ALTERSVORSORGE

"In den nächsten Monaten wird wohl ein erstes Sozialpartnermodell entstehen" Interview mit Norbert Reuter

Dr. Norbert Reuter, Foto: Verdi

Den Vorwurf, die Gewerkschaftsseite blockiere die Umsetzung des vom Betriebsrentenstärkungsgesetz vorgesehene Sozialpartnermodells, weist Norbert Reuter weit von sich. Vielmehr seien Gespräche bislang daran gescheitert, dass die Arbeitgeberseite keinen Eigenanteil zu leisten bereit sei. Grundsätzlich sieht Reuter im BRSG viele Verdi-Forderungen umgesetzt. Allerdings sieht er mit dem Garantieverbot viel Überzeugungsarbeit verbunden. Umso wichtiger sei die Einbeziehung der Gewerkschaften. Eine Ablösung bestehender klassischer bAV-Modelle für bereits Versicherte kommt aus seiner Sicht zudem nicht infrage. Red.

Was Angebote für die Betriebsrente nach dem Sozialpartnermodell gemäß Betriebsrentenreformgesetz angeht, sehen sich Versicherer/Fondsgesellschaften gut aufgestellt. Der schwarze Peter dafür, dass noch keine entsprechenden Modelle in der Praxis verfügbar sind, wird der Gewerkschaftsseite zugeschoben, die die Umsetzung blockiere - zu Unrecht?

Der Verdi-Bundesvorstand hatte bereits Anfang 2018 die Möglichkeiten des neuen Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BRSG) beziehungsweise des Sozialpartnermodells ausdrücklich gewürdigt und empfohlen, in kommenden Tarifverhandlungen, insbesondere in den Bereichen, in denen es noch keine betriebliche Altersversorgung (bAV) gibt, die Möglichkeiten des neuen Gesetzes zu nutzen und die Umsetzung einer arbeitgeberfinanzierte bAV anzustreben.

Allerdings hat sich Letzteres als zentrales Problem erwiesen, da Arbeitgeber zunächst nicht bereit waren, einen Eigenbeitrag jenseits der vom Gesetz vorgesehenen Weitergabe der eingesparten Sozialversicherungsbeiträge bei Entgeltumwandlung zu leisten. Hieran sind sogar schon bereits weit fortgeschrittene Gespräche zur Errichtung eines Sozialpartnermodells letztlich gescheitert. Aus Sicht von Verdi kann es nicht sein, dass die Beschäftigten alleine ihre Betriebsrente finanzieren, indem sie etwa auf Gehaltssteigerungen verzichten.

Wie sind die Regelungen des Betriebsrentenstärkungsgesetzes aus Gewerkschaftssicht zu beurteilen? Sind die Regelungen geeignet, mehr Arbeitnehmer in den Genuss einer Betriebsrente kommen zu lassen?

Mit dem BRSG wurden für die bAV verbesserte Rahmenbedingungen geschaffen, die weitgehend langjährige Verdi-Forderungen umsetzen: der neue bAV-Förderbetrag, der Anreize für mehr Arbeitgeberfinanzierung schafft; der neu eingeführte Anrechnungsfreibetrag in der Grundsicherung; die verpflichtende Weitergabe von 15 Prozent der eingesparten Sozialversicherungsbeiträge bei Entgeltumwandlung und die Verbesserungen bei der Riester-Förderung ("Betriebs-Riester").

Offensichtlich reichen diese Anreize und die völlige Enthaftung der Arbeitgeber im Zuge der reinen Beitragszusage ("pay and forget") aber nicht aus, ihren Beschäftigten eine bAV anzubieten. Auch der von uns hervorgehobene Vorteil, dass eine bAV in Zeiten eines immer stärker beklagten Facharbeitermangels dazu beitragen könnte, Unternehmen für Beschäftigte attraktiver zu machen, konnte offensichtlich bislang nicht überzeugen.

Was sind aus Gewerkschaftssicht die Vorteile des Gesetzes und die wesentlichen Kritikpunkte daran?

Die Vorteile sind vor allem,

- dass der Staat durch den bAV-Förderbetrag einen besonderen Anreiz für Beschäftigte mit niedrigen Einkommen setzt, für sie eine AV abzuschließen;

- dass klargestellt wurde, dass Arbeitgeber eingesparte Sozialversicherungsbeiträge nicht einfach, wie vielfach praktiziert, einbehalten dürfen;

- dass es sich durch den Anrechnungsfreibetrag in der Grundsicherung auch für diejenigen lohnt, in eine bAV einzuzahlen, die bislang fürchten mussten, dass ihre Betriebsrente voll angerechnet wird, und

- dass es mit der neuen Riester-Rente deutlich attraktiver geworden ist, betriebliche Riester-Verträge abzuschließen.

Insofern stellt das BRSG in der Tat neue Regelungen bereit, die helfen können, wachsender Altersarmut entgegenzuwirken. Auch sehen wir die reine Beitragszusage grundsätzlich positiv, da wegen wegfallender Kosten für Garantien höhere Betriebsrenten in Zeiten von Null-Zinsen möglich werden. Als Kompensation für die wegfallenden Garantien ist es aber wichtig, dass diese Zusageform nur im Rahmen eines "Sozialpartnermodells" möglich ist, Gewerkschaften und Arbeitgeber also gemeinsam an der "Durchführung und Steuerung" der Anlagen beteiligt sind.

Kritisch sehen wir den Umstand, dass der Förderbetrag nur bis zu einem Einkommen von 2 200 Euro gezahlt wird, und diese Grenze auch nicht dynamisiert ist, sodass mit jeder Lohnsteigerung Beschäftigte aus der Förderung fallen. Auch hätten wir uns klarere Kriterien gewünscht, wann die im Gesetz geforderte Beteiligung an der "Durchführung und Steuerung" erfüllt ist, und natürlich eine Regelung, dass der Arbeitgeber einen eigenen Beitrag zur bAV leisten muss.

Wie ist das Garantieverbot zu bewerten? Auf welche Akzeptanz stößt das bei den Beschäftigten?

Das Garantieverbot bei der neuen Zusageart der Zielrente stellt die Gewerkschaften vor ein großes Kommunikationsproblem, da keinerlei Leistungen mehr konkret zugesagt werden dürfen. Schnell war das böse Wort von der "Zockerrente" im Umlauf. Um hier Akzeptanz zu schaffen, muss intensiv über die Hintergründe aufgeklärt werden. Etwa, dass Garantien immer mit Kosten verbunden sind, die zulasten der späteren Rente gehen. Und das andere Länder - zum Beispiel die Niederlande - seit langem gute Erfahrungen mit der Zielrente gemacht haben - trotz zwischenzeitlicher Finanzkrise.

Große Unternehmen haben ja oftmals bAV-Angebote, es gibt auch erfolgreiche Branchenlösungen. Welche Chance haben da überhaupt die neuen Modelle nach dem Sozialpartnermodell?

Gerade im Dienstleistungsbereich mit vielen kleinen Betrieben habe viele Beschäftigte - vor allem Frauen - überhaupt keine bAV. Und die hätten es gerade besonders nötig. Diese sollen gerade durch das BRSG erreicht werden - beispielsweise, indem Arbeitgeber durch einen Förderbetrag einen Anreiz erhalten, für ihre Beschäftigten eine bAV abzuschließen und im Falle der reinen Beiträge auch von der Haftung befreit werden, sie sich also nur zur Zahlung eines regelmäßigen Beitrags verpflichten, aber nicht am Ende für eine bestimmte Rentenhöhe haften.

Wie sollte - eine entsprechende Einigung und Einarbeitung in Tarifverträge vorausgesetzt - die Einführung vonstattengehen: im Sinn einer Umstellung vom alten auf das neue Modell, einem Nebeneinander beider Varianten mit Wahlrecht oder dem Beibehalten des alten Modells für Bestandsmitarbeiter und Einführung des neuen bei neuen Verträgen?

Beschäftigte, die in Zeiten mit hohen Zinsen noch eine bAV abgeschlossen haben, haben oftmals attraktive Leistungszusagen erhalten, an die die Arbeitgeber heute gebunden sind. Insofern kommt für sie eine Umstellung nicht infrage. Neueingestellte Beschäftigte haben dafür aber überhaupt keine bAV mehr bekommen.

Die reine Beitragszusage eröffnet für Arbeitgeber wieder die Möglichkeit, eine bAV für neue Beschäftigte abzuschließen, ohne Leistungen zusagen zu müssen - außer, dass sie einen bestimmten Betrag pro Monat einzahlen. Insofern kommt eine Umstellung nicht infrage, ein Nebeneinander von "alter" und "neuer" bAV-Welt - gegebenenfalls mit Wahlrecht - wird daher zukünftig in Tarifverträgen geregelt werden.

Rechnen Sie mit einem baldigen "Durchbruch" - oder überhaupt einer Durchsetzung in der Breite? Oder ist das BRSG gewissermaßen eine "Totgeburt"?

Da mit der reinen Beitragszusage und dem Sozialpartnermodell völliges Neuland betreten wird und etwa Fragen der "Durchführung und Steuerung" detailliert geregelt und zwischen den Tarifparteien geeint werden müssen, haben wir es mit einer komplexen rechtlichen Materie zu tun. Auch muss den Arbeitgebern klar werden, dass auch sie einen Beitrag zur bAV ihrer Beschäftigten leisten müssen.

Derzeit läuft in Verdi eine Reihe von Gesprächen, sodass aller Voraussicht nach in den nächsten Monaten ein erstes Sozialpartnermodell entstehen wird. Gibt es erst einmal einen solchen Präzedenzfall, werden die nächsten Modelle vermutlich nicht lange auf sich warten lassen.

Wie sollte aus Gewerkschaftssicht die ideale Betriebsrente für alle aussehen? Und wie könnte erreicht werden, dass auch Mitarbeiter kleiner Betriebe einbezogen werden? Braucht es hier doch den Staatsfonds?

Jetzt sollten erst einmal die Möglichkeiten des BRSG genutzt werden. Das wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Wenn es wider Erwarten nicht zu einer deutlichen Verbesserung der Verbreiterung der bAV kommen sollte, müsste man über andere Möglichkeiten nachdenken. Das wäre aber der zweite Schritt.

Eine "Zwangsentgeltumwandlung", also bAV alleine von den Beschäftigten finanziert und dazu verpflichtend, ist für Verdi absolut keine Option. Erst einmal gilt es nun alle Kraft auf die Umsetzung der Möglichkeiten des BRSG zu setzen.

Dr. Norbert Reuter, Leiter der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung, ver.di Bundesverwaltung, Berlin

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