Privatkundengeschäft

Wie das Internet das Finanzverhalten verändert

Der Mensch neigt in der Regel dazu, seinen eigenen historischen "Standort" zu überschätzen. Was heute sozial, ökonomisch und vor allen Dingen technologisch passiert, ist einmalig, war noch nie da gewesen. Ein kurzer Blick auf die Entwicklung der Auswirkungen des Internets auf das Verhalten des Menschen illustriert in beeindruckender Weise, dass bisher noch keine neue Technologie so rasant akzeptiert und adaptiert wurde wie das Internet.

In der Tat -, wir leben im tachogenen Zeitalter, in einem Zeitalter sich kontinuierlich beschleunigender Prozesse. So hat sich innerhalb eines Zeitraums von nur zehn Jahren die Zahl der Online-Nutzer in Deutschland nahezu verzehnfacht. Aktuell nutzen zwei Drittel der über 14-Jährigen regelmäßig das Internet. Besonders deutlich wird die Dramatik dieser Entwicklung bei der jungen Bevölkerung in Deutschland. Noch 1997 kamen nur drei Prozent der 14- bis 19-Jährigen mit dem Internet in Berührung. 2009 waren es 98 Prozent. Selbst bei den 50- bis 59-Jährigen liegt der Anteil der Online-Nutzer schon bei 67 Prozent. Lediglich die über 60-Jährigen zeigen sich noch weitgehend abstinent. Dass sich auch in dieser Altersgruppe das Verhalten ändern wird, lässt sich schon an der Tatsache erkennen, dass der Mensch in der Regel das gelernte Verhalten auch in das spätere Alter übernimmt. Das heißt in zehn Jahren werden etwa 80 Prozent der über 14-jährigen Bevölkerung in Deutschland regelmäßig das Internet nutzen.

Besonders auffällig sind allerdings die Unterschiede im "advanced using". Neun von zehn Jugendlichen bedienen sich regelmäßig bei Wikipedia als Informations- und Bildungsstelle. Jeder Achte der unter 20-Jährigen bloggt regelmäßig, und acht von zehn tauschen sich über private Netzwerke aus, wobei drei Viertel der Jugendlichen schon ihr eigenes Profil in das Netz gestellt haben. Auch die aktuelle Daten-schutz-Diskussion im Zusammenhang mit Facebook wird die "digital natives", also der Generation, die quasi mit dem Internet aufwächst, nicht davon abhalten, sich auch weiterhin im Netz zu offenbaren.

Das Finanzverhalten steht vor einem grundlegenden Umbruch

Das Internet bemächtigt sich aller Lebensbereiche des Menschen und damit auch des Finanzverhaltens. Noch vor zehn Jahren war das Onlinebanking eine Übung für Außenseiter. 2009 nutzten es bereits 42 Prozent.1) Extrapoliert man diese Entwicklung, werden in zehn Jahren 70 Prozent der Deutschen Onlinebanking betreiben.

Auch innerhalb der Nutzungsstrukturen des Onlinebankings erleben wir derzeit einen dramatischen Wandel. Während in der Anfangsphase die Kunden im Wesentlichen den Komfort schätzten, Überweisungen und Kontostandabfragen online durchzuführen, erweitert sich aktuell das Onlinebanking immer mehr von der reinen Transaktionszu einer Vertriebsplattform. Dies lässt sich auch daran erkennen, wie die Nutzung von Websites zur Produktrecherche eingesetzt wird. Nicht erstaunlich ist, dass die Käufe von CDs, Büchern und sonstigen Gebrauchsartikeln sowie die Buchung von Reisen über die vorherige Produktrecherche zum Beispiel über Google laufen. Dass aber bereits jeder zweite Kunde sich vorher über Google informiert, bevor er ein Finanzprodukt bei seiner Bank kauft, ist überraschend und hat enorme Auswirkungen für den Entscheidungsprozess bei der Wahl einer Bank (Abbildung 1).

Auch hier kommt man wieder zu beeindruckenden Einblicken, wenn man das Verhalten der "digital natives" analysiert. So schauen sich bereits 84 Prozent der 16-bis 21-jährigen Schüler vor der Kaufentscheidung über ein Finanzprodukt die Websites verschiedener Anbieter an. 40 Prozent gehen zudem auf neutrale Preisvergleich-Websites und 62 Prozent informieren sich über ihre sozialen Netzwerke, welcher Anbieter bei welchem Produkt die besten Leistungen bietet. Das heißt, vor dem eigentlichen Abschluss werden von den Heranwachsenden beziehungsweise jungen Erwachsenen zumindest zwei scheinbar neutrale Informationsquellen genutzt, ehe man sich dann für eine Bank entscheidet. Dass das nicht unbedingt die Bank zu sein braucht, bei der man zum Beispiel das Girokonto hat oder die einem die Eltern nahegelegt haben, liegt auf der Hand.

Discounting im Retailbanking wird weiter zunehmen

Es ist abzusehen, dass bei dem wahrscheinlichen Fortgang dieser Entwicklung das Verhalten der Kunden immer unberechenbarer und auch das Discounting im Retailbanking weiter zunehmen wird. Denn das maßgebliche Unterscheidungskriterium bei der Wahl für oder gegen eine Bank ist aus der Sicht der Kunden der Preis zumal ein Großteil der Kunden davon ausgeht, dass die Leistungen und damit auch die Qualitätsunterschiede zwischen den Banken weitgehend austauschbar sind.

Der Blick über den Tellerrand auf das Retailgeschäft im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland illustriert dabei, dass die die Discounter mittlerweile einen Marktanteil von über 40 Prozent erreicht haben. Dies geht natürlich zulasten der klassischen Betriebsformen des Einzelhandels wie zum Beispiel der Kaufhaus-Warenhäuser, der klassischen Supermärkte und der SB-Warenhäuser. Wenn sich diese Entwicklung auf das Retailbanking übertragen ließe, ständen die Matadore im Privatkundengeschäft, also die Universalisten wie Sparkassen und Genossenschaftsbanken, vor sehr großen Herausforderungen.

Aktuell sind bei der Informationssuche über das Internet zwei Trends auszumachen. Zum einen ist im Nachgang zur Finanzkrise deutlich geworden, dass Finanzthemen generell sehr stark an Aktualität verlieren. Über den Google-Dienst "Insights for Search" lässt sich sehr gut ablesen, dass Themenbereiche wie Girokonto, Altersvorsorge, Riesterrente, Sparbuch, Baufinanzierung, Fonds und andere deutlich weniger gesucht werden (Abbildung 2), während Tagesgeld, Privatkredit, Staats- und Unternehmensanleihen mehr in den Fokus rücken.

Es bleibt nach den Virulenzen der Finanzkrise offenbar doch nicht alles beim Alten. Einstellungen und Verhalten ändern sich. Das Internet hilft den Kunden, ihren Informationsstand und ihre Kompetenz zu verbessern und sich damit immer mehr gegenüber den Geldinstituten zu emanzipieren.

Online-Suche auch zu beratungsintensiven Produkten

Der zweite Trend bezieht sich darauf, dass sich die Informationssuche bei Finanzdienstleistungen nicht nur auf Standardprodukte beschränkt, sondern auch zunehmend beratungsintensive Produkte betrifft. Zwar beeinflusst die Produktkomplexität das Verhalten, über welchen Vertriebsweg abgeschlossen wird, aber nicht grundsätzlich die Informationssuche über das Netz. So wird zunehmend erkennbar, dass auch der Online-Research vor dem Abschluss von beratungsintensiven Finanzdienstleistungen wie Altersvorsorge, Baufinanzierung und Vermögensanlagen immer mehr die Regel wird. Das heißt auch bei diesen Leistungsfeldern kann die Entscheidung zugunsten oder zulasten eines Anbieters fallen, bevor der Kunde überhaupt mit dem entsprechenden Geldinstitut Kontakt aufgenommen hat.

Neugeschäft geht immer mehr online

Natürlich müssen diese Trends im Suchverhalten auch konkrete Auswirkungen darauf haben, über welche Vertriebskanäle ein Finanzprodukt gekauft beziehungsweise abgeschlossen wird. Sehr bemerkenswerte Einblicke verschafft hier die Finanzmarktforschung der GfK Nürnberg, die über ihr Finanzmarktpanel in der Lage ist, das aktuelle Finanzverhalten nach den zentralen Vertriebswegen zu analysieren und regelmäßig zu reporten. Bereits seit 2004 untersucht die GfK, wie viel Prozent des Neugeschäfts bei zentralen Finanzdienstleistungen online abgeschlossen wurde (Abbildung 3). So hat sich der Anteil an Online-Neugeschäften seit 2004 mehr als verdoppelt. Seit 2005 bewegen sich die jährlichen Zuwachsraten zwischen 20 und 30 Prozent. 2009 wurden bereits elf Prozent des Neugeschäfts von zentralen Finanzdienstleist ungen online abgeschlossen. Was aufgrund des Suchverhaltens im Netz zu erwarten war, ist tatsächlich zur Realität geworden: Auch das Neugeschäft geht immer mehr online.

Analysiert man die Produktbereiche, die vorrangig online abgeschlossen werden, sind zwei Dimensionen für die Online-Abschlusspräferenz auszumachen. Das Finanzprodukt muss einfach sein und der Preis spielt als Abschlusskriterium eine maßgebliche Rolle. Für drei Finanzprodukte treffen diese Voraussetzungen zu. Ein Drittel des Online-Neugeschäfts lief 2009 allein über das Tagesgeld beziehungsweise Festgeld (Abbildung 4),16 Prozent aller online abgeschlossenen Leistungen bezogen sich auf Kfz-Versicherungen und jedes zehnte Neugeschäft betraf das Girokonto.

Das heißt bei diesen Produktkategorien forciert das Internet die Intensität des Wettbewerbs. Immer härter wird dabei auch der Kampf um das Girokonto. Hier wird mit allen Bandagen gekämpft, denn wer das Girokonto des Kunden hat, hat den Schlüssel für den Ausbau der Kundenbeziehung und eine deutlich verbesserte Plattform für das Cross-Selling. Allerdings wird sich der Online-Abschluss in Zukunft nicht auf diese drei Produktkategorien beschränken. Erkennbar wird, dass auch Passivprodukte wie Sparanlagen, der Privatkredit, die Baufinanzierung und auch andere "einfache" Versicherungsprodukte wie die Privathaftpflicht- und die Hausratversicherung für den Kunden zunehmend online-abschlussfähig werden.

Zurückhaltung im Online-Vertrieb ist riskant

In der Differenzierung der Online-Abschlüsse nach Instituten wird deutlich, welche Banken bei diesem neuen Vertriebsweg vorne liegen (Abbildung 5). Naturgemäß sind es in erster Linie die Direktbanken, hier in starker Ausprägung die ING-Diba, sowie die Deutsche Bank und die Postbank, die bereits heute einen beträchtlichen Anteil ihres Neugeschäfts über den Vertriebsweg Internet realisieren. Auf der anderen Seite halten sich die großen "Filialisten" wie die Sparkassen und die Genossenschaftsbanken bei diesem Vertriebsweg noch deutlich zurück, weil die Substitutions-Effekte zu den klassischen Vertriebswegen groß und die personellen und organisatorischen Konflikte zwischen stationärem und medialen Vertrieb noch zu lösen sind.

Die Frage ist, ob man sich diese Zurückhaltung auch in Zukunft erlauben kann. Die Vermutung ist: Eindeutig nein. Denn dass - bei steigenden Stückzahlen - die wertmäßigen Auswirkungen der Online-Abschlüsse auf das Geschäftsvolumen noch relativ gering sind, liegt schlicht daran, dass die extrem online-affine junge Generation noch nicht über die finanziellen Mittel verfügt, um maßgeblich in den Marktverteilungsprozess eingreifen zu können. Das wird sich innerhalb der nächsten zehn Jahre ändern, zumal auch die vermögenden Privatkunden zu den Kundengruppen gehören, die eine überdurchschnittlich hohe Online-Präferenz aufweisen.

Von der Breiten- zur Dialogkommunikation

Gerade die wichtigen Kundengruppen der jungen Erwachsenen und der vermögenden Privaten werden sich also durch ausgeprägtes vagabundierendes Finanzverhalten charakterisieren. Neue und nachhaltige Ansätze im Kundenkontakt und in der Dialogkommunikation sind gefragt, um bei dieser Entwicklung nicht als Verlierer auf dem Feld zurückzubleiben.

Die Umschichtungen in den Vertriebswegen haben auch konkrete Auswirkungen auf die Kommunikation mit dem Kunden. Wenn auch die Aussagen je nach Standort unterschiedlich sind, konkretisiert sich heraus, dass die Dialogkommunikation mit dem Kunden zunehmen wird und damit partiell eine Substitution zu der klassischen Kommunikation herbeigeführt wird. So hat der Axel Springer Verlag auf Basis einer ZAW-Zeitreihenanalyse von 1974 bis 2008 publiziert, dass die Marktanteile der Anzeigenerlöse für Tageszeitungen und Publikumszeitschriften deutlich rückläufig sind, während sie seit 2005 für die Online-Kommunikation stark zunehmen. Lediglich das Fernsehen konnte seine Position halten beziehungsweise in den letzten Jahren sogar noch leicht ausbauen (Abbildung 8).

Ob diese noch gute Entwicklung für das Werbefernsehen anhalten wird, bleibt allerdings fraglich, wenn man konstatiert, in welchem Maße die Nutzung von Internet und Videospielen das Fernsehen substituiert. Während sich im Durchschnitt der Bevölkerung 2008 die Nutzungsdauer für das Fernsehen auf 228 Minuten pro Tag summierte, machte die des Internets 70 Minuten pro Tag aus.2) Bei den 14- bis 19-Jährigen betrug dagegen die tägliche Nutzungsdauer des Fernsehens nur noch 97 Minuten, während die Nutzungsdauer des Internet auf 123 Minuten anstieg. Auch hier bleibt die Frage offen, wie weit dieses Verhalten in das spätere Alter übernommen wird. Für aussagekräftige Zeitreihenstudien sind die aktuell zur Verfügung stehenden Zeiträume noch zu kurz.

Unstrittig bleibt dagegen die Aussage, dass sich bei einem nur noch gering wachsenden Gesamtwerbevolumen ein Anstieg in der Online-Kommunikation auf die klassische Breitenkommunikation auswirken muss. Dies wird Konsequenzen für die Finanzwerbung haben. Wie aktuelle Kontaktpunktanalysen bei Retailbankingkunden zeigen, ist die individualisierte Online-Kommunikation für den Kunden häufig nutzbringender als die "Durchschnittsware" austauschbarer Print- und TV-Werbung.

Natürlich wird gute, kreativ anspruchsvolle und durchsetzungsstarke Print-, Radio-, und TV-Werbung weiterhin die Zugkraft von Bankmarken unterstützen. Auf der anderen Seite ist es allerdings bemerkenswert, in welchem Maße bereits heute große Konsum- und Gebrauchsgüterhersteller immer mehr dazu übergehen, Viral-Kampagnen erfolgreich im Netz zu platzieren. You-Tube und andere werden zum Ausgangspunkt und zum Umschlagsplatz neuer Formen der Massenkommunikation im Sinne einer neuen "Mund zu Mund"-Werbung, die sich mit einer unglaublichen Geschwindigkeit

- und das bei vergleichsweise niedrigen Produktionskosten - im Netz verbreitet. Das Fazit ist geradezu lapidar: Die neuen Realitäten schaffen neue Kunden und damit neue Herausforderungen für die Retailbanker. Es sind neue, kreative Kontaktbeziehungsweise Kommunikationswege zum Kunden gefragt. Die alte Forderung muss sich erfüllen: Die Bank muss zum Kunden kommen - und zwar bevor er im Netz vagabundiert und nicht mehr beeinflussbare Entscheidungen trifft. Ansonsten bleibt der Kontakt zum Kunden zufällig, und Zufälligkeiten sind nicht mehr steuerbar. Die Entwicklungen im Verhalten des Kunden werden dann schneller verlaufen als die Reaktionen des Anbieters. Die Konsequenzen dieses Szenarios liegen auf der Hand.

Anmerkungen

1 Quelle: Icon Added Value, Mailpanel

2 Quelle: ARD/ZDF Online-Studie 2000-2009

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors beim Privatkundenforum 2010.

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