Vertriebspolitik

Was tun mit den Filialen?

Ralf Maschek, Geschäftsführer, 3X Banktechnik GmbH, Heiningen

Quelle: 3X Banktechnik GmbH

Auch wenn der Abbau von Bankfilialen bundesweit voranschreitet, sind viele Kreditinstitute noch zu zögerlich, meint Ralf Maschek - auf Druck von Lokalpolitikern oder auch aufgrund langfristiger Mietverträge. In solchen Fällen sieht er Gestaltungspotenzial und nennt Beispiele, wie sich ungenutzte Flächen neu beleben lassen. Red.

Ein behaglich eingerichtetes Wohnzimmer mit Kamin und Couch samt Chips und Softdrinks ist in der Hauptfiliale der Volksbank Unna mittlerweile das meistgebuchte Beratungszimmer. Ein Beispiel, das aktuell in der Branche die Runde macht. Denn bundesweit suchen Banker aktuell nach Strategien, um für ihre Kunden relevant zu bleiben.

Noch beherrschen Nachrichten um den Rückzug aus der Fläche die Schlagzeilen. Ob bei der Sparkasse Bodensee, die aktuell ihre Doppelstrukturen nach der Fusion 2002 von Konstanz und Friedrichshafen bereinigt; oder bei der Volksbank Schwarzwald Baar in Villingen-Schwenningen, die Anfang April das Modell einer Video-Filiale in Mönchweiler vorgestellt hat, die künftig ohne Personal auskommt. Von 8 bis 18 Uhr erreicht der Besucher dort via Medientechnik Bankberater.

Wohin die Reise geht, weiß aktuell niemand. Doch den Bankern ist beim Gestalten der Zukunft mehr Mut und eine höhere Geschwindigkeit zu wünschen. Allein schon die Zurückhaltung gegenüber Medien und Presseanfragen oder die Sehnsucht nach Kontrolle der Kommunikation werfen im zweiten Jahrzehnt von Facebook & Co. ein ungünstiges Bild auf die konservativ geprägte Branche. In vielen Bereichen wähnt sich mancher in falscher Sicherheit oder geht zumindest von falschen Annahmen aus.

Transformation der Branche gestalten

Ging es noch vor 20 Jahren vor allem darum, Filialen binnen Tagen umzubauen, um die Erreichbarkeit für Kunden sicherzustellen, geht es heute oft darum, sich möglichst rasch aus der Fläche zurückzuziehen, um Kosten zu reduzieren für einen Service, den kaum mehr jemand in Anspruch nimmt. Und statt ein Fünftel der Filialen zu schließen, müsste manches Institut die Hälfte schließen, hätte dessen Vorstand nicht so viel Angst vor Lokalredakteuren, deren Zeitungen ja bald auch kaum mehr einer liest, und Dorfbürgermeistern, die auf dem Rücken der Wirtschaftsunternehmen jenseits aller Fakten billigen Standortpopulismus betreiben.

Längst geht es darum, die Transformation der gesamten Branche zu gestalten, die ohnehin aufgrund ihrer Struktur viel zu viele Bremser hat statt mutiger Visionäre. Die arbeiten bekanntermaßen in der IT oder neuerdings bei den Fintechs der New Economy, die ebenfalls das traditionelle Geschäft der Old Economy kannibalisieren. Deshalb ist es für die Banken wichtig, die aktuell jährlich an Terrain und Gestaltungskraft verlieren, maßgeschneiderte Kundenlösungen anzubieten und deshalb letztlich in deren Köpfen spazieren gehen zu können.

Steigende Regulatorik durch Basel III oder Geldwäschegesetz, Digitalisierung durch Online-Banking und niedrigste Zinsen machen es überdeutlich: Die Beratungskonzepte der Banken sind veraltet, deren Mitarbeiter mehrheitlich nicht onlineaffin, die Direktoren und Vorstände zu wenig experimentierfreudig und jede Ankündigung einer Filialschließung treibt den Verantwortlichen den Angstschweiß auf die Stirn statt dass sie sich an ihrer Entschlusskraft und Handlungsfähigkeit freuen.

So pauschal teilen die betroffenen Akteure der Branche die Kritik natürlich nicht. Aber jenseits des Protokolls ist genau das zu hören. Seit beispielsweise Lothar Mayer Vorstandssprecher der Sparkasse Bodensee ist, geht er das Thema "überdimensionierter Immobilien und überkommener Strukturen" massiv an. Zwar stellt er sich vor seine 800 Mitarbeiter, die "angesichts der Veränderungsgeschwindigkeit im Grenzbereich arbeiten." Aber beim Abbau von 82 Stellen bis Ende 2018 komme ihm die Demografie entgegen.

Vertrautheit entscheidet über Geschäftsabschluss

Dabei stehen die Banker teils zu Unrecht in der Kritik. Denn in den ländlichen Filialen, in denen über den ganzen Tag verteilt nur noch vier Kunden kommen, will doch längst niemand mehr arbeiten. Auch die Bargeldversorgung ist kein Argument mehr und für die Beratung gehen die Kunden ohnehin zum Spezialisten in der Zentrale. Das Wohnzimmer in der Unnaer Filiale ist ein Vorbote dieser Zukunft. Dort krabbeln Babys sofort auf dem Boden und beschäftigen sich selbst, eben wie zuhause.

Kürzlich, erzählt der Niederlassungsleiter, sei eine Mutter während der Beratung vom Sessel selbst auf den Boden gerutscht, um intensiver Kontakt zu ihrer Tochter zu haben. Intuitiv sei der Berater "nachgerutscht", um das Gespräch über eine Eigenheimfinanzierung auf Augenhöhe fortzusetzen. Kunden haben hier auf dem großen Bildschirm, der die Beratung visualisiert, auch schon Champions-League-Spiele mit Bankern angeschaut, inklusive Bier vom Fass und Chips. Denn in Zeiten, in denen Konditionen immer identischer werden, entscheidet Vertrautheit über einen Geschäftsabschluss.

Kulturelle Veränderung noch am Anfang

Doch die kulturelle Veränderung steht noch am Anfang: Demnach trauen sich viele Kunden noch immer nicht, ihren Berater nach 18 Uhr zum Termin zu bitten. Das gilt als rücksichtslos. Wenn aber diese Kunden zu Online-Banken abwandern, trifft das den Berater deutlich härter, weil es seinen Arbeitsplatz gefährdet. Solche Sachverhalte gehören endlich kommuniziert - und zwar extern wie intern. Bei der Sparkasse in Delbrück, die vor allem Schweinemastbetriebe finanziert, denkt man derweil schon mal über den eigenen Dresscode nach. "Keiner, der unsere Filialen betritt, ist gekleidet wie wir", sagt der Vorstand dort zu Recht.

Der Mann ist mit seinem laut Nachdenken auf dem richtigen Weg. Dabei stolpert man nur so über Themen, die längst neu diskutiert und bewertet gehören. So war es vielfach über Jahrzehnte Usus, generell keine Ferraris oder Lamborghinis zu finanzieren. Der - auch nicht offen kommunizierte - Grund: Viele Kreditnehmer könnten Bordellbetreiber oder Drogendealer sein, die hier entweder Schwarzgeld waschen, morgen im Gefängnis sitzen oder über alle Berge sind. Das Risiko und die Imagegefährdung schienen einfach zu groß und eine ökonomische Not hatte man auch nicht. Heute ist nicht nur Letzteres anders. Die allermeisten Luxuslimousinen werden inzwischen von Unternehmern, Millionenerben und Privatiers gekauft, die gleichermaßen seriös wie solvent sind - das Geschäft machen aber längst darauf spezialisierte Leasinggesellschaften.

Experimentierfreude gefragt

Bei der Suche nach der Bank von morgen gibt es natürlich keine fertigen, überallhin übertragbaren Konzepte. Aber umso mehr lohnen der Blick über den eigenen Tellerrand und deutlich mehr Experimentierfreude, wie einzelne Beispiele belegen. So hat die niederländische Rabobank nahezu alle Filialen geschlossen und ist nun mit mobilen Beratern etwa bei Vereinen präsent und hat stattdessen ein "Wissenszentrum" eröffnet.

Dort beraten Bankmitarbeiter und teilen ihr Wissen rund ums Geld. Vor allem aber Kunden tauschen sich hier aus und finden regionale Partner. Dazu kann man Besprechungsräume mieten oder Veranstaltungen ausrichten. Alle konkurrierenden Banken gründeten außerdem eine Servicegesellschaft, die etwa Geldautomaten und anderes Equipment wartet, betreibt und zunehmend auch besitzt.

In anderen Häusern startet man Digitalisierungsoffensiven, wonach in allen Filialen junge Mitarbeiter teils stundenlang den oft älteren Kunden erklären, wie man an PC, Tablet oder Smartphone online geht und Internetbanking macht. Oder die Mitarbeiter laden gleich Seniorenclubs ins Haus ein oder halten Vorträge bei der örtlichen Volkshochschule. Immer mehr Vertriebler erkennen auch, dass die Bank nicht dauerhaft präsent sein muss, aber dann, wenn Menschen in besonderen Lebenssituationen stehen wie Geburt, Tod, Hochzeit, Scheidung oder Eintritt in den Ruhestand.

Dann ist auch Empathie gefragt, Zeit zum Zuhören, Beziehung stiften. Die Volksbank Wilhelmshafen etwa hat sich auf ein Experiment eingelassen, von dem sie am Ende sogar noch profitierte: Ungenutzte Flächen in Filialen wurden für Seniorentreffs umgewidmet. Zwar rümpften anfangs die Mitarbeiter die Nase, doch beim Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spielen oder Eierlikör anrühren kamen die Senioren, vermutlich stimuliert durch das Ambiente, immer wieder auf Finanzthemen wie Erbe, Hausverkauf oder Lebensversicherung zu sprechen. Mehr noch: Bei den teils weit weg wohnenden 55-jährigen Söhnen und Töchtern sammelt die Bank Sympathiepunkte - eine wichtige Voraussetzung, um Geschäfte zu machen.

Ungenutzte Flächen mit Gestaltungspotenzial

Das Beispiel zeigt: Wo Flächen ungenutzt sind oder Banken beim Rückzug aus Mietverträgen nicht sofort herauskommen, liegt Gestaltungspotenzial. Dazu passt auch dies: Die Volksbank Altenburg in Thüringen setzt auf energieneutrale Häuser, die sie in der Baufinanzierung bewirbt und parallel Handwerker in zwei Musterhäusern in neuen Technologien schult. Die Grundidee ist ausbaufähig auf energieautarke Fabriken und Bürogebäude. Die Bank lässt entsprechende Experten vor ihren Gewerbekunden referieren, löst damit Investitionen und Kreditnachfrage aus und organisiert Wertschöpfung in ihrem lokalen Markt.

Varianten davon sind Institute, die ihre Firmenkunden und Einzelhändler mit Experten für Online-Handel zusammenbringen, die den Händlern Online-Shops einrichten und beim Bewerben und Verlinken dieses Vertriebskanals unterstützen. Und die Bank steuert das Bezahlsystem bei, das - ganz nebenbei - auch schon vor zehn Jahren hätte marktreif sein können, ehe Amazon, Google & Co. den Markt mit ihrem Paypal-System unter sich verteilten.

Andere Banken transferieren Knowhow, etwa aus der Pflege- oder Gebäudereinigungsbranche, um Migranten für deutsche Arbeitsmarktkultur zu qualifizieren. Denn wer Fachkräftemangel hat, braucht keinen Kredit, um eine neue Werkstatt zu bauen. Und auch das gibt es: Die Sparkassen in Wuppertal oder die Mainzer Volksbank eröffneten jüngst SB-Filialen an den Unis, um dort zu sein, wo die Musik spielt.

Zum Autor Ralf Maschek, Geschäftsführer, 3X Banktechnik GmbH, Heiningen

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