Frage an Brigitte Wesierski

Warum braucht man in Deutschland die Umkehrhypothek?

Die Idee einer Umkehrhypothek ist nicht neu. Banken haben in ihrer Produktentwicklung immer wieder einmal den Gedanken verfolgt, das Immobilienvermögen eines Kunden dazu zu verwenden, im Alter aus der Immobilie ein Zusatzeinkommen zu erzielen. Bisher war der Markt dafür jedoch nicht aufnahmefähig. Dies könnte sich nun angesichts der Bevölkerungsentwicklung ändern.

Demografische Entwicklung bereitet den Boden

Schrumpfung und Alterung sind in der deutschen Bevölkerung bereits seit geraumer Zeit Realität. Das wird in einigen Regionen bereits deutlich wahrgenommen, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Die Konsequenzen ziehen sich durch alle Leistungen der Daseinsvorsorge, die durch den öffentlichen Auftrag wahrgenommen werden.

Insbesondere bei der technischen Infrastruktur in den Bereichen Versorgung und Entsorgung, Wasser, Verkehr und Energie wird die Aufrechterhaltung und Pflege der Netze problematisch. Die Verteilung der leitungsgebundenen Infrastrukturkosten auf immer weniger Menschen führt zu zunehmenden Belastungen in Gebieten, die von Abwanderung betroffen sind. Dazu kommt, dass die verbleibende ältere Bevölkerung oftmals gerade zur einkommensschwächeren Bevölkerung gehört.

Auch die flächendeckende Versorgung mit sozialer Infrastruktur, also Schulen, Krankenhäusern oder Altenheimen ist in dünn besiedelten Gebieten kaum noch möglich. Das bedeutet, dass Menschen, die dort wohnen, entweder höhere Kosten für die Infrastruktur tragen oder längere Wege auf sich nehmen müssen.

Schließlich wird bei zunehmendem Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung auch die Anpassung der Wohnverhältnisse auf deren Bedürfnisse immer wichtiger. Krankheit oder Gebrechlichkeit wird nicht mehr zwangsläufig dazu führen können, Alters- oder Pflegeheime in Anspruch zu nehmen, unter anderem auch, weil man es sich finanziell nicht leisten kann oder aber der Wunsch besteht, in den eigenen vier Wänden zu bleiben.

Verkaufs- und Darlehensmodelle

Wo immer diese Bevölkerungstrends aufgezeigt werden, stehen zumeist ältere Menschen im Mittelpunkt. Daher lag es nahe, im Rahmen der Überlegungen zum Wohnen im Alter über Möglichkeiten nachzudenken, Immobilienvermögen schrittweise in Liquidität umzuwandeln.

In anderen Ländern gibt es hierzu bereits Angebote. Der Impuls war hier häufig eine zu geringe Altersabsicherung, aber auch eine über längere Zeit positive Immobilienwertentwicklung. Grundsätzlich unterscheiden sich die Produkte in Verkaufs- und Darlehensmodelle. Die Verkaufsmodelle sehen den Verkauf der Immobilie vor. Aus dem Verkaufserlös wird dann eine Rente generiert, zum Beispiel über eine Versicherung. Sofern der Kunde weiter in seiner Immobilie bleiben will, wandelt sich das Eigentumsverhältnis in ein Mietverhältnis um oder es wird ein lebenslanges Wohnrecht vereinbart. Die anderen Varianten sind Darlehensmodelle, bei denen der Kunde einen Kredit aufnimmt, sein Eigentum beleiht und damit Eigentümer seines Hauses oder seiner Wohnung bleibt.

Die deutschen Förderbanken haben dieses Thema aufgegriffen, um für diese Marktlücke ein Angebot zu erarbeiten. Dabei sahen sie sich vor die Aufgabe gestellt, nicht nur ein Produkt mit völlig neuen Strukturen zu entwickeln, sondern auch vorab den Beweis anzutreten, dass dafür Nachfrage vorhanden ist.

Zweifel wurden allenthalben geäußert, ob der "Häuslebauer" bereit sein könnte, sein Haus und damit sein Vermögen zu verbrauchen, nachdem er es zuvor mühsam abgezahlt habe. Außerdem sei es üblich, das Erbe an die Kinder weiterzugeben und - so schließlich das Renditeargument - sei ein Verkauf des Hauses entschieden günstiger, wenn denn schon der Vermögensverzehr angestrebt werde. Somit stellt sich die Frage, welche Motive dazu führen, als älterer Mensch eine sogenannte umgekehrte Hypothek aufzunehmen.

Modernisierungsbedarf und altersgerechter Umbau

Ein Zusatzeinkommen über Umkehrhypotheken kann in mehrfacher Hinsicht attraktiv sein. Es kann die Finanzierung haushaltsnaher Dienstleistungen ermöglichen, eine Einkommenslücke im Alter schließen, um den Lebensstandard zu erhalten oder zusätzlich die Anschaffung von Konsumgütern ermöglichen.

Das gilt insbesondere, wenn der Wunsch besteht, im eigenen Haus beziehungsweise der eigenen Wohnung weiterhin zu leben, man aber zugleich mit hohen Belastungen konfrontiert ist. Dann könnte so ein Produkt eine adäquate Antwort sein. Gerade wenn die laufende Belastung noch durch zusätzlichen Aufwand aufgrund von Pflegebedürftigkeit steigt, werden liquide Mittel benötigt.

Eigene Immobilien erfordern darüber hinaus regelmäßige Instandhaltungsarbeiten, die im Rentenalter finanziell schlechter zu stemmen sind als in Zeiten meist besser vergüteter Berufstätigkeit. Dazu kommt häufig noch Modernisierungsbedarf oder die Notwendigkeit eines altersgerechten Umbaus der Immobilie.

Unterstützung der Familie

Außerdem kann die Unterstützung der Familie mit laufenden Zahlungen ein stärkeres Gewicht erhalten als ein Warten auf das Erbe. Das trifft besonders auf Familien zu, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Auch karitative Zwecke könnten verfolgt werden, wenn es zum Beispiel keine Nachkommen gibt, die zu versorgen wären.

Während der Konzeptentwicklung der Förderbanken im Bundesverband Öffentlicher Banken, VÖB, für ein Produkt mit einer umgekehrten Hypothek haben zahlreiche Kundenanfragen deutlich gemacht, dass der Bedarf nach solch einer Produktvariante zu wachsen scheint. Um aber zumindest den Grundbedarf in Deutschland verlässlich zu schätzen, sind auf Basis der Daten aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zuverlässige Hochrechnungen abgeleitet worden.

Wenn man davon ausgeht, dass für ein Darlehensprodukt in Form einer umgekehrten Hypothek Personen infrage kommen, die ein Mindestalter von 60Jahren haben und für eine spürbare monatliche Zahlung mindestens ein Immobilienwert von 100000 Euro vorhanden sein sollte, dann treffen diese Merkmale auf geschätzte drei Millionen Haushalte in Deutschland zu.

Besonderer Bedarf bei einer Million Haushalte

Aus Sicht der Förderbanken war es im Einklang mit ihrem öffentlichen Auftrag naheliegend, sich weiter der Kundengruppe zu nähern, die einen besonderen Bedarf haben könnte. Es folgte daher eine zusätzliche Betrachtung des Einkommens.

Wenn die monatlichen Einkünfte unterhalb von 1000 Euro pro Person liegen, dann käme das Produkt für zirka zwei Millionen Haushalte infrage.

Und grenzt man noch ein wenig weiter ein, indem man Haushalte mit Einkünften unterhalb des Äquivalenzeinkommens betrachtet, so verbleiben noch immer gut eine Million deutscher Haushalte, für die sich das Nachdenken über einen solchen Immobilienverzehr lohnen könnte. Das geschätzte Kreditvolumen, welches bei entsprechenden Immobilienwerten daraus resultiert, läge bei gut 90 Milliarden Euro. Dieses Marktpotenzial können Förderbanken zunächst zugrunde legen.

Die öffentliche Diskussion richtet sich - insbesondere seitdem bei der Investitionsbank Schleswig-Holstein der Startschuss für die sogenannte "Immorente" gefallen ist - zu Recht auf die Kundenfreundlichkeit dieser neuen Darlehensform. Dabei liegen die Risiken eher auf der Seite der Bank.

Risiken kundenfreundlich behandeln

- Immobilienrisiko: Ein Hypothekendarlehen ist immer eine Entscheidung, die sehr weit in die Zukunft gerichtet ist und daher eine sorgfältige Einschätzung der Wertentwicklung voraussetzt. Allerdings steht bei der "normalen" Hypothek eine regelmäßige Abzahlung gegen dieses Risiko der Sicherheitenverwertung. Irrtümer bei der Werteinschätzung verlieren mit der Zeit an Schärfe. Bei diesem neuen Produkt ist das im wahrsten Sinne des Wortes umgekehrt.

- Zinsänderungsrisiko: Kunden, die ein normales, grundschuldbesichertes Darlehen aufnehmen, sind damit vertraut, Zinsbindungen von fünf bis zehn Jahren abzuschließen. Nach Auslauf dieser Zinsbindung treffen sie eine neue Entscheidung. Im Alter von 70 bis 80 Jahren mit solchen Anforderungen konfrontiert zu werden, könnte schwerer fallen. Daher hat der Wunsch nach langfristiger Zinsbindung hier einen größeren Stellenwert.

- Langes Leben in Sicherheit: Ein langes Leben in der eigenen Immobilie zu genießen, ist das Ziel dieses Angebots. Hier eine feste Zeitdauer zugrunde zu legen und auf den zukünftigen Immobilienwert zu beziehen, ist eine große Herausforderung für die Bank, wenn sie dem Kunden weitestmöglich entgegenkommen und ihn nicht der Anforderung aussetzen will, im hohen Alter zwangsweise die Immobilie zu verkaufen.

Es bleibt nun abzuwarten, wie sich der Markt in Deutschland entwickeln wird. Die Einkommenssteigerungen für Rentner in den nächsten Jahren dürften eher gering sein, sodass die Neigung vieler älterer Personen wachsen dürfte, an einen Verzehr ihrer Immobilie zu denken. Dies wiederum könnte zu weiteren Angeboten im Markt führen, aus denen der Kunde auswählen kann!

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