Enteignungsdebatte: Wissenschaftlicher Vorschlag zur Güte

56,4 Prozent der Berliner haben sich bei dem am 26. September 2021 abgehaltenen Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ für die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne ausgesprochen, 39 Prozent dagegen. Obwohl das Votum rechtlich nicht bindend ist, steigt damit der Druck auf die Politik zu handeln. Eine Art salomonischen Vorschlag zu der mitunter hitzig geführten Diskussion hat heute ein wissenschaftliches Trio um ifo-Präsident Clemens Fuest, Johanna Hey (Universität Köln) und Christoph Spengel (Universität Mannheim) vorgelegt.

Die drei Experten sprechen sich dafür aus, vermietete Immobilien nicht zu enteignen, sondern ihre Steuerprivilegien abzuschaffen: „Statt populistischer Forderungen nach Enteignung sollte die Politik besser über die Abschaffung von Steuerprivilegien für Immobilien bei der Einkommen-, Gewerbe-, Erbschaft- und Grunderwerbsteuer nachdenken“, schreiben sie in einem Aufsatz für den ifo-Schnelldienst. Es gebe Fehlanreize für Investoren und eine unfaire Verteilung der Steuerlast. Die Steuerregeln begünstigten die Anhäufung von Grundvermögen in den Händen weniger Menschen sowie Unternehmen. Auch die hohen Immobilienpreise seien zum Teil auf das Steuerrecht zurückzuführen.

Vergleichsweise geringe Korrekturen bei der Einkommensteuer, der Gewerbesteuer, der Erbschaftsteuer und der Grunderwerbsteuer könnten demnach diese Probleme beheben und das Steueraufkommen erhöhen, ohne die wirtschaftliche Entwicklung zu belasten. „Der Gesetzgeber könnte daran denken, bei der Einkommensteuer Veräußerungsgewinne auch außerhalb der geltenden Zehnjahresfrist zu besteuern, die Gewerbesteuerbefreiung bei Immobilien-Aktiengesellschaften abzuschaffen und die Grunderwerbsteuer zu reformieren“, sagt Hey. Zudem ließe sich auf diese Weise systemkonform zusätzliches Steueraufkommen erwirtschaften.

„Bei vermieteten Immobilien gehört die Doppelbegünstigung aus unbegrenztem Werbungskostenabzug und Steuerfreiheit des Veräußerungsgewinnes zu den letzten verbliebenen großen Steuervergünstigungen des Einkommensteuerrechts. Veräußerungsgewinne müssten voll besteuert werden“, sagt Spengel. Weiter schreiben die Autoren, Gewinne bei Immobiliengesellschaften unterlägen dann nicht der Gewerbesteuer, wenn diese ausschließlich auf die Verwaltung sowie die Betreuung eigenen Grundbesitzes einschließlich der Gewinne aus deren Verkauf entfallen. Eine Immobilien-AG könne ihre Mieteinkünfte und Gewinne aus dem Verkauf der Immobilien einnehmen, ohne Gewerbesteuer zu bezahlen, es falle also nur Körperschaftsteuer in Höhe von 15 Prozent an.

Bei der Erbschaftsteuer sind den Autoren zufolge große Wohnungsbestände begünstigt, wenn für ihre Verwaltung ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb notwendig ist. Die Finanzverwaltung gehe davon aus, dass dies ab 300 Wohnungen gelte. Diese Privilegierung sei durch nichts gerechtfertigt. „Die Praxis der Finanzverwaltung ist augenfällig gleichheitssatzwidrig, weil hier nur besonders große Vermögen in den Genuss der Vergünstigung kommen“, schreiben die Autoren.
Fuest, Hey und Spengel kritisieren auch, dass Immobilienkonzerne vielfach Objekte grunderwerbsteuerfrei kaufen und verkaufen. Der Grunderwerbsteuer könne man auf legale Weise entgehen, wenn Käufer Immobilien nicht direkt erwerben, sondern sie stattdessen Anteile an Kapitalgesellschaften kaufen, denen die Immobilien gehören.

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