Banking 4.0 - strategische Herausforderungen im digitalen Zeitalter

Abbildung 2: Die Bank-IT der Zukunft Quelle: Eigene Darstellung

Prof. Dr. Volker Brühl, Geschäftsführer, Center for Financial Studies, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main - Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Zukunft der Finanzindustrie? Diese Frage treibt seit geraumer Zeit alle Kreditinstitute um, unabhängig von der Größenordnung, von der zugehörigen Bankengruppe oder der strategischen Ausrichtung. Der Autor sieht die Antwort auf diese Frage in den vergangenen Jahren viel zu sehr auf die Themen Prozessautomatisierung, Kostensenkungspotenziale und Effizienzgewinne reduziert: Für die Zukunft hält er eine strategische und strukturelle Flexibilität des Geschäftsmodells für mindestens ebenso wichtig und mahnt bei den Banken an, sich innovativer, agiler und anpassungsfähiger aufzustellen als heute. Als Schlüssel auf diesem Weg identifiziert er nicht zuletzt die Informationstechnologie. Dabei sieht er es als wichtig an, die häufig über Jahrzehnte in Eigenentwicklung erstellten Kernbanksysteme durch modulare, skalierbare und offene Systeme zu ersetzen. Gerade im Tansaction Banking erwartet er rund um den Zahlungsverkehr und das Wertpapiergeschäft disruptive Veränderungen durch den Einsatz der Blockchaintechnologie. (Red.)

Kaum eine andere Industrie steht vor so nachhaltigen Herausforderungen durch die Digitalisierung wie die Finanzindustrie. Etliche Großbanken investieren zum Teil dreistellige Millionenbeträge in die Modernisierung ihrer IT-Infrastruktur. Dabei stehen die Verschlankung interner Prozesse, die Auslagerungen nicht länger zum Kerngeschäft zählender Dienste an Dritte ebenso im Fokus wie die Digitalisierung der Kundenschnittstellen durch Internetbanking, Smart Phones, Wallet Apps oder Personal Finance Tools. Junge Finanztechnologie-Unternehmen (Fintechs) setzen die etablierten Größen unter Druck mit alternativen, kostengünstigeren und innovativen Geschäftskonzepten. Andererseits positionieren sich viele Fintechs als Partner von Finanzinstituten, indem sie einzelne Elemente der Wertschöpfungskette herausbrechen und effizienter abbilden als die etablierten Banken.

Hinzu kommen die Internetkonzerne, die ihre technologische Kompetenz und ihre enorme Datenfülle über die Endkunden nutzen können, um Finanzdienstleistungen anzubieten. Bisweilen konzentrieren sich jedoch Internetkonzerne wie Google, Amazon, Facebook auf solche Finanzdienstleistungen wie zum Beispiel Payment-Lösungen, die ihnen eine Intensivierung und Vertiefung der Kundenbeziehungen ermöglichen.

Unterschiedliche Ausprägungen der vierten industriellen Revolution

Seit einigen Jahren hat sich der Begriff Industrie 4.0 etabliert, der die fortschreitende Verschmelzung von physischen und webbasierten Technologien zu intelligenten, selbstlernenden Cyber Physical Systems (CPS) umschreibt. Diese als vierte industrielle Revolution apostrophierte Entwicklung hat sehr unterschiedliche Ausprägungen und revolutioniert beispielsweise die Automatisierung der Fertigung (Smart Factories) durch Verfahren der Künstlichen Intelligenz ebenso wie die Vernetzung von Haushalten (Smart Home) oder Energienetzen (Smart Grids) bis hin zu intelligenten Fahrzeugen und Mobilitätssystemen (Smart Mobility) und Gesundheitsdienstleistungen (Smart Health).

Die eng verzahnte Kommunikation und Interaktion von Menschen, Maschinen oder Produkten und Diensten wird durch Methoden der Künstlichen Intelligenz, der virtuellen oder erweiterten Realität sowie durch moderne Sensortechnologie ermöglicht. Anders als bei der Beurteilung der industriellen Entwicklung lässt sich der Entwicklungsprozess im Banking nicht ohne Weiteres in vier Phasen einteilen, dennoch werden die Auswirkungen der Digitalisierung des Bankgeschäftes zuweilen unter dem Label "Banking 4.0" diskutiert.

Anforderungen an die Bank der Zukunft

In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, welche Auswirkungen der Digitalisierung über die inzwischen allseits bekannten und genutzten Smart Phone-Apps im Mobile Banking oder automatisierten Anlageberatungstools (sogenannte Robo Advisor) auf das Bankgeschäft der Zukunft zu erwarten sind. Viele dieser Anwendungen betreffen den B2C-Bereich und eröffnen im Retail Banking einen neuen Vertriebs- und Kommunikationskanal. Diese Apps bieten einen zeit- und ortsunabhängigen Zugang zur Bank und sorgen mithin für eine bequeme, kostengünstige und transparente Abwicklung alltäglicher Bankgeschäfte. Erschienen diese Entwicklungen noch vor wenigen Jahren aus Sicht des Kunden spektakulär, ist die Nutzung von Banking Apps längst Standard, zumal die Programmierung und Anbindung solcher Apps keine nennenswerte technologische Herausforderung darstellt. Insofern stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Digitalisierung über diese Convenience-Faktoren hinaus auf das Bankgeschäft der Zukunft haben wird.

Auch wenn sich heute nur Mutmaßungen über diese strategischen Entwicklungen anstellen lassen, so sind doch einige Trends bereits erkennbar, die das Banking der Zukunft prägen werden. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die wesentlichen Einflussfaktoren der Digitalisierung auf das Bankgeschäft der Zukunft sowie die sich daraus ergebenden Anforderungen an die technologische Infrastruktur im Banking. Häufig wird die Diskussion über die Digitalisierung in Banken auf die Themen Prozessautomatisierung und die damit einhergehenden Kostensenkungspotenziale beziehungsweise Effizienzgewinne reduziert. Dabei werden die eigentlichen Herausforderungen durch die Digitalisierung mittel- bis langfristig für die Banken darin bestehen, die Kunden mit innovativen, personalisierten und intelligenten Dienstleistungen zu versorgen und damit das herkömmliche Customer Relationship Management zu einem Smart-Banking-Ansatz weiterzuentwickeln.

Anpassungsfähigkeit des gesamten Geschäftsmodells sicherstellen

Dies wird eine deutlich höhere strategische und strukturelle Flexibilität des Geschäftsmodells erfordern, da die Banken künftig innovativer, agiler und anpassungsfähiger sein müssen als heute. Denn die Bank der Zukunft wird sich zu einer intelligenten digitalen Plattform entwickeln, auf der Kunden, Dienstleister und Produktanbieter Wertschöpfungsnetzwerke bilden. Dieser Trend zeigt sich schon heute in der Automobilindustrie oder im Maschinenbau.

Operative Effizienz: Das gegenwärtige Markt- und Wettbewerbsumfeld im Banking, welches durch Niedrigzinsen, steigende regulatorische Anforderungen sowie die digitale Revolution in allen Lebensbereichen und neue Wettbewerber (Fintechs) geprägt ist, legt die hohen Strukturkosten der meisten Banken schonungslos offen. Mit wenigen Ausnahmen sind die hohen Fixkosten im Banking ein weit verbreitetes Phänomen, das unter anderem durch ungünstige Front-to-Backoffice-Relationen und hohe Cost Income Ratios zum Ausdruck kommt. Daher arbeiten Kreditinstitute insbesondere an einer durchgehenden Digitalisierung der Geschäftsprozesse vom unmittelbaren Kundenkontakt bis hin zum Backoffice.

Diesen mit dem Schlagwort "End-to-End"-Digitalisierung bekannten Bemühungen der Banken steht jedoch in vielen Fällen eine veraltete, heterogene, durch viele Schnittstellen und Inkompatibilitäten charakterisierte IT entgegen. Denn die meisten Banken verfügen über eine IT-Landschaft, die aus einer komplexen Kombination von monolithischen Kernbanksystemen, einzelnen Modulen von Standard-ERP-Systemen und einer Vielzahl von produkt- oder prozessspezifischen Front- und Backoffice-Systemen besteht. In der Praxis ist daher ein Redesign der Kernprozesse nur mit einem erheblichen Umbau der operativen Altsysteme der Bank und entsprechend hohen Kosten verbunden. Die Folge ist häufig, dass langfristig sinnvolle strategische Investitionen in die Modernisierung der Bank-IT unterbleiben und stattdessen Maßnahmen zur kurzfristigen Optimierung unter Beibehaltung der Kernbanksysteme ergriffen werden. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass die Anpassungsfähigkeit des gesamten Geschäftsmodells der Bank eingeschränkt und damit letztlich die Wettbewerbsfähigkeit auf Sicht gefährdet wird, da sich auch im Bankgeschäft das Umfeld beschleunigt verändert.

Dies bedeutet, dass die Banken ihre häufig über Jahrzehnte in Eigenentwicklung erstellten Kernbanksysteme durch modulare, skalierbare und offene Systeme ersetzen müssen. Nur so können Kernprozesse der Bank im Front- und Backoffice-Bereich standardisiert und automatisiert werden. Gleichzeitig müssen die Banken eine digitale Plattformstrategie entwickeln, die es ihnen erlaubt, zahlreiche kundenbezogene Apps und interne Anwendungen mit einfachen Schnittstellen an das eigene Kernbanksystem anzuschließen und vor allem auch für Drittanbieter (etwa beim Vertrieb von Anlage- oder Versicherungsprodukten) zu öffnen. Cloud-Lösungen werden hier eine wichtige Rolle spielen und auch in verstärktem Maße der Einkauf von Softwaredienstleistungen im Rahmen von "Software as a Service" (SaaS)- oder "Platform as a Service" (PaaS)-Konzepten. Abbildung 2 fasst die wesentlichen Elemente einer zukunftsfähigen Bank-IT 4.0 zusammen.

Big-Data-Verfahren zur Kundensegmentierung

Der heute in den Banken zu beobachtende Transformationsprozess ist überwiegend effizienzgetrieben, um vor allem Backoffice- und Zentralfunktionen durch die Digitalisierung deutlich verschlanken zu können. Dies ist unzweifelhaft eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingung für den Erhalt, die Wiedergewinnung oder den Ausbau der eigenen Wettbewerbsfähigkeit. Denn in spätestens zehn Jahren wird in der Finanzindustrie ein branchenweiter Effizienzschub durch die Digitalisierung der Wertschöpfungsprozesse zu beobachten sein, der es zunehmend erschweren wird, durch Kostenvorteile ein Alleinstellungsmerkmal im Banking zu erzielen.

Customer Relationship Management - Smart Banking: Die Wettbewerbsintensität im Banking war noch nie so hoch. Dazu tragen nicht zuletzt die hohe Liquidität im Markt, die hohe Preis- und Konditionentransparenz durch Vergleichsportale und die niedrigen Wechselkosten für Kunden bei. Schon heute kann es sich kein Kreditinstitut mehr erlauben, seinen Kunden keinen multiplen Zugang zu den eigenen Dienstleistungen über stationären Vertrieb, Internetbanking oder Mobile Banking zu ermöglichen. Was hingegen oft fehlt, ist die intelligente Integration der unterschiedlichen Vertriebskanäle zu einem konsistenten Omni-Channel-Konzept, mit dem sich durch entsprechende Anreize die Einzelkanäle wechselseitig verstärken.

Daher wird es darauf ankommen, mithilfe von Big-Data- und Predictive Analyticsgestützten Verfahren das eigene Kundenportfolio trennschärfer zu segmentieren, die individuellen Kunden besser zu verstehen und dadurch Marketingeffektivität und -effizienz zu verbessern. Hier hinken Banken beispielsweise Unternehmen aus der Konsumgüterindustrie oder dem Einzelhandel weit hinterher. Denn neben der Auswertung des Kaufverhaltens kommen vermehrt Informationen aus unstrukturierten Daten (Textanalyse, Data Mining Tools) zum Einsatz, die zum Teil aus dem Social-Media-Verhalten der Kunden abgeleitet werden.

Darüber hinaus wird es erforderlich sein, sich über intelligente, personalisierte Dienstleistungen gegenüber den Wettbewerbern zu differenzieren. Denn der hohe Margendruck im Bankgeschäft liegt auch darin begründet, dass die meisten Finanzprodukte insbesondere im Finanzierungsbereich einen Commodity-Charakter haben, sodass der Preis die Kundenentscheidung maßgeblich beeinflusst. Auch hier können Predictive Analytics Tools helfen, Kundenbedürfnisse durch die Verknüpfung unterschiedlicher Informationsquellen früher zu erkennen und präziser einschätzen zu können. Durch die Auswertung von Social-Media-Daten lassen sich zum Beispiel Informationen über das Freizeitverhalten gewinnen und damit potenzielle Finanzierungsanlässe proaktiv beim Kunden adressieren.

Personalisierte Dienste und Konditionen über alle Vertriebskanäle hinweg

Smart Banking kann aber auch bedeuten, die Konditionen für eine Finanzierung beispielsweise einkommens- beziehungsweise bonitätsabhängig und damit risikoadäquat über die Laufzeit zu gestalten. Statt einzelne Produkte wie eine Baufinanzierung oder ein Anlageprodukt getrennt zu verkaufen, erleichtern Business Intelligence Tools die Entwicklung integrierter Finanzierungslösungen, bei denen Finanzierungsanlage- und Versicherungsprodukte kundenindividuell aufeinander abgestimmt werden und über den Lebenszyklus des Kunden in der Gewichtung variieren.

Hier liegen auch im Banking die eigentlichen Chancen durch die Digitalisierung. Diejenigen Banken, denen es am besten gelingt, personalisierte Dienste und Konditionen über alle Vertriebskanäle hinweg anzubieten, haben einen echten Wettbewerbsvorteil. Auch das Filialportfolio kann hinsichtlich Struktur, Öffnungszeiten und Layout mithilfe von Big Data optimiert werden.

Banken verfügen bereits heute über riesige Datenmengen, die oftmals unstrukturiert erhoben werden (etwa Kundenberatungsgespräche). Diese Daten können dazu dienen, mithilfe von Methoden der Künstlichen Intelligenz Muster und Abhängigkeiten im Kundenverhalten zu erkennen. Diese werden idealerweise durch ein Kernbanksystem ausgewertet, welches beispielsweise durch In-Memory-Technologien bereits für derartige Funktionalitäten ausgerichtet ist. Predictive Analytics wird also künftig auch im Retail Banking eine große Rolle spielen, um trotz standardisierter Prozesse individuelle Lösungen durch den Einsatz analytischer Algorithmen zu ermöglichen. In der Industrie spricht man heute schon von "Mass Customisation".

In der individuellen Kundenbetreuung wie zum Beispiel dem Private Banking oder dem Corporate Banking kann die Digitalisierung und der Einsatz solcher Business Intelligence Tools dazu beitragen, dass die nicht wertschöpfenden Aktivitäten in der Abwicklung von Kundentransaktionen weitgehend automatisiert werden, während die Kundenbetreuer bei der kompetenten Beratung durch intelligente Analyse-Tools unterstützt werden. Auch in der Bank der Zukunft wird es also vermehrt "Mensch-Maschine"-Systeme geben.

Wertschöpfungstiefe immer wichtiger

Strukturelle Flexibilität - Netzwerke im Banking: Viele Banken arbeiten schon seit Jahren an einer Verschlankung ihrer Wertschöpfungsketten durch Outsourcing oder Offshoring von Aktivitäten in kostengünstigere Standorte. Gegenstand sind häufig die Bereiche IT, Rechnungswesen/Controlling oder Backoffice-Funktionen im Wertpapierhandel oder in der Kreditabwicklung. Künftig wird sich das Thema Wertschöpfungstiefe wie in produzierenden Sektoren auch in Banken noch mehr stellen. Denn Banken und andere Finanzdienstleister werden sich stärker in Netzwerken organisieren, um sich in einem beschleunigten Marktumfeld rascher anpassen zu können.

Das Thema "Make or Buy" wird also auch in der Finanzindustrie an Bedeutung gewinnen, obgleich jede Auslagerung auch im Lichte der regulatorischen Rahmenbedingungen betrachtet werden muss. Jedoch wird die fortschreitende Digitalisierung der Kernprozesse auf der Basis von offenen und skalierbaren Kernbanksystemen die Voraussetzungen für Outsourcing und Offshoring wesentlich verbessern. Hier können auch die Fintechs eine wichtige Katalysatorrolle einnehmen, indem beispielsweise bestimmte Aktivitäten an Service Provider ausgelagert werden. Die Digitalisierung ist insofern ein wichtiger Enabler für die Bildung strategischer Allianzen im Finanzsektor. Je schneller und reibungsloser Prozessschritte über Schnittstellen an Kooperationspartner übertragen werden können und je geringer die Remanenzkosten bei einer möglichen Reintegration sind, umso leichter fällt die gegenwärtige Verlagerungsentscheidung.

Flexible Beschäftigungsmodelle

Dies hat auch zur Konsequenz, dass sich die Personalkostenstruktur im Banking deutlich variabilisieren muss. Auch heute schon arbeiten viele Leiharbeitskräfte oder Freelancer in Banken, die de facto Arbeiten der Stammbelegschaft substituieren. Es ist davon auszugehen, dass durch die Digitalisierung und Automatisierung nicht nur der Personalbedarf in den administrativen Funktionen deutlich abnehmen wird, sondern auch die reduzierte Stammbelegschaft durch entsprechende Beschäftigungsmodelle flexibilisiert werden muss. Was heute in weiten Teilen der Industrie selbstverständlich ist, wird künftig auch in Banken an der Tagesordnung sein.

Innovationen - Smart Technologies: Traditionell zählt der Bankensektor nicht zu den Sektoren mit einer hohen Innovationsrate. Dies ändert sich jedoch gerade durch die Distributed-Ledger- beziehungsweise Blockchaintechnologie, die seit einiger Zeit immer stärker in den Vordergrund rückt. Der den Bitcoins und den meisten anderen Kryptowährungen zugrunde liegenden Blockchaintechnologie, die auf dem Prinzip eines verteilten Hauptbuches mit Transaktionskonten (Distributed Ledger) beruht, wird das Potenzial zugeschrieben, den Finanzsektor zu revolutionieren.

Blockchain und Distributed Ledgers: Die Blockchaintechnologie wurde ursprünglich als Plattform für die Einführung von sogenannten virtuellen Währungen entwickelt. Bei Bitcoins oder anderen Kryptowährungen handelt es sich nicht um Geld, sondern um Verrechnungseinheiten, die aufgrund privatrechtlicher Vereinbarungen als Zahlungsmittel in multilateralen Verrechnungskreisen eingesetzt werden können, ohne dass es dafür einer Genehmigung der Aufsichtsbehörden bedarf. Erweiterte Dienstleistungen wie zum Beispiel die Vermittlung von An- und Verkäufen oder der Betrieb von Handelsplattformen können jedoch der Genehmigungspflicht unterliegen.

Bei Kryptowährungen werden die elektronischen Zahlungen direkt zwischen Sendern und Empfängern abgewickelt, ohne dass es eines Finanzintermediärs (zum Beispiel einer Bank) bedarf. Diese webbasierten Zahlungsverkehrssysteme verwenden Methoden der Kryptographie (Verschlüsselungstechnik), um mithilfe eines verteilten Rechnernetzwerkes (sogenannte Peer-to-Peer-Netzwerke) sicher und kostengünstig Transaktionen abwickeln zu können. Dabei besteht die Grundidee darin, dass Sender von virtuellen Geldeinheiten die jeweilige Transaktion fälschungssicher mit einem sogenannten Private Key verschlüsseln, diese aber von jedem Teilnehmer des Netzwerkes mit einem Public Key überprüft werden kann. Dennoch kann die Vertraulichkeit einzelner Transaktionsdetails sichergestellt werden, da diese nur mit dem jeweiligen Private Key des Berechtigten eingesehen werden können.

Transaction Banking vor disruptiven Veränderungen

Dabei ist die Blockchain nur eine Variante der Distributed-Ledger-Technologie. Grundsätzlich versteht man unter Distributed Ledgers verteilte Kontoführungssysteme, bei denen digitale Daten über mehrere Standorte gemeinsam genutzt und kontinuierlich synchronisiert werden. Es entsteht ein verteiltes Transaktionsregister, das eine lückenlose, unveränderliche Historie von Eigentums- und Übertragungsbeziehungen enthält. Werden die Transaktionen in miteinander verbundenen Blöcken abgebildet, spricht man von einer Blockchain.

Die Entwicklung der Distributed Ledger-Technologie befindet sich noch im Anfangsstadium, sodass man gegenwärtig das Potenzial der Technologie nur in Ansätzen erfassen kann. Es ist jedoch zu erwarten, dass vor allem transaktions- und informationsintensive Branchen durch die Anwendung von Distributed Ledgers disruptiven Veränderungen ausgesetzt sein werden. Dazu zählt der Finanzsektor und hier vor allem das Transaction Banking.

Zahlungsverkehr: Die Abwicklung des Zahlungsverkehrs in der Eurozone hat mit SEPA (Single Euro Payments Area) und dem Target-2-System erhebliche Fortschritte gebracht. Denn mit Sepa, dem einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum, wurden europaweit einheitliche Verfahren für den bargeldlosen Zahlungsverkehr eingeführt. Das Target-2-System ist das Zahlungssystem der Zentralbanken des Eurosystems für die schnelle Abwicklung von Überweisungen in Echtzeit. Dennoch werden Überweisungen der Endkunden auch innerhalb der Eurozone in der Regel erst am nächsten Bankarbeitstag valutiert. Diese Settlement-Fristen können deutlich länger werden, wenn es sich um internationale Überweisungen über das Swift-System handelt, bei denen die Zahlungen über Korrespondenzbanken abgewickelt werden.

Zahlungen direkt und in Echtzeit

Gerade der Zahlungsverkehr ist prädestiniert für die Anwendung der Distributed-Ledger-Technologie. Ähnlich wie im Bitcoinnetzwerk könnten künftig auch Zahlungen in klassischen Währungen grenzüberschreitend in nicht anonymen Peer-to-Peer-Netzwerken in Echtzeit direkt zwischen den Vertragsparteien durchgeführt werden, ohne dass es weiterer Intermediäre bedarf. Bislang benötigen selbst webbasierte Zahlungsverkehrssysteme wie Paypal immer noch Banken und Kreditkartenunternehmen als Dienstleister. Derartige "Instant Payment"-Systeme müssen jedoch nicht zwangsläufig auf der Blockchaintechnologie beruhen, sondern können durchaus auf einer weiteren Modernisierung von Target-2 und Sepa oder spezifischen transaktionsorientierten Messengerdiensten basieren.

Wertpapierdienstleistungen: Die Distributed-Ledger-Technologie kann bei den Wertpapierdienstleistungen vor allem die Nachhandelsaktivitäten revolutionieren, zu denen insbesondere Clearing und Settlement gehören. In der Eurozone wurden bereits erhebliche Effizienzgewinne mit der Einführung des Target-2-Securities (T2S) erzielt, das eine zentrale Wertpapierabwicklung in Zentralbankgeld ermöglicht. Wesentlich komplizierter bleiben grenzüberschreitende Wertpapierabwicklungen, wenn mindestens ein Transaktionspartner außerhalb der Eurozone sitzt. Dann vervielfachen sich die Schnittstellen und damit die Abwicklungszeiten zwischen den beteiligten Banken, Brokern und Zentralverwahrern. Wenn es gelingt, Wertpapiertransaktionen in einer verteilten Datenbank mithilfe kryptografischer Verfahren fälschungssicher zu übertragen, können die heute zeitintensiven Clearing- und Settlementprozesse soweit verschmelzen, dass Handel und Abwicklung nahezu in Echtzeit erfolgen können. Dies kann das heutige Geschäftsmodell der Börsen und das Verwahrgeschäft der Banken fundamental infrage stellen.

Smart Contracts: Smart Contracts stellen die digitale Abbildung vertraglicher Vereinbarungen dar, die im Distributed Ledger als ausführbare Programme kodiert sind. Diese ermöglichen die automatische Auslösung von Aktivitäten, wenn deren Ausführung an den Eintritt bestimmter vertraglicher Bedingungen geknüpft ist. Dies kann Zins- und Tilgungszahlungen ebenso betreffen wie Kaufpreisnachlässe, Gutschriften oder die automatische Anpassung von Versicherungsprämien in Abhängigkeit von der Schadenshistorie. Im Kapitalmarktgeschäft zeichnen sich erste Anwendungen im Bereich Trade Finance, Syndicated Loans und im Emissionsgeschäft ab. Im Finanzsektor bilden sich derzeit Konsortiallösungen heraus wie das 2015 in New York gegründete Konsortium R3, dem derzeit mehr als 50 Finanzinstitute angehören und das sich zum Ziel gesetzt hat, den weltweiten Standard für Distributed Ledgers im Transaction Banking zu setzen. Ähnliche Ziele verfolgt das Unternehmen Digital Asset Holdings, ebenfalls mit Sitz in New York.

Die Bank der Zukunft - ein Technologieunternehmen

Die Bank der Zukunft wird also ein Technologieunternehmen sein, das als digitale Plattform für die Produktion und Vermarktung kundenspezifischer Finanzdienstleistungen dienen wird. Methoden der Künstlichen Intelligenz werden in Kombination mit Big-Data- beziehungsweise Predictive-Analytics-Verfahren schon in wenigen Jahren unverzichtbar sein, um die jeweiligen Kunden mit den richtigen, personalisierten Finanzprodukten über virtuelle oder physische Vertriebskanäle zeit- und ortsunabhängig bedienen zu können. Dabei muss die Bank der Zukunft über eine flexible Wertschöpfungstiefe verfügen und situativ mit geeigneten Partnern strategische Allianzen eingehen können. Diese hohen Anforderungen an ein adaptives Geschäftsmodell lassen sich nur erfüllen, wenn die Banken ihre technologische Plattform radikal umbauen. Das alleine reicht aber nicht. Denn die Bank der Zukunft wird auch neue Organisations- und Führungsmodelle entwickeln müssen, um die besten Talente gewinnen und binden zu können. Wie diese aussehen könnten, sieht man heute schon bei Google oder Facebook, die hierarchische Organisationsmodelle durch flexible Clusterstrukturen ersetzen.

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