Handel

"Der Kartenanteil bei Kleinbeträgen wird tendenziell steigen" / Interview mit Dirk Schwarze

Bernd Schwarze, Geschäftsbereichsleiter, EDEKA Handelsgesellschaft Hessenring mbH, Melsungen

Weil das Konzept "Girocard kontaktlos" überzeugte, hatte sich Edeka Hessenring gern als Pilotpartner beteiligt, so Dirk Schwarze. Mittlerweile werden sechs Prozent aller Kartentransaktionen kontaktlos abgewickelt. Wenn die Vollausstattung der Kunden mit kontaktlosen Karten erreicht ist, rechnet Schwarze mit etwa zwölf Prozent. Primär sieht er dabei eine Substitution kontaktbehafteter Karten, bei Kleinbeträgen könnte das kontaktlose Zahlen aber auch zum Ersatz von Barzahlungen führen. Barzahler werden aber auch durch die neue Technik eher nicht zu Kartenzahlern. Unter Kartennutzern gibt es hingegen einen "Me-too-Effekt". Red.

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Wie ist Edeka Hessenring zum Pilotpartner für Girocard kontaktlos geworden?

Girocard kontaktlos ist ein Projekt des BVR, für das man sich die Region Kassel/ Göttingen/Baunatal als Pilotregion ausgesucht hat. Bei der Suche nach einem Handelspartner, der auch ein gewisses Volumen gewährleisten kann, kommt man in dieser Region an Edeka Hessenring nicht vorbei, weil wir den größten Marktanteil haben. Deshalb sind wir über Bankkontakte darauf angesprochen worden. Weil das Konzept aus unserer Sicht zukunftsträchtig ist, haben wir uns gern daran beteiligt.

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War Ihre technische Infrastruktur bereits vor dem Projekt für das kontaktlose Bezahlen ausgerüstet?

Nein. Wir waren aber im normalen Turnus dabei, die Terminals auszutauschen. In einigen Märkten waren bereits neue Terminals installiert, die bereits kontaktlosfähig waren. Insofern ließ sich das Projekt gut in den normalen Roll-out-Zyklus für neue Terminals einbinden. Allerdings wurde der Austausch der Geräte primär in der Pilotregion vorgenommen und dann erst in den übrigen Vertriebsregionen. Dabei konnten wir für die Kaufleute sogar einen kleinen finanziellen Beitrag zur technischen Umstellung aushandeln.

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Welche Erfahrungen haben Sie in dem Pilotprojekt gemacht?

In der Pilotregion haben die drei beteiligten VR-Banken (die Volksbank Göttingen, die Kasseler Bank und die VR-Bank Baunatal) etwa 120 000 kontaktlose Girocards herausgegeben. Auf der Händlerseite haben wir die Terminals ausgetauscht und das Kassenpersonal geschult. Die Banken haben mit der Herausgabe der Karten ein entsprechendes Anschreiben verfasst, mit dem Hinweis, dass mit der neuen Karte kontaktlos bei Edeka und einigen anderen Kaufleuten bezahlt werden kann. Das war für den Piloten ein wichtiger Ausgangspunkt.

Die Akzeptanz bei den Kunden fing im Oktober 2015 beziehungsweise dem November als erstem vollen Monat sehr moderat an, hat sich jedoch gesteigert.

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Haben Sie durch den Hinweis im Anschreiben auch in spürbarem Umfang neue Kunden gewonnen, die vielleicht einfach neugierig auf die neue Bezahlvariante waren?

Sicher kam der eine oder andere Neukunde auf diese Weise zu Edeka. Dass die anderen Lebensmittelhändler in der Region dadurch spürbare Umsatzeinbußen zu verzeichnen hatten, kann ich mir jedoch kaum vorstellen.

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Hat eine solche neue Anwendung auch eine gewisse "Sogwirkung", im Sinne von Nachahmereffekten, wenn Kunden beobachten, dass vor ihnen jemand kontaktlos zahlt?

So etwas gibt es tatsächlich. Ich selbst habe das bei Girocard Mobile erlebt. Als einer von etwa 100 Testern der Pilotregion bin ich beim kontaktlosen Bezahlen mit dem Mobiltelefon von einer Kundin angesprochen worden, ob sie das auch könne.

Wir sehen auch in aktuellen Zahlen, dass beim kontaktlosen Bezahlen eine Art "Metoo-Effekt" einsetzt, wenn Kunden beobachten, wie andere Kunden kontaktlos bezahlen.

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Bringt das möglicherweise sogar mehr als die Kommunikation seitens der Bank?

Das kann ich noch nicht beurteilen. Zunächst einmal ist die Kommunikation seitens der Bank natürlich wichtig. Denn das Kontaktlos-Symbol muss erst einmal erklärt und bekannt gemacht werden.

Hat der Kunde das aber erst einmal im Hinterkopf und beobachtet er dann an der Kasse, wie vor ihm jemand seine Karte ans Terminal hält und vielleicht gar keine PIN eingeben muss, dann kann ich mir durchaus vorstellen, dass die eher Technikaffineren das auch gerne ausprobieren.

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Führt das kontaktlose Bezahlen zu einer Steigerung der Kartentransaktionen, gerade auch Bereich der kleineren Bonsummen? Oder sehen Sie eher einen Substitutionseffekt von kontaktbehafteten Transaktionen?

Ich gehe davon aus, dass es zunächst eine Substitution kontaktbehafteter Kartentransaktionen ist. Von den Barzahlern werden sich die wenigsten durch die neue Kontaktlosfunktion dazu hinreißen lassen, mit der Karte zu zahlen.

Durchaus möglich ist es dagegen, dass bisherige Kartenzahler durch das kontaktlose Bezahlen veranlasst werden, häufiger auch kleinere Beträge bargeldlos zu bezahlen, weil es so schnell geht.

In Verbindung mit der Tatsache, dass die Gebühren im Handel mit den Auflagen des Kartellamts und der EU-Interchange-Regulierung gesunken sind, ist es auch für den Handel interessant, Kartenzahlungen auch für kleine Beträge zu ermöglichen. Früher gab es an sehr vielen Verkaufsstellen einen Hinweis, dass Kartenzahlungen erst ab zehn oder 20 Euro möglich waren. Das resultierte aus der Tatsache, dass die Transaktionsgebühren durch Mindestgebühr und den 0,3 Prozent relativ hoch waren. Durch den Wegfall der Mindestgebühr und die gesunkenen Transaktionsgebühren ist dieses Hemmnis weggefallen.

Eine Hemmschwelle gibt es jetzt eher noch bei den Kunden, die es schlicht nicht gewohnt sind, für kleine Beträge ihre Karte zu nutzen. Diese Einstellung dürfte sich jedoch durch das kontaktlose Bezahlen sukzessive wandeln, wenn die Kunden merken, dass die Kartenzahlung schneller geht als die Suche nach Kleingeld. Dadurch wird der Kartenanteil im Kleinbetragsbereich tendenziell steigen. Auch diese Entwicklung wird aber vom Grundsatz her eher von Kunden getragen werden, die bisher schon mit Karte gezahlt haben.

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Wie erklärungsbedürftig ist Girocard kontaktlos im Vergleich zu Girogo?

Natürlich muss man dem Kassenpersonal erklären, dass bei kontaktlosen Transaktionen bis 25 Euro keine PIN-Eingabe oder Unterschrift benötigt wird. Das ist aber mehr oder weniger eingängig. Allerdings lässt sich bei der Anzahl der Mitarbeiter im Kassenbereich und der relativ hohen Fluktuation nicht verhehlen, dass es hier das eine oder andere Defizit geben wird, zumal wir ja erst am Anfang der Einführung dieser neuen Technologie stehen.

Der große Vorteil der Girocard kontaktlos gegenüber Girogo ist, dass die Umständlichkeit des Aufladens wegfällt. Die Karte funktioniert, wie es der Kunde gelernt hat, nur dass sie nicht mehr ins Terminal eingesteckt, sondern aufgelegt wird.

Bei der nächsten Terminalgeneration wird das sogar noch einfacher sein, weil die Geräte sich auch optisch verändern. Heute sieht das Terminal noch aus, wie es immer war, nur dass hinter dem Display ein Kontaktlos-Leser integriert ist. Die neuen Geräte, die aktuell auf Messen gezeigt werden, haben eine zum Kunden weisende eigene Fläche, die nur für kontaktlose Zahlungen reserviert ist. Das ist dann noch eingängiger. Bis diese Geräte in der Fläche installiert sind, ist das Verfahren schon etabliert. Dann wird der Kunde sofort erkennen, wo er die Karte hinhalten muss.

Der entscheidende Punkt aus meiner Sicht ist, dass die Banken die Kunden gleich bei Herausgabe der Karten darüber informieren, wie das Verfahren funktioniert. Dabei muss auch die Sicherheit thematisiert werden. Denn die organisatorischen Sicherheitsmechanismen schützen den Endkunden sehr effektiv vor Schaden. Weil pro Tag maximal vier kontaktlose Transaktionen ohne PIN-Eingabe getätigt werden können, ist der maximale Schaden auf 100 Euro begrenzt, wenn die Karte verloren geht und jemand damit Schindluder treibt.

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Wird das Kassenpersonal mit Fragen nach der Sicherheit des kontaktlosen Zahlens konfrontiert? In den Medien wird seit einiger Zeit immer wieder vor unbeabsichtigtem Auslesen kontaktloser Karten gewarnt ...

Im Handel gibt es dazu relativ wenige Nachfragen. Etwas häufiger sind solche Fragen bei den Banken aufgelaufen und vor allem bei den Verbraucherschutzorganisationen - auch dort aber auf einem ganz niedrigen Niveau.

Die App zum Auslesen der Karten haben wir uns selbst besorgt. Wenn man nahe genug, das heißt unter 4 cm, an die Karte herankommt, lassen sich tatsächlich Daten auslesen. Aber dazu muss man dem Karteninhaber schon sehr nahe kommen - und man muss wissen, wo die Karte ist. Das haben wir ausprobiert. Zudem wird nur die PAN-Nummer ausgelesen. Mehr als Bankinstitut und Kontonummer kann man also nicht in Erfahrung bringen. Die PAN müsste dann auf eine präparierte Karte aufgebracht werden. Für vier Transaktionen im Wert von jeweils maximal 25 Euro ist das sicher nicht das ganz große Geschäftsmodell. Denn an Bargeld kommt man damit nicht heran.

Sicher könnte man das Auslesen der Daten im Gedränge beispielsweise in einem auf 100 Euro begrenzt, wenn die Karte verloren geht Wird das Kassenper Fußballstadion systematisch betreiben, diese Daten sammeln und weiterverkaufen. Doch auch dieses Szenario ist eher umständlich. Um massenweise an solche Daten heranzukommen, gibt es einfacherer Wege.

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Wie hoch ist bei Edeka Hessenring mittlerweile der Anteil der Transaktionen, der kontaktlos abgewickelt werden?

Im Sommer 2016 hatten wir im Pilotbereich einen Anteil von etwa vier Prozent an den Kartenzahlungen. Das ist auf den ersten Blick nicht viel - aber schon ein Mehrfaches von dem, was Girogo realisiert hat.

Ein weiterer Punkt: Diese vier Prozent beziehen sich auf die 120 000 Karten, die im Pilotgebiet ausgegeben wurden. Die wiederum entsprechen einem Marktanteil von etwa 30 Prozent. Denn den Löwenanteil haben die Sparkassen, den Rest teilen sich die anderen privaten Banken.

Geht man davon aus, dass andere Kartenzahler ähnlich reagieren werden wie die Kunden der Volks- und Raiffeisenbanken - und es gibt keinen Grund, etwas anderes zu vermuten - dann werden automatisch wieder vier Prozent dazukommen, wenn auch die Sparkassen alle Karten auf kontaktlos umgestellt haben. Wenn alle Karten im Markt mit der Kontaktlosfunktion ausgestattet sind, kommen wir somit auf eine Zielgröße von zwölf Prozent.

Die Kartenausstattung war somit bisher das größte Hemmnis. Doch hier geht es voran. Seit Ende November 2016 tauschen alle Kreditinstitute sukzessive Karten aus, sowohl bei den Sparkassen als auch bei den Volks- und Raiffeisenbanken. Seitdem merken wir, dass der Anteil der kontaktlosen Zahlungen deutlich nach oben geht. Jetzt liegt er in der Pilotregion bei etwa sechs Prozent - ohne dass das Verfahren intensiver als zuvor beworben worden wäre. Hier greift der bereits angesprochene Me-too-Effekt.

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Wenn zwölf Prozent der Kunden kontaktlos zahlen: Reicht das aus, um die Warteschlangen an den Kassen wirklich zu verkürzen?

Hier muss man zwei Aspekte betrachten. Ausschlaggebend dafür, wie schnell es an der Kasse voran geht, ist vor allem, wie viele Artikel die Kunden auf das Kassenband legen. Denn der Zeitanteil der Erfassung an der gesamten Wartezeit ist sehr viel größer als der des Bezahlvorgangs. Die Zeit für den Bezahlvorgang liegt bei Kartenzahlungen zwischen 20 und 25 Sekunden, bei Barzahlungen ist es ähnlich. Durch die Kontaktlostransaktion reduziert sich die Zeit für den Bezahlvorgang auf zehn Sekunden. Das heißt, hier lassen sich pro Kunde 10 bis 15 Sekunden einsparen. Das wirkt sich nur dann nennenswert aus, wenn die Kunden wenige Artikel auf dem Band haben.

Hier kommt jedoch ein psychologischer Aspekt ins Spiel: Kunden ärgern sich, wenn vor ihnen jemand die hinter ihnen Wartenden durch einen langwierigen Bezahlvorgang aufhält. Ein langwieriger Bezahlvorgang wird weit weniger akzeptiert als ein langer Erfassungsprozess aufgrund eines großen Warenkorbs. Wenn das Bezahlen durch die Kontaktlostechnologie schnell geht, hat das somit eine positive Wirkung, auch wenn der tatsächliche Zeitvorteil überschaubar ist.

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Wie verträgt sich das gefühlte Beschleunigen des Bezahlprozesses mit der vorgeschriebenen Anwendungsauswahl am PoS?

Genau deswegen hat der Handel stark darauf gedrängt, dass es die Anwendungsvorauswahl geben muss. In den meisten Fällen wird das Girocard sein. Nur die Kunden, die ein anderes Bezahlverfahren nutzen wollen, müssen dann in der Anwenderauswahl die gewünschte Bezahlfunktion auswählen.

Wir gehen aber davon aus, dass das der geringste Teil sein wird, wenn auch vielleicht am Anfang etwas mehr, weil einige Kunden die Anwendungsauswahl einfach einmal ausprobieren wollen. Im Grunde wollen die Kunden vor allem schnell bezahlen.

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Haben Sie die Anwendungsauswahl bereits umgesetzt?

Wir sind gerade dabei. Das Problem bei Inkrafttreten des Gesetzes war ja, dass es keine mit den Aufsichtsbehörden abgestimmte Vorgehensweise gab. Jetzt liegt die Software vor, die auf die Terminals aufgespielt wird. Hier haben wir eine Vorauswahl, wie sie dann auch von den Aufsichtsbehörden freigegeben wird. Die Kunden vermissen die Anwendungsauswahl aber offensichtlich nicht. Den meisten Karteninhabern ist ohnehin nicht klar, welche Bezahlverfahren ihre Karte aufweist. Für sie ist das immer noch die "ec-Karte".

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Rechnen Sie mit Verwirrung, wenn jetzt das "ec"-Zeichen von den Kassen verschwinden und ausgetauscht werden muss?

Nein. Ich gehe fest davon aus, dass die Kunden einfach darauf vertrauen, ihre Debitkarte einsetzen zu können. Logoaffin sind im Grunde nur jene Kunden, die mehrere Karten nutzen und beispielsweise darauf schauen, ob sie ihre Kreditkarte einsetzen können.

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