Informationseffizienz und spekulative Exzesse: Sind Kapitalmärkte heute noch durch ökonomische Theorien erklärbar?

Dr. Thomas Metzner, Dozent BWL, Internationale Berufsakademie, F + U Unternehmensgruppe gGmbH, Heidelberg

Quelle: privat

Dr. Thomas Metzner, Dozent BWL, Internationale Berufsakademie, F + U Unternehmensgruppe gGmbH, Heidelberg - Die Beobachtung makroökonomischer Zyklen gehört für die ökonomische Theorie traditionell zu den grundlegenden Ansätzen der Analyse. So hält der Autor durch die neoklassische Theorie und Behavioural Finance die Grundprinzipien des Verhaltens rational gesteuerter und psychologisch getriebener Märkte zwar für recht gut nachvollziehbar, bescheinigt beiden Ansätzen aber eine Machtlosigkeit, was die Vermeidung spekulativer Exzesse betrifft, die durch ein geldpolitisches Monopol des Staates oder von Staatengemeinschaften sowie die disziplinlose Anwendung desselbigen entsteht. Dementsprechend nüchtern fällt seine Einschätzung zur aktuellen Wirtschaftslage und dem Zustand der Wirtschaftstheorie aus. Erstere sieht er einer drohenden noch massiveren Krise ausgesetzt und für Letztere wünscht er sich eine Ergänzung be stehender psychologischer Erklärungen der Kapitalmarktentwicklung um einen neuen Ansatz. (Red.)

Die volkswirtschaftliche Entwicklung ist seit jeher durch Aufschwung- und Abschwungphasen geprägt. Alle marktwirtschaftlichen Systeme durchlaufen Wachstums- und Kontraktionsphasen, die sich teilweise überlagern jedoch periodisch wiederkehren (Clement et al., 2013, 150). Nach Auffassung der politischen Ökonomie kann diese zyklische Entwicklung durch politische Intervention kaum vermieden, jedoch in ihrer Wirkung gedämpft werden (Kittel et al., 2003; Alesina & Rosental, 1995; Kydland & Prescott, 1977, Lucas, 1972). Die Beobachtung makroökonomischer Zyklen bestätigt sich auch in der Entwicklung des S& P 500 Aktien- Charts im Zeitraum 1995 bis 2017.

Allerdings geht aus der Abbildung hervor, dass die Zyklen nicht regelmäßig verlaufen, sondern in der Vergangenheit an Intensität gewonnen haben. Verschiedene wirtschaftliche Theorien haben sich damit befasst, Kursentwicklungen vorherzusagen und damit makroökonomisch steuerbar und einzelwirtschaftlich nutzbar zu machen.

Kein regelmäßiger Verlauf

So geht die neoklassische Theorie von einem Kapitalmarktgleichgewicht bei rationalen Erwartungen resultierend aus einem linearen Zusammenhang zwischen Rendite und Risiko aus (Jansen, 2004, 406-407). Die Behavioural-Finance-Theorie zweifelt den Ansatz rationalen Verhaltens bei Informations effizienz an und vermutet ein selbstbestimmtes heuristisches Verhalten der wirt schaftlichen Akteure, das die zyklische Entwicklung hervorbringt (Subrahmanyam, 2008, 12).

1. Inwieweit sind ökonomische Theorien jedoch geeignet, die Wirtschaftsentwicklung tatsächlich zu antizipieren?

2. Können sie angesichts expandierender Kapitalmärkte noch effektiv angewandt werden?

3. Gibt es externe Kräfte, die außerhalb des Betrachtungsraums etablierter ökonomischer Modelle liegen, die Kapitalmarkttrends anfachen und verebben lassen?

4. Wie könnte somit höhere wirtschaftliche Stabilität international erreicht werden?

Mit diesen Fragen befassen sich die folgenden Abschnitte aufgrund historischer Zyklusverläufe und einer korrespondierenden Analyse ökonomischer Theoriebildung.

1952 glaubte eine Forschergruppe um Harry M. Markowitz, den Schlüssel zu sicheren Renditen auf den internationalen Kapitalmärkten gefunden zu haben. Aufgrund empirischer Beobachtungen vermutete Markowitz, dass ein proportionaler Zusammenhang zwischen der Rendite einer Geldanlage und ihrem Risiko besteht. Dieser natürliche Zusammenhang resultiere aus dem Risiko-Nutzen-Kalkül von Investoren, die bei gleicher Rendite stets eine risikoärmere Geldanlage einer risikoreicheren vorzögen. Ein risikoreicheres Wertpapier müsse somit mit einer höheren Rendite entlohnt werden, um am Markt konkurrenzfähig zu sein (Markowitz, 1952; Modigliani & Miller, 1958).

Lineare Beziehung zwischen Rendite und Risiko

Aufgrund rationalen Entscheidungsverhaltens von Anlegern weltweit und der zunehmenden Transparenz der globalen Finanzmärkte würde in immer höherem Umfang und langfristig zuverlässig eine lineare Beziehung zwischen Rendite und Risiko resultieren. Die Rendite aller Wertpapiere sei somit erklärbar aufgrund ihres idiosynkratischen Risikos gemessen an einer sicheren Investition, wie sie beispielsweise langlaufende US-Staatsanleihen darstellten. Kurzfristige Bewertungsfehler des Kapitalmarktes würden sich langfristig ausgleichen. Somit sei in Abhängigkeit von der Anlegerpräferenz eine risikoadäquate Rendite planbar (Markowitz, 1952; Modigliani & Miller, 1958). Für diese Erkenntnis erhielt Markowitz zusammen mit Merton Miller und William Sharpe 1990 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

Grundlage der klassischen Kapitalmarkttheorie ist die Annahme der Informationseffizienz (Markteffizienzhypothese): Sie geht davon aus, dass alle marktrelevanten Informationen im Markt jederzeit enthalten sind. Zwar bestehen innerhalb der Kapitalmarkttheorie Diskussionen über den Umfang der im Markt eingepreisten In formationen: So sind bei schwacher Informationseffizienz nur vergangene Kursentwicklungen, bei mittelstarker Informationseffizienz alle öffentlich verfügbaren und bei starker Informationseffizienz auch Insiderinformationen annahmegemäß bereits im Markt enthalten (Steiner & Bruns, 2011). Im Ergebnis jedoch korrespondieren die Ansätze dahingehend, dass kein Anleger durch eine Analysemethode langfristig in der Lage ist, zu überdurchschnittlichen Gewinnen zu gelangen und daher Risiko und Rendite in einer linearen Beziehung stehen.

Schwierige Einordnung der LTCM-Krise

Bereits im Jahr 1998 wurde die Gültigkeit der neoklassischen Theorie jedoch durch die LTCM-Krise infrage gestellt. Die Wirtschaftswissenschaftler Merton und Scholes, die basierend auf den Erkenntnissen der Markowitz-Theorie den Hedgefonds LTCM geführt hatten, scheiterten an der Spekulation auf sinkende Spreads zwischen der Swap Rate auf US Treasury Bonds und dem Kassakurs der Bonds, die nur mit marginalen Eigenkapitalmitteln unterlegt war. Der Hedgefonds verfügte zuletzt über ein Leverage Ratio von 31 bei bis zu 40 Prozent Jahresrendite (Bonner & Wiggin, 2004).

Aufgrund der extrem hohen internationalen Investments hatte LTCM weltweit Banken als Partner und Stillhalter für die Geschäfte gewonnen, was die Öffnung der Preisschere zwischen Spot und Terminkontrakten zunächst befeuerte. Durch eine unerwartete Krise der russischen Währung kam es jedoch zu einer verstärkten Investition in US Treasuries und damit zu einem Anstieg des Spreads. Aufgrund der resultierenden Insolvenz von LTCM wurden die Kreditverbindlichkeiten des Fonds nicht mehr bedient und somit eine Kettenreaktion auf den internationalen Finanzmärkten ausgelöst. Anleger reagierten in dieser Krisensituation entgegen der neoklassischen Theorie nicht mehr rational und gesteuert durch langfristige Erwartungen, sondern panikartig - ein fundamentaler Bruch mit den Annahmen der neoklassischen Theorie (Lowenstein, 2000; Dunbar, 2000). Dies löste die sogenannte LTCM-Krise auf den Aktienmärkten aus (siehe Abbildung).

Auch politische Ereignisse können zu außer ordentlichen Marktbewegungen führen, die durch die Kapitalmarkttheorie nicht eingepreist sind: Politik war bereits ein Auslöser der Weltwirtschaftskrise von 1929. Eine Zinserhöhung der US-Zentralbank im August 1929 war eigentlich dazu gedacht, einen überschießenden Boom zu verhindern, bewirkte aufgrund der hohen Verschuldung zahlreicher großer Markteilnehmer jedoch einen ersten Einbruch an den US-Börsen, welcher Anleger in einer überhitzten Marktsituation weiter verunsicherte. Der berühmte Babson Break, der schlagartige Aktienmarkteinbruch im Oktober 1929, wird auf eine Ansprache des Politikers Roger Babson vor der Annual National Business Conference zurückgeführt (Putnoki, 2010; Romer, 2003).

Die Markowitz-Theorie hat sich somit in der Praxis bereits vor ihrer Begründung und auch später als nicht haltbar erwiesen (Mehra 2003; Dimson et al., 2002). Sie bildet offensichtlich entscheidende psychologische Merkmale des Anlegerverhaltens - Hoffnung und Furcht - nicht ab, da sie von rationalen Investoren ausgeht. Sie vermutet aufgrund Rationalität Informationstransparenz, während in der Investmentpraxis unerwartete Volatilitätsveränderungen die Regel sind (Piotroski & Roulstone, 2004; Rudolph, 2006; Laux & Schabel, 2008).

Behavioural Finance: Finanzmärkte psychologisch erklärt

Auf die LTCM-Krise folgte bereits drei Jahre später die Spekulationsblase auf dem sogenannten "Neuen Markt". Die von den G5- Zentralbanken bereitgestellte Geldmenge war zwischen 1995 und 2000 exponentiell gewachsen (Becker, 2007). Diese Politik wurde mit einer Ankurbelung wirtschaftlichen Wachstums begründet und in der Tat schnellten die Kurse von Internet-Startups und schließlich des globalen Aktienmarktes mit einer Verzehnfachung der Indizes binnen zwei Jahren in schwindelerregende Höhen. Der Traum vieler Privatanleger vom raschen Börsenreichtum rückte damit in greifbare Nähe (Ofek & Richardson, 2003; Brunnereier & Nagel 2004). Der Dotcom-Crash im März 2000 jedoch ließ diese Erwartung schlagartig zerplatzen. Ein Panikverkauf holte die Kurse auf das Niveau von 1997 zurück (siehe Dotcom-Bubble in der Abbildung), als klar wurde, dass die überbewerteten IT-Unternehmen die aus fundamentalen Kennzahlen resultierenden Wachstums- und Renditeerwartungen nie würden erfüllen können und zahlreiche schwarze Schafe fundamentales Wachstumspotenzial nur vorgetäuscht und sich durch Börsengänge auf Kosten von Investoren ohne Insiderwissen refinanziert hatten (Demers, 2001; O'Brien & Tian, 2006).

Das völlige Aussetzen rationalen Anlegerhandelns sowohl im Boom als auch im Crash der Jahrtausendwende schwächte bei Investoren und in Wissenschaftskreisen das Vertrauen in die neoklassische Theorie weiter. Jedoch besann man sich nun auf die traditionelle Beziehung zwischen Wirtschaftswissenschaft und Psychologie: Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts hatten Gesellschaftsanalytiker und Psychologen die Beeinflussbarkeit von Individuen und Menschenmassen durch Trends belegt und damit die theoretischen Grundlagen für eine psychologische Börsentheorie geschaffen (Le-Bon, 1896; Selden, 1912).

Überreaktionen der Kapitalanleger

Tversky und Kahnemann (1974) erklärten menschliches Kalkül und Verhalten aufgrund der Orientierung an Autoritäten und Trends sowie an bislang Erlebtem und Gewohnheiten. Die rationale und risikoproportionale Nutzentheorie versagt, da Menschen sichere Zustände gegenüber Erwartungen und abstrakten Wahrscheinlichkeiten deutlich bevorzugen. Verlustrisiken werden als ernster eingestuft als Gewinnerwartungen (Kahnemann & Tversky, 1979). Gemäß der Framing-Theorie können sich Investorenerwartungen in Abhängigkeit von kürzlich realisierten Gewinnen oder Verlusten ändern: Das Sicherheitsbedürfnis der Investoren und die Sensitivität gegenüber steigender Volatilität werden stärker (Kahnemann & Tversky, 1981; Tversky & Kahnemann, 1986). An dererseits unterliegen Menschen "systemischen Vorurteilen", sie lassen sich also durch Trends lenken (Kahnemann & Tversky, 1996).

Diese grundlegenden psychologischen Erkenntnisse lassen sich auf dem Kapitalmarkt reproduzieren: Tatsächlich überreagieren Kapitalanleger an der Börse auf dramatische Marktnachrichten. Ereignisse mit Medienpräsenz werden abgespeichert und bestimmen im Weiteren die Handlungen der Marktteilnehmer mit (Wermers, 1999; De Bondt & Thaler, 1985). Der Umfang, in dem Marktteilnehmer auf schlechte oder auch gute Börsennachrichten reagieren, ist jedoch nicht vorbestimmt, sondern hängt von weiteren psychologischen Einflussfaktoren ab. So tendieren Investoren dazu Positionen, die sich im Minus befinden, zu lange zu halten, während korrespondierend zu dem von Tversky und Kahnemann postulierten Sicherheitsbedürfnis, Gewinne zu schnell mitgenommen werden (Odean, 1998).

Dieser Zusammenhang wird auch als Dispositionseffekt bezeichnet (Paesler, 2001). Hohes Vertrauen in die positive Marktentwicklung (Overconfidence) trägt umgekehrt auch dazu bei, dass Assets trotz hoher Risiken und moderater Renditeperspektiven erworben werden (Daniel et al., 1998; Camerer & Lovallo, 1999). Keynes beschrieb die so genannten Animal Spirits der Investoren: Kapitalanleger sind bereits durch geringe negative Marktnachrichten zu verunsichern und die Wiederherstellung von Vertrauen in die Marktentwicklung ist vielfach ein deutlich langwierigerer Prozess als der Marktausstieg (Overreaction) (Marchionatti, 1999; De Grauwe, 2011).

Dabei wird das Verhalten jedes einzelnen Anlegers auch davon bestimmt, was die Masse anderer Anleger entscheidet, in welchem Umfang er von diesen Entscheidungen informiert ist und sich schließlich beeinflussen lässt (Plous, 1993; Banerjee, 1992, Thaler, 1992). Marktteilnehmer lernen von den Handlungen und Erfahrungen anderer beispielsweise über die Medien (Bikchandani et al., 1998). Dabei werden wie Barberis et al. (1998) beobachten, schlechte Nachrichten grundsätzlich gegenüber positiven Nachrichten übergewichtet. Dies erklärt, warum Abwärtsbewegungen an den Börsen durch höhere Vehemenz und Volatilität gekennzeichnet sind. Damit wird die Effizienzmarkthypothese der Neoklassik erneut infrage gestellt. Eine symmetrische und damit langfristig ausgeglichene Aufwärts- und Abwärtsbewegung ist nicht feststellbar. Vielmehr dominieren heftige Aktienmarkt-Reaktionen in Crashs und zunehmend zögerliche Marktreaktionen in lang andauernden Boom-Phasen.

Kapitalmärkte als Herausforderung für die Verhaltensökonomik

Tatsächlich wurden die zitierten psychologischen Studien bereits vor der Dotcom-Krise von 2000 veröffentlicht. Gegebenenfalls waren diese für den konventionellen Anleger nicht nachvollziehbar. Allerdings warnten im Jahr 2000 auch populärwissenschaftliche Autoren sehr konkret vor Überbewertungen an den globalen Börsen. So stellt Shiller in seinem Buch Irrational Exuberance (2000) die Überbewertung an den US-Aktienmärkten im Jahr 2000 dar und geht auf die fundamentalen Probleme der Dotcom-Unternehmen und die psychologischen Faktoren ein, die zu der Überbewertung führten. Das sogenannte Shiller Cape stellt ein Risikomaß dar, welches den aktuellen Kurswert ins Verhältnis zu dem inflationsbereinigten gleitenden Durchschnitt der letzten zehn Jahre setzt. Empirische Anwendungen dieses Ratios bestätigen, dass die Kurserwartungen der vergangenen Jahre den zukünftigen Verlauf des Kurses mit bestimmen (Campbell & Shiller, 1988). Ausbrüche des Aktienkurses wie im Zeitraum 2000/01 haben somit langfristig keine Stabilität. Die breite Masse der Investoren ließ sich jedoch durch diese Warnungen nicht zu einem rechtzeitigen Ausstieg aus der Dotcom-Blase motivieren. Oder doch?

Vielleicht hat die Behavioural-Finance-Theorie durch ihre Publikationen gerade dazu beigetragen, dass Anleger an der fundamentalen Begründung explodierender Aktienrenditen zu zweifeln begannen und sich selbst sozusagen im Spiegel einer Investitionsblase erlebten. Gerade die Erkenntnisse der Verhaltensökonomik könnten somit den Crash im März 2000 mit ausgelöst haben.

Hat die Behavioural-Finance-Theorie nach ihrer Bestätigung durch die Marktpraxis im Jahr 2000 jedoch wenigstens weitere spekulative Übertreibungen an den Weltbörsen verhindern können und zur Mäßigung der Investoren beigetragen? Die internationale Kapitalmarktkrise von 2007/08, die sich seit 2002 aufbaute (siehe Abbildung), spricht gegen diese Vermutung: Um die wirtschaftlichen Folgen der Dotcom-Krise einzudämmen, senkten die Zentralbanken seit 2002 weltweit die Leitzinsen. Der US-Basiszins lag Ende 2004 bei nur noch 1 Prozent, der EZB-Leitzins bei 2 Prozent.

Dieser erneute expansive geldpolitische Schritt bewirkte in den USA stark steigende Investitionen in spekulative Sachwerte, da durch Sparanlagen kaum mehr Renditen zu erzielen waren: Der S& P 500 stieg zwischen 2002 und 2007 um beinahe 100 Prozent an. Immobilien verteuerten sich zwischen 2001 und 2006 um rund 10 Prozent pro Jahr. Das Muster, das Aktien- und Realgütermärkte zwischen 1990 und 2002 durchlaufen hatten, wiederholte sich somit auf höherem Niveau in der Periode 2002 bis 2007 (Putnoki, 2010).

Selbstverstärkender Boom

Die Verhaltensökonomik hatte das Verhalten der Marktteilnehmer somit korrekt antizipiert: Ein Boom wirkt selbstverstärkend. Anleger werden durch das Kaufverhalten einer Masse von Investoren ebenfalls zum Kauf angeregt. Diese überschießende Entwicklung musste nach der Behavioural-Finance-Theorie in einem Crash enden, sobald sich makroökonomische Rahmenbedingungen nur geringfügig änderten: Realisierte Gewinne machen Investoren vorsichtiger und sensibler gegenüber schlechten Marktnachrichten.

Die Frequenz und Vehemenz politisch induzierter Marktschocks haben sich in den vergangenen Jahrzehnten allerdings jedoch noch potenziert. Spekulative Exzesse und politische Intervention laufen den Annahmen der Kapitalmarkttheorie an Informationseffizienz und rationales Handeln zuwider: So wurde die Finanzmarktkrise von 2007/08 auch durch rapide Zinserhöhungen der US Fed und der europäischen Zentralbank ausgelöst. (Buiter, 2007; Crotty, 2009; Greenlaw, 2008). Aufgrund von Leitzinserhöhungen ab 2005 hatte die US Base Rate im Jahr 2007 ein Niveau von über 5,25 Prozent erreicht.

Darlehensfinanzierte Sachgüterinvestitionen von Privatpersonen und Banken waren so nicht mehr finanzierbar. Hochverschuldete US-Immobiliendarlehen konnten daraufhin nicht mehr bedient werden, was aufgrund der Praxis internationaler Weiterverkäufe von Darlehenspapieren auf dem Kapitalmarkt eine internationale Vertrauenskrise auslöste. Der Einbruch des US-Immobilienmarktes bewirkte einen Zusammenbruch der internationalen Kreditund Aktienmärkte in einem nie dagewesenen Umfang und Tempo (Blanchard, 2008).

Erneut hatte die Behavioural-Finance-Theorie sich bewahrheitet: Abwärtstrends fallen heftiger und volatiler aus als Aufwärtsentwicklungen und verbreiten sich rascher, was eine Anlegerpanik auslöst und systemische Krisen begünstigt.

Behavioural-Finance-Theorie als Grundlage für Wirtschaftspolitiker?

Die Behavioural-Finance-Theorie hatte die psychologischen Muster eines Aufschwingens boomender Märkte und der Vehemenz von Marktzusammenbrüchen somit mehrfach korrekt prognostiziert - aber nicht verhindern können. Ursache hierfür ist, dass psychologische Handlungsmuster einer Masse von Investoren zwar beobachtbar, jedoch nicht psychologisch steuerbar sind. Die in der Psychologie begründete Behavioural-Finance-Theorie hat somit akademischen erklärenden Wert, bietet jedoch keine Lenkungsmechanismen für Marktinteraktionen.

Wirtschaftliche Transparenz und geldpolitische Intervention allerdings wären lenkbar. In allen drei Krisen zeigt sich: Ein Überangebot an Geld, sei es in der Form von Giralgeld oder in der Form niedriger Zinsen motiviert die Investition in Sachwerte, welche dann höhere Renditen als Geldhaltung versprechen. Damit wird eine Vermögenspreisinflation befeuert (Becker, 2007). Nicht genug: Billiges Geld verbilligt Darlehenszinsen und motiviert Wirtschaftssubjekte zu exzessiver Verschuldung der Sachinvestitionen.

Diese Risiken werden auf dem Kapitalmarkt in der Form derivativer Wertpapiere ohne transparente Risiko struktur gehandelt, verschwinden somit aus den Büchern von Risikoverur sachern und werden von gutgläubigen Schuldverschreibungskäufern vielfach erneut auf Schuldenbasis erworben. Bereits übliche makroökonomische Zyklen verursachen dann den Ausfall großer Schuldnerkreise und initiieren damit systemische Risiken.

Kein Lernerfolg erkennbar

Fundamental ursächlich für das zunehmende Aufschwingen makroökonomischer Trends und systematischer Krisen ist somit nicht die Psychologie der Märkte. Vielmehr entstehen systematische Krisen aufgrund fehlender internationaler geldpolitischer Kontenance, politischer Überreaktionen und intransparenter Kapitalmärkte, welche die Verschleierung von Darlehensrisiken unter dem Argument der Risikodiversifikation ermöglichen.

Die internationale Fiskalpolitik hat bislang aus den Ursachen früherer Krisen nicht gelernt und wiederholt aktuell beide Fehler: Seit 1997 ist die Geldmenge M3 in der Eurozone kontinuierlich expandiert und lag mit 11,3 Billiarden Euro im November 2016 knapp doppelt so hoch wie im Jahr 2006 (Statista, 2017). Zugleich liegen die Leitzinsen auf einem historischen Tief von 0,00 Prozent und sind seit 2009 kontinuierlich gefallen (EZB, 2017). Massive staatliche Rettungspakete begleitet durch expansive Geldpolitik werden heute verstärkt eingesetzt, um die Wirtschaft auf Staatskosten zu sanieren und zu stabilisieren:

Zwar wird durch Regelungen wie Basel III und den neuen EU-Leitfaden zur Harmonisierung der Bankenaufsicht (EU, 2016) der Öffentlichkeit suggeriert, systemgefährdende Verschuldung des Bankensektors werde weltweit eingedämmt. Tatsächlich jedoch kauft die EZB kontinuierlich Staatsanleihen der EU-Mitgliedsstaaten auf, in dem Umfang, dass bei einer Fortsetzung dieser Politik und einer Vermeidung von Neuverschuldung die Zentralbanken der Länder binnen acht bis 14 Jahren schuldenfrei wären (Zschäpitz, 2016).

Die Schulden werden dabei freilich nicht getilgt, sondern lediglich vergemeinschaftet und so von den schwachen auf die starken Mitglieder der Gemeinschaft umgelegt - eine erneute Verschiebung und Verschleierung von Kreditrisiken. Auch die Neuverschuldung der schwachen EU-Länder und privater Banken in diesen Staaten wird dadurch nicht verringert oder gar eingestellt.

Die globale makroökonomische Politik scheint den Vernunftargumenten akademischer ökonomischer Theorien immer stärker zu entgleiten: Zwar erklären neoklassische Theorie und Behavioural Finance die Grundprinzipien des Verhaltens rational gesteuerter und psychologisch getriebener Märkte, sind jedoch machtlos, was die Vermeidung spekulativer Exzesse betrifft, die durch ein geldpolitisches Monopol des Staates oder Staatengemeinschaften und disziplinlose Anwendung desselbigen resultieren.

Neue Erklärungsansätze gesucht

Bedeutet das die schutzlose Auslieferung vor einer drohenden noch massiveren Krise? Diese Frage ist zu bejahen, wenn psychologisch fundierte Beobachtungen der Behavioural-Finance-Theorie nicht endlich im Sinne wirtschaftspolitischer Vernunft genutzt werden. Wird expansive Geldpolitik weiterhin als Instrument in einem internationalen Abwertungswettlauf benutzt, um Volkswirtschaften künstlich auf Wachstumskurs zu halten, ist die Ergänzung bestehender psychologischer Erklärungen der Kapitalmarktentwicklung um einen neuen Ansatz erforderlich.

Ein umfassendes Literaturverzeichnis ist auf der Homepage unter Eingabe von Titel und/oder Autorenname abzurufen: www.kreditwesen.de

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