Blickpunkte

Leserbrief - Die Studie "Verbraucherinformation Scoring" ist wissenschaftlich unhaltbar

Von Stefan Huschens - In Heft 9/2009 von bank und markt nahm Rainer Neumann, Vorstandsvorsitzender der Schufa Holding AG, zur Studie "Verbraucherinformation Scoring" kritisch Stellung. Diese Studie wurde mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz von Dieter Korczak und Michael Wilten erstellt. In einer Replik im Heft 12/2009 moniert Dieter Korczak, dass im Schufa-System eine Rückzahlungswahrscheinlichkeit von 100 Prozent nicht vorgesehen sei und führt zur Begründung aus: "Laut Schulden-Kompass der Schufa fallen nur zwei bis drei Prozent der Kreditnehmer aus. Die weit überwiegende Masse hat also eine hundertprozentige Rückzahlungswahrscheinlichkeit. Das berücksichtigt aber das von der Schufa verwendete Score-Berechnungsverfahren nicht."

Diese Argumentation ist aus wissenschaftlicher Sicht unhaltbar und unverträglich mit dem Begriff der Wahrscheinlichkeit. Außerdem handelt es sich um einen Vorwurf, der sich nicht nur gegen das von der Schufa verwendete Scoring-System, sondern gegen jede Art von Bonitätsbeurteilung wendet, die zu einer Rückzahlungs- oder Ausfallwahrscheinlichkeit führt. Wird beispielsweise einem Kollektiv von 1000 Kreditnehmern die Rückzahlungswahrscheinlichkeit 98 Prozent zugeordnet, dann ist dies eine Prognose darüber, dass von 1 000 Kreditnehmern etwa 980 den Kredit zurückzahlen werden und etwa 20 Kreditnehmer nicht. Falls sich später herausstellt, dass etwa 20 Kreditnehmer den Kredit nicht zurückgezahlt haben, so ist dies eine Bestätigung der Wahrscheinlichkeitsprognose. Daraus zu folgern, die 980 Kreditnehmer hätten eine "hundertprozentige Rückzahlungswahrscheinlichkeit" gehabt, ist eine missbräuchliche Verwendung des Wahrscheinlichkeitskonzepts. Genau so unsinnig wäre es, beim Würfeln im Nachhinein festzustellen, dass in rund fünf von sechs Fällen keine Sechs gewürfelt wurde und daher bei diesen Fällen die Wahrscheinlichkeit, eine Sechs zu würfeln, Null gewesen sei.

Wenn es im Vorhinein möglich wäre, von allen 1 000 Kreditnehmern mit Sicherheit vorauszusagen, welcher später ausfällt, könnte man zwei Gruppen bilden: eine Gruppe derjenigen 980 Kreditnehmer, die mit Sicherheit nicht ausfallen werden, und eine zweite Gruppe derjenigen 20, die mit Sicherheit ausfallen werden. Nur in diesem rein hypothetischen Fall überirdischer Voraussicht hätte man der ersten Gruppe eine Rückzahlungswahrscheinlichkeit von 100 Prozent und der zweiten Gruppe eine Rückzahlungswahrscheinlichkeit von null Prozent zuordnen können. Aber welche Methode soll das sein, die menschliches Verhalten innerhalb des nächsten Jahres mit Sicherheit voraussagt? Nur wer von einem völlig deterministischen Weltbild ausgeht und glaubt, dass menschliches Verhalten in der Zukunft durch eine bestimmte Anzahl heute bekannter Variablenwerte bestimmt ist, könnte auf eine solche Idee kommen.

Aus der Aussage "Laut Schulden-Kompass der Schufa fallen nur zwei bis drei Prozent der Kreditnehmer aus" lässt sich lediglich folgern, dass die Rückzahlungswahrscheinlichkeit für das gesamte betrachtete Kollektiv 97 bis 98 Prozent beträgt. Wird ein zusätzliches Merkmal berücksichtigt, so ist es möglich, mit den Merkmalswerten neue statistische Teilkollektive zu bilden, für die dann unter Umständen differenziertere Rückzahlungswahrscheinlichkeiten angegeben werden können. Dadurch wird aber keinesfalls der Wert 100 Prozent erreicht, weil es mit keiner Methode möglich ist, genau diejenigen Kreditnehmer im Vorhinein exakt zu identifizieren, die zurückzahlen werden.

Völliges Unverständnis der Funktion eines Scoringverfahrens

Dieselben Autoren haben im Jahr 2008 die Studie "Scoring im Praxistest: Aussagekraft und Anwendung von Scoringverfahren in der Kreditvergabe und Schlussfolgerungen" im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e. V. erstellt. In dieser Studie heißt es: "In der schlechtesten Ratingstufe der Schufa, der Stufe M, beträgt die Risikoquote 34,75 Prozent, das heißt selbst in dieser Stufe kommt es bei zwei Drittel der Kreditnehmer nicht zu einem Zahlungsausfall. Diese zwei Drittel werden somit durch das Scoringverfahren falsch eingestuft beziehungsweise diskriminiert."

Dieses Zitat zeigt völliges Unverständnis der Funktion eines Scoringverfahrens, das im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsaussage für ein Kollektiv kommt, oder Unverständnis dessen, was überhaupt eine Wahrscheinlichkeitsaussage ist. Vielleicht verbirgt sich dahinter aber auch die vollständige Ablehnung des Wahrscheinlichkeitskonzeptes als Grundlage einer differenzierenden Risikobeurteilung.

Prof. Dr. Stefan Huschens, Lehrstuhl für Quantitative Verfahren, insbesondere Statistik, Technische Universität Dresden.

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