trend bereits seit dem Jahrtausendwechsel - und das auch nach 2008, als der Verbriefungsmarkt als alternative Marktrefinanzierung praktisch weggefallen ist. Bankschuldverschreibungen und Pfandbriefe nehmen bei der Refinanzierung eine immer geringere Rolle eine. Neben der Refinanzierung durch die Zentralbank wächst nun wieder die Bedeutung privater Depositen.

Hier ist zu fragen, ob wir wieder auf dem Weg zurück in eine von Kundeneinlagen dominierte Welt wie in den 1960er Jahren sind? Einige Gründe sprechen dagegen:

- Erstens: Die kapitalmarktfinanzierte Finanzhausse bis zur Krise beruhte auf Produktinnovationen, die sich heute nicht mehr aus den Märkten verbannen lassen und die oft ja auch sehr nützlich sind.

- Zweitens war die Deregulierung seit den 1980er Jahren auch Folge allgemeinen Klagens aus Teilen des Kreditgewerbes, das damals schon im klassischen Zinsmargengeschäft keine Zukunft mehr sah. Hier ist zu fragen ob das Zinsmargengeschäft heute wieder attraktiv ist für Banken?

- Drittens gibt es berechtigte Diskussionen, wie die Zukunft des Bankensektors überhaupt aussehen kann, angesichts der strukturellen und technischen Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte.

Das Eurosystem mit seiner gemeinsamen Geldpolitik ist sich der Bedeutung bewusst, die das Bankensystem für die Realwirtschaft hat. Zahlreiche Stützungsmaßnahmen des Eurosystems sollen die Kreditvergabe im Euro-Raum fördern. Die Ankaufprogramme für gedeckte Schuldverschreibungen und ABS zielen dabei auf zwei Märkte die für die Refinanzierung der Banken bedeutend sind. Allerdings sind auch die begebenden Banken schon aus Eigeninteresse in der Pflicht, für ein Funktionieren dieser Märkte zu sorgen. Sie sind sowohl Käufer wie Verkäufer dieser Schuldverschreibungen.

Liquiditätspolitik und Fragmentierung in der EU

Mit Blick auf die Entwicklung in der Währungsunion sind drei Phasen signifikant: Zunächst bis kurz vor der Währungsunion mit erheblichen Zinsdifferenzen, dann im sogenannten "Euro-Honeymoon" mit massiv konvergierenden Zinsen und in der Finanz- und Staatsschuldenkrise mit einer dramatischen Zinsdivergenz und Fragmentierung der Märkte.

Die Zinskonvergenz im "Euro-Honeymoon" von 1999 bis 2007 lässt sich so lesen, dass die Märkte die Währungsunion in ihren Anfangsjahren als Kapitalmarktunion interpretierten. Geld- und Kapitalmärkte verflochten sich. Die konvergenten Zinsen bedeuteten, dass man Länderrisiken unterschätzte oder ausblendete.

Die Finanzkrise begann 2007/2008 zunächst in den USA. Als sie Europa und den Euro-Raum erreichte, deutete man sie zunächst als gesamteuropäisches Phänomen. Doch die Probleme wuchsen sich zu einer Staatsschuldenkrise einiger Mitgliedsländer der Währungsunion aus. Ab etwa 2010 preisten die Marktteilnehmer in Europa Kontrahenten- und Länderrisiken wieder ein, aber dies in einer ebenso abrupten wie teils überzogenen Gegenreaktion. Die Renditen strebten gefährlich auseinander. Dabei bildeten sich Fraktionen, und zwar innerhalb des Bankensystems, aber auch geografisch: zwischen den Staaten des Südens und denen des Nordens der Währungsgemeinschaft.

Die Märkte haben sich fragmentiert. Entlang der Staatsgrenzen haben sich Gruppen gebildet. Einigen Banken fließen Einlagen zu. Sie liegen vor allem in den nördlichen Euro-Ländern. Andernorts werden Einlagen abgezogen. Diese Banken liegen häufig in südlichen Euro-Staaten. Auf die Probleme der Finanzkrise hat das Eurosystem mit einer sehr expansiven Geldpolitik reagiert. Die reichliche Liquiditätsversorgung ist eine Nebenwirkung dieser Krisen-Geldpolitik. Damit geht auch das anhaltende Niedrigzinsumfeld einher. In dieser Umwelt fällt es vielen Banken nicht leicht, ausreichend Erträge zu erwirtschaften und sich zu konsolidieren. Für die Geldpolitik ist dennoch eine weitere Perspektive geboten: Sie zielt am Ende auf die realwirtschaftliche Entwicklung und sie muss die Preisniveaustabilität im Auge haben.

Im Euro-Raum kann es sein, dass wir in einer historischen Sondersituation sind. Bei den zahlreichen deflatorischen Finanzkrisen des 19. Jahrhunderts fand man in deutschsprachigen Zeitungen die Floskel: "Der Credit ist aus dem Markt." Damals verwendete man "Credit" noch im klassischen Wortsinn und zwar für "allgemeines Vertrauen". Die letzte große historische Deflationskrise war die Weltwirtschaftskrise ab 1929. Die ökonomische Analyse der damaligen Krisenursachen ist für alle modernen geldpolitischen Strömungen grundlegend. Vor allem US-amerikanische Forscher und Geldpolitiker haben als eine der wesentlichen Ursachen für die Schwere der damaligen Krise eine unkoordinierte, fehlorientierte Geld- und Währungspolitik durch die Zentralbanken und insbesondere durch das Federal Reserve System ausgemacht.

Im Jahr 2008 wollten die Zentralbanken die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, als zunächst in den USA und im Vereinigten Königreich, später dann im Euro-Raum "der Credit aus dem Markt" ging. Weltweit fluteten wichtige Zentralbanken mit vielfältigen Maßnahmen die Märkte mit Liquidität. Das Eurosystem war mit Quantitative-Easing-Maßnahmen zunächst zögerlicher, intervenierte in der Folge aber auch mit Ankäufen von Staatsanleihen und gedeckten Bankschuldverschreibungen.

Insbesondere aus dem angelsächsischen Raum wurden oftmals immer schnellere und massivere Liquiditätsinterventionen gefordert. Der Euro-Raum aber ist politisch und ökonomisch etwas historisch Einzigartiges. Es handelt sich um einen Binnenmarkt souveräner Staaten mit einer gemeinsamen Währung. Im "Euro-Honeymoon" bis 2008 interpretierten die Märkte dieses Gebilde wie einen Bundesstaat. Als ihnen 2010 klar wurde, dass die Euro-Staaten tatsächlich noch immer souverän sind, wurde der Euro-Raum fraktioniert. Genau genommen ging "der Credit" dabei nicht allgemein aus dem Markt, sondern er differenzierte sich entlang der Nationalgrenzen aus.

Es wird nun spannend sein zu sehen, wie die Liquiditätspolitik des Eurosystems in einer fragmentierten Euro-Bankenlandschaft wirken wird. Einige Banken in Europa, darunter auch deutsche Banken, sind bekanntlich auf die Zusatzliquidität des Eurosystems nicht angewiesen. Andere Banken können ohne Zentralbankrefinanzierung zurzeit jedoch nicht auskommen. Grundsätzlich können die zahlreichen Maßnahmen des Eurosystems diesen Banken helfen, ihre Bilanzen und Geschäftsmodelle anzupassen. Sie könnten sich stabilisieren und durch das zurückkehrende Vertrauen würde sich die Fragmentierung lösen.

Bisher scheint man hier nicht hinreichend vorangekommen zu sein und es gibt Grenzen für die Geldpolitik. Für den gemeinsamen Markt und erst recht für eine Währungsunion ist aber ein integrierter Geld- und Kapitalmarkt essenziell. Strukturelle Reformen wie eine Banken- oder die Kapitalmarktunion sind dafür hilfreich. Aber vor allem muss "der Credit" als allgemeines Vertrauen wiederkehren, nicht nur als Partial- oder Gruppenvertrauen. Es muss am Ende auch gelingen, die Fragmentierung und Renationalisierung zu überwinden. Dies ist auch für das Funktionieren der einheitlichen Geldpolitik im Euro-Raum essenziell.

Folgende Indikatoren wären hierfür ein gutes Zeichen:

- die akute kriseninduzierte Divergenz muss gestoppt werden,

- der Geld- und Interbankenmarkt muss sich wiederbeleben und

- die Target-2-Salden müssen weiter sinken.

Institutionell hat sich inzwischen einiges getan. Bankenunion und Kapitalmarktunion sind wichtige Bausteine für eine vertiefte Integration des Bankensystems. Die einheitliche Bankenaufsicht und der Bankenabwicklungsmechanismus sind bereits in den meisten Euro-Staaten realisiert. Sie schaffen einen wichtigen Rahmen für einen soliden Finanzsektor.

Das Comprehensive Assessment der EZB von 2014 konnte zudem zu einer höheren Transparenz und Vergleichbarkeit der Bankbilanzen der größten Banken des Euro-Raums beitragen. Auch neue bankenregulatorische Vorschriften werden sich darauf auswirken, nach welchen Strategien sich Kreditinstitute künftig refinanzieren. Die vom Basel-III-Akkord vorgeschriebenen Liquiditätskennziffern, darunter die Mindestliquiditätsquote LCR und die strukturelle Liquiditätsquote NSFR, zielen letztlich auf eine Renaissance des Bankenkerngeschäfts: Sie werten die Bedeutung von Privatkundeneinlagen auf, und eine nachhaltige Fristenstruktur erlangt wieder eine höhere Bedeutung. Ergänzend wird auch die Qualität und Quantität des Eigenkapitals gestärkt.

Aber auch hier gilt, dass das "New Normal" nicht das alte sein wird. Denn unser Wirtschaftssystem hat sich auch während der Krise dramatisch weiterentwickelt, globalisiert und vernetzt. Was könnte das für das Bankwesen der Zukunft bedeuten? Und welche Rolle werden Zentralbanken darin einnehmen? Letztlich müssen Banken im Euro-Raum krisenfest aufgestellt sein, um nicht Belastungs- sondern Wachstumsfaktoren der Volkswirtschaft zu sein.

Langfristige Trends und Herausforderungen

Das Eurosystem ist mit seinen Krisenmaßnahmen bis in den Grenzbereich seines Mandats gegangen. Allen Marktakteuren muss klar sein, dass es keine dauerhafte Abhängigkeit von der Zentralbankfinanzierung geben darf. Diese darf und wird nur temporär sein. Sollte in der Krise die Risikosensibilität gestärkt worden sein, was Liquidität und Kontrahentenausfall angeht, und sollten Kapitalmarktinstrumente künftig risikoadäquater bepreist werden, wäre auch die Rückkehr zur geldpolitischen Normalität erleichtert.

Das Standardarrangement in den modernen Finanzsystemen ist heute typischerweise zweistufig aufgebaut: aus einem privaten Bankensystem, das Giralgeld erzeugt und einer staatlichen Zentralbank, die Zentralbankgeld bereitstellt. Die Geschäftsbanken müssen sich zu einem gewissen Teil bei der Zentralbank refinanzieren. Dieses Arrangement ist, je nach Land, kaum 200 Jahre alt. Es hat lange gute Zeiten erlebt, aber auch, wie jüngst, massive Krisen durchgemacht; und es ist niemals unumstritten gewesen. Wie sich das zweistufige Finanzsystem künftig entwickeln wird, wird sowohl von marktimmanenten Trends als auch von der politischen Willensbildung beeinflusst.

Dabei ist die Refinanzierung Dreh- und Angelpunkt der Konzepte. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung von Banken verschiebt sich. Unternehmen finanzieren sich immer weniger bankbasiert. Stattdessen haben sich neue Formen der Finanzierung herausgebildet. Hierzu zählen verschiedene Modelle der Direktfinanzierung. Alternative Handelsplattformen etablieren sich und Unternehmen begeben direkt am Kapitalmarkt Anleihen. Diese Refinanzierungsform war nie günstiger als heute. Darüber hinaus wird der Sektor der sogenannten Schattenbanken immer relevanter.

Auch die Regulatorik gestaltet den Umbau der Finanzwelt weiter mit. Das führt zu der Frage: Welche Aufgaben sollen Banken künftig erfüllen? Welchen Anteil an der volkswirtschaftlichen Liquiditätsversorgung werden sie haben? Einzelne Banken strukturieren ihre Geschäftsfelder um und Bankbilanzen schrumpfen. Auf dem Geldmarkt werden sich kaum die Verhältnisse der Vorkrisenzeit wiederherstellen. Großvolumige unbesicherte Transaktionen scheinen einstweilen nicht mehr denkbar. Schließlich stellt sich die Frage, wann wir als Zentralbanker wieder von geldpolitischer Normalität sprechen können und wie diese aussehen wird.

Der Autor

Dr. Joachim Nagel Mitglied des Vorstands, Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main

Dr. Joachim Nagel , Präsident , Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main

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