Leitartikel

Risiko Finanzierung

Die Europäische Zentralbank (EZB) bleibt sich treu. Vorerst hat sie allen Versuchungen widerstanden und den Leitzins unverändert bei einem Prozent belassen. Dabei gab es genügend Argumente, die weitere Zinssenkungen gerechtfertigt hätten. So prognostizieren die Währungshüter für 2009 einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in der Eurozone zwischen 5,1 und 4,1 Prozent. Und auch der nur leichte Anstieg der Verbraucherpreise wäre mit geschätzten 0,1 bis 0,5 Prozent geeignet, die Geldpresse anzuwerfen. Allerdings erwartet die Notenbank, dass der konjunkturelle Tiefpunkt schon im kommenden Jahr überwunden werde. Für 2010 weisen die Projektionen ein Wirtschaftswachstum zwischen minus 1,0 Prozent und plus 0,4 Prozent aus. Und auch die Inflationsrate werde zwischen 0,6 bis 1,4 Prozent gesehen. Folglich ist die Entscheidung der EZB für die gewohnt entsprechend vorbereiteten Märkte keine Überraschung gewesen. Trotzdem bleiben Hintertürchen für Zinskorrekturen nach oben und unten bewusst offen.

Wer allerdings gehofft hatte, dass sich die Niedrigzinspolitik der EZB unmittelbar senkend auf die Kreditkonditionen für gewerbliche und private Kredite auswirken würde, ist enttäuscht worden. Denn die Zinssenkungen der Notenbanken werden durch die steigenden Liquiditätskosten kompensiert. Daran wird auch das umstrittene 60 Milliarden Euro schwere Ankaufprogramm für Covered Bonds nur sehr wenig ändern, das die Notenbank von Juli 2009 bis Juni 2010 durchführen will. Hinzu kommt, dass sich das Kreditangebot drastisch verengt hat - quantitativ wie qualitativ. Erstens sind heute in der gewerblichen Immobilienfinanzierung deutlich weniger Anbieter im Markt als noch vor ein bis zwei Jahren und die wenigen Aktiven fahren ihr Neugeschäft massiv nach unten. Zweitens ist die Produktvielfalt drastisch eingeschränkt: Faktisch sind heute nur noch klassische Finanzierungen darstellbar, die nach Möglichkeit weitgehend deckungsstockfähig sein sollten.

Für die Realwirtschaft ist diese Entwicklung alles andere als erbaulich. Dabei machen mittlerweile nicht allein die jahrelangen Sorgenkinder wie Karstadt und Opel, sondern auch Unternehmen mit funktionierendem operativen Geschäft die Grätsche. Allein in den vergangenen sechs Monaten haben Ernst & Young zufolge 20 Automobilzulieferer aus dem deutschsprachigen Raum Insolvenz angemeldet und die Berater schätzen, dass bis Jahresende noch weitere 50 bis 80 Unternehmen aus der Automobilbranche in Konkurs gehen könnten. Marktbeobachter erwarten daher, dass in den kommenden Wochen und Monaten, in größerem Umfang als bislang gesehen, die in Immobilien gebundenen stillen Reserven aktiviert werden, sofern dies noch möglich ist.

Neben Flächenoptimierungen und Verkäufen von nicht betriebsnotwendigen Immobilien könnten dabei Sale-and-Lease-backbeziehungsweise Sale-and-Rent-back-Strukturen für Betriebsgebäude häufiger zu sehen sein. Allerdings wird auch dies nur noch zu strafferen Konditionen möglich sein als früher, denn die Erwartungen der Immobilieninvestoren gerade im Bereich der Automobilindustrie haben sich aufgrund der Insolvenzen und Nachfragerückgänge nicht erfüllt. Karstadt hatte dagegen schon vor Jahren seine Liquiditätssituation durch Aktivierung des Immobilienvermögens aufgebessert, indem Warenhäuser von der eigenen Hypothekenbank, heute Valovis Bank, beliehen und über Pfandbriefe refinanziert wurden. Sorgen um die Qualität des inzwischen auch mit privaten Baufinanzierungen angereicherten und veredelten Deckungsstocks müsse man sich deshalb auch im Falle einer möglichen Insolvenz des Mutterkonzerns Arcandor nicht machen, beruhigt die Bank. Hoffentlich!

Während bei Opel und Karstadt wohl die KfW einspringt, haben Immobilienunternehmen mit verschärften Kreditkonditionen zu kämpfen. In einer Befragung von Ernst & Young, deren Ergebnisse Anfang Juni vorgelegt wurden, nannten sie die restriktive Kreditvergabe der Banken als Hauptrisiko. So habe sich der Beleihungsauslauf von durchschnittlich 80 Prozent vor Ausbruch der Krise auf aktuell etwa 50 Prozent reduziert, klagen die Immobiliengesellschaften. Dieses in Kombination mit den schlechten Konjunkturerwartungen sowie den Umsatzeinbrüchen an den gewerblichen Miet- und Investmentmärkten hat einige Immobilienunternehmen bereits in Existenznöte und zum Teil auch in die Insolvenz getrieben. Vor allem die deutschen Immobilien-Aktiengesellschaften, die im internationalen Maßstab relativ hoch verschuldet sind, traf das härtere Kreditregime der Banken ins Mark. Gesellschaften mit nachhaltig soliden Erträgen aus Vermietung oder Dienstleistungen haben jedoch weit weniger Diskussionsbedarf mit den Banken als jene, die mit Projektentwicklungen oder Immobilienhandel mal mehr und mal weniger Cash-Flow vorzeigen können. Wer Gewinne im Wesentlichen aus Schönschreibübungen bei Immobilienwerten auszuweisen vermochte, bekommt jetzt freilich eine gepfefferte Rechnung.

Allerdings leiden die Immobilienunternehmen auch unter Bedingungen, die sie selbst nicht verantworten. Die Zinsschranke ist ein Paradebeispiel dafür, dass gut gemeint nicht immer gut gemacht bedeutet. Zwar ist das Bestreben des Staates verständlich, im Inland anfallende Ertragssteuern nicht durch kreative Kreditkonstruktionen mit Konzerntöchtern in Steueroasen zu verlieren, doch gefährdet die Regelung in implodierenden Märkten die Überlebensfähigkeit von so mancher Immobiliengesellschaft. Waren die Steuern auf Zinsen in Zeiten prosperierender Immobilienmärkte gerade noch zu verschmerzen, so wird die Branche jetzt doppelt bestraft, indem trotz Konzernverlusten Steuern anfallen. Und so manches Unternehmen rutscht erst durch die krisenbedingt gestiegenen Darlehenszinsen aus der Freigrenze von einer Million Euro heraus und wird steuerpflichtig. Die vorgesehene Anhebung dieser Freigrenze auf drei Millionen Euro rückwirkend zum 1. Januar 2008 hilft sicherlich, doch ist sie bis 2010 begrenzt. Ob sich der Gesetzgeber aber darauf einlassen wird, auf die Befristung zu verzichten oder gar die Freigrenze in einen steuerlich sofort abzugsfähigen Freibetrag umzuwandeln, wie von immobilienwirtschaftlichen Interessenvertretern gefordert, darf angesichts des Finanzierungsbedarfs der öffentlichen Hand für Konjunkturpakete und Bankenrettung bezweifelt werden. Die Finanzierung bleibt deshalb wohl bis auf Weiteres ein Risiko für Immobilien- und andere Unternehmen. L. H.

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