Projektentwicklung

Bewertung von Immobilienprojekten mittels Realoptionsansatz

Immobilienwirtschaftliche Fragestellungen haben aufgrund einer möglichen Übertragbarkeit finanzwirtschaftlicher Modelle auf Immobilien in den letzten Jahren verstärkt an Bedeutung gewonnen. Im vorliegenden Beitrag wird die finanzwirtschaftliche Optionspreistheorie auf den Immobilienbereich speziell auf Investitionsentscheidungen in der Immobilienprojektentwicklung übertragen, da sich hier viele Handlungsflexibilitäten mit Optionscharakter finden lassen.1)

Realoptionsansatz versus Kapitalwertmethode

Entscheidungen über die Durchführung von Investitionen in der Immobilienprojektentwicklung werden vor allem anhand des Kapitalwertes (KW) getroffen. Die Statik dieses Ansatzes ermöglicht jedoch nicht das flexible Reagieren auf unsichere zukünftige Umweltentwicklungen, wie die Verschiebung der Investition auf einen späteren Zeitpunkt oder die Umnutzung einer Immobilie, die durch das Unternehmen wertsteigernd ausgenutzt werden könnten. Der Realoptionsansatz setzt an der These an, dass Unternehmen davon profitieren, strategische und/oder operative Handlungsflexibilitäten zu erschließen und zu nutzen. Handlungsflexibilitäten werden wegen der Begrenzung des Verlustes nach unten und der Offenhaltung aller Gewinnmöglichkeiten als Realoptionen bezeichnet.

- Bei der Investitionsverzögerungsoption besteht die Handlungsflexibilität in der zeitlichen Verschiebung der Investitionsdurchführung und somit der Entwicklung eines unbebauten Grundstücks nach hinten.

- Die Flexibilität bei der Umnutzungsoption ist die optionale Durchführung der Umnutzungsmaßnahme in Abhängigkeit von der Entwicklung der Mieteinnahmen aus der zurzeit genutzten versus der umgenutzten Immobilie.

Aufgrund der Berücksichtigung der Handlungsflexibilitäten muss der ursprüngliche passive Kapitalwertbegriff um einen flexibilitätsberücksichtigenden Wert erweitert werden. Der innere Wert der Realoption entspricht dem passiven Kapitalwert, wenn die Option sofort ausgeübt wird. Der Flexibilitätswert wird als Zeitwert der Realoption interpretiert. Der innere Wert und der Zeitwert bilden zusammen den dynamischen Kapitalwert. Die Erfassung unternehmerischer Freiheitsgrade durch den Realoptionsansatz kann im Rahmen betriebswirtschaftlicher Entscheidungsprozesse dazu führen, dass Investitionsprojekte, deren passiver Kapitalwert negativ ist, dennoch vorteilhaft sind und durchgeführt werden können.

Bewertung immobilienwirtschaftlicher Realoptionen

Realoptionen in der Immobilienprojektentwicklung sind durch eine asymmetrische Auszahlungsstruktur, Flexibilität bei der Ausübungsentscheidung, Unsicherheit der Auszahlungen sowie Irreversibilität der Investitionsentscheidung gekennzeichnet. Daher ist von einer Übertragbarkeit der finanzwirtschaftlichen Optionspreistheorie auf Investitionsentscheidungen in der Immobilienprojektentwicklung und folglich der Anwendung des Realoptionsansatzes auszugehen.

Zur Bewertung immobilienwirtschaftlicher Realoptionen wird das zeit- und zustandsdiskrete Binomialmodell von Cox, Ross, Rubinstein (CRR) verwendet.2) Der Wert des Basisinstruments einer Realoption - auch Basiswert genannt folgt annahmegemäß einem binomialen Random Walk. Der Random Walk ist ein nichtstationärer stochastischer Prozess, der bei einem bekannten Wert startet und zu diskreten Zeitpunkten Sprünge nach oben oder nach unten vollzieht.

Falls dies jeweils mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von 1/2 geschieht, ergibt sich ein rekombinierender Binomialbaum. Der risikofreie Zinssatz rf sowie die Volatilität des Basisinstruments o i werden als konstant angenommen. Der Aufwärtsfaktor u und der Abwärtsfaktor d sind abhängig von der Volatilität des Basisinstruments sowie der Länge des Zeitintervalls dt und beschreiben die Schwankungsbreite der beiden Kursbewegungen. Die Volatilitätsfaktoren lauten nach der CRR-Approximation:

Der Wert einer Realoption lässt sich als diskontierter Erwartungswert der Auszahlungen der Realoption zum Ausübungszeitpunkt darstellen. Die bei der Bildung des Erwartungswertes verwendeten risikoneutralen Wahrscheinlichkeiten, mit denen die Auszahlung einer Option bei einer Aufwärts- respektive einer Abwärtsbewegung des Basiswertes gewichtet wird, werden wie folgt berechnet:

Im Gegensatz zu den Volatilitätsfaktoren, die über die Annahme eines Erwartungswertes und einer Varianz hergeleitet werden, bestimmt sich der Wert der risikoneutralen Wahrscheinlichkeiten anhand von Arbitrageüberlegungen. Existieren gehandelte Optionen auf den Basiswert, kann die Volatilität implizit aus den Optionspreisen berechnet werden. Es ist auch möglich, die zukünftigen Free-Cash-Flows einer Immobilieninvestition, als Basiswert einer Investitionsverzögerungsoption, zu simulieren und auf diese Weise die Volatilität zu bestimmen. Der Free-Cash-Flow wird als operatives Ergebnis vor Zinsen und Steuern zuzüglich Abschreibungen sowie abzüglich der Steuern auf das operative Ergebnis und Investitionsaufwendungen berechnet.

Zur Ermittlung der Volatilität werden die erwarteten Free-Cash-Flows mit den gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten WACC diskontiert. Vor den Simulationsdurchläufen wird für jede unsichere Einflussvariable aufgrund empirischer Schätzungen eine Wahrscheinlichkeitsverteilung ermittelt, ein Wert aus dieser Verteilung zufällig ausgewählt und für die resultierenden Kombinationen aus unsicheren Einflussgrößen Free-Cash-Flows ermittelt. Die Standardabweichung der Free-Cash-Flows ergibt sich aus mehrfachen Iterationen der Zufallsvariable z:3)

Die Volatilität der Mieteinnahmen, als Basiswert einer Umnutzungsoption, kann bei Vorhandensein einer vergleichbaren Miete Mt anhand historischer Daten geschätzt werden:4)

Zu berücksichtigen ist, dass hier eine Lognormalverteilung der Basiswerte unterstellt und somit die Standardabweichung der Differenzen der logarithmierten Basiswerte, das heißt der relativen Wertänderungen, in t = 1 und t = 0 respektive t und t-1 ermittelt wird.

Fallstudie A: Investitionsverzögerungsoption

Bei einer Investitionsverzögerungsoption kann die Entscheidung, eine Investition durchzuführen, verzögert und auf Basis verbesserter Informationen gefällt werden. Die Flexibilität, den Bau einer Immobilie zu verzögern, bedingt die Möglichkeit, den Barwert der erwarteten Free-Cash-Flows inklusive zusätzlich generierbarer Optionen zu erhöhen. Der Barwert der erwarteten zukünftig generierbaren Free-Cash-Flows entspricht dem Wert der fertig gebauten Immobilie. Über die Zahlung der Investitionssumme kann der Inhaber der Option den Barwert der zurzeit erwarteten Zahlungen erwerben.

Es wird angenommen, dass der Auftraggeber der Immobilienprojektentwicklung bereits Eigentümer des Grundstücks ist und somit die Exklusivität der Ausübung der Realoption gesichert ist. Wettbewerbseffekte, die ein Vorziehen der Investition bedingen könnten, werden im Folgenden nicht betrachtet. In der Fallstudie beträgt der Barwert der erwarteten Free-Cash-Flows 100 Millionen Euro, deren Volatilität 30 Prozent und die Laufzeit der Realoption fünf Jahre. Der risikofreie Zins wird mit 5,0 Prozent und die Entwicklungskosten mit 200 Millionen Euro angenommen. Damit ergeben sich für die Volatilitätsparameter u = 1,3499 und d = 0,7408 sowie für die Werte der risikoneutralen Wahrscheinlichkeiten pu = 0,5077 und pd = 0,4923. Unter der Annahme der gewählten Parameter sind in der Abbildung 1 die Werte des Basisinstruments, die Optionswerte und die Entscheidungen, die an jedem Knoten unter den Optionswerten stehen, eingetragen.

Die oberen Werte in der Diagonalmatrix bezeichnen die Werte des risikobehafteten Basisinstruments. Der Wert "448" zum Beispiel resultiert nach fünf Aufwärtsbewegungen und fünf Jahren. An den jeweiligen Knoten wird die Investitionsverzögerungsoption ausgeübt, wenn der Wert der Option bei Ausübung, als Differenz zwischen dem Barwert der erwarteten generierbaren Free-Cash-Flows St und den Investitionskosten I, größer ist, als der Wert der Option bei Nichtausübung:

Die Entscheidung "Halten" bedeutet, dass die Option nicht ausgeübt wird und die Entscheidung "Investition", dass das Grundstück entwickelt und mit dem Bau der Immobilie begonnen wird. Für die Zeitpunkte t = 4 und t = 5 wurden zusätzlich die Entscheidungsalternativen beschrieben. Der Wert der Investitionsverzögerungsoption beträgt zwölf Millionen Euro respektive zwölf Prozent des Wertes des Basisinstruments. Der Optionswert und der innere Wert der Option können in Abhängigkeit vom Wert der Immobilie dargestellt werden, wobei die Differenz zwischen Optionswert und innerem Wert den Zeitwert der Investitionsverzögerungsoption beziehungsweise den Flexibilitätswert der Investition kennzeichnet (Abbildung 2).

Fallstudie B: Umnutzungsoption

Die Umnutzungsoption beinhaltet die Umnutzung einer Immobilie, wobei exemplarisch die Umnutzung einer Wohnin eine Büroimmobilie vorgestellt wird. Dabei handelt es sich um ein Mehrprozessproblem, da der Optionswert der Umnutzungsoption von der zeitlichen Entwicklung der Mieteinnahmen aus der Wohnimmobilie und der Büroimmobilie, welche die Basiswerte der Umnutzungsoption sind, abhängt. Es wird abweichend zur Investitionsverzögerungsoption davon ausgegangen, dass die zeitliche Entwicklung der Basiswerte durch drei statt zwei Zustände abgebildet wird.

Es handelt sich somit nicht mehr um die Modellierung anhand eines Binomial-, sondern eines Trinomialbaums. Aus diesem Grund müssen drei Volatilitätsparameter, erstens für eine Aufwärtsbewegung u, zweitens für eine mittlere Bewegung m und drittens für eine Abwärtsbewegung d, ermittelt werden.

Die Änderung des Basiswertes i im Zeitablauf besteht aus einer erwarteten Komponente µiz und einer stochastischen Komponente o iz, jeweils in Abhängigkeit vom Zustand Z = [u, m, d]. Für die Wertänderungen (µiz+o iz)=(µz+o z)i gilt, dass die Erwartungswerte µiz, die Varianzen (o iz)2 und die Kovarianz o ij zwischen der Entwicklung der Mieteinnahmen zwischen zwei Immobilien i und j konstant sind (siehe Kasten 1). Es existieren für dieses Gleichungssystem mehrere Lösungen, da es neben den dargestellten fünf Gleichungen mehr als fünf Unbekannte beinhaltet. Die Unbekannten sind die Wertänderungen (µz+o z)i für jede der zwei Immobilien in Abhängigkeit des Zustandes und die drei statistischen Wahrscheinlichkeiten qz.

Die Annahme, dass die statistischen

Wahrscheinlichkeiten für eine Abwärts-, eine mittlere oder eine Aufwärtsbewegung identisch sind und somit jeweils ein Drittel betragen, führt dazu, dass nur noch sechs Unbekannte, die Wertänderungen, resultieren. Zusätzlich wird unterstellt, dass die Wertänderung im Zustand m bei der Büroimmobilie Null beträgt.

Für die Fallstudie B wird weiter angenommen, dass der Eigentümer der Wohnimmobilie diese vor zwei Jahren für fünf Jahre vermietet hat. Der Barwert der Mieteinnahmen aus der Wohnimmobilie beträgt 404 000 Euro und der Barwert der Mieteinnahmen aus einer Büroimmobilie für einen zum Bewertungszeitpunkt am Markt geschlossenen fünfjährigen Mietvertrag 807 000 Euro.5)

Die erwartete Rendite respektive die Standardabweichung des Barwertes der Mieteinnahmen aus der Wohnimmobilie wird mit zwölf Prozent beziehungsweise 20 Prozent angenommen. Für die Büroimmobilie wird eine erwartete Rendite respektive Standardabweichung des Barwertes der Mieteinnahmen von 20 Prozent beziehungsweise 30 Prozent festgelegt.

Umnutzung eines Wohngebäudes

in Büros

Der Korrelationskoeffizient zwischen den Barwerten der Mieteinnahmen aus der Wohnimmobilie und der Büroimmobilie ist mit 0,5 angegeben und die zu berücksichtigenden Umnutzungskosten stellen 200 Prozent des Barwertes der Mieteinnahmen aus der Wohnimmobilie im Endzeitpunkt dar. Damit lauten die Parameter des zeitlichen Entwicklung der Mieteinnahmen aus der Wohnimmobilie: u = 1,29, m = 1,31, d = 0,85 und aus der Büroimmobilie: u = 1,87, m = 1,00, d = 0,98 (siehe Abbildung 3).

Die Option wird zum Zeitpunkt t = 3 ausgeübt, wenn der Barwert der Mieteinnahmen aus der Büroimmobilie größer ist, als das Zweifache des Barwertes der Mieteinnahmen aus der Wohnimmobilie.

Zur Ermittlung der risikoneutralen Wahrscheinlichkeiten wird ausgenutzt, dass diese jeweils multipliziert mit den Werten des Basisinstruments bei einer Aufwärtsbewegung Si1; u, einer mittleren Bewegung Si1; m und einer Abwärtsbewegung Si1; d, und diskontiert mit dem risikofreien Zinssatz, den Wert des Basisinstruments zum Bewertungszeitpunkt Si0 ergeben müssen (siehe Kasten 2).

Die Lösungen des Gleichungssystems sind die risikoneutralen Wahrscheinlichkeiten in t = 1: pu = 7, 31 Prozent, pm = 36, 60 Prozent, pd = 56, 09 Prozent. Diese Wahrscheinlichkeiten müssen entlang eines Pfades bis zum jeweiligen Zeitpunkt, in dem die Umnutzungsoption eventuell ausgeübt wird, multipliziert werden. Die risikoneutrale Wahrscheinlichkeit zum Beispiel bei drei Aufwärtsbewegungen des Basisinstruments ermittelt sich zu: 7, 31 Prozent * 7, 31 Prozent * 7, 31 Prozent = 0, 04 Prozent. Die Auszahlungen aus der Option werden mit den risikoneutralen Wahrscheinlichkeiten multipliziert und mit dem risikofreien Zinssatz diskontiert. Entsprechend beträgt der Wert der Umnutzungsoption 119 000 Euro.

Der Realoptionsansatz versucht, realwirtschaftliche Handlungsflexibilitäten mit der finanzwirtschaftlichen Optionspreistheorie zu bewerten. Aufgrund der Eigenschaften von Realoptionen in der Immobilienprojektentwicklung ist es methodisch sinnvoll, den Wert der Realoption mit Hilfe des Binomialmodells nach CRR zu bestimmen. Es gibt aber Grenzen in der Analogie zwischen Finanz-und Realoptionen in der Immobilienwirtschaft.

Kritik

Die finanzwirtschaftliche Optionspreistheorie basiert auf dem Prinzip der Arbitragefreiheit, das die Bildung eines äquivalenten Portfolios ermöglicht. Immobilien weisen jedoch die Eigenschaft der Heterogenität auf, welche die Konstruktion eines äquivalenten Portfolios erschwert. Der Handel in Immobilien ist im Vergleich zu Aktienmärkten vergleichsweise illiquide, das heißt es erfolgt kein kontinuierlicher Handel des Basisinstruments und die geringe Teilbarkeit von Immobilien in Verbindung mit hohen Transaktionskosten verhindert die zur Abbildung des äquivalenten Portfolios erforderliche Stückelung.

Allerdings können diese Kritikpunkte vernachlässigt werden, wenn das Konzept der Marktwertverzichtsannahme angewendet wird. Dabei wird als marktfähiges Referenzobjekt, mit identischer Risikoposition wie das Investitionsprojekt, das eigentliche Investitionsprojekt ohne Flexibilität verwendet.

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