Digitalisierung

An der Legacy-Schranke: Wie aus Banken Fintechs werden

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Bei ihren Bemühungen um die Digitalisierung stehen Banken vor dem Problem, mit der Technologie von gestern die Herausforderungen von morgen bewältigen zu müssen. Mit einem gewissen Recht scheuen sich Kreditinstitute vor einer Ablösung der alten Legacy-Systeme, so Bernd Schall. Dadurch aber sind sie gezwungen, verschiedene Systeme nebeneinander zu betreiben, was das Anbieten hoch personalisierter Services nahezu verhindert. Lösen lässt sich dieses Problem ohne eine komplette IT-Umstellung, indem eine Art "Fintech-Layer" als neue Schicht über die alten Systeme gelegt wird. Damit könnten Banken nach außen wie echte Fintechs agieren. Red.

Während viele Banken ihren Weg in die digitale Welt noch immer suchen, drängen neue Player in den Markt: die Fintechs, Start-ups, meist mit wenig (eigenem) Kapital, dafür aber mit vielen innovativen Ideen und noch mehr Selbstbewusstsein.

Mit ihren schlanken, technologiegetriebenen Geschäftsmodellen fordern sie die etablierten Institute heraus. Fintechs fokussieren sich auf spezielle Segmente des Finanzgeschäfts, etwa auf den Zahlungsverkehr, Immobilienfinanzierung, Peer-to-Peer-Kreditvergabe, Versicherungen oder Mobile Banking. Sie bieten aber auch neue Bankfunktionen an, so etwa Crowdfunding und Crowdinvesting, Peer-to-Peer-Kredite oder automatisierte Finanzberatung. Andere Unternehmen konzentrieren sich auf bankinterne Funktionen wie Risikobewertung oder Scoring. Dabei steht das Privatkundengeschäft deutlich im Vordergrund. Die BaFin geht davon aus, dass es in Deutschland mindestens 250 Unternehmen dieser Kategorie gibt, weltweit sollen es sogar über 12 000 sein.

Fintechs mit strukturellen Vorteilen

Die Fintechs verfügen meistens nicht über eine Banklizenz. Dafür sind die Anforderungen aus gutem Grund hoch und im Zuge der Finanzkrise wurden sie überall weiter verschärft. Für Fintechs sind solche Regulatorien in Anbetracht einer insgesamt schmalen Kundenbasis meist zu aufwendig und zu teuer. So sind sie vorerst auf die Kooperation mit einer echten Bank angewiesen.

Gegenüber traditionellen Instituten haben Fintechs einige strukturelle Vorteile, die ihnen zunächst einmal eine günstige Wettbewerbsposition verschaffen. Ihre Angebote sind selektiv und standardisiert; außerdem sind sie bewusst so abgestimmt, dass nur niedrige Zulassungshürden zu bewältigen sind, was nicht nur geringere Kosten sondern auch höhere Flexibilität bedeutet. Daher können sie beispielsweise neue Produkte wesentlich schneller in den Markt bringen.

Fintechs verfolgen ein Geschäftsmodell, das ohne das Internet und eine daran angepasste IT nicht funktionieren würde. In der Internet-Ökonomie sind sie damit natürlich besser verankert als herkömmliche Banken. So verfügen sie in der Regel über sehr gute Informationen über ihre Kunden, sodass sie mit situationsbezogenen, individuellen Angeboten für Finanzprodukte und -dienstleistungen aktiv werden können, lange bevor Banken überhaupt einen Bedarf erkennen. Die Reaktionsschnelligkeit macht sie wiederum für internetaffine Kunden attraktiv, die ein proaktives, personalisiertes Vorgehen längst aus dem Web kennen.

Noch nicht aus der Nische herausgekommen

Dennoch sind die Fintechs in den letzten fünf Jahren nicht so recht aus ihrer Marktnische herausgekommen. Ihr Anteil am Finanzsektor ist noch immer marginal. Zu einem relevanten digitalen Player, vergleichbar mit Amazon oder Facebook, ist es in diesem Finanzmarkt nicht gekommen, die meisten Fintechs sind Kleinunternehmen. Es hat sich gezeigt, dass das Fehlen einer breiten Kundenbasis, über die ja die etablierten Banken verfügen, auch durch viel Innovation nicht so leicht auszugleichen ist. Die meisten Fintechs kommen nur auf niedrige fünf- oder auf vierstellige Kundenzahlen, mittlerweile stagnieren die Zuwachsraten.

Der vielfach schon als Menetekel an Wand gemalte Untergang der traditionellen Banken ist zumindest vorläufig wieder abgesagt - Fintechs sind derzeit wohl eine der geringeren Sorgen dieses Sektors. Das lag aber nicht zuletzt auch daran, dass die etablierten Institute in den letzten Jahren nicht einfach abgewartet haben, bis sie von den Fintechs aus dem Markt gedrängt wurden. Vielmehr ist in allen Banken die "Digitale Transformation" mittlerweile ein Topthema, und das Fintech-Konzept ist dabei ein Bestandteil einer viel umfassenderen Digitalisierungsstrategie. Die Banken haben beispielsweise immer wieder Fintechs - und damit auch deren Innovationen - übernommen, und sie haben auch selbst die Gründung von Fintechs gefördert, um deren Geschäftsmodelle zu integrieren.

Legacy-Systeme hemmen Digitalisierung

Doch obwohl sich die Banken - zumindest bislang - gegen den Angriff durch die Technologie behaupten konnten, die Digitalisierung ihres traditionellen Geschäfts ist vielfach eine offene Baustelle. Häufig fehlt ein ganzheitlicher Ansatz, der von der Filiale über das Web-Portal bis zur App alle Aktivitäten der Kunden konsistent abdeckt.

Kanalübergreifende, personalisierte Angebote auf Basis vorhandener Kundendaten stoßen bei Banken aber auf technische Schranken. In den Rechenzentren der Banken laufen oft noch Legacy-Systeme. Diese sind ausgereift, bewährt und sehr leistungsfähig hinsichtlich eines hohen Transaktionsaufkommens, sodass Banken die teure, zeitaufwendige und vor allem risikoreiche Migration scheuen. Die Banken werden ihre Legacy-Systeme auf absehbare Zeit nicht los, da sie für das transaktionsintensive Massengeschäft meist unverzichtbar sind. Die Verankerung im Massengeschäft ist aber wiederum der entscheidende Wettbewerbsvorteil der Banken gegenüber den Fintechs.

Andererseits sind Legacy-Systeme nicht flexibel genug, um die in einem digitalisierten Finanzmarkt benötigten Informationen und Services zeitnah bereitzustellen und beispielsweise eine volle Integration mobiler Devices oder personalisierter Services zu ermöglichen - also die Anforderungen zu erfüllen, die künftig zum Kern des Bankgeschäfts gehören werden. Selbst wenn Banken einen Weg in die digitale Welt gefunden haben, so sind sie doch meist gezwungen, dafür unterschiedliche Systeme nebeneinander zu betreiben. Der Einbau von Fintech-Konzepten in traditionelle Strukturen fügt dieser Landschaft nur ein weiteres "Silo" hinzu und löst das Grundproblem nicht. Hoch personalisierte Services auf unterschiedlichen Plattformen kann man so nicht anbieten; auch die breite Auswertung aller verfügbaren Daten, wie sie modernes Decision-Management für personalisierte Services erfordert, ist auf diese Weise nur mit großem Aufwand realisierbar. Während die Fintechs ohne Altlasten die Technologien implementieren können, die perfekt zu ihrem Geschäftsmodell passen - zum Beispiel Wertpapierkauf per App - , sind etablierte Banken gezwungen, mit den Technologien von gestern die Herausforderungen von morgen zu bewältigen. Es ist offensichtlich, dass das so nicht funktionieren kann.

Hier muss ein anderer Weg eingeschlagen werden: Die Banken müssen über ihre existierende IT-Infrastruktur eine neue "Schicht spannen"; eine Vermittlungsschicht, die, vereinfacht ausgedrückt, die Legacy-Systeme mit den modernen End-Systemen zusammenbringt. Auf diese Weise können die Daten der Legacy-Welt auf anderen Plattformen verwendet werden, beispielsweise für ein stark personalisiertes CRM-System, für mobile Apps oder für Web-Applikationen. Die Legacy-Systeme laufen dabei unverändert im Hintergrund weiter, sie stellen nach wie vor die Daten bereit, während die neue Schicht diese Daten zum Beispiel für personalisierte Angebote in Echtzeit aufbereitet.

Mit einer Fintech-Schicht neue Geschäftsmodelle erschließen

Diese Lösung ist nicht nur deutlich kostengünstiger als die Neuentwicklung einer IT-Infrastruktur, sie lässt sich auch viel schneller realisieren. Eine Fintech-Schicht kann in der Praxis bereits nach wenigen Monaten in den produktiven Betrieb gehen. Das ist umso wichtiger, als der Zeitfaktor in diesem Markt entscheidend sein kann.

Nicht, weil früher oder später doch noch die Fintechs drohen, sondern einfach, weil andere Institute mit Fintech-typischen Leistungen auf den Markt kommen werden. Denn im Grunde ist "Fintech" längst nicht mehr die Bezeichnung für eine Gruppe neuer Finanzdienstleister, sondern für ein Modell zukunftsfähiger, digitaler Geschäftsmodelle.

Zum Autor

Bernd Schall, Sales Manager Financial Services DACH, Pegasystems GmbH, München

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