Leitartikel

Vom Schwanz her aufgezäumt

sb - Im Grunde sind sich alle einig: Die Deutschen sind ein Volk finanzieller Analphabeten. Die Verbraucher selbst beurteilen ihre ökonomische Grundbildung als unzureichend, und auch Studien, bei denen das Grundwissen zu wirtschaftlichen Themenstellungen abgefragt wird, fördern immer wieder erschreckende Unwissenheit zutage. Das wiederum hat mannigfache negative Folgen - und das nicht nur im persönlichen Bereich, wie es Bundespräsident Gauck unlängst thematisiert hat. Denn wem es am grundlegenden Verständnis für ökonomische Zusammenhänge fehlt, dem kommt naturgemäß auch der Bezug zur sozialen Marktwirtschaft als Grundlage unserer Gesellschaftsordnung abhanden. "Verbraucher" sind dabei immer "gut" und tendenziell in der Opferrolle, "Unternehmen" oder "die Wirtschaft" dagegen immer "böse". Die Wertpapierkultur, mit der der Verbraucher mit in die Unternehmerrolle schlüpft, wird dadurch sicher nicht gefördert. Ein Teil der Verweigerungshaltung der deutschen Verbraucher gegenüber Aktien und Investmentfonds mit all ihren Folgen für die Vorsorgeproblematik lässt sich somit sicher auf mangelnde ökonomische Bildung zurückführen. Generell ist derjenige, dem es am ökonomischen Grundwissen fehlt, eher unsicher und scheut sich davor, Entscheidungen zu treffen, die seinen Horizont übersteigen. Doch es gibt auch das entgegengesetzte Phänomen, das sich in der Überschuldungsproblematik niederschlägt.

Banken sind deshalb durchaus an informierten, "mündigen" Kunden interessiert, die bereit sind, Finanzentscheidungen zu treffen und auch dazu zu stehen. Angebote zur Verbesserung der Finanzbildung von Kindern und Jugendlichen, aber auch Erwachsenen gibt es aus der Branche deshalb in großer Zahl. Von den Absendern werden sie ausdrücklich nicht als Form der Lobbyarbeit verstanden, sondern dem Bereich "gesellschaftliche Verantwortung" zugeordnet. All diese Angebote werden insbesondere von Lehrern auch intensiv genutzt. Doch bei der verbreiteten grundlegenden Skepsis gegenüber "der Wirtschaft" wird auch immer wieder der Vorwurf erhoben, die Branche wolle auf diesem Wege Lobbyarbeit an den Schulen betreiben. In einer im Januar dieses Jahres veröffentlichten Qualitätsanalyse des Verbraucherzentrale Bundesverbands etwa wurden Unterrichtsmaterialien aus der Wirtschaft (nicht nur zum Thema Finanzbildung) weitaus stärker im unteren Spektrum des Notenspiegels angesiedelt als solche der öffentlichen Hand oder von Nicht-Regierungsorganisationen.

Die Konsequenz müsste also lauten: Wer Unternehmen nicht mit ihren Materialien in die Schulen hineinlassen will, der muss für ein entsprechendes Bildungskonzept und die Lehrerbildung sorgen. An dieser Stelle macht sich freilich einmal mehr der Bildungs-Föderalismus in Deutschland bemerkbar. Ein flächendeckendes Fach "Wirtschaft" gibt es an allgemeinbildenden Schulen nicht. In den meisten Bundesländern ist das Lernfeld auf mehrere Fächer aufgeteilt. Wenn aber wirtschaftliche Themenstellungen nur sporadisch beispielsweise einmal für zwei Wochen im Erdkunde-, ein andermal im Sozialkundeunterricht auftauchen, dann kommen dabei naturgemäß auch keine eigenen Lehrbücher zum Einsatz. Die Lehrer, die die Unterrichtseinheit mehr oder weniger in Eigenregie planen müssen, greifen dann eben auf das Material zurück, das ihnen angeboten wird. Die Absender dieser Materialien zu tadeln geht somit am eigentlichen Problem vorbei.

Anstatt diesem Problem jedoch durch die Schulpolitik zu Leibe zu rücken, wird das Pferd derzeit gewissermaßen vom Schwanz her aufgezäumt. Verbessert wird nicht die ökonomische und finanzielle Bildung nachwachsender Generationen. Sondern dem Verbraucher wird tendenziell finanzielle Unmündigkeit unterstellt, aufgrund derer er vor den Unternehmen, mit denen er Geschäfte macht, geschützt werden muss. Einen guten Teil der jetzt überbordenden Regulierung hätte man sich vielleicht sparen können, wenn die Schulen in Sachen ökonomischer Bildung besser aufgestellt wären.

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