Wertpapiergeschäft

Anlageberatung und Kick-Back-Rechtsprechung: keine Entwarnung

"Die Kunden müssen die wesentlichen Bestandteile einer Kapitalanlage, sämtliche Kosten und Provisionen einschließlich Rückvergütungen schnell erkennen können." So die theoretische Zielsetzung der derzeitigen Regierungskoalition im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP von 2009. Nur: Ist dieses politische Ziel nicht bereits durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes überholt? Ist der Wettlauf zwischen Judikative und Legislative bei diesem heiklen Thema nicht bereits entschieden?

Nachfolgend wird diese Frage unter dem Aspekt der Aufklärung über die Vergütung insbesondere bei der Vermittlung von Produkten des Grauen Kapitalmarkts betrachtet. Ähnlichkeiten beziehungsweise die Übertragbarkeit der Ergebnisse der nachfolgenden Überlegungen auf andere Anlageformen bis hin zu Versicherungen (insbesondere fondsgebundene Lebensversicherungen) wären nicht beabsichtigt sondern rein zufällig.

Verstoß gegen das Interessenkonfliktverbot

Kick-Back-Rechtsprechung? Was war geschehen? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in den letzten Jahren mehrfach zu der Frage Stellung genommen, ob bei der Anlageberatung und -vermittlung eine Ver pflichtung besteht, den Kunden über eventuelle Rückvergütungen (Kick-Backs) aufzuklären.

Nach einem Urteil des BGH vom 19. Dezember 2006 (Az.: XI ZR 56/05) hat eine Bank ihren Kunden, dem sie den Erwerb von Fondsanteilen empfiehlt, darüber aufzuklären, dass und in welcher Höhe sie von der Fondsgesellschaft Rückvergütungen (sogenannte "Kick-Backs") erhält.

In dem zu entscheidenden Sachverhalt hatte die Bank Investmentfondsprodukte einer konzerneigenen Kapitalanlagegesellschaft empfohlen. Hierbei verschwieg sie jedoch gegenüber dem Kunden, dass ein Teil der von der Kapitalanlagegesellschaft erhobenen Ausgabeaufschläge und Verwaltungsgebühren im Wege des "Kick-Backs" zurück an die Bank flossen. Der BGH sah darin einen Verstoß gegen das Interessenkonfliktverbot der Bank. Dieses begründe die Gefahr, dass sich die Bank nicht ausschließlich an den Interessen des Kunden orientiere und die Empfehlung daher nicht anleger- und objektgerecht sei.

Generelle Offenlegung von Innenprovisionen?

Bei Innenprovisionen ging die Rechtsprechung bislang davon aus, dass eine ungefragte Offenbarung erst ab einer Größenordnung von 15 Prozent in Betracht kommt. Da "Kick-Backs" der Sache nach ebenfalls eine besondere Form von Innenprovisionen darstellen, wurden nun Stimmen laut, welche die Rechtsprechung zur Innenprovision nach der BGH-Entscheidung als überholt ansahen.

Dem wird man in dieser Allgemeinheit nicht folgen können.

Zunächst einmal betraf die Entscheidung nur beratende Banken. Ob sie darüber hinaus auch auf freie Anlagevermittler und -berater anwendbar ist, erscheint weiterhin zweifelhaft. Denn der BGH stellte in den Entscheidungsgründen maßgeblich auf eine Verletzung des Interessenkonfliktverbots ab. Dieses Verbot ist für Banken in § 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG aber ausdrücklich normiert.

Für freie Vermittler und Berater fehlt demgegenüber (sofern sie kein Finanzdienstleistungsinstitut sind) eine entsprechende Vorschrift.

Für Vermittler scheidet eine Interessenkollision von Anfang an aus, da sie wirtschaftlich auf Seiten des Kapitalanbieters stehen und ihre Empfehlung nicht an den individuellen Interessen des Anlegers ausrichten müssen.

Unabhängige Berater sind zwar zu einer unabhängigen Bewertung der Anlageeignung und zu einer anleger- und objektgerechten Empfehlung verpflichtet. Allerdings dürfte hiermit eine Verpflichtung zu einer ungefragten Offenbarung von Innenprovisionszahlungen jedenfalls dann nicht einhergehen, wenn dem Anleger die Existenz einer solchen bekannt sein muss. Hiervon ist in der Regel auszugehen, wenn der Berater vom Anleger kein gesondertes Beratungshonorar erhält. Hier muss dem Anleger klar sein, dass der Berater vom Kapitalanbieter vergütet wird.

Anders könnte es sich hingegen ver halten, wenn der Berater vom Anleger für seine Tätigkeit eine Vergütung verlangt (Honorarberatung) oder er über die eigentliche Vermittlungsprovision des Kapitalanbieters hinaus weitere Vergütungen erhält, mit denen der Anleger nicht rechnen muss.

Generelle Aufklärungspflicht nicht für Vermittler

Der BGH hat dann in einem Beschluss vom 20. Januar 2009 (XI ZR 510/07) erneut entschieden, dass eine Bank ihrem Kunden gegenüber offen legen muss, wenn sie für die Vermittlung eines Fondsanteils Rückvergütungen (sogenannte Kick-Backs) von der Fondsgesellschaft erhält. In dem betreffenden Fall hatte eine Bank ihren Kunden in Geldanlagen beraten und ihm eine Investition in einen geschlossenen Fonds empfohlen. Das vom Anleger auf die Beteiligung zu entrichtende Agio floss hierbei aufgrund einer inter nen Vereinbarung zwischen Bank und Fondsgesellschaft an die Bank zurück. Der Anleger machte geltend, die Bank habe ihn pflichtwidrig nicht über diese Kick-Back-Zahlung aufgeklärt. Was war nun neu an der Entscheidung?

1. Zum einen stellt der BGH klar, dass eine generelle Aufklärungspflicht nur den Berater treffe, da dieser seine Empfehlung an den Interessen des Kunden auszurichten habe, sich durch die Kick-Back-Zahlung aber in einem Interessenkonflikt befinde. Demgegenüber bleibt es beim bloßen Vermittler, der im Lager des Kapitalsuchenden steht und deshalb keine anlegergerechte Empfehlung schuldet, dabei, dass über Innenprovisionen ungefragt erst ab einer Höhe von 15 Prozent aufzuklären ist.

2. Weiter stellte der BGH klar, dass es nicht darauf ankommt, um was für eine Kapitalanlage es sich handelt. Für Berater greife die Offenlegungspflicht vielmehr für alle Arten von Anlagemodellen. In der Entscheidung vom 19. Dezember 2006 hatte er diese Pflicht noch explizit aus § 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG hergeleitet. Da diese Vorschrift aber nur für Wertpapiere gilt, wurde hieraus zum Teil gefolgert, dass geschlossene Fonds und sonstige "Graumarktprodukte" nicht betroffen seien. Nunmehr stellt der BGH jedoch ausdrücklich fest, dass die Aufklärungspflicht unabhängig von der Anlageart bereits aus dem Beratungsvertrag folge.

Gleichwohl die Auffassung des BGH etwas praxisfremd wirkt, da auch dem unbedarftesten Anleger klar sein muss, dass ein Berater nicht umsonst arbeitet und abgesehen vom noch seltenen Fall einer Honorarberatung - sein Honorar zwangsläufig vom Kapitalanbieter erhalten muss, sollte sie zukünftig auch von unabhängigen Anlagevermittlern und -beratern beachtet werden. Zwar betraf die Entscheidung unmittelbar nur Banken. Da der BGH die Aufklärungspflicht allerdings allgemein an das Zustandekommen eines Beratungsvertrages knüpft, spricht einiges für eine Übertragbarkeit auch auf unabhängige Anlageberater. Da zudem der Übergang von Anlageberatung und -vermittlung fließend und in den meisten Gerichtsprozessen hoch umstritten ist, sollten auch bloße Anlagevermittler zukünftig die konkrete Höhe ihrer Provisionen ausdrücklich gegenüber dem Anleger offen legen.

Das für Kenner Irritierende der Rechtsprechung des BGH kann nicht hoch genug bewertet werden: Der BGH leitet seine Ergebnisse nicht mehr aus dem WpHG her, sondern aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz. Nämlich dem von "Treu und Glauben" innerhalb der vertraglichen Beziehung. "Treu und Glauben" lassen es nach dem BGH erforderlich wer den, dass der Kunde über eventuelle Interessenkonflikte aufgeklärt werden muss, wobei ein Interessenkonflikt eben auch in dem Erhalt von (Rück-)Vergütungen bestehen kann.

Hinweispflicht für unabhängige Vermittler noch nicht endgültig geklärt

Vor diesem Hintergrund haben die beiden maßgeblichen Vermittlerverbände AfW-Bundesverband Finanzdienstleistung e. V. und Votum sowie der VGF (Verband Geschlossene Fonds) ihre bereits 2008 erstmals veröffentlichte "Ergänzende Vermittlungsdokumentation" Ende 2009 nochmals überarbeitet.

In den Erläuterungen weisen die Verbände auf folgendes hin: "Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass das Risiko einer Haftung aufgrund fehlender Offenlegung von Rückvergütungen mit steigendem Grad an Informationstransparenz abnimmt. Mit anderen Worten, je mehr Informationen der Vermittler zu seiner Vergütung erteilt, desto geringer ist sein Haftungsrisiko."

Weiter heißt es: "Vermittler die ihre Tätigkeit auf die ausschließliche Vermittlung der Kapitalanlage beschränken und gegenüber ihren Kunden weder eine Beratung anbieten noch den diesbezüglichen Eindruck hierzu vermitteln, sondern ausdrücklich auf die Einschränkung ihrer Tätigkeit als Vermittler hinweisen, schulden grundsätzlich keinen Vergütungshinweis. Sie müssen jedoch beachten, dass sie, sofern sie Innenprovisionen von mehr als 15 Prozent vereinnahmen, aufgrund der Rechtsprechung des BGH vom 12. Februar 2004 zum Aktenzeichen III ZR 320/02 zu einer entsprechenden Aufklärung gegenüber ihren Kunden verpflichtet sind.

Ferner ist zu beachten, dass für alle Vermittler eine Aufklärungspflicht besteht, wenn für sie erkennbar ist, dass die Angaben zu den Vertriebskosten im Prospekt unrichtig beziehungsweise irreführend sind (siehe dazu auch BGH Urteil vom 22. März 2008 - Az. III ZR 218/06)."

BGH-Urteil mit langer Rückwirkung

Gegenwärtig liegt keine höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH zu einer entsprechenden Hinweispflicht für Anlageberater vor, die keine Wertpapierdienstleistungsunternehmen sind. Die obergerichtlichen Entscheidungen des OLG Celle zum Aktenzeichen 11 U 140/08 und des OLG Hamburg zum Aktenzeichen 9 U 10/09 lehnen eine entsprechende Anwendung der vorgenannten BGH- Entscheidungen auf die Beratung durch Nicht-Wertpapierdienstleistungsunternehmen ab. Eine abweichende Beurteilung dieser Rechtsfrage durch den BGH kann jedoch derzeit nicht ausgeschlossen werden. Bis zu einer endgültigen Klärung ist es nur noch eine Frage der Zeit.

Für unabhängige Vermittler ist also noch eine gewisse Chance vorhanden, dass der Kelch der Kick-Back-Orgie des BGH an ihnen vorübergeht. Was ist aber mit den Banken? Wie weit reicht die Rechtsprechung des BGH zurück? Was ist mit einer eventuellen Verjährung?

Beruhigt werden kann an dieser Stelle nicht. Der BGH hat klargestellt, dass mindestens alle Geschlossenen Fonds, die von Banken seit April 2001 (1. Kick-Back-Urteil) vermittelt wurde, auf dem Prüfstand stehen. Möglich ist aktuell gar eine längere Rückwirkung. Da insofern eine sogenannte kenntnisabhängige Verjährungsfrist gilt (drei Jahre ab Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände, maximal zehn Jahre ab Vermittlung), ist vielfach noch nicht von Verjährung auszugehen.

Dass die in diesem Zusammenhang bekannt gewordenen Entscheidungen des Landgerichts Hamburg zu dieser und der damit auch im Zusammenhang stehenden "Lehman Brothers"-Thematik keinen Bestand haben werden, bleibt zu hoffen. Im ersten Urteil des LG Hamburg vom 23. Juni 2009 (Az: 310 O 4/09) in diesem Kontext wurde eine Bank zu Schadenersatz verurteilt, da sie es pflichtwidrig unterlassen habe, den dortigen Kläger unter anderem über die Höhe der Gewinnmarge aufzuklären. Hierbei handele es sich um für die Anlageentscheidung eines Bankkunden bedeutende Umstände.

Hinsichtlich der Pflicht zur Aufklärung über die Gewinnmarge hat das Landgericht die Kick-Back-Rechtsprechung des BGH entsprechend angewandt, weil insoweit eine vergleichbare Interessenlage bestehe. In beiden Fallkonstellationen (Provisionszahlung und Gewinnmarge) gehe es darum, dass dem um Beratung nachsuchenden Bankkunden ein wirtschaftliches Eigeninteresse der Bank nicht verschwiegen werden dürfe. Weil die beklagte Bank in größerem Umfang Lehman-Zertifikate erworben hatte und nur gegen einen Abschlag an Lehman Brothers hätte zurückgeben dürfen, habe für sie ein besonderer Anreiz zur Empfehlung gerade dieses Produkts bestanden. Diese Interessenlage hätte in besonderer Weise eine Aufklärungspflicht begründet.

Wenig Optionen für Banken

Was können Banken in Hinblick auf zurückliegende Vermittlungsvorgänge tun? Die Alternativen sind begrenzt.

Entweder bei einer Inanspruchnahme Imageschaden vermeiden und akzeptable Vergleichsvorschläge anbieten

oder aber mit fundierter Rechtsvertretung jeden Einzelfall konkret betrachten und gegebenenfalls durchprozessieren.

Die Argumentation des LG Hamburg ist sicherlich in vielen Punkten angreifbar, ebenso wie auch die Argumentation des BGH nicht in allen Punkten in sich schlüssig erscheint und die Hoffnung besteht, dass es hier zu einer noch ausgewogeneren Rechtsprechung kommt.

Fazit: Es handelt sich um ein Thema, welches auch weiterhin für Schlagzeilen sorgen wird. Für die Banken kann es im Prinzip nicht schlimmer kommen, als es bereits ist. Für unabhängige Finanzdienstleister schon. Nicht durch politische Regulierungsvorhaben, sondern durch eine Rechtsprechung, die auch vor erheblichen Rückwirkungsfolgen nicht zurück scheut. Der Wettlauf zwischen Judikative und Legislative ist, was dieses Thema betrifft, jedenfalls eindeutig entschieden. Die Diskussion um das unsägliche Produktinformationsblatt, angetrieben durch Frau Ministerin Aigner und ihre Verbalattacken auf die Banken, ändern an diesem Ergebnis nichts.

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