Factoring und die Vorsatzanfechtung im Insolvenzverfahren

Urteil des OLG München vom 17. Dezember 20131)

Elke Klein

Elke Klein - Die Anfechtung im Insolvenzverfahren stellt beim Factoring ein besonderes Problem dar. Es fehlt die Nähe zum Debitor und häufig die zum Anschlusskunden. Es mangelt deshalb an Informationen, und das wird bei der Anfechtung zum Problem.

Die Anfechtung regeln die §§ 129 ff. InsO. Voraussetzungen für eine Anfechtung bilden die Rechtshandlung des Schuldners, die Gläubigerbenachteiligung und der Zurechnungszusammenhang dieser beiden Tatbestände.

Außerdem muss noch ein spezieller Anfechtungstatbestand aus den §§ 130 bis 136 InsO vorliegen. Bei diesen Anfechtungsmöglichkeiten gilt es, den § 133 InsO - die sogenannte Vorsatzanfechtung - besonders zu beachten.

Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO

Diese Vorsatzanfechtung kann noch zehn Jahre nach Antrag auf Insolvenzeröffnung erfolgen. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass der Schuldner einen Gläubiger bevorzugen wollte und der Gläubiger diese Absicht kannte. Das ist möglich zwischen Lieferant und Abnehmer, die sich seit langer Zeit kannten, aber nicht zwischen Debitor und Factor. Der Anfechtungszeitraum von zehn Jahren stellt im Geschäftsleben fast einen Generationensprung dar. Wird diese Anfechtung tatsächlich zehn Jahre nach dem Antrag auf Insolvenzeröffnung erklärt, hat der Factor als Anfechtungsgegner im Regelfall nicht einmal mehr die Unterlagen, denn diese Anfechtung überdauert die Zeiträume der Aufbewahrungspflichten.

Sechs Jahre beträgt die Aufbewahrungspflicht nach § 257 HGB für Handelsbriefe, Kopien, Durchschriften, Geschäftspapiere und sonstige Unterlagen mit kaufmännischer und steuerlicher Bedeutung. Unter diese Frist fällt die Korrespondenz mit Debitor und Anschlusskunde, die zehnjährige Aufbewahrungsfrist nach § 257 Abs. 1 Nr. 1 und 4 HGB für Handelsbücher Bilanzen und Abschlüsse ist hier nicht einschlägig. Die Anfechtungsregeln gelten (im Vergleich zur früheren Konkursordnung) in jedem Fall, und zwar selbst dann, wenn das Insolvenzverfahren mit einer Sanierung des Schuldners endet.

Ein Exkurs: Soziologisch betrachtet ist die Anfechtung im Insolvenzrecht durchaus interessant, man könnte sie als eine sogenannte kognitive Dissonanz bezeichnen. Einerseits soll die Anfechtung die Bevorzugung einzelner Gläubiger verhindern; anderseits wird durch diese Anfechtung der Sozialstaatsgedanke aufgegeben. Der Staat soll sozial und wirtschaftlich tätig sein durch Erhebung von Steuern, er hat Sozialhilfe für Hilfsbedürftige (aus Art. 2 II GG) sowie Daseinsvorsorge zu leisten, für soziale und kulturelle Einrichtungen zu sorgen, die soziale Sicherheit und den sozialen Ausgleich zu gewährleisten. Wie kann der Staat diese Leistungen finanzieren? Durch Steuern, die alle zahlen und die allen zugute kommen. Die Insolvenzanfechtung ermöglicht es nun, desgleichen Steuerzahlungen und Zahlungen an die Sozialkassen anzufechten, wenn diese Zahlungen unter eines der Kriterien der §§ 129 ff. InsO fallen. Das ist regelmäßig der Fall, weil Finanzämter und Krankenkassen bei Verzug sofort Vollstreckung androhen und durchführen. Vollstreckung unter Zwangsandrohung ist in jedem Fall anfechtbar.

Anfechtungsgrund: Steuerzahlungen

Diese Anfechtungen, insbesondere von Steuerzahlungen, stellen eine Abkehr von den üblichen Gleichheitsbestrebungen dar, die erstaunlicherweise klaglos hingenommen werden. Denn die gezahlten Steuern, die der Insolvenzverwalter erfolgreich einfordert, sind nur für eine sehr kleine Gruppe zur Verteilung bestimmt, nämlich für die Gruppe der Gläubiger des Schuldners und häufig für die noch viel kleinere Gruppe der Massegläubiger. Massegläubiger ist auch der Insolvenzverwalter mit seinen Honorarforderungen. Dass hierfür Steuergelder zur Verwendung kommen, bedeutet schon eine Abkehr von der Regel, welche die Bevorzugung einzelner Gruppen nicht wünscht. In Form der Insolvenzanfechtung löst dies aber keinerlei Aufbegehren aus. Anstatt für alle, werden diese für die Insolvenzmasse eines Gläubigers verwendet.

Zunahme der Vorsatzanfechtung

Im Jahre 2004 schrieb Prof. Dr. Reinhard Bork in der "ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht": "Die Einbeziehung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in den Anwendungsbereich des § 133 InsO mag wünschenswert sein." Der Wunsch von Prof. Bork scheint sich zehn Jahre später zu erfüllen. Zwangsvollstreckungshandlungen sind von § 133 InsO nicht erfasst. Allerdings gibt es schon Ausnahmen, wenn etwa der Schuldner mitgewirkt hat, und sei es durch Unterlassen.

Man kann feststellen: Die Anfechtung, die sich in dem Zeitraum bis drei Monate vor Insolvenzantrag bewegt, generiert nicht mehr ausreichend Masse. Zunehmend greift man deshalb auf die Anfechtungsmöglichkeit des § 133 InsO zurück. Gegen diese Anfechtungspraxis gibt es langsam und noch zurückhaltend Widerstand. So haben sich zum Beispiel diverse Bundesverbände zu einem gemeinsamen Positionspapier entschlossen, um notwendige gesetzgeberische Korrekturen im Recht der Insolvenzanfechtung zu erreichen.

Die Gesetzgebung allerdings scheint nicht das Problem zu sein, sondern die Ausweitung der Anfechtungstatbestände durch die Rechtsprechung. Die Voraussetzungen für die Anfechtung bestimmen die Gerichte, und die fassen diese immer weiter. Allerdings regt sich, wenngleich nur sehr verhalten, bei den Gerichten Widerstand gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Vor dem Amtsgericht Hagen war ein Anfechtungsstreit anhängig.2)

Das Amtsgericht Hagen hat die Klage des Insolvenzverwalters abgewiesen. Es wies darauf hin, dass sich der Insolvenzverwalter zwar auf ein Urteil des BGH stützen möge,3) "dieses Urteil sei jedoch in einer derartigen Weise falsch, dass auch nicht mit Rücksicht auf die Wahrung der Rechtseinheit in der Rechtsprechung dem Urteil gefolgt werden kann. Es verkennt nämlich in verfassungswidriger Weise, ..." (Originalton des Urteils). Das Gericht führte weiter aus: "Ohne brauchbares Argument 'wischt' der Bundesgerichtshof den Umstand vom Tisch, ...".

Letztlich heißt es in diesem Urteil noch: "Die rechtlichen Ergebnisse der Auffassung des Insolvenzsenats sind zudem bei Übertragung der Rechtsprechung auf zahlreiche weitere wirtschaftliche Lebenssachverhalte unerträglich." Das Gericht hatte hier ein durchaus lebensnahes Beispiel. "Gesetzt den Fall, eine bedeutende Bank würde insolvent und zählte zu ihren Kunden zahlreiche überschuldete Privathaushaltskunden, dann wären Mieten von den Konten der überschuldeten Haushaltsvorstände bei der nunmehr ebenfalls insolventen Bank auf die Konten zahlloser Vermieter geflossen." Nach der Rechtsprechung dieses Zivilsenats (der IX Senat) wären die Zahlungen nach § 134 InsO noch nach vier Jahren anfechtbar. Dass dies einen finanziellen "Super-GAU" auslösen würde liegt auf der Hand.

Für die Vorsatzanfechtung müssen vier Tatbestandsmerkmale erfüllt sein:

- Eine Rechtshandlung des Schuldners innerhalb einer Zehn-Jahres-Frist,

- die unmittelbare Gläubigerbenachteiligung,

- der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und

- die Kenntnis des Anfechtungsgegners von dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit.

Dem Factor als Anfechtungsgegner unterstellt man, er habe den Benachteiligungsvorsatz und die Zahlungsunfähigkeit des Debitors gekannt. Die Tatsache, dass der Factor als Zessionar sehr geringe oder keine Kenntnis hat - anders als unter Umständen sein Anschlusskunde - findet keine Berücksichtigung.

Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit

Wenn nun der Factor eine Zahlung erhalten hat von einem Debitoren, der zu einem x-beliebigen Zeitpunkt einen Insolvenzantrag stellen wird, ist diese Zahlung nach dem Willen des BGH anfechtbar, wenn der Factor Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit hatte. Diese Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit wird vermutet, wenn der Debitor seine Verbindlichkeiten ständig in beträchtlichem Umfang nicht ausglich.

§ 17 InsO definiert die Zahlungsunfähigkeit. Der Schuldner ist danach zahlungsunfähig, wenn er die fälligen Zahlungspflichten nicht erfüllen kann. Wann das genau zutrifft, hat der Gesetzgeber nicht definiert. Das hat der BGH getan, indem er einen Schuldner drei Wochen Zeit lässt. Der BGH hat festgelegt: Zahlungsunfähigkeit liegt dann vor, wenn weniger als zehn Prozent der fälligen Schulden offenbleiben und nicht innerhalb der nächsten drei Wochen nachgezahlt werden können.

Bei dieser Rechtsprechung finden viele Kriterien keine Berücksichtigung. Ein Beispiel: Zahlreiche große Auftraggeber nehmen häufig Zahlungsziele von mehr als 100 Tagen in Anspruch, wodurch zwingend eine Schieflage entsteht; auch ein Grund, weshalb Factoring eine immer größere Bedeutung erlangt.

Entscheidung des OLG München

Das Oberlandesgericht (OLG) München hat am 17. Dezember 2013 eine Entscheidung gegen den Anfechtungsanspruch eines Insolvenzverwalters getroffen, in dem es das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts München aufgehoben, die Klage des Insolvenzverwalters abgewiesen und die Revision nicht zugelassen hat. Das OLG München hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:

Beklagte war ein Factoring-Unternehmen, Kläger der Insolvenzverwalter über das Vermögen eines Debitoren. Im September 2009 wurde der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt, und im März 2010 wurde das Verfahren eröffnet. Im Mai 2009 betrugen die Forderungen des Factors über 40 000 Euro. Zwischen dem Factor und dem Debitor gab es im Mai 2009 ein Gespräch, in dem der Debitor ankündigte, ihm werde ein neuer Kredit zur Verfügung gestellt. Er werde deshalb bis spätestens Mitte Juni einen Teil bezahlen. Die Restforderung solle in Raten bezahlt werden. Vor diesem Termin gab es schon vier Ratenzahlungen durch den Debitor.

Der Insolvenzverwalter erhob Anfechtungsklage mit der Begründung, die ratenweise Rückführung sei keine vertraglich vereinbarte Rechnungsbegleichung gewesen. Der Debitor sei im Frühjahr 2009 zahlungsunfähig gewesen. Dabei wurde erwähnt, die Beiträge bei den Krankenkassen und für die Berufsgenossenschaften seien nicht bezahlt worden. Außerdem habe er mitgeteilt, er könne seine Verbindlichkeiten nicht erfüllen. Der Factor habe deshalb Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit gehabt. Der Factor hatte dagegen gesagt, er habe keinen Einblick in die finanziellen Verhältnisse des Schuldners gehabt.

Das Landgericht hatte den Factor verurteilt, die erhaltenen Ratenzahlungsbeträge an den Insolvenzverwalter zurückzuzahlen. Die Voraussetzungen des § 133 InsO seien gegeben. Die Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes wurde vermutet. Die Vermutung wurde damit begründet, der Factor habe gewusst, dass Zahlungsunfähigkeit vorläge und andere Gläubiger durch die Zahlung an ihn benachteiligt wurden, und zwar wegen der bestehenden Rückstände und der Erklärung des Debitors, er könne derzeit nicht zahlen. Weder habe der Debitor wie angekündigt gezahlt, noch habe er Ratenzahlungsvereinbarung vor gelegt. Dies reichte dem Landgericht bereits, den Factor aufgrund einer Vorsatzanfechtung zu verurteilen.

Dieses Urteil hat das Oberlandesgericht München mit der Begründung aufgehoben, es stehe nicht fest, dass der Factor den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners kannte. Das OLG hat auch die Vermutung der Kenntnis abgelehnt. Der Insolvenzverwalter konnte nicht nachweisen, dass der Factor wusste, dass Zahlungsunfähigkeit drohte.

Das OLG hat die Zeichen, welche die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit vermuten lassen anders gedeutet als das Landgericht. Allerdings hat das Gericht dargelegt, es handele sich um eine Beurteilung des konkreten Falles, die nicht auf jeden Fall anwendbar sei.

Das Erfreuliche an dieser Entscheidung: Die Nichtzulassungsbeschwerde des Insolvenzverwalters wurde vom BGH mit Beschluss vom 15. Mai 20144) abgelehnt mit der Begründung, die Beurteilung, ob der Factor die Zahlungsunfähigkeit und den Benachteiligungsvorsatz gekannt habe, sei eine Würdigung des Einzelfalles, die eine Revision nicht erfordere, denn das OLG München sei im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH und anderen Oberlandesgerichten. Es gibt also noch viel zu tun, damit der BGH seine restriktive Linie aufgibt.

1) Az. 5 U 2068/13.

2) Az. 10C556/10.

3) Az. 9 ZR 194/04.

4) Az. IX ZR 4/14.

DIE AUTORIN: Elke Klein, Bremerhaven, ist als Rechtsanwältin und Notarin in Bremerhaven tätig. Sie hat sich auf den Bereich Factoring spezialisiert und berät Factoring-Gesellschaften in deren Vertragsgestaltung und im Debitorenmanagement.E-Mail: elke.klein[at]rechtsanwaltskanzlei-klein[dot]de
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