Leitartikel

Fehler im Programm

sb - Fast ist es ein Witz der Geschichte: Während beim Start in das Jahr 2000, als die ganze Welt gespannt auf die IT-Systeme schaute und den großen Kollaps befürchtete, rein gar nichts geschah, wurde zumindest die deutsche Kreditwirtschaft zehn Jahre später völlig unerwartet von der Datumsproblematik eingeholt. Aufgrund von Softwarefehlern bei einer bestimmten Generation von EMV-Chips des Herstellers Gemalto kann bei Millionen von Debit- und Kreditkarten die Jahreszahl 2010 nicht verarbeitet werden, reihenweise wurden Karten am PoS oder Geldautomaten als ungültig abgelehnt. Allein 20 Millionen Debitkarten und 3,5 Millionen Kreditkarten der Sparkassenorganisation waren davon betroffen, vier Millionen Debitkarten in der Genossenschaftsorganisation und 2,5 Millionen Zahlungskarten bei den privaten Banken.

Die Schlagzeilen in den Medien haben eines überdeutlich gemacht. Beim Thema Karten herrscht in Deutschland Konfusion. Als es nur die gute alte ec-Karte und die Kreditkarte gab, ließ sich die Kartenwelt noch einigermaßen erklären. Spätestens mit der Einführung der Geldkarte aber ging die Orientierung verloren. Der Begriff "Geldkarte" ist zwar mittlerweile bekannt. Allzu häufig wird er aber nicht korrekt allein auf die elektronische Geldbörse angewandt, sondern als Synonym für die Debitkarte verstanden oder gar als Sammelbegriff für alle von Banken ausgegebenen Zahlungskarten verwendet. Dass die Medien in den ersten Januartagen also reihenweise über "Geldkarte-Pannen" titelten, zeigt somit, wie weit die elektronische Geldbörse der deutschen Kreditwirtschaft von einem wirklichen Neustart etwa durch die geplante Vernetzung mit der Girocard-Funktion noch entfernt ist. Wie soll ein Händler dem Kunden an der Kasse die Aufladung der Geldkarte beziehungsweise die Zahlung damit anbieten, wenn dieser beide Funktionalitäten und Begriffe gar nicht auseinander halten kann?

Offenbar ist es gelungen, zumindest den Journalisten den Begriff ec-Karte abzugewöhnen. Zur Klarheit beigetragen hat die Einführung der bislang weitgehend unbekannten Marke Girocard aber sicher nicht. Die hier wieder einmal offenkundig gewordene Verwirrung zeigt somit, welcher enorme Erklärungsbedarf mit dem Thema Karten immer noch beziehungsweise - mit steigender Bandbreite der angebotenen Marken und Funktionalitäten - mehr denn je verbunden ist. Dass die Aufklärung der Kunden mit den Entwicklungen der Produktpalette offenkundig nicht Schritt hält, ist einerseits nachvollziehbar. Schließlich galt die Karte bisher nicht als beratungsintensives Produkt und wird in vielen Kreditinstituten mehr oder weniger als untergeordnetes "Annexprodukt" zum Girokonto behandelt. Gleichwohl können Segmentierungsstrategien, bei denen es darum geht, bestimmte Funktionalitäten extra zu bepreisen, nur funktionieren, wenn der Kunde versteht, wofür er wie viel bezahlen soll. Auch die Differenzierung vom Wettbewerb über unterschiedliche Kartenprodukte setzt ein grundlegendes Verständnis beim Kunden voraus.

Doch das ist nur ein Nebenaspekt des jüngsten Kartendebakels. Nach der vermutlichen Datenpanne in Spanien ist der aktuelle Vorfall in knapper Taktfolge ein neuerlicher Beitrag zum Gesamteindruck vieler Verbraucher, dass Karten kein wirklich verlässliches Medium sind. Doch während es sonst in der Regel um Fragen der Sicherheit geht, steht diesmal eben dasjenige technische Mittel, mit dem die Sicherheit gewährleistet werden soll, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Das macht die Angelegenheit besonders prekär. So gewinnt die Öffentlichkeit den Eindruck eines Versagens auf breiter Front - zumal diesmal eben besonders der Deutschen liebste Karte, nämlich die Debitkarte betroffen ist und es nicht nur ums Zahlen an der Ladenkasse geht, sondern auch um die Grundfunktion der Bargeldversorgung. Und durch Ausfälle an dieser Stelle wird die Kundenzufriedenheit bekanntlich nachhaltig gestört. Dass das Problem bei einer Vielzahl von Banken auftritt, macht die Sache kaum besser. Die Konsequenz: Wenn selbst die Sparkassen zur Mitführung von Bargeld raten, wird der Grundsatz "Bargeld lacht" zementiert.

Auch in der Diskussion der Kreditwirtschaft mit dem Handel über Themen der Kartenzahlung wird der Vorfall Folgen haben. Schon bisher hielt sich die Begeisterung über die Chipmigration bei den Kartenakzeptanten sehr in Grenzen. Dass es nun gerade die neuen, chipfähigen Terminals sind, an denen die Schwierigkeiten auftraten (am Point of Sale soll es an rund 30 Prozent der Terminals Probleme gegeben haben), dürfte den Verdruss verstärken. Welcher Umsatzverlust sich für den Handel aus den Funktionsstörungen ergibt, wird sich vermutlich schwer beziffern lassen. Dass der deutsche Einzelhandel bei der Chipfähigkeit der Terminals im internationalen Vergleich zurückliegt beziehungsweise im Zeitplan für TA 7.0 zurückliegt, muss aber nun geradezu als Glücksfall gewertet werden. Anderenfalls hätten die Dimensionen noch deutlich größer ausfallen können.

Geradezu grotesk muss es manchem Kartenakzeptanten erscheinen, dass gerade die neuen Terminals mit TA 7.0-Migrationsstufe 4 nun so umprogrammiert werden müssen, dass sie - wenn der Chip für die Transaktion nicht nutzbar ist - auf den Magnetstreifen zurückgreifen, den die Kreditwirtschaft eigentlich so bald wie möglich abschaffen will. Die Bereitschaft, in technische Neuerungen zu investieren, wird durch die jetzigen Erfahrungen gewiss nicht steigen. Klagten Kartenakzeptanten schon bisher über die mangelnde Systemverfügbarkeit des Chip- und PIN-gestützten Debitverfahrens (siehe Beitrag Herzig in Karten 4/2009), wird das Drängen auf eine Beibehaltung des magnetstreifenbasierten ELV als Back-Up-Lösung nun noch nachdrücklicher. Auch die Forderung des Handels, in die Weiterentwicklung der Zahlungssysteme künftig stärker einbezogen zu werden, dürfte nach der aktuellen Panne wieder lauter werden.

Nicht zuletzt ist der Programmfehler in einer Serie von Chips ein Rückschlag im Hinblick auf Sepa. An deutschen Geldautomaten und Akzeptanzterminals lässt sich der Fehler vergleichsweise schnell beheben, wenn auch der Rückgriff auf den Magnetstreifen für die Datumsabfrage bei nicht verwendbaren Chips eher als Notlösung erscheint. Die Einsatzfähigkeit der betreffenden Karten im Ausland sicherzustellen, dürfte dagegen eine größere Herausforderung sein, vor allem weil dort keine ähnlichen Probleme mit heimischen Karten aufgetreten sind. Der Grundsatz "any card at any terminal" wird damit einmal mehr in Frage gestellt.

In Abhängigkeit von der Umsetzbarkeit der vom ZKA angestrebten Dauerlösung (siehe Kasten auf Seite 8) und der Entwicklung der Problematik im Ausland, wird man möglicherweise um einen Austausch der betroffenen Karten letztlich doch nicht herum kommen. Am wahrscheinlichsten gilt dies für Kreditkarten, wo eine Lösung des Problems sich auch in Deutschland als schwieriger erweist. Eine Option dürfte der Austausch am ehesten für die privaten Banken sein, bei denen sich die Quote der betroffenen Karten auf vergleichsweise moderate 11,4 Prozent aller Zahlungskarten beläuft. Bei den Genossenschaftsbanken sind es 15 Prozent der Debitkarten, bei den Kreditkarten gibt es laut BVR keine Probleme. Für die Sparkassenorganisation dagegen dürfte ein Austausch lediglich die ultima ratio sein. Bei den Öffentlich-Rechtlichen geht es um jeweils rund 44 Prozent der ausgegebenen Debit- und Kreditkarten. Bei diesen Größenordnungen wäre ein Komplettaustausch ein echter Schlag ins Kontor. Immerhin ist diesmal - anders als in Spanien - die Schuldfrage geklärt. Ob der Kartenhersteller Gemalto im schlimmsten Fall den Schadenersatz wirklich leisten kann, ist eine andere Frage.

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