Immobilie als Asset

Weißbuch Innenstadt: längst Realität

Mit Erscheinen dieser Ausgabe ist das sogenannte Weißbuch Innenstadt fast ein Jahr alt. Selbst gestecktes Ziel des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) war es, mit dem Weißbuch die wesentlichen Trends für die Innenstädte fachlich und politisch zu bewerten. Zudem sollten möglichst konkrete Handlungsempfehlungen für die nächsten Jahre gegeben werden - unter anderem darüber, wie mit dem Thema Einzelhandel in den Zentren umgegangen werden soll.

Ein Fazit bis heute lautet: Bewirkt hat das Projekt zumindest im Bereich Einzelhandel wenig. Dies mag zum einen daran liegen, dass Einzelhandelsentwicklungen lange Planungs- und Realisierungszeiten haben, vor allem dann, wenn es sich um großflächige Immobilien wie Shoppingcenter handelt. Eventuelle richtungsweisende Veränderungen würden also ohnehin erst in einigen Jahren in der Stadtentwicklung ablesbar sein.

Wenig Neues

Zum anderen gilt aber: Die Inhalte des Weißbuchs sind teilweise eher dürftiger Natur. Insbesondere konkrete Handlungsempfehlungen, die über das hinausgehen, was ohnehin gängige Praxis ist, sind dünn gesät. Was den Einzelhandel angeht, ist es fraglich, ob das Weißbuch überhaupt einen nennenswerten Mehrwert bietet.

Um das zu bewerten, beginnt man am besten mit dem Status Quo, also dem Zusammentragen aktueller Entwicklungen im Weißbuch sowie der Bewertung der Trends. Drei Punkte sollen im Folgenden zum Thema Einzelhandel herausgegriffen werden. So heißt es beispielsweise, dass Geschäftsketten mit ihren standardisierten Sortimenten "in ihrer immer gleichen Anordnung und Wiederholung eine gewisse Gleichförmigkeit und Austauschbarkeit in den Innenstädten" bewirken, was bis zur "Banalisierung der Orte führen kann".

Der zweite Punkt: Die "wachsende Anzahl innerstädtischer Einkaufszentren" sei eine aktuelle Herausforderung für die Stadtentwicklung. Grundsätzlich könne zwar "eine Neueröffnung zur Stärkung der Zentren beitragen. Gleichwohl müssen mögliche negative Auswirkungen auf Erscheinungsbild, Einzelhandelsstruktur, Mieten und Umsätze in angrenzenden Geschäftsstraßen und Fußgängerzonen sehr genau bedacht werden." Umgekehrt, so der dritte Aspekt, stelle auch der Verlust der ehemals dominierenden Kauf- und Warenhäuser die Zentren vor große Aufgaben. Besonders Klein- und Mittelstädte seien stark betroffen, wenn das einzige Kaufhaus als Ankerpunkt der Innenstadt geschlossen werde.

All diese Erkenntnisse - der Filialisierungsgrad steigt, das Warenhaus lahmt, das Shoppingcenter boomt, bedroht aber zugleich die Innenstadt - sind keineswegs neu. Sie sind seit Jahren zu beobachten und werden seit Jahren auf einer Ebene diskutiert, die weit über die Erkenntnisse des Weißbuchs hinausgeht. Wenn hieraus Handlungsempfehlungen abgeleitet werden sollen, wie es das Ziel des Weißbuchs war, hätte zumindest eine deutlich tiefergehende Betrachtung erfolgen müssen. So werden beispielsweise Wechselwirkungen nicht ausreichend diskutiert.

Die Schwäche der Warenhäuser ist ursächlich mit dem Aufstieg der Shoppingcenter verknüpft. Einerseits wird noch immer um den Erhalt der Warenhäuser gerungen, wird das Warenhaus als Heilsbringer stilisiert. Dabei hat das Zentrum doch längst die Funktion des Warenhauses übernommen. Das eine ist schlicht und ergreifend an die Stelle des anderen getreten - Handel ist bekanntlich gleich Wandel. In den größeren Städten haben Warenhäuser als Teil des Mietermixes sogar einen Platz innerhalb von Shoppingcentern. In kleineren Städten ist es das hybride Shoppingcenter, das an die Stelle von Warenhäusern getreten ist. Dabei handelt es sich um eine Mischform aus Shoppingcenter und Fachmarktzentrum, die einerseits ähnlich wie Fachmärkte eine starke Nahversorgungskomponente und andererseits eine hohe Aufenthaltsqualität aufweist.

"Magnet" Shoppingcenter

Wie verträglich sind Shoppingcenter für die Innenstadt? Interessanterweise sahen sich die Warenhäuser vor rund 100 Jahren, als sie noch jung waren und sich in den deutschen Städten gerade zu etablieren begannen, mit genau den gleichen Argumenten konfrontiert wie gegenwärtig die Shoppingcenter. Damals wie heute gilt, dass Warenhäuser die Innenstädte nicht kaputt gemacht haben, und in den meisten Fällen machen auch Shoppingcenter die Innenstädte nicht kaputt. Üblicherweise konkurrieren Shoppingcenter mit anderen Shoppingcentern, nicht aber mit dem Einzelhandel in den anliegenden Straßen.

Bei unseren Zentren hat sich in mehreren Fällen gezeigt, dass die Passantenfrequenzen im Center und in den angrenzenden Haupteinkaufsstraßen gleichermaßen stiegen - beide Seiten haben also vom "Magneten" Shoppingcenter profitiert. Neben unseren Beobachtungen wird dies auch durch Studien anderer Betreiber belegt.

In Erlangen beispielsweise wurde ein Kopplungsverhalten der Passanten festgestellt. Rund 55 Prozent der Besucher des dortigen Centers besuchen auch die Erlanger Innenstadt. Umgekehrt besuchen 42 Prozent, deren eigentliches Ziel die Innenstadt war, zusätzlich das Shoppingcenter. Es besteht folglich eine Austauschbeziehung.

Hinzu kommt: Die Besuchshäufigkeit der Erlanger Innenstadt hat durch das Center insgesamt zugenommen. Ähnliches ist in Köln-Kalk zu beobachten: Befragungen zeigen, dass sich die Angebote in der örtlichen Hauptstraße und im Shoppingcenter gegenseitig ergänzen.

Neben einer Frequenzsteigerung können neue oder revitalisierte Shoppingcenter weitere positive Effekte für die Stadtentwicklung induzieren nämlich dann, wenn andere Eigentümer in ihren Bestand investieren, um konkurrenzfähig zu bleiben. Beispielsweise kam es in Köln-Kalk zur Modernisierung eines SB-Warenhauses infolge des höheren Investitionsdrucks. Insgesamt sank der Einzelhandels- Leerstand im Umfeld des Zentrums spürbar.

Grundsätzlich gilt natürlich: Die Stadtverträglichkeit ist je nach Standort unterschiedlich zu beurteilen. Abseits der Großstädte beispielsweise ist es oft das im Vergleich zum klassischen Einkaufszentrum kleinere hybride Shoppingcenter, das dort städtebaulich besser verträglich ist. Insgesamt ist davon auszugehen, dass seriöse Entwickler ihre Konzepte und Strategien bereits seit einiger Zeit den Gegebenheiten vor Ort anpassen. Denn einem Shoppingcenter ist nicht geholfen, wenn es nicht stadtverträglich ist und die umliegenden Straßen leerzieht.

Investitionsdruck als Plus für die Stadtentwicklung

Und der Vorwurf der "Banalisierung" durch immer gleiche Angebote? Haben letztendlich nicht auch die Warenhäuser fast immer ein ähnliches Konzept verfolgt? Jede Kette hat doch auch die immer gleichen Textilien angeboten, die immer gleichen Elektronikartikel, die gleichen Hersteller von Pfannen und Töpfen - die Hausmarken eben. Ist es konsequent, die Schließung von Warenhäusern als Verlust zu sehen, während neue P&C-Häuser oder Saturn und Me-dia-Markt mit "Banalisierung" gleichgesetzt werden?

Würde sich P&C - aus welchen Gründen auch immer - aus Deutschland zurückziehen, wäre der Aufschrei gewiss groß und der Vorwurf der Banalisierung rasch vergessen. Für Shoppingcenter gilt übrigens, dass ein Mix aus etablierten, also "banalen" Anbietern mit regionalen und lokalen Geschäften besonders erfolgversprechend ist.

Vorurteile statt Offenheit

Beim Status Quo und den aktuellen Trends mangelt es also insbesondere an der gebotenen Differenziertheit. Und: Leider tendiert das Weißbuch gerade beim Thema Einzelhandel doch eher zur Schwarzmalerei. In und auch zwischen den Zeilen schimmern immer wieder alte Vorurteile gegen Handelsformate wie Shoppingcenter durch. Die Immobilien- und Einzelhandelsverbände hatten sich zwar im Rahmen der Diskussion für eine vorurteilsfreie Offenheit stark gemacht. Gelungen ist dies nur teilweise. Das Weißbuch hinkt damit in diesem Punkt der Realität hinterher.

Kommunen sehen Entwickler von Einzelhandelsimmobilien längst als Partner an, die maßgeblich zur Entwicklung und Stärkung der Stadtkerne beitragen. In Zeiten knapper öffentlicher Haushalte können die Innenstädte ohnehin nur als Gemeinschaftsaufgabe von öffentlicher Hand und privaten Investoren entwickelt werden. Dies gilt auch für die Einzelhandelsentwicklung. Warum das Weißbuch hier den Fokus eher auf mögliche Risiken legt und eine gewisse Abwehrstellung suggeriert, statt bei den Chancen anzusetzen, wird nicht ersichtlich.

Neben aktuellen Trends und deren Bewertung geht es beim Weißbuch zudem darum, konkrete Handlungsoptionen für die Praxis zu formulieren. Leider bieten auch die Handlungsoptionen wenig Neues. So heißt es beispielsweise: "Ein funktionierender Einzelhandel verlangt ein städtebaulich ansprechendes Konzept für den privaten und für den öffentlichen Raum". Dies dürfte seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten bekannt sein, und wird entsprechend bereits praktiziert.

Welches Center wird heute isoliert von seiner Umgebung geplant? Beide Seiten ziehen hier an einem Strang: sowohl die öffentliche Hand, die Stadtentwicklungskonzepte für den Einzelhandel aufstellt, um eine Übersättigung zu vermeiden und geeignete Standorte zu identifizieren, als auch private Investoren, die darauf angewiesen sind, dass ihre Planung mit der Umgebung harmoniert (und dies nicht nur aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus - andere Center sind in der Praxis faktisch doch gar nicht mehr genehmigungsfähig).

Revitalisierung, Umnutzung, Netzwerke

Eine weitere Handlungsempfehlung betrifft die Revitalisierung innerstädtischer Flächen und die Umnutzung leer stehender Großimmobilien in der Innenstadt. Zur Förderung der Innenentwicklung und Reduzierung des Flächenverbrauchs sollte sich die Stadtentwicklung auf den städtebaulichen Bestand konzentrieren. "Dies kommt auch der Innenstadt zugute." Das ist absolut richtig, aber eben auch hier längst Realität. Die Corio AG entwickelt gegenwärtig in der Berliner Schlossstraße eines der größten Shoppingcenter dort - aus dem Bestand heraus. Das oben genannte Center in Köln-Kalk ist ebenfalls auf einer Brache entstanden. Vielerorts sind attraktive Flächen ohnehin per se Bestandsflächen, denn Freiflächen in der Innenstadt sind rar.

Das Weißbuch fordert zudem regionale und lokale Netzwerke: Stadtentwicklung werde wesentlich durch Eigentümer von Grundstücken und Immobilien sowie von Gewerbetreibenden mitbestimmt. "In einer verbesserten Koordination und Kooperation der privaten Interessen liegen noch erhebliche Potenziale." Auch in Hinblick auf diese Forderung bleibt festzustellen, dass sie bereits vor dem Weißbuch Realität war.

Kooperation findet dabei nicht nur zwischen Privaten statt, sondern weit darüber hinaus. Shoppingcenter ohne architektonische Wettbewerbe, die frühzeitig stattfinden und in die sämtliche Interessengruppen von der öffentlichen Hand über den lokalen Einzelhandel bis hin zum Bürger involviert werden, sind inzwischen zur Ausnahme geworden. Entwickler sind schlicht und ergreifend auf ein hohes Maß an Kooperation angewiesen. Eine letzte Handlungsweisung, auf die hier eingegangen werden soll: Die Nutzungsmischung soll gefördert werden. Kommunen sollten die Möglichkeiten des Baurechts zur Erhaltung und Stärkung kleinteiliger Nutzungsmischung voll ausschöpfen. Die Realität: Moderne Shoppingcenter umfassen neben Läden und Gastronomie mittlerweile Bibliotheken, Bürgerämter, Schwimmbäder, Büros und sogar Wohnungen oder Opernhäuser. Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle. Der Aspekt der Nutzungsmischung gilt seit einigen Jahren als Teil einer nachhaltigen, zukunftsorientierten Ausrichtung von Shoppingcentern.

Innenstädte, wie sie sich dem Weißbuch zufolge künftig darstellen sollen, sind in Bezug auf den Einzelhandel längst Realität. Shoppingcenter, die den im Weißbuch aufgezeigten Trends und Handlungsoptionen nicht entsprechen, stehen faktisch bereits seit Längerem nicht mehr auf der Agenda der Entwickler. Sie sind zum einen wirtschaftlich nicht marktfähig, zum anderen auch kaum noch genehmigungsfähig - denn die öffentliche Hand ist sich der Gefahren schlecht konzipierter Center mehr als bewusst. Umgekehrt ist sich die öffentliche Hand aber auch der Chancen bewusst, die sich aus der Kooperation mit privaten Investoren ergeben. Nur dass dieser Punkt im Weißbuch Innenstadt zu kurz kommt.

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