BAUSPAREN UND BAUSPARKASSEN 2021

ZINSAUSBLICK FÜR DEN EURORAUM: RENDITEANSTIEG JA, LEITZINSANHEBUNG NEIN

Dr. Klaus Bauknecht, Foto: KB Deutsche Industriebank

Quo vadis, Geldpolitik? Selten war diese Frage wohl so spannend und zugleich mit derart vielen Unsicherheiten behaftet wie momentan. Die sich vielerorts nach einem Jahr Pandemie abzeichnende Konjunkturerholung gepaart mit gestiegenen Inflationserwartungen sprechen eigentlich für einen zeitnahen Einstieg in den Ausstieg aus der Krisenpolitik. Doch gerade im Fall der EZB sind die Vorzeichen kompliziert: So hat sich deren Reaktionsfunktion in den vergangenen Jahren doch deutlich verändert und der Zusammenhalt des Währungsraums könnte im Zweifelsfall wichtiger sein als das Inflationsmandat. Der Autor diskutiert im vorliegenden Beitrag die wahrscheinlichsten Szenarien für die Geldpolitik im Euroraum. Red.

Die aktuelle wirtschaftliche Lage in der Eurozone bestätigt die momentane geldpolitische Ausrichtung der EZB. Lockdown-Maßnahmen belasten zunehmend die Konjunktur, noch bleibt die Inflationsrate aber relativ moderat, die Schuldenquoten steigen hingegen weiter an, was als Belastungsfaktor für eine nachhaltige Erholung im Euroraum gesehen wird.

Geldpolitik - getrieben von Zukunftserwartungen

EZB-Bilanzausweitung, vor allem durch das PEPP-Programm, scheint deshalb angebracht und sichert Bundrenditen auf anhaltend niedrigem Krisenniveau. Allerdings wird die Geldpolitik nicht von aktuellen, sondern von zukünftigen Erwartungen getrieben. Wie sehen Konjunktur und Inflation in 12 bis 18 Monaten aus - vor allem im Vergleich zur aktuellen Situation?

Dämpfen in diesem Zusammenhang die hohen Schulden die Wachstumsdynamik, was noch auf Jahre einen Leitzins von 0 Prozent bedeuten würde? Wieviel Spielraum hat die EZB überhaupt, nicht nur ihr Aufkaufprogramm zu beenden, sondern perspektivisch auch ihre Bilanz zurückzufahren sowie eine Abkehr von negativen Einlagenzinsen einzuleiten?

Abnehmende Konjunkturrisiken

Die enorme Unsicherheit über die zukünftigen Entwicklungen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Konjunkturrisiken zunehmend abnehmen. Die globale Verbreitung von Impfungen sollte eine deutliche konjunkturelle Erholung bringen. Aktuell wird deshalb bereits für die zweite Jahreshälfte 2021 von einer spürbaren europäischen und globalen wirtschaftlichen Belebung ausgegangen.

Und selbst wenn sich die Impfung der Bevölkerung länger hinziehen sollte, ist von einer spürbaren Verbesserung der Wirtschaftslage spätestens im Jahr 2022 auszugehen. Da die Geldpolitik einen relativ langen Transmissionsmechanismus hat, ist es jedoch gerade der Ausblick für 2022, der nun stärker in den Fokus der Notenbank rücken sollte.

Auch wenn eine nachhaltig höhere Inflation von mittelfristigen Globalisierungsdynamiken und Konjunkturentwicklungen beeinflusst wird, ist dennoch eines relativ sicher: Die Inflationsrate wird sich im Verlauf von 2021 im Vergleich zum aktuellen Niveau etwas normalisieren, ebenso wie die Konjunkturaufhellung 2021/22 die Sorge vor einer anhaltenden Krise beseitigen wird.

Kaum noch Argumente für PEPP-Verlängerung ...

Insgesamt würde beides für eine Abkehr von der durch die Corona-Pandemie verursachten Krisenpolitik der EZB sprechen. Doch noch hält das aktuelle Aufkaufvolumen der EZB den Deckel auf langläufige Renditen und sichert trotz negativer Kurzfristzinsen eine relative flache Zinskurve. Mit der konjunkturellen Erholung wird jedoch der Auftrieb für das lange Ende zunehmen - eine Entwicklung, die in den USA schon deutlich erkennbar ist. Damit gewinnt das Aufkaufprogramm, mit dem die EZB versucht, die gesamte Zinskurve zu bestimmen beziehungsweise flach zu halten, zunehmend an Bedeutung. Das PEPP-Aufkaufprogramm sollte aber im März 2022 im Zuge der konjunkturellen Erholung auslaufen und die EZB hat erst jüngst bestätigt, dass sie keine Zinskurvenkontrolle verfolgt. Die Beendung des Aufkaufprogramms würde deshalb den Bundrenditen eine bedeutende Stütze nehmen und zu einer steileren Zinskurve führen - vor allem auch infolge sich normalisierender Erwartungen.

Auch wenn die EZB kurzfristig das PEPP Programm nutzen will, um Renditen zu drücken, so gibt es bei einer Normalisierung von Konjunktur und Inflation kaum noch Argumente für eine Ausweitung des PEPP-Aufkaufprogramms. Dies gilt vor allem für das Jahr 2022, für das nicht nur eine Normalisierung, sondern eine deutliche konjunkturelle Beschleunigung erwartet wird. Auch eine mögliche Anpassung des Inflationsziels infolge der strategischen Überprüfung der EZB-Geldpolitik würde an der notwendigen Abkehr von der extremen Krisenpolitik nichts ändern.

... ganz anders sieht es beim Leitzins aus

Sicherlich mag darauf verwiesen werden, dass das Inflationsniveau weiterhin relativ niedrig ist (siehe Abbildung 1); ein nachhaltiger Anstieg wird auch im Jahr 2022 nicht klar erkennbar sein. Zudem können die Schuldenquoten der Euroländer die konjunkturelle Erholung dämpfen. Die EZB wird deshalb weiterhin viele Gründe finden, warum eine Abkehr von negativen Einlagenzinsen oder ein Schrumpfen ihrer Bilanz noch für die nächste Jahre nicht zu erwarten ist. Das kurze Ende der Zinskurve wird deshalb weiterhin Druck auf langläufige Renditen ausüben. So bleibt die Null-Prozent-Zinspolitik noch über Jahre eine berechenbare Einflussgröße für die Kapitalmärkte.

Die Glaubwürdigkeit der EZB könnte allerdings zunehmend schwinden. Insbesondere dürfte die Argumentation, die EZB steuere die Geldpolitik allein aus der Inflationsperspektive, infolge der erwarteten makroökonomischen Entwicklungen unter Druck geraten. Die Notenbank betont zwar unermüdlich ihr Inflationsziel. Doch in den vergangenen Jahren konnte die EZB ausweichen und zwischen steigender Zinslast für Eurostaaten und höherer Inflation abwägen. Die Inflationsentwicklung der vergangenen zehn Jahre hat die Motivation der EZB nie wirklich getestet beziehungsweise hat ihren Handlungsspielraum nicht eingeengt, die Schuldentragfähigkeit von Eurostaaten durch Aufkaufprogramme und negative Zinsen sicher zu stellen.

So lag die Inflation in den vergangenen Jahren deutlich unter der Zwei-Prozent-Zielmarke. Würde die Inflationsrate in den kommenden Jahren steigen, dürfte sich dieser Freiraum einschränken. Doch was wird die Folge sein? Die Option auf steigende Leitzinsen zur Eindämmung der Inflation wird sich nur begrenzt ergeben. Denn die Schuldentragfähigkeit vieler Euroländer würde dadurch wieder infrage gestellt werden und zu Vertrauensverlust und damit erneut niedrigerem Wachstum führen, was die Zinsen wieder sinken lassen würde. Vielmehr ist von einer Anpassung des Inflationsziels auszugehen, was der EZB mehr Handlungsspielraum geben wird - auch in Phasen steigender Inflation.

Abbildung 1: Inflationsraten in der Eurozone (in Prozent, monatlich) Quelle: Eurostat

Vieles spricht für durchschnittliches Inflationsziel

Ein Inflationsziel, das den Fokus zum Beispiel auf einen Durchschnittswert und damit auf die langfristige Inflationsentwicklung legt, erscheint zunehmend wahrscheinlich, da dies selbst bei steigender Inflation zu keinem kurzfristigen Handlungsdruck auf die EZB führen würde und damit ihre Glaubwürdigkeit bewahren würde. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Inflationsrate langfristig steigen muss. Ob dies geschieht, ist vor allem eine Frage der Wachstumspolitik und damit der Möglichkeit, die Schuldenquoten in der Eurozone eher nachhaltig durch reales Wachstum zu reduzieren als durch Inflation.

Zwischen den Jahren 2015 und 2019 ist die die Schuldenquote der Eurozone um fast 9 Prozentpunkte gesunken - trotz niedriger Zinsen und damit geringem Handlungsdruck auf Eurostaaten und bei einer anhaltend niedrigen Inflation (siehe Abbildung 2). Ursache war das robuste Wirtschaftswachstum in der Eurozone.

Dass viele Euro-Volkswirtschaften langfristig nicht ausreichend wachsen werden (vor allem ohne bewusste Wachstumspolitik), um ihre Schuldentragfähigkeit ohne niedrige Zinsen zu sichern, bleibt allerdings eine begründete Sorge. Die Lösung kann in einer Neuausrichtung der europäischen Schuldenverteilung liegen, was durch die Corona-Krise möglicherweise bereits eingeleitet ist, etwa durch die großangelegte Ausgabe von EU-Anleihen. Allerdings verschieben EU-Anleihen die Schuldenlast und eliminieren sie nicht für die Mitgliedsstaaten.

Abbildung 2: Staatsschulden in der Eurozone (in Prozent zum BIP) Quelle: Eurostat; Prognose = EU-Kommission

Sinnvoll auch im Falle einer Stagflation

Langfristig können die Zinsen in der Eurozone nur steigen, wenn Inflation beziehungsweise Wachstum nachhaltig zulegen, was die Schuldenquote der Eurostaaten sinken lassen würde. Dies würde für die EZB dann keinen langfristigen Konflikt zwischen Inflationsziel und Schuldentragfähigkeit verursachen.

Doch was ist mit Stagflation, also eine höhere Inflation aufgrund von Wachstumsproblemen, die die Schuldenquoten steigen lässt? Selbst in solch einem Fall mag sich ein durchschnittliches Inflationsziel als sinnvoll erweisen, um der Notenbank unnötigen Handlungsdruck zu nehmen und die Glaubwürdigkeit dennoch nicht zu gefährden.

Die Eurozone benötigt Wachstum

Letztendlich benötigt die Eurozone allerdings Wachstum - für sinkende Schuldenquoten sowie für steigende Zinsen. Es bleibt abzuwarten, welche Richtung die europäische Wirtschaftspolitik einschlagen wird - höheres reales Wachstum durch Strukturreformen oder lieber anhaltend negative reale Zinsen. Die deutsche Zinskurve sollte bei steigenden langläufigen Renditen im Verlauf von 2021/22 steiler werden. Hier spiegelt sich aber nicht die Erwartung, dass die Konjunktur in Europa langfristig auf einem guten Weg ist. Vielmehr zeigt die Entwicklung, dass die EZB aktuell die gesamte Zinskurve bestimmt beziehungsweise manipuliert.

Mit Abklingen der Krise wird dies nachlassen beziehungsweise werden Inflationserwartungen wieder mehr Perspektive bekommen. Der perspektivische Konjunktur- und Inflationsausblick in Europa ist nicht so schlecht, wie es zehnjährige Bundrenditen aktuell signalisieren. Der Leitzins hingegen wird aufgrund der Zweifel am nachhaltigen Wirtschaftswachstum noch Jahre bei 0 Prozent verharren, was durch eine Anpassung des EZB-Inflationsziels legitimiert werden könnte.

DER AUTOR DR. KLAUS BAUKNECHT, Chefvolkswirt, IKB Deutsche Industriebank AG, Düsseldorf
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