Transparenz

Produktinformationsblatt: Ringen um einheitliche Standards

Seit Beginn der Finanzkrise kommt der Finanzdienstleistungssektor nicht mehr zur Ruhe. Häufig vorgebrachte Kritik im Anlagesektor seitens verbrauchernaher Institutionen ist mangelnde Transparenz und Information. So ist es nicht verwunderlich, dass einerseits die Bundesregierung die Zielsetzung einer permanenten Verbesserung eines konsistenten Finanzdienstleistungsrechtes verfolgt und andererseits die Branche im Retailbanking die Beratungsqualität als wichtiges Wettbewerbsmerkmal wieder erkannt hat. Beiden Zielsetzungen gemeinsam ist, Verbraucher künftig besser vor vermeidbaren Anlageverlusten und falscher Finanzberatung zu schützen. Die Finanzmarktkrise hat zu einem hohen Vertrauensverlust der Marktteilnehmer geführt. Um funktionsfähige Märkte und einen stabilisierenden, kundenorientierten Anlageberatungsmarkt künftig zu gewährleisten, hat die Bundesregierung mehrere Gesetzesinitiativen1) ergriffen, die mit teils drastischen Regulierungsmaßnahmen der Märkte verbunden sind. Zielsetzung der gebündelten Maßnahmen ist der Ausbau und die Integrierung neuer Vorgaben in die bestehende Kapitalmarkt-Gesetzgebung, um hierdurch eine effiziente Regulierung und Beaufsichtigung des Kapitalmarktes zu gewährleisten. Die Aktionen erfolgen insbesondere aufgrund negativer Umfrageergebnisse seitens der Verbraucherverbände. Nach ihrer Meinung bestehen Mängel in der Qualität der Beratungsleistungen, bei der die Kundeninteressen eine untergeordnete Rolle spielen und die wesentlich durch Vertriebsvorgaben und Provisionsinteressen getrieben werden. Insbesondere Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner vertritt vehement die Forderung2), dass in einem ersten Schritt zur Verbesserung der Situation die Geldinstitute ihren potenziellen Kunden ein einheitlich gestaltetes Produktinformationsblatt zu jedem Anlageprodukt auszuhändigen haben. Vergangenen Sommer wurde entsprechend ein Diskussionsentwurf für die allgemeine Struktur eines Produktinformationsblattes im Bereich Geldanlage sowie ein Produktbeispiel Aktienfonds vorgestellt. Aufbau und Untergliederung nach zehn Kategorien orientieren sich stark an den Vorschlägen der Verbraucherzentralen, die mehr Transparenz und Vergleichbarkeit von Finanzprodukten fordern. Zögerliche Umsetzung Die Einführung - zunächst auf freiwilliger Basis - soll primär die Eignung der Anlage für Kundenkreise klären. Durch eine überschaubare, knappe und vergleichbare Form der Kundeninformationsblätter sollen neben Stammdaten eines Produktes Informationen über Kosten und Risiken, Laufzeit, Funktionsweise und Rendite zur Entscheidungsfindung vermittelt werden. Nach Meinung des Verbraucherschutzministeriums bewirkt eine einheitliche Umsetzung eine objektive Stärkung gleichermaßen von Anbieter und Nachfrager mit der Option eines fairen Wettbewerbes zwischen Anbietern von Finanzdienstleistungen. Im Allfinanzbereich stellt dies übrigens kein Novum dar. So besteht in der Versicherungsbranche seit 1. Juli 2008 die Pflicht des Versicherers, dem Verbraucher vor Vertragsabschluss das Produktinformationsblatt auszuhändigen, welches eine Reihe von produktspezifischen Kriterien zu erfüllen hat3). Im Finanzbereich zeigt aber die gegenwärtige Entwicklung, dass die Geldinstitute nur zögerlich und in recht unterschiedlicher Gestaltung dieser Aufforderung nachkommen. Pioniere der Umsetzung: ING-Diba und Deutsche Bank Als Pioniere erwiesen sich die Direktbank ING-Diba und die Deutsche Bank AG. So stellt die ING-Diba ihren Kunden bereits seit September vergangenen Jahres zunächst auf 22 Kernprodukte begrenzt im Internet in stark standardisierter Form4) Verbraucherschutzinformationen zur Verfügung. Seit Ende Juni 2010 erfolgte dann eine Freischaltung aller angebotenen Wert-papier-, Fonds- und Aktienprodukte. Dabei wird weitgehend der Vorlage des Ministeriums gefolgt, indem in knapper, übersichtlicher Form über die unterschiedlichen wesentlichen Risiken, die Zusammensetzung der erwartenden Renditen und die Aufschlüsselung der Kosten transparent geliefert werden. Neuland beschritt die Direktbank insofern, als bei der Kostenauskunft auch die Provisionen sowohl an fremde als auch eigene Kundenberater separat aufgeschlüsselt werden. Die Deutsche Bank AG5) als zweiter Markteinführer folgte am 11. Februar 2010 mit Produktinformationsblättern gleichfalls für eine begrenzte Auswahl von Anlageprodukten. Zwar werden weniger Kriterien aufgelistet, der Beipackzettel fällt aber insgesamt textlich ausführlicher aus. Auch werden Piktogramme zur Erklärung der Eigenschaften verwendet. Insgesamt ist eine stärkere Individualisierung gegenüber der Vorlage des Verbraucherministeriums abzulesen. Nur wenig später nach dem Markteintritt der Deutschen Bank AG meldete am 26. Februar 2010 der Bundesverband Deutscher Banken (BdB) mit der Entwicklung und einem Vorschlag eines Beipackzettels6) einen Normierungsanspruch an, der inhaltlich weitgehend einheitlich für alle Marktteilnehmer anzuwenden sei. Allerdings wurde eingeräumt, dass noch Gespräche mit diversen anderen Verbandsvertretern erforderlich seien. Damit wollte der BdB offensichtlich der weitverbreiteten Forderung und insbesondere dem Verbraucherzentralverband (VZBV) zuvorkommen, der nun aufgrund der zögerlichen Umsetzung nach einer einheitlichen gesetzlich verpflichtenden Lösung drängte. Zudem müsse auch eine strenge Überwachung gesetzlich geregelt werden, ob die Banken die Vorgaben auch form- und fristgerecht einhalten. Wenig später, am 8. März 2010, folgte die Antwort auf den BdB durch die gemeinsame Präsentation eines Produktinformationsblattes seitens der Spitzenverbände Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) und des Bundesverbandes Öffentlicher Banken (VÖB). Die gemeinsame Einigung auf einen einheitlichen Standard bezieht sich auf rund 1 700 angeschlossene Institute, wobei gleichfalls ein säulenüberschreitender Normierungsanspruch erhoben wurde. Diese Initiative ist gleichfalls zu begrüßen, da sie zu einer einheitlichen Transparenz und Vergleichbarkeit, insbesondere in den angeschlossenen Verbänden führen dürfte, mit der Folge, dass die bereits bestehenden Produktinformationsblätter nun vereinheitlichen werden. Bedauerlich ist, dass insgesamt keine Einigung aller Verbände erzielt werden konnte. Zu befürchten bleibt, dass entsprechend noch ein beschwerlicher Etappenweg selbst innerhalb der Verbandsgruppen zurückzulegen ist. Handlungsbedarf unterschiedlich bewertet Auch wird der Handlungsbedarf in den betroffenen Häusern unterschiedlich interpretiert. So will die DZ Bank zeitnah ihre bereits 1999 eingeführten und kontinuierlich mit Blick auf den Anleger weiterentwickelten Produktinformationen diesem Muster anpassen. Sie sieht allerdings nur geringen, inhaltlichen Änderungsbedarf. Ähnlich argumentieren weitere Marktteilnehmer wie beispielsweise die Commerzbank AG, die nach ihrer Auskunft ihren Kunden bereits alle notwendigen Informationen in ihren Produktblättern - allerdings noch nicht genormt - anbietet. Weiter in den Startlöchern befinden sich die Postbank und Hypovereinsbank-Unicredit, die ihre Produktinformationsblätter für Ende des zweiten Quartals ankündigen. Politik fordert ZKA-Standard Die unterschiedlichen Marktauftritte bekräftigen die Forderung der Bundesregierung und Anlegerschutzorganisationen nach einem gemeinsamen Standard, der für alle finanzwirtschaftlichen Verbände bindend ist. Der Normierungsprozess sollte zunächst erneut auf freiwilliger Basis mit zeitnaher Fristsetzung angeschoben werden, um einer Begrenzung hinsichtlich Kreativität und Innovation aus Marktsicht nicht im Wege zu stehen. Die Finanzbranche sollte insgesamt den Empfehlungscharakter und bereits bestehende positive Entwicklungen zu einem säulenübergreifenden Konsens rasch umsetzen. Hierdurch ließe sich der bereits auf den Weg gebrachte Gesetzesentwurf, der den Empfehlungscharakter in streng bindende Regularien umsetzt, noch abfedern beziehungsweise positiv beeinflussen. Im gegenwärtigen Status lässt der veröffentlichte Entwurf noch viel zu große Gestaltungsspielräume offen. Allein die quantitative Begrenzung auf zwei DIN A 4-Seiten und die geforderten qualitativen Mindestinformationen in bezug auf Eigenschaften der Anlageprodukte wie Kosten- und Ertragsstruktur, Risikoprofil, Flexibilität und Liquidität des Produktes werden sich weiterhin als nicht zielführend erweisen. Die Folge wird sein, dass das anvisierte Ziel, Markttransparenz und-information zu schaffen, sich nur schwer erreichen lässt und das Produkt sich wenig nachhaltig auf die Regulierung der europäischen Ebene auswirkt. Ampellösung kontrovers diskutiert Derzeit kontrovers diskutiert wird die sogenannte "Ampellösung", mit der potenzielle Anleger schnell und unkompliziert ihre "ja-nein"-Anlage-Entscheidungen treffen können. Allein eine Drei-Farben-Klassifizierung kann bestenfalls für kurzfristige statische Lösungen herhalten. Mittel- und langfristig vermag sie nicht den Erfordernissen und der Komplexität der Anlagemärkte, beispielsweise von Altersvorsorgeprodukten, zu genügen. Weiter warnendes Beispiel ist das Scheitern der "Ampel"-Kennzeichnung durch die jüngste Ablehnung des EU-Parlamentes in der Lebensmittelbranche. Da in vielen Fällen nachweislich die Ampel zu oberflächlich und irreführend ist, werden nun Pflichtaufgaben über exakt definierte technische und chemische Messgrößen gefordert, um Verbraucher künftig vor ungesunden Lebensmitteln zu schützen. Die Problematik von Ampellösungen liegt darin, dass sich zwar klare verhaltensbezogene Signale auslösen lassen, diese aber nur in geringem Maße mit der individuellen Ausgangssituation eines Anlegers abgleichbar sind. Belegt wird dies unter anderem durch negativ gewonnene Erfahrungen im Ratingsektor. So hat sich beispielsweise im Fondsrating die eng angelegte Ampel-/Sternebewertung als wenig aussagekräftig erwiesen und Anleger nicht vor Fehlentscheidungen mit Fondsschließungen und Liquidationen schützen können. Aus empirischer Sicht führen Kennzeichnungsmodelle eher selten zu eindeutigen Urteilen "richtig oder falsch". Wenn es sie gäbe, müssten die Gesetze des Kapitalmarktes neu geschrieben werden. Die Finanzpraxis entwickelt deshalb modifizierte Finanzampeln meist auf Scoring-Basis. So zeigt beispielsweise die iff-Finanzampel optisch und intuitiv erfassbar die Eignung eines Anlageproduktes für fünf zentrale Anlageziele wie eiserne Reserve, zielgerichtetes Sparen, Altersvorsorge, Vermögensaufbau und spekulatives Investment an. Dabei wird die Ampel mit vier farbig unterlegten Risikostufen unterteilt, die von grün mit "sehr gut bis rot" für "ungeeignet", reichen. Durch heterogene Expertengruppe gemeinsam erarbeiten Mittels kombinierter Finanzampeln werden Anleger sicherlich in die Lage versetzt, eine Aussage zu treffen, welche Produkte sich für ihr persönliches Anlageziel eignen. Der Entscheidungsprozess ist aber zu stark statisch und auf qualitative Faktoren ausgerichtet. Zudem lassen sich derart konzipierte Finanzampeln nur auf eng begrenzte Produktgruppen übertragen. Auch dürfte ein Wettbewerbsvergleich schwer fallen, da die Klärung, wer letztlich für die Parametrisierung, Pflege und Kontrolle der Ampeln verantwortlich ist, offen bleibt und folglich zu einer Wettbewerbsverzerrung im Markt führt. Entscheidet sich die Regierung und öffentliche Meinung für eine flache Standardisierung, die sich auf Kernanlageprodukte beschränkt, so bietet sich hierfür sicherlich eine Weiterentwicklung kombinierter Ampellösungen an. Es stellt sich zunächst die Frage, welche Interessensvertretung federführend das Engineering, die Erstellung der Regeln und der Quellcodes zu übernehmen hat. Die Chancen für eine Realisierung mit optimaler Marktdurchdringung sind folglich als gering einzustufen. Wiederum warnend sind die Erfahrungen mit der Ratingbranche, die keine einheitlich normierte Bewertungsbasis aufweist, sondern aufgrund unterschiedlicher interner Wertansätze teils zu stark abweichenden, von der Realität entfernten Endbewertungen kommt. Eine begehbare Lösung liegt in der gemeinsamen Erarbeitung durch heterogene Expertengruppen, die einen Konsens zwischen allen Beteiligten herzustellen haben und dessen Hauptziel es sein soll, einen möglichst großen gemeinsamen Nenner zu definieren und anzuerkennen. Problematisch und bislang nicht zufriedenstellend gelöst ist die Quantifizierung kritischer Parameter, die das Risiko- Chancen-Profil eines Anlageproduktes maßgeblich bestimmen und gleichzeitig für eine möglichst große Anzahl der Produkte unseres Anlageuniversums Gültigkeit besitzen. Hier gilt es einen Kompromiss an Lösungsansätzen zu finden, die sich auf der Basis Empirie und wissenschaftlich anerkannter Methoden der modernen Kapitalmarkttheorie bereits bewährt haben. Sowohl die Ertrags- als auch Risikoperspektiven der Anlageprodukte sind mit Fortdauer der Fristigkeit nicht statisch, sondern dynamisch zu betrachten. Da Märkte sich rasch gravierend verändern können, sind entsprechend relevante Daten zu pflegen, indem sie beispielsweise an Indizes gekoppelt werden. Analog der gesetzlichen Regelung Effektivverzinsung im privaten Kreditsektor nach PANGV ist eine adäquate Effektivrendite für Anlageprodukte mit Aufschlüsselung der wesentlichen Komponenten anzudenken. Gleiches gilt für die Risikoprofile eines Produktes, das sich während der Laufzeit verändern kann. VaR-Ansatz integrieren Im Asset-Umfeld hat sich die dynamische Risikobewertung nach "Value at Risk" Ansätzen (VaR) bewährt. So vermag der VaR-Wert den maximalen Verlust eines Wertpapiers innerhalb einer bestimmten Haltedauer bei einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 99 Prozent anzugeben. Diese Aussage ist für das Produktinformationsblatt als Kennziffer mit weiteren systemrelevanten Faktoren und mit festen Rahmenoptionen zum Beispiel kurze, mittlere und lange Anlagedauer, zu integrieren. Die Hauptherausforderung eines effizienten Beipackzettels liegt darin, aufgrund vieler inhomogener Input-Variablen, die in der Summe die Performance eines Anlageproduktes bestimmen, eine für den Endverbraucher einheitliche und verständliche Bewertungs-Scalierung zu entwickeln. Zudem bleibt zu hoffen, dass eine rasche Einigung aller Spitzenverbände im Konsens mit den Ministerien und Verbraucherzentralen gefunden wird, die insgesamt zu einer Anleger- und Funktionsverbesserung führt und zudem einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung und Gesundung der Kapitalmärkte zu leisten vermag. Anmerkungen 1 Zuletzt Entwurf Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes (Anlegerstärkungs- und Funktionsverbesserungsgesetz). Der Entwurf sieht in Abänderung WpHG § 31 Absatz 3 Satz 4 insbesondere die gesetzliche Verpflichtung zur Einführung von Kurzinformationsblättern zu Finanzinstrumenten vor, die Anlegern vor Abschluss einer Anlageberatung zur Verfügung zu stellen sind. 2 Vgl. Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV): Thesenpapier zur Qualität der Finanzberatung und Qualifikation der Finanzvermittler. Pressemitteilung vom 9. Juni 2009. 3 § 4 VVG-InfoV. Allerdings führte die Auslegung in der Praxis zu Recht umfangreichen Regelwerken, die neben Kundeninformationen auch juristische Absicherungsklauseln des Anbieters beinhalten. 4 Vgl. Pressemitteilung vom 16.09.2009; Muster ING-Diba Produktinformationsblatt gemäß der Empfehlung des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, ing-diba.de/produktinformationsblatt. 5 Vgl. Pressemitteilung Deutsche Bank vom 11.02.2010; Muster-Produktinformationsblatt. 6 Siehe Pressemitteilung des BdB vom 26.02.2010.

Klaus Fleischer , Prof. (em.) Finanz- und Bankwirtschaft, Hochschule München, München
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