Finanzdienstleister und Demografie

Personal: VR-Banken wappnen sich

Der demografische Wandel stellt die Bundesrepublik sowohl im gesellschaftspolitischen als auch unternehmerischen Umfeld vor große Herausforderungen. Die Bevölkerung wird bis 2030 um 3,7 Prozent zurückgehen. Das entspricht einem Rückgang um mehr als drei Millionen Menschen. 2030 wird jeder Zweite älter als 49 Jahre sein (zum Vergleich: 2009 lag das sogenannten Medianalter bei 44 Jahren). Die große gestalterische Komplexität wächst noch durch die Verzahnung mit anderen Themen wie Globalisierung, technologischer Fortschritt sowie Verknappung der natürlichen Ressourcen.

Eine große Gefahr solcher Megatrends liegt in ihrer Charakteristik, nämlich der schleichenden Entwicklung. Alltägliche Herausforderungen, gepaart mit medialen Allgemeinplätzen können zu gefährlicher Ignoranz führen. Erst die Erkenntnis, welche Auswirkung und Bedeutung der demografische Wandel für das eigene Unter nehmen hat, führt zu konkreten Handlungsansätzen. Für die Volks- und Raiffeisenbanken geht es dabei um Verschiebungen in der Mitglieder- und Kundenstruktur sowie veränderten Erwartungshaltungen, Wanderungsbewegungen sowie regionalpolitischen Aspekten und damit um die Leistungs- und Filialpolitik - um nur einige Aspekte zu nennen.

Demografie-Rechner für das Personalmanagement

Allerdings geschieht Demografie nicht nur "da draußen", sondern auch innerhalb jedes einzelnen Unternehmens. Mit dem Demografie-Rechner der Geno-Personal-Consult steht den 1 100 Volks- und Raiffeisenbanken trotz ihrer Individualität ein einheitliches Instrument zur Verfügung, um die Relevanz für das eigene Personalmanagement greifbar zu machen. Auf dieser Basis können Entscheidungsprozesse in Gang gesetzt und geeignete, konkrete Maßnahmen ergriffen werden. Und das ist von entscheidender Bedeutung: Denn es handelt sich um die Gestaltung der mittelfristigen Zukunft, für die jetzt die Weichen gestellt werden müssen - trotz aller Belastungen durch das Tagesgeschäft.

Der Fachrat Personal des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) hat im Juli 2011 den BVR gebeten, die bundesweite Einbindung des Demografie-Rechners zu prüfen und den Einsatz in den selbstständigen Instituten zu empfehlen. Der BVR hat dazu eine Studie in Auftrag gegeben, an der in zwei Durchführungsrunden 147 Banken teilgenommen haben. Damit wurde der Demografie-Rechner der Geno-Personal-Consult über 300 Mal in den Primär- und Verbundinstituten eingesetzt. Der BVR unterstützt durch diesen Impuls das in der Zielpyramide der Genossenschaftlichen Finanzgruppe definierte Ziel "Nummer 1 in Mitarbeiteridentifikation und -qualität". Er schafft damit eine weitere Basis sowohl originär für eine zukunftsgerichtete Personalarbeit als auch die bewusste Verknüpfung von Umfeld- und Inhouse-Veränderungen. Gerade das genossenschaftliche Werte- und Selbstverständnis bietet dazu vielfältige Chancen.

Der praxisnahe Ansatz des Demografie-Rechners zeichnet sich nicht nur durch die schlanke und einheitliche Generierung der Basisdaten durch die Rechenzentren, sondern auch die Berücksichtigung personalwirtschaftlicher Parameter aus. Die Geno-Personal-Consult bietet dazu Vorschlagswerte, jeweils für einen Planungshorizont von fünf und zehn Jahren, zum Beispiel für die jährliche Einstellungs- und Fluktuationsquote, den Azubi-Zugang, den personalbezogenen Produktivitätsgewinn sowie die Quote der Elternzeitnutzer und des Arbeitszeitfaktors nach Rückkehr. Es geht dabei nicht um den Aufbau einer Personalkapazitätsplanung, vielmehr soll durch die unternehmensindividuelle Festlegung dieser Parameter ein Arbeitsprozess initiiert werden, der eine aktiv gestaltende Personalarbeit unterstützt. Selbstverständlich hat jeder Teilnehmer am Demografie-Rechner eine unternehmensbezogene Auswertung erhalten und kann individuell die Parameter verändern und damit weitere Simulationsrechnungen generieren.

Personalunterdeckung von 5,7 Prozent im Jahr 2022

Aus der Studie des BVR (Abbildung 1) lassen sich deutlich die Altersstrukturverschiebungen der über 27 300 berücksichtigten Mitarbeiter erkennen. Während derzeit noch 30,8 Prozent der Mitarbeiter bis 35 Jahre alt sind, werden dies im Jahre 2022 nur noch 28,0 Prozent der Mitarbeiter sein. Der Anteil der über 55-Jährigen wird der Simulation nach um über 60 Prozent zunehmen (heute: 15,9 Prozent; 2022: 26,0 Prozent). Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Ergebnisse in den einzelnen Volksbanken und Raiffeisenbanken nochmals gegenüber dem Durchschnitt abweichen.

Als weitere wesentliche Erkenntnis ergibt sich aus der Prognose für den Zehnjahreszeitraum - wenn nicht rechtzeitig geeignete Maßnahmen ergriffen werden - ein rechnerisches Abschmelzen des Mitarbeiterbestandes von heute 186 MaK auf 161 MaK (Vollzeit-Mitarbeiterkapazität) einer durchschnittlichen Teilnehmerbank. Die Veränderungsbewegungen sind in Abbildung 2 dargestellt. Mit derzeit 186 Mitarbeitern und damit einer Bilanzsumme von rund 900 Millionen Euro wird diese Beispielbank in den nächsten zehn Jahren 110 MaK verlieren, sodass sich der Altbestand der Mitarbeiter auf 85 MaK reduziert. Um die Abgänge aus Fluktuation, Ruhestand und Elternzeit zu kompensieren, stehen dieser Entwicklung Übernahmen aus dem Potenzial der Auszubildenden sowie klassische Neueinstellungen gegenüber. Bei unveränderter Vorgehensweise entspricht dies 32 externen Einstellungen sowie der Übernahme von 44 Mitarbeitern aus der Bankausbildung.

Trotz eines prognostizierten Produktivitätsgewinns von 7,9 Prozent wird sich eine Unterdeckung je Institut gegenüber dem angestrebten Sollwert von 5,7 Prozent ergeben. Damit wird deutlich, dass für die "durchschnittliche Genossenschaftsbank" keine personellen Überkapazitäten, sondern vielmehr eine Lücke von zehn MaK besteht. Es zeichnet sich hier also Steuerungsbedarf hinsichtlich einer gezielten Ausweitung des Recruitings ab und nicht etwa ein beförderter Personalabbau. Angesichts einer natürlichen Fluktuationsrate von vier Prozent leisten die Volks- und Raiffeisenbanken schon bisher einen bedeutenden Beitrag zur Beschäftigungssicherung der rund 188 000 Mitarbeiter der Genossenschaftlichen Finanzgruppe.

Der Kampf um Marktanteile wird über den Kampf um Mitarbeiter ausgetragen

Umso bedauerlicher ist, dass der Personalabbau in anderen Bankensektoren zur Verunsicherung bezüglich der wahrgenommenen Attraktivität des Berufsbilds Bankkaufmann beiträgt. Bei den Volksund Raiffeisenbanken zeigt sich eher ein gegenläufiger Trend: Der Kampf um zukünftige Marktanteile wird nicht zuletzt als Kampf um qualifizierte Mitarbeiter ausgetragen.

Das Durchschnittsalter in den Volksbanken und Raiffeisenbanken wird von aktuell 41,9 Jahren auf 43,7 Jahre im Zehnjahreszeitraum ansteigen, in Summe werden bis dahin 3 950 Mitarbeiter altersbedingt ausgeschieden sein. Besonders betroffen von demografischen Entwicklungen sind die Banken in einer Größenordnung zwischen 250 und 500 Millionen Euro Bilanzsumme. Hier reduziert sich die Mitarbeiteranzahl bis 2022 um 22,2 Prozent (Durchschnittswert 15,3 Prozent). Ebenso wird die Personalunterdeckung sich bereits in der Fünfjahresbetrachtung bemerkbar machen, wohingegen in der Gesamtheit aller Institute erst in der Zehnjahresbetrachtung die personellen Kapazitäten fehlen werden (ceteris paribus).

Projekt Arbeitgeberpositonierung

Auch und gerade für die Volks- und Raiffeisenbanken gilt der Ausspruch "banking is people". Daher gilt es, die aufgezeigten quantitativen Veränderungen aber auch qualitative Entwicklungen als Heraus forderungen und gleichermaßen Chancen zu begreifen. Das Demografie-Modell der INQA (Initiative Neue Qualität der Arbeit - Abbildung 3) bietet dazu einen gewissen Handlungsrahmen. Im Wettbewerb um geeignete Fach- und Führungskräfte wird es auch für die Volksund Raiffeisenbanken wichtig sein, bei derzeitigen und zukünftigen Mitarbeitern als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden.

Das aktuell laufende Projekt "Arbeitgeber-Positionierung" wird dazu eine gute Basis liefern. Gerade in der aktuellen Phase, in der dem Banker-Beruf nicht mehr höchste Sympathie entgegengebracht wird, geben die genossenschaftlichen Werte und das genossenschaftliche Geschäftsmodell den Mitarbeitern eine wertvolle Orientierung. Selbstverantwortung in der Mitarbeiterbeziehung und die dem Mitglied verpflichtete Geschäftspolitik passen in die Zeit. Eine erfolgreiche Genossenschaftsbank hat das Motto: "Wir machen Geschäfte, die wir verstehen, mit Menschen, die wir kennen." Das überzeugt nicht nur die vorhandenen Mitarbeiter. Die Bank erfreut sich eines guten Bewerbungszulaufs.

Recruitingbemühungen zielen nicht nur auf die Verjüngung des Altersdurchschnitts. Älter werdende Kundenberater bieten Chancen, die typischerweise auch älteren und damit durchaus attraktiven Kunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken adäquat zu erreichen. Einige Genossenschaftsbanken richten sich gezielt an potenzielle Arbeitnehmer, die sich in der zweiten Lebenshälfte befinden und nach einem vermeintlichen Karriereknick einen neuen Weg einschlagen möchten - bis hin zu einer regulären Ausbildung zur Bankkauffrau/ zum Bankkaufmann.

Auch Führungskräfte in Teilzeit

Auch zur Unterstützung der Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Anforderungen bietet die Rechtsform der eG ausgezeichnete Rahmenbedingungen. So ermöglichen die Gründungen von Familiengenossenschaften durch einzelne Volksbanken und Raiffeisenbanken weiteren Mitgliedern nicht nur Dienst- und Serviceleistungen für die eigenen Mitarbeiter. Vielmehr können gerade im ländlichen Raum weitere mittelständische Unternehmen und Privatpersonen in die Leistungserstellung und die Leistungsnutzung integriert werden. Neben dem unternehmensinternen Nutzen leistet die Bank, gegebenenfalls in Verbindung mit benachbarten Kreditgenossenschaften und weiteren genossenschaftlichen Unternehmen vor Ort, auch einen strukturellen Beitrag in ihrem regionalen Marktgebiet.

Die Führungskultur (Abbbildung 3; Handlungsfeld 2) steht in engem Zusammenhang mit der Arbeitgeberattraktivität. Studien zeigen, dass in den Volks- und Raiffeisenbanken nicht nur in der Kundenbeziehung, sondern auch im internen Führungsverständnis dem Menschen und dem werteorientierten Handeln ein vergleichsweise höherer Stellenwert zukommt. "Menschen statt Zahlen" und die Fähigkeit, Beziehungen und Vertrauen aufzubauen, schienen lange Zeit nicht en vogue. Die genossenschaftlich typische Partizipation und die Bipolarität von Freiheit und Selbstverantwortung bieten eine hervorragende Basis für dauerhaft positive Führungsbeziehungen, auch wenn im Einzelnen noch Verbesserungspotenziale bestehen. Arbeitsmodelle, bei denen auch Führungskräfte in Teilzeit arbeiten können, finden im demografischen Kontext zunehmend Anwendung in der Genossenschaftlichen Finanzgruppe.

Lebensphasenorientierte Personalarbeit...

Unter lebensphasenorientierter Personalarbeit (Handlungsfeld 3) werden in Genossenschaftsbanken Konzepte verstanden, die das sich wandelnde Fähigkeits-, Verhaltens- und Motivspektrum der unterschiedlichen Altersklassen berücksichtigen. Mit zunehmendem Alter sinken bekanntermaßen die Fähigkeiten des biologischen Systems, dafür steigen persönliche Souveränität und soziale Kompetenz meist im Alter an. Die Personalentwicklungs- und Bildungssysteme haben sich längst von der tradierten Betrachtung eines Talentmanagements verabschiedet. Statt sich ausschließlich auf die "jungen High-Potentials" zu konzentrieren, werden die Talente in den unterschiedlichen Altersklassen erkannt und wenn möglich genutzt. Konsequenterweise findet sich dieser Ansatz auch in den Mitarbeitergesprächen wieder, die lebensphasenorientiert variieren. Zu festgelegten Zeitpunkten werden, gegebenenfalls durch entsprechende Testverfahren unterstützt, die Befindlichkeiten, Ziele und Perspektiven explizit zwischen Führungskraft und Mitarbeiter besprochen.

Den Lernbedarf junger Menschen und erfahrener Mitarbeiter in eine Symbiose zu bringen, darauf zielt das Cross-Mentoring-Konzept der Geno-Personal-Consult. Die Genossenschaftliche Finanzgruppe bietet dazu mit ihren 1 100 Instituten unterschiedlicher Größe und Reifegrade, bei gleicher "Familienzugehörigkeit" ideale Voraussetzungen. Durch die institutsübergreifende Zusammenarbeit partizipiert der Coachee von der Erfahrung der älteren Führungskraft und der Coach erweitert sein Führungsrepertoire und aktualisiert zum Beispiel technologische oder fachliche Aspekte. Ein Gewinner-Gewinner-Modell für die Unternehmen und die sich aktiv einbringenden Teilnehmer.

... und ganzheitliches Gesundheitsmanagement

Die Erhaltung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit (Handlungsfeld 4) bis ins hohe Alter wird von dem einzelnen Menschen und dem Unternehmen gleichermaßen gewünscht. Der Wunsch allein jedoch reicht nicht aus, es braucht gestaltende und präventive Aktivitäten.

Das ganzheitliche Gesundheitsmanagement vieler Volksbanken und Raiffeisenbanken nimmt dem Einzelnen nicht seine Selbstverantwortung, bietet jedoch von Ernährungs- und Sportangeboten bis zur psychologischen Mitarbeiterberatung ein gezieltes Unterstützungsangebot. Da, wo die Kultur es zulässt, beugen horizontale Karrieren der Monotonie vor und bieten neue Herausforderungen und Perspektiven, ohne das Unternehmen verlassen zu müssen.

Trotz vielfältiger Herausforderungen und "Baustellen" bieten die Aufstellung und das Selbstverständnis der Genossenschaftlichen Finanzgruppe vielfältige Chancen, um den Demografischen Wandel im Sinne des Unternehmens und der Mitarbeiter erfolgreich zu nutzen. Die Erkenntnisse der Demografie-Studie des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) werden den Reflektions- und Entwicklungsprozess weiter verstärken.

Dr. Andreas Martin , Mitglied des Vorstands , Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (BVR), Berlin
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