Kirche und Immobilien

Zur aktuellen Situation der Kirchengebäude in Deutschland

Mindestens seit den achtziger Jahren läuft in Deutschlands Kirchenbau die Diskussion, ob und wie man die große Zahl bestehender Kirchengebäude hierzulande auch künftig halten kann. Angesichts schwindender Mitglieder- und Finanzstärke bestand damals zuerst in West-Berlin Sorge um Erhalt und Unterhalt der Kirchen. Doch ahnte man, dass diese Problematik bald auch in den Großstädten West-Deutschlands zutage treten würde. So warnten Fachleute lange allerdings ohne große Resonanz -, dass die Finanzierung des kirchlichen Baubestandes immer weniger zu leisten sei. Bei genauerem Hinsehen zeigten sich schon da kirchliche Bauhaushalte unterfinanziert.

Mehr Engagement im Osten - trotz weniger Mitglieder

In der DDR musste man zu diesem Zeitpunkt längst mit bescheidenen Mitglieder- und Finanzzahlen arbeiten, konnte verschärft durch staatliche und wirtschaftliche Restriktionen - dem Verfall der Kirchen trotz vielfältiger Bemühungen immer weniger entgegenwirken. Mit "Wende" und Vereinigung kamen die Probleme zusammen - und zeigen sich bis heute doch sehr unterschiedlich. Während in den neuen Bundesländern durch enormes Engagement auf kirchlicher, staatlicher und privater Ebene seit 1989/90 zahlreiche Kirchen gerettet und wiederbelebt werden konnten, stehen auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik aktuell immer mehr Kirchen in ihrer Nutzung, teils auch ihrem Bestand in Frage.

So mehren sich aus allen größeren Städten und Ballungsgebieten Berichte über Schließungen, Verkäufe, Umnutzungen oder gar Abbrüche von Kirchenbauten. Zunehmend werden solche Fragen aber auch in mittleren und kleineren Städten sowie in ländlichen Regionen diskutiert. Ebenso sind in der katholischen Kirche längst mehrere Diözesen dabei, sich massiv von Baubeständen zu trennen. Davon betroffen sind - in beiden großen Konfessionen Deutschlands - vor allem Kirchen aus den Nachkriegsjahrzehnten, insbesondere sobald finanzielle Engpässe, gemeindliche Fusionen und größere Sanierungsbedürfnisse zusammenkommen.

Hier drohen - wie im Rahmen umfangreicher Beratungsarbeit zur Entwicklung innovativer Nutzungs- und Erhaltungskonzepte für Kirchengebäude seit Jahren immer wieder erlebt - denn auch schnell Verkauf oder gar Abriss. Nach Alternativen wird meist wenig ernsthaft gesucht, eine Auseinandersetzung mit den künstlerischen Qualitäten, räumlichen Möglichkeiten und künftigen Perspektiven dieser Bauten findet nicht statt.

Betroffen sind auch manche Kirchen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie in klaren Formen der Nachkriegszeit wieder aufgebaute beziehungsweise umgestaltete ältere Bauten. Die Gemeinden sind in der Krisensituation oft überfordert, häufig fehlen zudem theologischer wie architektonischer Weitblick, sich nicht allein von scheinbaren finanziellen Notwendigkeiten bestimmen zu lassen, die einzig darauf drängen, schnellstmöglich Ballast abzuwerfen. Dabei wurden in den letzten Jahren eine Reihe zukunftsweisender, theologisch wie architektonisch anspruchsvoller Ideen und Beispiele diskutiert und umgesetzt, die allerdings noch immer wenig bekannt sind. Manche von ihnen mögen sich allein wirtschaftlich betrachtet zudem als (noch) nicht tragfähig erweisen. Hier bedarf es jedoch langfristiger Strategien, intensiver Auseinandersetzung, systematischer Auswertung und perspektivischer Fortentwicklung anstatt eben angelaufene Ansätze, Versuche und Modelle mangels schnell erkennbarer Erfolge übereilt abzubrechen.

Betriebswirtschaftliche Sicht nicht immer geeignet

Zudem stellt sich die Frage, ob die Nutzung von Kirchen überhaupt allein betriebswirtschaftlichen Kriterien unterliegen kann. Hier müssen vielmehr vielfältige, keineswegs nur finanzielle und innerkirchliche Maßstäbe angelegt werden. Kirchen sind keine Verfügungs- oder gar Konkursmasse, keine Immobilien wie Fabrikhallen, Wohnhäuser oder Geschäftsgebäude. Auch müsste weit tiefer nach Ursachen der Misere gesucht werden, die nicht nur in aktuellen Finanzproblemen, sondern beispielsweise auch in geschichtlichen Entwicklungen oder überkommenen Finanz- und Parochialstrukturen begründet liegen.

Demnach kann es nicht darum gehen, Kirchen schnellstmöglich abzustoßen, sondern die Problematik weitblickend anzugehen. Freilich besteht kein Zweifel, dass die verfassten Kirchen ihre Bauten schon unter demografischen Gesichtspunkten künftig nicht mehr allein finanzieren können. Entsprechend muss die Gesamtgesellschaft beteiligt und in die Verantwortung eingebunden werden. Dazu allerdings muss diese weit über konfessionelle Grenzen hinaus in anstehende Prozesse und Entscheidungen einbezogen und die Kirchenbauten vielfältigen Nutzungen erschlossen und geöffnet werden. Hierfür bedarf es meist keiner millionenschweren Umbauten, jedoch gesellschaftsoffener, intelligenter und fantasievoller Konzepte.

Hilfreich ist dabei ein Blick in die neuen Bundesländer, wo man angesichts nach wie vor zahlreich baulich gefährdeter Kirchen, niedriger Mitgliederzahlen, schwacher Finanzen und schwindender Fördermittel eigentlich weit mehr als im Westen verzweifeln müsste. Doch halten hier Menschen in Gruppen, Fördervereinen und Initiativen, nicht selten weit jenseits kirchlicher Strukturen, mit Fantasie und Engagement am Erhalt der Kirchen fest und setzen sich für ihre Sanierung ein. Mittel und Wege wie zum Beispiel die Errichtung kirchlich-kommunaler Mischnutzungen und Nutzungspartnerschaften mögen dabei zuweilen unorthodox erscheinen, bieten aber umso mehr Möglichkeiten und Chancen für Gebäude, Gemeinden und Gesellschaft.

An solch hoffnungsvolle wie zukunftsoffene Ansätze sollte man auch in den alten Bundesländern anknüpfen und verstärkt Ideen entwickeln, Kirchen zu erhalten und zu nutzen, statt zu versuchen, sie abzustoßen. Erfahrungen in England und in den Niederlanden zeigen längst, dass sich Kirche durch Aufgabe und Verkauf von Kirchengebäuden nicht "gesund schrumpft", sondern gesellschaftlich marginalisiert und öffentlich nicht mehr wahrgenommen wird. Hinzu kommt der enorme, weit über die Institution Kirche hinausgreifende kulturelle Verlust. Und schließlich sind Kirchenbauten - wie nicht erst jüngste Erkenntnisse und Erfahrungen zeigen - auf dem Immobilienmarkt selten wirklich attraktiv. So stehen immer häufiger Kirchen leer, Ratlosigkeit statt womöglich erhoffter hoher Erlöse ist an der Tagesordnung.

Ein mögliches Stufenmodell

Gemeinden wie kirchliche Ämter und Institutionen tragen denn auch ebenso wie die Gesamtgesellschaft hohe Verantwortung für die Kirchengebäude, derer sie sich oft jedoch nicht zureichend bewusst sind. Um den wertvollen Bestand an Kirchen aller Epochen in die Zukunft zu bringen, ist daher dringend Bewusstsein zu schärfen und ein offensiver, gesamtgesellschaftlicher Diskurs über den künftigen Umgang mit in Frage stehenden Kirchengebäuden einzuleiten. Dabei ist jeder Kirchenbau einzigartig und auch als Einzelfall zu betrachten - dies gilt insbesondere für die häufig "unterschätzten" Bauwerke des 20. Jahrhunderts.

Ein nicht nur unter kirchlichen Prämissen entworfenes Stufenmodell zum künftigen Umgang mit Kirchen könnte dann folgendermaßen aussehen: Erste Priorität genießt die kirchliche Nutzung, die ohne größere bauliche Eingriffe um gemeindliche wie übergemeindliche Aktivitäten erweitert werden sollte. Dann folgt die Möglichkeit, Räume für Gemeindearbeit wie weitere kirchliche Dienste einzurichten beziehungsweise ein- oder anzubauen. Auch können Raumteile einzel- oder teilvermietet werden. Schließlich kommen Mischnutzungen mit öffentlichen, religiösen, eventuell auch privaten Partnern in Betracht. Oder es sind Lösungen wie die Umfunktionierung zu Spezial- und Sonderkirchen für gesamtkirchliche Angebote denkbar.

Erst wenn sich nach gründlicher Untersuchung und Abwägung auf diesen Ebenen keine tragfähigen Lösungen ergeben, darf an eine völlige Nutzungsveränderung gedacht werden. Doch selbst hier sollten kirchlicherseits Nutzungsrechte und Verfügungsansprüche gewahrt bleiben. Zu bevorzugen ist eine öffentliche und/oder religiöse Funktion. Eine der Bauform und -geschichte entsprechende rein private Nutzung sollte nur in Betracht gezogen werden, um einen Abriss zu vermeiden. Eher noch wären Zwischenlösungen wie eine vorübergehende, baulich gesicherte Stilllegung oder expe-rimentell-öffentliche Interimsnutzungen zu wählen, die für die Zukunft alle Optionen offen halten.

Wichtig sind in jedem Einzelfall transparent nachvollziehbare Entscheidungskriterien, die für alle baulichen Veränderungen zu Gunsten des Baukunstwerks wie seiner Nutzer auch denkmalpflegerische Grundsätze anwenden - insbesondere für jüngere, noch nicht unter Schutz gestellte, aber oft denkmalwürdige Bauten. Ebenso dürfen über Weiternutzung oder Abgabe eines Kirchengebäudes nicht Zufälle wie wirtschaftliche Potenz, (kirchen)politisches Geschick oder aktueller Geschmack entscheiden. Stattdessen muss Kirche, aber auch Gesellschaft Verantwortung zeigen für alle Kirchenbauten, auch und gerade dann, wenn sich die Umnutzung einer Kirche in letzter Instanz als unvermeidbar erweisen sollte. Denn der Abriss des Bauwerks Kirche ist weder mit dem kulturellen Auftrag der Institution Kirche noch mit den kulturellen und geistigen Bedürfnissen und Verpflichtungen der Gesellschaft zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereinbar.

Keine Spekulationsobjekte

Kirchen waren zu keiner Zeit lohnende Spekulationsobjekte und werden dies auch künftig nicht sein. Stattdessen müssen für einen zukunftsfähigen Umgang mit überkommenen Kirchen vielfältige, innovative Strategien und angemessene, tragfähige Lösungen entwickelt, erprobt und umgesetzt werden mit dem Ziel, sie fantasievoller zu nutzen, zu erhalten und zu entwickeln. Entsprechend komplexe wie komplizierte Verfahren und Prozesse sind hier zu erwarten, interdisziplinäres, fachübergreifendes Arbeiten wird notwendig. Höchst dringlich bedarf es daher des intensiven, kreativen und offensiven Dialogs weit über Theologie, Kirche und Gemeinde hinaus - mit Architektur, Stadtplanung und Denkmalpflege ebenso wie mit Betriebswirtschaft, Immobilienmanagement und Rechtswesen. Die Frage, nicht mehr kirchlich tragfähige Kirchengebäude umzuwidmen, wird dabei als eine von vielen zu bearbeiten sein, die es im Blick auf den künftigen Umgang mit Kirchenbauten von Fall zu Fall zu lösen gilt.

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