Leitartikel

Flucht aus den Fonds

sb - Mit ihrer Zusage, niemand in Deutschland müsse um seine Spareinlagen fürchten, hat Angela Merkel im Oktober eine mögliche Panikreaktion der privaten Anleger und den massenhaften Abzug von Spargeldern verhindert, der einen System kollaps hätte bewirken können. Wie das aber dieser Tage so ist: Kaum sind an einer Stelle die Wogen geglättet, schon tut sich anderswo ein neuer Strudel auf. Und in einen solchen Strudel ist nun die Investmentbranche geraten. Der Politik ist dabei nicht unbedingt ein Vorwurf zu machen: Dass die staatliche Zusicherung sich nicht auf solche Anlagen beziehen kann, deren Risikopotenzial dem Kunden bewusst sein sollte, versteht sich von selbst. Die große Mehrheit der Wertpapieranleger besteht aber aus Menschen, die nur ein begrenztes Risiko tragen wollen. Die Neigung, sich lieber doch unter den staatlichen Schutzschirm zu drängen, auch wenn dieser de facto kaum mehr als eine politische Absichtserklärung ist, ist insofern kaum überraschend. Und mit diesem Herdentrieb wurde die Verschiebung der Assetklassen, die sich bereits im September abzeichnete, nochmals verstärkt. Hatten die Publikumsfonds in Deutschland im September schon einen Netto-Abfluss von 7,4 Milliarden Euro zu verbuchen (Aktienfonds minus zwei Milliarden Euro, Mischfonds minus 2,1 Milliarden Euro, Rentenfonds minus 2,8 Milliarden Euro und Geldmarktfonds 3,6 Milliarden Euro), so fiel der Mittelabzug im Oktober noch einmal erheblich höher aus. Aus Branchenkreisen werden Summen genannt, die ein Mehrfaches des Schwunds aus dem Vormonat betragen - obwohl selbst Finanztest in der Oktober-Ausgabe die Botschaft "Ruhe bewahren und nichts überstürzen" ausgerufen hatte.

Neben der allgemeinen Verunsicherung kamen dabei noch Sonderfaktoren zum Tragen: Meldungen über die Aussetzung der Anteilsrücknahme bei einigen Offenen Immobilienfonds verunsicherten - obwohl primär durch den Liquiditätsbedarf institutioneller Investoren induziert - auch die privaten Anleger in Publikumsfonds, die davon gar nicht betroffen waren. Und die Geldmarktfonds hatten unter der Diskussion um das Jahressteuergesetz 2009 zu leiden, das eine Verschärfung der Besteuerungsregeln für steuerorientierte Geldmarktfonds vorsieht. In der Summe darf die Flucht aus den Fonds wohl als Ausdruck des eklatanten Vertrauensverlusts gewertet werden, an der die gesamte Finanzwirtschaft derzeit so krankt. Gelernte Grundsätze, dass die Renditeerwartungen an Investmentfonds sich eben gerade langfristig durch das "Aussitzen" schwieriger Marktphasen erfüllen, geraten in diesem Kontext allzu rasch in Vergessenheit.

Die Verschiebung des privaten Geldvermögens bewegt sich eindeutig in Richtung Bankeinlagen. Grund zu Jubel über diese Entwicklung haben die Kreditinstitute gleichwohl nicht - und das nicht nur aufgrund ihrer Verflechtungen mit der Investmentbranche. Denn zum einen geht der Trend nicht erst neuerdings zu kurzfristigen Einlagen. Die Freude über den Einlagenzustrom könnte also kurz sein, die Kundenbeziehung bleibt tendenziell volatil. Zum anderen schwächt der Einbruch des Fondsgeschäfts das Provisionsgeschäft, auf das in Zeiten von Preisdruck und knappen Zinsmargen viele Hoffnungen gesetzt wurden. Der Absatzmotor "Abgeltungssteuer", für das vierte Quartal vielerorts fest eingeplant, gerät schwer ins Stottern. Beratung kann hier eventuell manches richten. Und doch ist es vielleicht nicht unbedingt ratsam, einem Kunden eine Anlage zu verkaufen, gegen die sein Empfinden sich sträubt. Geht alles gut, wird er die Beratung loben. Im umgekehrten Fall erinnert er sich an die "Überredung", und das Vertrauen ist zerstört. Der einzige Lichtblick, der sich derzeit im Fondsgeschäft zeigt, heißt Riester. Fondssparpläne mit der staatlichen Förderung werden auch in der Krise weiter nachgefragt. 2,24 Millionen Riester-Fondssparpläne verzeichnete der BVI zum Stichtag 30. September. Gegenüber dem Vorquartal ist das eine Zunahme um 5,4 Prozent. Die staatliche Zertifizierung schafft offenbar Vertrauen. Schlimm genug, dass sich ohne sie derzeit nichts verkaufen lässt. Doch immerhin hier kann also auch die Investmentbranche von Vater Staat profitieren.

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