KOOPERATION

"Der Trend in Richtung Mehrfirmenvertreter ist unaufhaltsam" Interview mit Holm Diez

Holm Dietz, Foto: neue leben, John M. John

Die Bankassurance erlebt aktuell eine echte Renaissance, ist sich Holm Diez sicher. Als Haupttreiber für diese Entwicklung macht er die Niedrigzinspolitik aus. Gleichzeitig wächst der Wunsch des Kunden, alle Finanzdienstleistungen aus einer Hand zu bekommen. Das Modell der Zukunft im Bankvertrieb von Versicherungen sieht Diez im Mehrfachagenten. Denn nur so könne es gelingen, dem Kunden jeweils ein passendes Produktangebot zu unterbreiten und gleichzeitig alles bei einem Berater zu bündeln. Einen Widerspruch zwischen Beratung und Online-Abschluss sieht er dabei nicht. Es komme nur auf die richtige Gestaltung der Tools an. Red.

Derzeit wird viel von einer Renaissance der Bankassurance gesprochen - weshalb?

Die Renaissance der Bankassurance wurde in den vergangenen Jahren schon mehrfach beschworen. Doch in diesem Jahr stehen die Zeichen besonders gut. Wir gehen davon aus, dass die Bankassurance in den nächsten Jahren deutlich wachsen wird. Bis 2024 erwarten wir ein Wachstum von 5 bis 6 Prozent.

Das liegt einerseits daran, dass das Geschäft der Banken sich deutlich verändert hat und andererseits daran, dass der Bedarf der Kunden an einer ganzheitlichen Beratung deutlich wächst. So gibt es viele Kunden, die eine solche Lösung bei ihrer Bank suchen. Gleichzeitig stehen Banken vor der Herausforderung, ihr Geschäftsmodell zu modernisieren, um ihren Provisionsertrag auszubauen. Hier treffen Kundennutzen und Bankinteresse aufeinander.

Diese Konstellation gibt es doch schon seit einigen Jahren. Weshalb sehen Sie gerade jetzt den Zeitpunkt für einen Ausbau der Bankassurance gekommen? Ist die Not der Banken jetzt größer als noch vor zwei, drei Jahren?

Diese Entwicklung hat sich im vergangenen Jahr bereits abgezeichnet und sie wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Der größte Treiber dafür ist die Niedrigzinspolitik, durch die sich eine Verlagerung von klassischen Bankdienstleistungen zu Provisionsertrag erkennen lässt.

Haben die Krisen der vergangenen zwei Jahre - Corona oder auch die Flutkatastrophe - ebenfalls dazu beigetragen, indem sie das Interesse an Versicherungen haben steigen lassen?

Basierend auf den Kundenumfragen der Neue Leben kann ich das klar bejahen. Viele Menschen haben sich in der Corona-Situation damit beschäftigt, wie das Leben weitergeht, und haben die Zeit zu Hause auch dazu genutzt, ihre Finanzen zu sortieren. Das sorgt dafür, dass sowohl in der Altersvorsorge als auch in der Risikoabsicherung ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen ist, der ganz klar von Kundennachfrage getrieben wird.

Die Neue Leben war ursprünglich ein reines Sparkassengewächs. Was ist heute in der Zusammenarbeit mit Sparkassen durch die Zugehörigkeit im Talanx-Konzern anders?

Die Neue Leben ist mittlerweile seit 57 Jahren in der Bankassurance aktiv. Damit gehören wir zu den Gesellschaften, die das Geschäftsfeld "Banken-Versicherung" am längsten begleiten und über eine hohe Expertise verfügen.

Ursprünglich war die Neue Leben als Tochter der Hamburger Sparkasse eine sehr kleine Versicherung. Mit der Talanx im Rücken konnte die Gesellschaft weiterwachsen.

Dabei sind drei Aspekte besonders interessant. Da ist zum einen die Internationalität des Talanx-Konzerns. Wir profitieren von dem Austausch mit den Kollegen aus anderen Ländern, die gerade beim Thema Digitalisierung sehr aktiv sind, beispielsweise in Polen oder Brasilien. Dabei eint uns unter dem Dach der HDI/Talanx-Gruppe der gleiche Fokus: Wir wollen zeit- und bedarfsgemäße Vorsorgeprodukte anbieten und die digitale Transformation der Geschäftsmodelle vorantreiben. Durch eine gemeinsame Steuerung und Aufgabenteilung können wir Kostenvorteile nutzen. Die Neue Leben ist Komplettanbieter im Bereich Personenversicherung. Dort, wo wir kein Angebot haben, suchen wir uns Partner, die wir über eine Schnittstelle anbinden, um die Sparkasse auch dort zu bedienen. Wir sind heute im Grunde Mehrfachagent für unsere Bankpartner und bieten Produkte und Dienstleistungen aus einer Hand

Einer der wichtigsten Aspekte im Konzern ist natürlich auch die Diversifizierung der Kapitalanlagen. Talanx ist einer der größten Kapitalanleger in Deutschland. Davon profitiert insbesondere die Neue Leben.

Darüber hinaus sind wir nach wie vor sehr eng mit der Sparkassenorganisation verwoben. So gehört unsere Pensionskasse mehrheitlich den Sparkassen und die Hamburger Sparkasse ist neben der Talanx AG unser größter Aktionär.

Wie sieht es mit der IT-Integration mit der Finanz Informatik aus?

Damit Berater effizient arbeiten können, ist die Vernetzung in die IT-Systeme der Sparkassen erforderlich. Wir haben einen sehr engen Kontakt zur Finanz Informatik und alle unsere Produkte sind auch in die IT-Systeme der Sparkassen eingebunden. Die Kundenschnittstelle ist im Sparkassen-Design gestaltet, die Tools dahinter kommen jedoch von der Neue Leben. Ein eigenes Anwender-Entwicklungsteam beschäftigt sich bei uns ausschließlich damit, wie sich die IT der Neue Leben in das jeweilige Bankensystem integrieren lässt.

Wie viele Sparkassen und sonstige Bankpartner arbeiten mit der Neue Leben zusammen?

Die Neue Leben hat im Wesentlichen zwei Partnerstränge: Da sind zum einen die Sparkassen mit einem Geschäftsanteil von 90 bis 95 Prozent. Das sind knapp 100 Häuser in Deutschland. Mit ihnen arbeiten wir in verschiedenen Modellen zusammen - von der Ausschließlichkeit über den Mehrfachagenten bis hin zu Service- oder Produktpartnern. Daneben arbeiten wir mit Maklern zusammen, die primär das Thema Pensionskasse/betriebliche Altersvorsorge (bAV) mit der Neue Leben betreuen.

Erfreulicherweise kommen immer mehr Anfragen von anderen Banken und wir sind auch in Gesprächen mit anderen Bankpartnern. Wir sind hier sehr offen für neue Kooperationen und über Schnittstellen sind wir in der Lage, an jedes Kernbankensystem anzudocken.

Welches ist das meistgenutzte Modell in der Zusammenarbeit mit den Sparkassen - und welche Trends beobachten Sie?

Das meistgenutzte Modell gibt es heute im Grunde gar nicht mehr. Denn wir erleben gerade einen großen Wandel im Sparkassenmarkt. Waren früher von den rund 400 Sparkassen etwa 300 in der Ausschließlichkeit, geht der Trend inzwischen ganz klar zum Mehrfirmenvertreter. Die Sparkassen haben erkannt, dass ihre Kunden, wenn sie eine ganzheitliche Finanzberatung möchten, eine Auswahl erwarten, die perfekt zu ihrer Lebenssituation passt. Heute kann jedoch kein Anbieter in Deutschland in der Produktpalette jedes Produkt - von der Tierkrankenversicherung bis zur Altersvorsorge - liefern, das auch noch über Top-Ratings verfügt. Deshalb gibt es den Trend zum Mehrfirmenvertreter. Auf diesem Weg sind auch die Partner der Neue Leben schon seit vielen Jahren, sodass sie in der Regel gut dastehen, was die Entwicklung der Marktanteile und Provisionserlöse betrifft.

Ist das klassische Bankassurance-Modell in der Ausschließlichkeit ein Auslaufmodell?

Das Modell des Einfirmenvertreters besteht noch. Aus unserer Sicht ist der Trend in Richtung Mehrfirmenvertreter aber unaufhaltsam. Ich bin überzeugt, dass der Mehrfachagent beziehungsweise Makler die Modelle sind, die sich in den Sparkassen durchsetzen werden. Das ist auch gut. Denn wenn man den Kunden bedarfsorientiert beraten will, wie es die Sparkassen mit dem Sparkassen-Finanzkonzept tun, dann muss das Angebot auch passen. Die Lösung kann nicht sein, den Kunden kompetent zu beraten, ihm am Ende aber kein passendes Angebot unterbreiten zu können. Das lässt sich vermeiden, indem man sich breiter aufstellt.

Müssen Banken und Sparkassen sich also perspektivisch zu Maklern entwickeln?

Nicht gleich zum Makler. Der Mehrfachagent mit einem gut ausgewählten Angebot, das zum Kundenpotenzial beziehungsweise dem eigenen Kundenstamm passt, funktioniert aus meiner Erfahrung sehr gut. Das sieht man in der Sparkassenorganisation deutlich: Beispielsweise werden in der Sachversicherung nur wenige Anbieter angebunden, die teilweise auch regional verwurzelt sind und regionale Expertise haben. Anders beim Thema Altersvorsorge. Hier sind die Sparkassen sehr breit aufgestellt - je nachdem, ob es sich um Anlageersatzgeschäft, eine fondsgebundene Altersvorsorge oder eine betriebliche Altersvorsorge handelt.

Dafür muss man nicht unbedingt Makler sein. Sondern hierfür reicht das Modell des Mehrfachagenten aus, das dann für die jeweilige Sparkasse auch noch zu bewältigen sein muss. Die Komplexität hinter einem solchen Modell darf nicht unterschätzt werden. Und die Sparkassen müssen das auch noch abbilden können.

Ist das Modell des Mehrfachagenten möglicherweise im Blick auf Kundenbindung sogar vorteilhafter?

Gerade bei langfristigen Themen wie Alters- oder Risikovorsorge sind Kunden noch sehr mit ihrem Berater verbunden und freuen sich, wenn sie einen Ansprechpartner für alle Angelegenheiten haben. Das ist der große Vorteil des Mehrfachagenten. Hier erhält der Kunde alles aus einer Hand. Das ist übrigens auch die Erwartungshaltung, die Kunden an ihre Sparkasse haben.

Wie verändert sich das durch die Digitalisierung?

Das ist ein sehr spannendes Thema, das ich in Teilen anders sehe als viele meiner Kollegen. Die Digitalisierung ist dafür da, den Prozess vor und hinter der Steckdose zu vereinfachen. Denn die Steckdose - das Produkt - haben wir bereits. Aus unseren Studien wissen wir, dass nicht die reine Digitalisierung des Antragsprozesses oder der Verwaltung in einem digitalen Versicherungsordner den Kundennutzen befriedigt. Vielmehr ist der Kunde erst dann zufrieden, wenn wir ihm die Eintrittsbarriere zu seinem relevanten Thema reduzieren beziehungsweise sogar beseitigen.

Eine Befragung der Neue Leben gemeinsam mit dem S-Hub zeigt: Kunden wissen häufig nicht, dass eine Altersvorsorge zum klassischen Beratungsangebot einer Sparkasse zählt. Auf die Frage, was bei der Verbesserung der Situation helfen würde, wurde nicht der digitale Versicherungsordner genannt, mit dem bestehende Verträge verwaltet werden können, sondern die digitale Ansprache über Social Media oder andere Kanäle. Dort könnte die Aufmerksamkeit für Altersvorsorge oder andere Bereiche der Personenversicherung geweckt werden und die Ansprache könnte deutlich mehr Wirksamkeit entfalten. Wenn es uns gelingt, beides miteinander zu kombinieren - die digitale Ansprache und die digitale Verwaltung - ergibt sich dadurch ein echter Mehrwert. Darauf müssen wir in der Branche hinarbeiten.

Der digitale Versicherungsabschluss ist heute noch keine Selbstverständlichkeit - vor allem im Vertriebskanal Bank. Woran liegt es, dass viele Institute hier noch kaum Online-Tools oder -Abschlussmöglichkeiten integriert haben?

Auch wenn der Kunde das Beratungsangebot gerne annimmt, möchte er sich vorher unverbindlich informieren. Aus unserer Studie wissen wir: 60 Prozent aller Kunden, die das Bedürfnis haben, sich zum Thema Altersvorsorge beraten zu lassen, wünschen sich ein digitales Angebot- und auch die Möglichkeit, dies digital abzuschließen. Sie finden allerdings auf der Website ihrer Bank oder Sparkasse oft keinen Einstieg.

Die Neue Leben hat deshalb seit zwei Jahren eine komplett digitale Antragsstrecke zur Altersvorsorge einschließlich digitaler Unterschrift. Sparkassen, die die Online-Abschlussstrecke nutzen, haben deutlich höhere Beitragssummen und eine deutlich höhere Stückproduktivität. Das heißt: Der digitale Kanal hilft sowohl den Kundennutzen zu befriedigen als auch den Marktanteil der Sparkassen auszubauen.

Bis Ende des Jahres werden alle Produkte der Neue Leben in der Online-Filiale der Partner Sparkassen komplett digital abschließbar sein. Wir können Digitalisierung und damit möchten wir im Markt punkten.

Das nutzen jedoch noch nicht alle Institute?

Nein. Aber es fällt Banken und Sparkassen zunehmend leichter, sich neben ihrem traditionellen auch ein digitales Geschäftsmodell aufzubauen. Kunden sind heute hybrid unterwegs und wollen entsprechende Angebote. Für die Anbieter besteht die Kunst darin, mit dem richtigen Mitarbeitermix beide Geschäftsmodelle zu managen.

Welcher Anteil der Kunden nutzt heute einen komplett digitalen beziehungsweise hybriden Prozess?

Es gibt Kunden, die ihre komplette Altersvorsorge digital abschließen. Ein typischer Punkt im Prozess, an dem viele in die Beratung wechseln, ist die Entscheidung darüber, wie hoch der Fondsanteil in der Altersvorsorge sein soll. Heute sind es noch 70 Prozent der Kunden, die das tun, um bei einer so wichtigen Entscheidung wie der Altersvorsorge keinen Fehler zu machen und die für sie richtige Entscheidung zu treffen. Der Anteil der Online-Abschlüsse steigt aber langsam und kontinuierlich an. Corona hat hierbei auch einen Einfluss.

Erschweren die beratungsbedürftigeren neuen Garantiemodelle die Entwicklung zum Online-Abschluss in der Altersvorsorge?

Das hängt davon ab, wie man diesen Prozess gestaltet. Wenn man den Kunden zwingt, sich zwischen verschiedenen Garantiemodellen und Fonds zu entscheiden und die Asset Allocation selbst zu bestimmen, dann überfordert das viele klassische Filialkunden. Das wollen wir nicht in unserer Beratungs- und Abschlussstrecke.

Wir brauchen jedoch einen Mentalitätswechsel. Bankenvertrieb ist unserer Meinung nach immer noch sicherheits- und einlagengetrieben. Mit der klassischen Lebensversicherung mit Garantien lässt sich keine auskömmliche Altersvorsorge generieren. Wir brauchen deshalb eine Beimischung anderer Finanzinstrumente wie Fonds, wie es im europäischen Ausland längst akzeptiert ist. Dafür müssen Kunden einen Teil ihres Sicherheitsanspruches aufgeben und die Chancen der Beimischung anderer Finanzinstrumente wie zum Beispiel Fonds erkennen. Wir sehen bereits ein Umdenken bei den Kunden. Eine Rückkehr zur klassischen Lebensversicherung mit Garantien in der Altersvorsorge kann ich mir zumindest in der aktuellen Situation nicht vorstellen.

Wie muss ein Tool aussehen, damit Kunden damit nicht überfordert sind?

Die Modelle müssen einfach sein und maximal drei Alternativen zur Auswahl anbieten. Wenn den Kunden transparent und verständlich dargestellt wird, wie sich ihre Entscheidung für das eine oder andere konkret auf die Entwicklung ihrer Rente auswirken kann, lassen sie sich auf den Prozess ein. Diesen Prozess haben wir gemeinsam mit Kunden gestaltet und der Erfolg gibt uns recht. Unternehmen, die diesen Weg nicht gehen, werden meines Erachtens das Nachsehen haben. Die Regulatorik ist kein Hinderungsgrund. Wir halten alle gesetzlichen Vorgaben strikt ein und bieten Kunden dennoch ein Erlebnis bei der Gestaltung ihrer Altersvorsorge. Generell hat es sich bewährt, Produkte und Abschlussstrecken gemeinsam mit Kunden zu entwickeln.

Rechnen Sie demnächst mit der von der Politik schon lange angekündigten zentralen Vorsorgeübersicht über alle Säulen hinweg?

Inhaltlich ist das absolut sinnvoll. Es würde die notwendige Transparenz bei einem enorm wichtigen Thema schaffen - der finanziellen Versorgung im Alter. Ein Grund, weshalb viele Menschen, die heute in Rente gehen, Schwierigkeiten haben, ihr monatliches Auskommen zu gestalten, liegt darin, dass sie während ihres Berufslebens keinen klaren und umfassenden Überblick über alle Leistungen, die sie in der Rentenphase sowohl aus der gesetzlichen als auch der privaten und/oder der betrieblichen Altersvorsorge erhalten. Eine technisch einfache und datenschutzrechtlich sichere Lösung ist dafür die Voraussetzung. Die volle Wirksamkeit kann das säulenübergreifende Konto nur entfalten, wenn sich auch die private Versicherungswirtschaft aktiv an dem Vorhaben beteiligt.

Wir arbeiten an einer Lösung, die innerhalb der Banking-App die prognostizierte Rente anzeigt und den Menschen so die Möglichkeit gibt, ihre Rente aktiv zu managen. Damit erreichen wir mehr Transparenz und schaffen Aufmerksamkeit für das Thema Rente.

Wie wichtig sind flexible Produkte für die Altersvorsorge, um mehr Menschen für die Vorsorge zu gewinnen?

Unser Kernprodukt, der Aktivplan, den wir als "Volksrente" gemeinsam mit der Bild-Zeitung vermarktet haben, ist ein solches Produkt - und seit Jahren der Kassenschlager zum Thema Altersvorsorge.

Im Markt müssen wir beides schaffen: den Kunden Flexibilität ermöglichen, aber zugleich quasi der Mahner sein, der ihnen zuflüstert: "Halte durch." Denn bei einer flexiblen Altersvorsorge ist natürlich in einer schwierigen Lebenssituation die Versuchung groß, sich daraus zu bedienen. Die Langfristperspektive heißt dann jedoch, dass in diesem Fall die Rente vielleicht nicht mehr ausreicht, um davon zu leben. Bei aller Flexibilität ist Transparenz sehr wichtig, wenn es um die Entwicklung der Rente geht. Wir müssen den Kunden auch die Konsequenzen aufzeigen, die auftreten, wenn sie Guthaben aus dem angesparten Vermögen entnehmen. Damit die Altersvorsorge dauerhaft attraktiv bleibt, ist es Aufgabe der Branche, Kunden genau das anzubieten.

Wie steht es denn um die Spardisziplin der Kunden bei flexiblen Produkten?

Die Disziplin ist trotz der Pandemie und ihrer Verwerfungen erstaunlich gut. Viele Kunden haben ihre Altersvorsorge nicht angefasst. Aktuell hilft natürlich die Niedrigzinsphase dabei, in Sachen Altersvorsorge bei der Stange zu bleiben, weil Kredite zur Überbrückung einer schwierigen Phase deutlich preiswerter sind als vor zehn Jahren.

Kann auch Gamification helfen, die Spardisziplin bei flexiblen Produkten zu erhöhen?

Das bringt durchaus etwas. Gamification in der Abschlussstrecke sorgt bei Kunden unter 30 Jahren dafür, dass sie sich deutlich intensiver mit ihrer Altersvorsorge beschäftigen als im klassischen Prozess. Das entwickeln wir weiter, und auch hier helfen uns Kunden dabei.

Eine Altersvorsorge wird nie so attraktiv sein wie eine Apple Watch und Kunden werden sicherlich niemals vor einer Bank oder Sparkassenfiliale übernachten, weil es am nächsten Tag ein neues Altersvorsorgeprodukt geben wird. Doch ich bin überzeugt, dass wir noch einiges tun können, um das Thema interessanter zu gestalten.

Beim digitalen Versicherungsvertrieb geht der Trend in Richtung Ausschnittsdeckung. Ist das eine Konkurrenz für die Bankassurance - oder sehen Sie eher neue Möglichkeiten für Banken?

Das Thema Ausschnittsdeckungen ist für die Bankassurance und die dahinterstehenden Institute ein großes Thema, denn diese Leistungen lassen sich ideal in eine App oder auch in Kontomodelle integrieren. Wenn solche Policen mit wenigen Klicks abschließbar sind, kann das sehr erfolgreich sein. Ist der Prozess jedoch zu komplex, wird der Kunde vorher aussteigen. Die Chancen für die Banken sind aus meiner Sicht enorm.

Die Branche ist hier bereits auf einem guten Weg. Die Möglichkeiten sind bei Weitem noch nicht ausgereizt.

Könnten sich aus der Zahlungsdatenanalyse Anknüpfungspunkte für den Vertrieb solcher Policen ergeben?

Technisch wäre das möglich. Aus unserer digitalen Selbstberatungsstrecke zur privaten Altersvorsorge für junge Erwachsene, "About Future", wissen wir, dass 50 bis 60 Prozent der jungen Kunden einer Zahlungsdatenanalyse zustimmen, damit ihnen eine Rente automatisch berechnet werden kann. Unter denjenigen, die das About-Future-Produkt mitentwickelt haben, waren es sogar 70 Prozent. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass jeder Kunde selbst entscheiden kann, ob er solche Möglichkeiten nutzen möchte oder nicht.

Bei welchen Produkten geht der Kunde heute noch typischerweise in die Filiale, welche schließt er online ab?

Je komplexer das Produkt und je langfristiger der Anlagehorizont des Produkts, desto eher besteht der Wunsch nach persönlicher Beratung. So neigt der Kunde bei einer privaten oder betrieblichen Altersvorsorge eher dazu, sich persönlich beraten zu lassen. "Schnelle Produkte" wie zum Beispiel eine Unfallversicherung schließen Kunden dagegen gerne online ab. Eine Beratung muss allerdings nicht in der Filiale erfolgen, sondern kann auch per Video stattfinden. Das funktioniert genauso gut wie die persönliche Beratung vor Ort.

Die Politik zögert seit Jahren mit der angekündigten Reform der Alterssicherungssysteme. Wie wirkt sich das auf die Abschlussbereitschaft der Kunden aus?

Wir würden einen stärkeren politischen Willen begrüßen. Das Altersvorsorgesystem in Deutschland ließe sich attraktiver gestalten. Auch die neue Bundesregierung macht in ihrem Koalitionsvertrag nicht deutlich, dass sie einen zusätzlichen Anreiz für die private Altersvorsorge setzen will.

Ein weiterer Punkt: Die hohen Investitionen aus dem Bundeshaushalt in die Rentenkassen kann die Bundesregierung langfristig nicht aufrechterhalten. Deshalb besteht dringender Handlungsbedarf. Aus meiner Sicht brauchen wir eine weitere steuerliche Entlastung der Beiträge oder eine konsequente Umsetzung anderer Fördermöglichkeiten. Das muss dringend passieren. Es kann nicht sein, dass die Besteuerung der Renten immer weiter ansteigt, nicht aber die Möglichkeit der Bürger, Beiträge steuerlich geltend zu machen.

Wie stehen Sie zur staatlich geförderten privaten Altersvorsorge?

Riester ist ein spannendes Thema. Die Idee, die private Altersvorsorge mit einer staatlichen Förderung zu unterstützen, ist gut. Mit der Senkung des Höchstrechnungszinses auf 0,25 Prozent ist das Riester-Produkt jedoch de facto beerdigt, weil es zu diesen Konditionen kaum mehr angeboten werden kann, weil der Garantiezins die Kosten nicht mehr angemessen deckt. Wir begrüßen zwar, dass das Bundesfinanzministerium die

Absenkung des Höchstrechnungszinses beschlossen hat. Allerdings hat das Ministerium es versäumt, den bislang gesetzlich vorgeschriebenen Beitragserhalt in der Riester-Rente zu reformieren. Die staatliche geförderte Basisrente ist für Selbstständige und Gutverdiener nach wie vor ein attraktives Produkt.

Haben Sie Riester noch im Angebot?

Nein. Wir bieten seit Anfang des Jahres keine Riester-Versicherungen mehr im Neugeschäft an.

Laut GDV-Zahlen haben Riester- und Rürup-Rente einen kleinen Boom erlebt. Auch bei Ihnen?

Die Neue Leben hat ihren Marktanteil 2021 deutlich ausbauen können. Hier spielen geförderte Produkte natürlich auch eine Rolle, aber eher eine untergeordnete. Die Senkung des Höchstrechnungszinses zum Jahreswechsel war sicherlich ein Anreiz und hat zu einem Anstieg geführt. Dass unsere Bankpartner in der Beratung noch einmal größeren Wert auf Riester gelegt haben, konnten wir nicht feststellen.

Gibt es mit den neuen Garantiemodellen überhaupt noch "Schlussverkaufseffekte" vor einer Absenkung des Höchstrechnungszinssatzes?

Aus meiner Zeit bei der Bank kenne ich solche Schlussverkaufseffekte mit den klassischen Produkten noch gut. Bei den heutigen Produkten stellen wir jedoch keinen Jahresendspurt fest. Denn hier ist das Ergebnis für die Kunden auch nach einer Absenkung des Höchstrechnungszinses nicht schlechter. Deshalb sehen wir mit der neuen Produktwelt eher ein kontinuierliches Wachstum. Die Lebensversicherung ist damit nach wie vor attraktiv, denn die breite Masse benötigt eine berechenbare lebenslange Rentenzahlung.

Holm Dietz , Mitglied des Vorstands , neue leben Lebensversicherung AG, Hamburg

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