Marktforschung für Finanzdienstleister

Quo vadis Bankenmarktforschung - auf dem Weg ins Online-Zeitalter

"Methodologie" ist nichts anderes als die Lehre von der Vorgehensweise. Und das kann in der Marktforschung nichts Statisches sein. Denn zum einen liefert die Marktforschung Erkenntnisse zu unterschiedlichsten Fragestellungen, zum anderen sind ihre Gesprächspartner und Quellen für diese Insights der Mensch und sein Umfeld - und damit in einem dynamischen Prozess stetigem Wandel unterworfen.

Bis dato macht den Großteil der Marktforschung für Banken die sogenannte quantitative Forschung aus, also Methoden, bei denen Sachverhalte bei großen, in der Regel mehrere hundert Probanden umfassenden Stichproben erhoben werden und die statistisch belastbare, signifikante Ergebnisse liefern. Als Erhebungsmethode wird hierfür am häufigsten das CATI(Computer Aided Telephone Interview) System eingesetzt.

Wo geht nun aber die jüngste Entwicklung hin? Wie bereits vor rund 20 Jahren kündigt sich aktuell mit großer Dynamik ein Methodenwechsel an: Begann das Telefoninterview Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts die bis dahin "state of the art"-Face-to-face-Befragungen zu verdrängen, so lässt sich nun ein Übergang vom CATI- zum "Online-Zeitalter" erkennen.

Telefonumfragen immer schwieriger

Die Gründe hierfür finden sich sowohl auf Bankenseite als auch bei den Zielpersonen:

Zunächst ist Online, ganz profan, einfach preiswerter. Und dies trifft die Bedürfnissituation der Kreditwirtschaft. Gerade in Zeiten der Finanz- und Vertrauenskrise, in denen Marketing-Budgets zum Teil deutlich reduziert werden.

Darüber hinaus liefert Online auch häufig schneller als die konventionellen Methoden Ergebnisse.

Ein weiterer, methodisch gewichtiger Grund liegt in der sinkenden Teilnahmebereitschaft für Telefonumfragen in der Bevölkerung begründet. Das Image der CATI-Marktforschung leidet unter der ungerechtfertigten Gleichsetzung mit der - juristisch zu Recht immer schärfer verfolgten - Telefonwerbung.

Gleichzeitig findet eine zunehmende Fragmentierung der Telefonlandschaft in Deutschland statt: Nur noch 89 Prozent der deutschen Haushalte verfügen über einen Festnetzanschluss. Das bedeutet, dass acht Millionen Menschen in der Bundesrepublik mit CATI nicht mehr erreicht werden. Noch gravierender sind die Probleme im Mobilfunkbereich. Exklusive Nutzer von Mobiltelefonen sind vor allem jüngere Menschen, Männer, Ostdeutsche und Menschen mit niedrigem sozialen Status und Einkommen. Nicht gerade repräsentativ für die Bevölkerung. Und das Handy wird stärker als Teil des persönlichen Bereichs wahrgenommen und ein Anruf folglich noch stärker als Eingriff in die Privatsphäre betrachtet. Das bedeutet: Repräsentative Telefonumfragen werden aus strukturellen und juristischen Gründen immer schwieriger.

Online-Befragungen holen bei Repräsentanz auf

Gleichzeitig entwickelt Online einen gegenläufigen Trend: Die Verbreitung von Internetanschlüssen und gleichzeitig die Repräsentativität ihrer Nutzer nimmt immer weiter zu (vergleiche Abbildung 1). Zwar gibt es noch strukturelle Unterschiede in Bildung, Einkommen und Alter, die bei der Interpretation zu berücksichtigen sind, diese nehmen aber ab (vergleiche Abbildung 2). Die Menschen gehen online. Wer weiterhin nahe am Kunden sein und Veränderungen als erster wahrnehmen will, muss sie auf diesem Weg begleiten.

"Bevölkerungsrepräsentative" Stichproben lassen sich zurzeit noch besser über telefonische Befragungen abbilden. Aber Online holt auf. Durch die rückläufige Teilnahmebereitschaft für Telefoninterviews in Verbindung mit der "Demokratisierung" der Internetnutzung in immer mehr Alters- und Bevölkerungsgruppen wird die Online-Befragung in punkto Repräsentanz in absehbarer Zukunft CATI-Interviews einholen.

Auch das veränderte Arbeits-, Freizeit- und Mediennutzungsverhalten der Menschen spricht für eine stärkere Nutzung von Online-Umfragen: Speziell die bei Finanzdienstleistern häufig im Fokus stehende "wirtschaftsaktive Zielgruppe" ist den Umgang mit PC und Internet gewohnt. Sie ist dort mittlerweile quasi zuhause und lässt sich hier leichter erreichen als über andere Erhebungsmethoden. Insbesondere auch deshalb, weil sie den Zeitpunkt der Befragung selbst bestimmen kann. Weiterhin können multimediale Elemente eingebaut und damit nicht nur die Motivation der Probanden deutlich erhöht werden, sondern ein zentraler Nachteil von CATI-Interviews, nämlich das Fehlen von Vorlagen, umgangen werden. Ein häufiger Einsatzzweck ist hier zum Beispiel die Wer-bemittel-Recognition von Maßnahmen der klassischen Breitenkommunikation über die bislang weniger stark beleuchtete Internet-Banner-Werbung bis hin zu Flyern oder sonstigen Direktmarketingmitteln.

Migration der Methoden: CATI goes online

Wer aber glaubt, es wäre ausreichend, einfach seinen Fragebogen abzutippen und online zu stellen, darf sich nicht wundern, wenn sich die Ergebnisse von denen der CATI-Befragung unterscheiden. In einer Icon-Added-Value-Eigenstudie wurden mehrere Studien mit Hilfe von Paralleltests "konventionell" mittels CATI-Interview und zeitgleich online erhoben. Auf diese Weise konnte der Einfluss der unterschiedlichen Erhebungsmethoden quantifiziert und Optimierungshinweise für die Gestaltung von Online-Befragungen gewonnen werden.

Die Ergebnisse waren in Summe ermutigend, allerdings - und das verwundert sicherlich kaum - gibt es nicht die eine Lösung, die für alle Märkte und Fragestellungen gleichermaßen funktioniert. Vielmehr wurde festgestellt, dass es individuelle "Umrechnungsfaktoren" für verschiedene Branchen, Produkte und Marken gibt. Verständlicherweise wird sich der höhere Anteil technikaffiner Personen unter den Online-Nutzern bei Umfragen im Mobilfunkbereich ganz anders niederschlagen als beispielsweise bei Finanzdienstleistungen. Folglich wird empfohlen, bei allen Zeitreihenuntersuchungen für eine Übergangsphase beide Befragungsmethoden parallel anzuwenden, will man die bisher gewonnenen Ergebnisse auch in der Zukunft für das eigene Benchmarking nutzen.

Was aber besonders zuversichtlich stimmt, ist die Tatsache, dass sich zwar bei vergleichbaren Fragestellungen teilweise unterschiedliche Antwortniveaus bei CATI- und Online-Erhebung einstellen, dass sich aber die Entwicklungen einheitlich darstellen und aus beiden Methoden die jeweils gleichen Interpretationen und Schlussfolgerungen resultieren. Oder, anders ausgedrückt: In dem konkreten Fall der parallel getesteten Tracking-Studien konnten mehr als 90 Prozent der Varianz der Ergebnisse des CATI-Trackings im Online-Tracking rekonstruiert werden (vergleiche Abbildung 3).

Ein Wermutstropfen bleibt allerdings: Die Antwortvielfalt, das heißt sowohl die Breite als auch die Tiefe der gegebenen Informationen bei offenen Fragestellungen ist online (noch) deutlich schwächer ausgeprägt als bei persönlichen Interviews, bei denen ein Interviewer den Befragten stimuliert und motiviert. Hier wird an Abfrageformen gearbeitet, die auch online eine größere inhaltliche Breite und Tiefe der Nennungen generieren.

Ein weiterer Trend in der Finanzmarktforschung ist eine Renaissance der "qualitativen" Forschung - aktuell aber nicht mehr allein in der Ausprägung der klassischen Gruppendiskussion oder Einzelexplorationen, auch hier sorgt unter anderem das Internet für neue Möglichkeiten. Bei Icon Added Value wurden die etablierten Methoden stärker angepasst an die Bedürfnisse sowohl der Auftraggeber als auch der Probanden.

Qualitative als Ergänzung der quantitativen Forschung

Der zentrale Vorteil der primären qualitativen Marktforschung liegt auf der Hand: kundennah - qualitative Forschung als eine effiziente und unmittelbare Art, seinen Markt, seine Kunden und die Konkurrenz kennenzulernen, zu verstehen und Handlungsfolgen für Strategie, Marketing-Mix und Kommunikation abzuleiten. Lebendigkeit und das unmittelbare Erleben der Kunden ist und bleibt der Kernnutzen der qualitativen Marktforschung. Die Verwendung multimedialer Technologien sowie eine aktivere Rolle des Probanden im Forschungsprozess helfen, die Wirklichkeit des Lebensumfeldes und den Umgang mit Produkten und Dienstleistungen besser abzubilden und zu verstehen.

Marketingprobleme und -aufgabenstellungen passen in einer immer stärker individualisierten Welt weniger denn je in Schubladen. Die Kunst besteht darin, einerseits maßgeschneiderte Lösungen anzubieten, andererseits das enorme Wissen, das über Benchmarking und Datenbanken kommt, nicht zu verlieren, sondern weiter auszubauen. Modularisierung und Kombination von Methoden ist gefragt. Nicht mehr quantitativ oder qualitativ - sondern beides.

Als eine Verfeinerung und Vertiefung der Ergebnisse von qualitativen Interviews und Gruppendiskussionen haben sich vorgelagerte Aufgabenstellungen erwiesen. Bei der Rekrutierung der Probanden wird vereinbart, sich bereits im Vorfeld mit einem bestimmten Thema zu befassen. Das bedeutet: statt ausschließlicher Reaktion auf Fragen und Stimuli erfolgt ein aktives Auseinandersetzen mit Produkt, Umfeld und Bedürfnissen. Der Einsatz solcher "Hausaufgaben" kann auf Projekt, Auftraggeber und Branche ganz individuell abgestimmt werden: Beispielsweise die Erlebnisse bei einer Beratung in der Filiale einer Bank oder dem täglichen Onlinebanking von zuhause aus.

Probanden werden zu Forschern

Somit wird der Teilnehmer der Studie selbst zum Forscher und gewinnt dabei auch durchaus neue Erkenntnisse ("Mir war gar nicht bewusst, auf was ich alles achte, wenn ich mich zu meinen Finanzen beraten lasse! "). Diese Erfahrungen wer den in sogenannten Scrapbooks (Skizzenbücher) oder Tagebüchern zum Teil multimedial dokumentiert und idealerweise einige Tage vor dem Interview oder der Diskussion zurückgesandt.

Der Moderator kann sich damit schon früh ein Bild von den Teilnehmern machen, um gleich zu Beginn auf deren Bedürfnisse und Einstellungen flexibel eingehen zu können. Zudem liefern die Vorarbeiten einen lebendigen Einblick in die Erlebniswelt des Kunden, der tiefere Erkenntnisse liefert als es quantitative Methoden und die konventionellen qualitativen Methoden bislang leisten konnten.

Kritische Geister sehen hier eine Konditionierung der Teilnehmer. Es ist tatsächlich zu vermeiden, den Auftraggeber und den eigentlichen Untersuchungsgegenstand zu früh zu enthüllen - auch aus Vertraulichkeitsgründen. Jedoch sind die Katalysatorfunktion und der Wissensvorsprung für den eigentlichen qualitativen Teil von großem Nutzen.

Blogs & Bulletin Boards

Eine noch relativ neue Disziplin bilden Blogs & Bulletin Boards - auch in der qualitativen Marktforschung bekommt das Internet derzeit seine zweite Chance, allerdings durch die schlechten Erfahrungen des ersten Booms etwas zurückhaltender als dies derzeit bei der quantitativen Marktforschung zu beobachten ist. Gerade bei schwierig zu erreichenden Zielgruppen und der weit verbreiteten Begeisterung vor allem Jugendlicher, ihre Persönlichkeit in Communities wie Facebook öffentlich zu machen, bietet das Internet Chancen, das Individuum stärker in den Vordergrund zu stellen, Teilnehmer zu aktivieren und zu motivieren.

Bulletin Boards und Konsumenten-Blogs in der qualitativen Marktforschung sind eine thematische virtuelle "Pinwand" mit einer bunten Bandbreite an Informationen, die interaktiv erlebbar, individuell sowie inhaltlich schnell sind. So können sich schon vor einer Gruppendiskussion Jugendliche über ihre persönlichen Konsum- und finanziellen Ziele austauschen. Für Auftraggeber und Moderator wiederum eine gute Vorbereitung und Einstimmung auf Stimmungen und Meinungen.

Die Kombination dieser direkten und indirekten Methoden qualitativer Marktforschung stellen Möglichkeiten dar, unmittelbarer und näher an Verhalten und Empfindungen der eigenen Kunden und potenziellen Kunden teilzunehmen. Eine stärkere Aktivierung und höheres Involvement der Teilnehmer erhöhen die Informationsqualität, Lebendigkeit und Mitteilungsdichte - ohne Erkenntnisse zu konditionieren.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: CATI ist nach wie vor die am häufigsten eingesetzte Methode für die quantitative Forschung von Banken und Finanzdienstleistern. Durch die abnehmende Erreichbarkeit und Teilnahmebereitschaft der Zielpersonen wird die Rekrutierung von Interviewteilnehmern aber immer schwieriger, die Repräsentanz der Stichproben nimmt ab. Gleichzeitig steigt die Verbreitung von Internetanschlüssen und die Repräsentativität ihrer Nutzer weiter an, so dass Online als Erhebungsmethode an Bedeutung gewinnt.

Sukzessiver Übergang zu neuen Methoden

Erste Methodentests von Icon Added Value zeigen, dass - und wie - Anknüpfungen an bestehende Zeitreihen möglich sind. Bei einer Umstellung von CATI auf Online muss immer ein komplexes Bündel miteinander verflochtener Faktoren beachtet werden, um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Neben der wissenschaftlichen Grundlage stellen Erfahrungen in unterschiedlichen Branchen, Marken und Fragestellungen die wichtigste Grundvor-aussetzung dar. Wer jedoch über diese Kenntnisse verfügt, kann beruhigt in die Zukunft blicken. Denn auch eine Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen in Form eines gesetzlichen Verbots von Telefonumfragen ist in naher Zukunft durchaus möglich.

Ein weiterer Trend in der Finanzmarktforschung ist die wieder stärkere Verzahnung von quantitativer und qualitativer Forschung - letztere immer häufiger angereichert mit neuen Ideen und Impulsen wie vorgelagerte Aufgabenstellungen für die Probanden, die eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglichen, oder die Nutzung der Möglichkeiten des Internets als Vorbereitungsplattform. Um die Eingangsfrage zu beantworten: Nein, es steht kein abrupter Abschied von den "klassischen" Befragungsmethoden an, aber ein sukzessiver Übergang zu den Chancen und Möglichkeiten, die das Internet bietet - quantitativ wie qualitativ.

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