Kontroverse

Bargeld- und Kartenkosten: Kritische Anmerkungen zur Steinbeis-Studie

In der im Mai 2013 veröffentlichten Studie "Cost of Cash: Status quo und Entwicklungsperspektiven in Deutschland" (im Folgenden als Steinbeis-Studie bezeichnet)1) wird die Effizienz einer Kartenzahlung gegenüber einer Bargeldzahlung mittels eines Stückkostenvergleichs (Euro pro Transaktion beziehungsweise in Prozent vom Umsatz) analysiert.

Die Studie basiert auf dem bewährten Konzept der sogenannten volkswirtschaftlichen Kosten (oder "Social Costs") als Addition sämtlicher pekuniären Kosten, die innerhalb einer Volkswirtschaft anfallen. Man betrachtet dabei einzelne Sektoren (zum Beispiel Staat/Zentralbank - Banken - Handel - Privatpersonen), in denen interne Produktionskosten zur Bereitstellung des Gesamtsystems anfallen. Es geht dabei um die Ermittlung der gesamtwirtschaftlichen Kosten eines Zahlungssystems durch Aggregation der sektoralen Kosten und nicht um die Frage, wie die Kosten gegebenenfalls durch Einnahmen in den jeweiligen Sektoren gedeckt werden (Netto-Betrachtung der privatwirtschaftlichen Kosten). Die Transferzahlungen zwischen den betrachteten Sektoren (wie zum Beispiel Zahlungen des Handels an die Banken für die Bargeldentsorgung oder Karteninhabergebühren) spielen bei dieser Betrachtungsweise demnach keine Rolle.

Ergebnisse der Steinbeis-Studie

Auf Basis der Berechnungen der Steinbeis-Studie betragen die volkswirtschaftlichen Kosten der Zahlungssysteme "Bargeld" und "Zahlungskarten" in Deutschland (2011) pro Jahr.

Bargeld: 10,833 Milliarden Euro.

Karten: 0,781 Milliarden Euro.

Da die Volumina der beiden Zahlungssysteme völlig unterschiedlich sind, geben die Stückkosten Aufschluss über die Effizienz.

Bargeldzahlung: 59 Cent pro Transaktion (4,49 Prozent vom Umsatzbetrag).

Kartenzahlung: 28 Cent pro Transaktion (0,47 Prozent vom Umsatzbetrag).

Eine anschließende Grenzkostenanalyse (Separierung der fixen und variablen Kosten) führt zum Ergebnis, dass ab einem Umsatzbetrag in Höhe von zirka 6,20 Euro eine Kartenzahlung volkswirtschaftlich günstiger sei. Die Autoren schlussfolgern: "Entgegen der weitverbreiteten Meinung ist Bargeld, aus volkswirtschaftlicher Kostenperspektive, nicht das günstigste Zahlungsinstrument in Deutschland". Diese und weitere Ergebnisse der Steinbeis-Studie wurden in dieser Zeitschrift (Heft Juli 2013) bereits dargestellt.

Deutschland Spitzenreiter im Karten- und Schlusslicht im Bargeldgeschäft?

Die Ergebnisse für Deutschland weichen erheblich vom europäischen Durchschnitt (ECB-Studie für 13 europäische Länder; Bezugsjahr 2009)2) ab:

Es fällt auf, dass die in der Steinbeis-Studie ermittelten Stückkosten des Bargelds in Deutschland wesentlich höher als der europäische Durchschnitt sind. Die Kosten des Bargelds sind aber zu einem großen Teil fix. Demnach müsste die im europäischen Vergleich relativ hohe Anzahl von Bargeldzahlungen in Deutschland zu unterdurchschnittlichen Stückkosten führen. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Dagegen ist Deutschland im Kartengeschäft mit sehr niedrigen Stückkosten Vorreiter in Europa.

Die Ursachen für die im europäischen Vergleich auffälligen Ergebnisse müssen hinterfragt werden. Die Ergebnisse hängen von der Erfassung der relevanten volkswirtschaftlichen Kosten beider Zahlungsverfahren und der Berechnung der entsprechenden Mengengerüste (Anzahl Transaktionen und Umsatz) ab.

Falsches Mengengerüst

Sowohl für das Bargeld (Umsatz und Transaktionen) als auch für die Kartenzahlungen bezieht sich die Studie ausschließlich auf die Transaktionen dieser Zahlungsmedien im Gesamteinzelhandel (2011: 422 Milliarden Euro), wobei die vom EHI jährlich veröffentlichten Verhältnisse für den Einzelhandel im engeren Sinne (380 Milliarden Euro)3) auf den Gesamteinzelhandel hochgerechnet werden:

Bargeld: 241,4 Milliarden Euro (18,3 Milliarden Transaktionen),

Karten: 167,5 Milliarden Euro (2,8 Milliarden Transaktionen),

sonstige Zahlungsmethoden: 13,1 Milliarden Euro.

Da sich die EHI-Zahlen nur auf den Umsatz (in Euro) beziehen und keine Transaktionszahlen schätzen, unterstellen die Autoren, dass alle Kartenzahlungen den gleichen Durchschnittsumsatz (Average Transaction Value, kurz ATV) wie eine ec-cash-Zahlung im Handel (2011: 60,40 Euro) haben. Rein rechnerisch verbleibt für Bargeld bei diesen Annahmen nur eine ATV in Höhe von zirka 13,20 Euro.4)

Auf Basis dieser fragwürdigen Annahmen werden die jeweiligen Transaktionsmengengerüste für Karten und Bargeld ermittelt. Hier schleichen sich die ersten methodischen Fehler ein: Die vom EHI geschätzte Aufteilung der Kartensysteme für den Einzelhandel im engeren Sinne darf nicht auf den Gesamteinzelhandel übertragen werden, da zum Beispiel in anderen Wirtschaftssegmenten die Aufteilung davon völlig abweicht (zum Beispiel keine Debitkartenzahlungen (ec-cash und ELV) im E-Commerce. Im Bereich der Private Label Cards werden außerdem nur die Kundenkarten im Einzelhandel berücksichtigt, nicht aber die sogenannten Tank- und Truckerkarten, deren Umsatz nicht un erheblich ist.

Der Durchschnittsumsatz bei ec-cash (Handel) in Höhe von 60,40 Euro darf nicht zur Hochrechnung der Transaktionszahl anderer Kartensysteme genutzt werden, da die Durchschnittsumsätze anderer Kartensysteme erheblich davon ab weichen (zum Beispiel Kreditkarte etwa 124,00 Euro). Auch die Durchschnittsumsätze in anderen Wirtschaftssegmenten (wie zum Beispiel im Tankstellenbereich) dürfen nicht mit denen des Einzelhandels gleichgesetzt werden. Bei einem angenommenen Kartenumsatz in Höhe von 167 Milliarden Euro ist die Transaktionszahl in Höhe von 2,8 Milliarden demnach unzutreffend.

Das Ergebnis der fehlerhaften Annahmen ist die rechnerisch ermittelte ATV einer Bargeldzahlung in Höhe von etwa 13,20 Euro. In den empirischen Untersuchungen der deutschen Bundesbank beträgt der Durchschnittsumsatz einer durchschnittlichen Bargeldzahlung dagegen zirka 20,00 Euro (20,11 Euro im Jahr 2008 beziehungsweise 19,47 Euro 2011).5) Diese erhebliche Abweichung zu der empirischen Zahl der Bundesbank wird an keiner Stelle begründet. Es gibt keine empirisch begründbaren Annahmen für die in der Studie zugrunde gelegte ATV in Höhe von nur 13,20 Euro und demnach auch nicht für die auf dieser Basis geschätzte Anzahl der Bargeldtransaktionen.

Mengengerüst im Einzelhandel, Kosten auf gesamtwirtschaftlicher Ebene

Ein wesentlich gravierender Fehler ist aber die Bezugnahme auf das Mengengerüst der Karten- und Bargeldtransaktionen im Einzelhandel, während auf der Kostenseite ausdrücklich die Kosten beider Zahlungssysteme auf gesamtwirtschaftlicher Ebene betrachtet werden. Außerhalb des Einzelhandels gibt es bekanntlich viele weitere Wirtschaftssegmente, in denen Kartenzahlungen stattfinden: zum Beispiel Hotels, Restaurants, Reisebranche, Transport. Der Kartenumsatz in Deutschland ist mit zirka 267 Milliarden Euro (2011) um etwa 60 Prozent (100 Milliarden Euro) höher als die angenommene Zahl in der Steinbeis-Studie (167 Milliarden Euro).6) Bargeldzahlungen finden außerhalb des Einzelhandels insbesondere in der Gastronomie, an Automaten, im Freizeitbereich und bei Zahlungen zwischen Privatpersonen statt. Eine empirische Untersuchung der Bundesbank hat für 2008 diesen Anteil auf 39 Prozent der Transaktionen beziehungsweise auf 36 Prozent des Bargeldumsatzes beziffert. Auch die Aktualisierung dieser Bundesbank-Umfrage für das Jahr 2011 zeigt, dass die Bargeldnutzung in diesen Wirtschaftssegmenten außerhalb des Einzelhandels unverändert hoch ist. Unter der Voraussetzung, dass die gesamtwirtschaftlichen Kosten des Bargeldes richtig errechnet worden sind, führen die um rund 35 Prozent zu niedrig angesetzten Bargeldtransaktionen zu Stückkosten, die wesentlich zu hoch sind. Die volkswirtschaftlichen Kosten der Kartensysteme (von Kreditinstituten ausgegebene Debit- und Kreditkarten und Handelskundenkarten) werden auf nur 780 Millionen Euro pro Jahr ge schätzt. Diese Kosten entstehen vorwiegend im Handelsbereich (652 Millionen Euro)7) und zu einem geringen Teil auch im Bankenbereich (129 Millionen Euro).

Fehlende Kosten im Kartenbereich

Die in den 652 Millionen Euro enthaltenen Terminalkosten des Handels (157 Millionen Euro) werden auf Basis von 654 000 Terminals gerechnet. Diese Zahl ist viel zu niedrig. Laut Statistik der Deutschen Kreditwirtschaft beträgt die Anzahl der aktiven ec-cash-Terminals per Ende 2011 bereits 710 912 Terminals. Neben den zu diesem Zeitpunkt inaktiven Terminals gibt es bei den Kartenakzeptanzstellen auch Terminals, die keine ec-cash-Transaktionen akzeptieren (zum Beispiel nur ELV). Die Gesamtzahl der Terminals (ohne Automaten) wird in Deutschland auf Basis der Angaben der Netzbetreiber per Ende 2011 auf zirka eine Million geschätzt.

Die internen Kosten im Bankenbereich (129 Millionen Euro), die auf Issuer- und Acquirerseite entstehen, sind ohne Zweifel viel zu niedrig angesetzt, denn es werden nur die Kartenherstellungskosten der 129 Millionen Debit- und Kreditkarten (vier Euro pro Karte; Laufzeit vier Jahre) berücksichtigt. Die Autoren nehmen offensichtlich an, dass nur die Herstellung der Plastikkarten (inklusive Chip) für ein funktionierendes Kartengeschäft der Banken ausreicht.

In diesem Segment fehlen die wichtigsten Kostenblöcke im Karten-Issuing: Processing, Autorisierung, Marketing und Vertrieb, Karteninhaberservice (Front-/ Back-Office), Fraud, Missbrauchsbekämpfung, Forderungsausfall oder Zwischenfinanzierung. Auch fehlen sämtliche Kosten des Kreditkarten-Acquirers.

Diese Kosten auf der Issuer- und Acquirerseite sind insgesamt ein Vielfaches höher als die berücksichtigten Kartenherstellungskosten in Höhe von 129 Millionen Euro! Auch wenn man glaubt, dass die Plastikproduktion ausreichen würde, sind die Kosten für die Kartenherstellung zu gering, da die faktische Lauf zeit der Karte bedingt durch Kartenaustausch wegen Kündigungen, Fluktuationen, Namensänderungen und technischer Funktionsmängel wesentlich geringer ist als die formale (hier angenommene) Laufzeit von vier Jahren. Außerdem sind die Kosten für die Herstellung der zirka 15 Millionen Private-Label-Karten (Handelskunden- und Tankkarten) vergessen worden.

Dazu kommen schwerwiegende methodische Fehler. Die Kosten der Handelskundenkarten werden auf 0,3 Prozent des Umsatzes geschätzt (Annahme: "identische Gebührenstruktur wie eccash"). Auch wenn die Kosten höher angesetzt werden müssen, ist eine Berücksichtigung dieser Kosten als Transferzahlung (somit kein Bestandteil der volkswirtschaftlichen Kosten) methodisch falsch, da diese Kosten vom Handel getragen werden und keine Entgelte an andere (hier kostenrelevante) Sektoren gezahlt werden.

Das gleiche gilt für die Händlerkosten für ELV in Höhe von 106 Millionen Euro (Annahme Steinbeis: 0,2 Prozent des Umsatzes). Diese Kosten sind keine Transferzahlungen an die Banken, sondern werden vom Handel intern getragen und müssen deshalb aus methodischen Gründen den volkswirtschaftlichen Kosten zugerechnet werden. Auch unter der irrigen Annahme, dass es sich hier um Transferzahlungen handeln würde, hätten die Kosten des ELV-Systems und der Handelskundenkarten wenigstens auf Bankenseite (oder sonst wo) als volkswirtschaftliche Kosten subsumiert werden müssen.

Die Herstellungskosten für Debitkarten in Höhe von 98,3 Millionen Euro pro Jahr (98,3 Millionen Kar ten/vier Euro/Laufzeit vier Jahre) werden aufgrund ihres Einsatzes am Geldausgabeautomaten und am PoS sowohl dem Bargeldbereich als auch dem Kreditkartenbereich in voller Höhe zugerechnet.8) Da die Volumina im Karten- und Bargeldbereich völlig unterschiedlich sind, führt diese Doppelzählung zu falschen Stückkosten (pro Umsatz beziehungsweise pro Transaktion) und damit zu einer weiteren Beeinträchtigung der Aussagefähigkeit der Grenzkostenbetrachtungen. Methodisch dürfen diese Kosten insgesamt nur einmal zugerechnet werden.

Kartengeschäft zu profitabel berechnet

Bereits bei einer groben Überschlagsrechnung der volkswirtschaftlichen Kosten und Händlerentgelte (Transferzahlungen) im Kartenbereich zeigt die Steinbeis-Studie ein völlig unrealistisches Ergebnis. Den Transferzahlungen des Handels an die Banken in Höhe von 665 Millionen Euro stehen Kos ten in Höhe von nur 129 Millionen Euro gegenüber.

Sogar ohne Berücksichtigung der Karteninhaber gebühren wäre das Kartengeschäft in Deutschland aus Bankensicht mit 536 Millionen Euro Einnahmenüberschuss gemäß der betrachteten Studie höchst profitabel. Mit dieser brisanten Gewinnspanne im Kartengeschäft könnten die deutschen Kreditinstitute der von der Europäischen Kommission geplanten Interchange-Senkung gelassen entgegensehen.

Stückkosten im Kartenbereich zu niedrig angesetzt ...

Als Fazit lässt sich festhalten: Die Steinbeis-Studie weist im Bereich der Kalkulation der Kosten für die Kartensysteme erhebliche Mängel auf:

Die der Kostenkalkulation zugrunde gelegten Volumina sind viel zu gering.

Wesentliche volkswirtschaftliche Kostenblöcke im Bankenbereich (Issuing and Acquiring) und im Handel sind nicht berücksichtigt worden.

Die Berechnung der volkswirtschaftlichen Kosten enthält methodische Fehler.

Es ist zu vermuten, dass eine Beseitigung dieser Mängel zu höheren Stückkosten im Kartenbereich führt.

... im Bargeldbereich zu hoch

Im Bargeldbereich führt die Berücksichtigung der Kosten, aber nicht der Mengen der Bargeldtransaktionen außerhalb des Einzelhandels zu zu hohen Stückkosten einer Bargeldzahlung. Eine Korrektur der oben genannten Mängel würde zu wesentlichen Änderungen der Ergebnisse führen. Die Aussagen der Studie bezüglich der volkswirtschaftlichen Kosten einer Kartenzahlung im Vergleich zum Bargeld sind damit fragwürdig.

Fußnoten:

1) Jens Kleine, Matthias Krautbauer und Tim Weller, Cost of Cash: Status quo und Entwicklungsperspektiven in Deutschland, Analysebericht, Center for Payment Studies - Steinbeis-Hochschule Berlin, München Mai 2013 (im Folgenden zitiert als Kleine und andere (2013)).

2) Basis: 13 europäische Länder, darunter einige kartenaffine Länder, wie Dänemark, Niederlande, Finnland und Schweden. Deutschland war nicht beteiligt. Vgl. ECB (2012), The social and private costs of retail payment instruments - A European perspective, Occasional Paper Series No. 137, September 2012.

3) Einzelhandel im eigentlichen Sinn: ohne Kfz, Mineralöl, Apotheken und Versandhandel, aber inklusive des Shopumsatzes der Tankstellen

4) Das EHI Retail Institute schätzt den ATV für alle Zahlungsmedien im Einzelhandel im eigentlichen Sinn im Durchschnitt auf zirka 20,00 Euro. Wenn man - wie in der Steinbeis-Studie - unterstellt, dass alle Kartenzahlungen und sonstige Zahlungsmethoden (wie Rechnung) mit der ec-cash-ATV (60,40 Euro) identisch sind, verbleibt für Bargeld rechnerisch eine ATV in Höhe von zirka 13,20 Euro.

5) Vgl. Deutsche Bundesbank (2009), Zahlungsverhalten in Deutschland - Eine empirische Studie über die Auswahl und Verwendung von Zahlungsinstrumenten in der Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Bundesbank (2012), Zahlungsverhalten in Deutschland 2011 - Eine empirische Studie über die Verwendung von Bargeld und unbaren Zahlungsinstrumenten.

6) In der Studie wird nicht erklärt, warum man diesen Kartenumsatz in Höhe von 100 Milliarden Euro nicht berücksichtigt, obwohl die Autoren den Gesamtumfang auf Grund der zitierten Quellen kennen müssten.

7) Die Kosten im Handelsbereich setzen sich zusammen aus: Personalkosten an der Kasse (384 Millionen Euro), Terminalkosten (157 Millionen Euro), Transaktions- und Netzbetreiberkosten (111 Millionen Euro).

8) Vgl. Kleine und andere (2013), S. 44, 59 und Fußnote 5 auf S. 60.

Dr. Hugo Godschalk , Koordinator der AG Regulation, Prepaid Verband Deutschland e. V. (PVD), Berlin
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