Vom Smart Home ins Pflegeheim?

Stellen Sie sich vor, die Reifen Ihres Autos sind alt, porös und haben kaum noch Profil. Würden Sie in einer solchen Situation darüber nachdenken, die Scheiben zu tönen oder einen Heckspoiler anzubringen, statt in neue Reifen zu investieren, um weiter mit dem ansonsten intakten Auto fahren zu können? Bestimmt nicht, da Funktionalität und Sicherheit in jedem Fall Vorrang vor rein optischen Aspekten haben sollten. In der Wohnungswirtschaft sieht man das offenbar anders: Unter dem Stichwort "Smart Home" wird das Wohnen immer mehr digitalisiert und - vermeintlich - optimiert. Doch all das geht an den wahren Herausforderungen vorbei, die es infolge einer alternden Bevölkerung zu meistern gilt.

Überall werden derzeit Haustechnik und -gerätschaften vernetzt - ob Neubau- oder Bestandswohnung, ob Mieter oder Selbstnutzer im Wohneigentum, das spielt dabei kaum eine Rolle. Die Heizung mit dem Smartphone regulieren, während man sich gerade vom Büro auf den Heimweg macht, den Kühlschrank fragen, wie viel Milch noch da ist, um gezielt einkaufen zu können - all das ist möglich und auch eine schöne Spielerei. Doch wer in fortgeschrittenem Alter kaum noch seine Wohnung verlässt, weil er die Treppen nicht überwinden kann und es keinen Aufzug gibt, oder wer sich nicht mehr ohne Hilfe waschen kann, weil die Dusche oder Wanne nicht altengerecht ist, der dürfte sein Zuhause keineswegs als "smart" empfinden.

Fakt ist: Laut einer Prognos-Studie fehlen in Deutschland rund 2,05 Millionen barrierefreie Wohnungen - und das bei einer fortwährend alternden Gesellschaft. Aktuell leben nur 5,2 Prozent der über 65-Jährigen in altengerechten Wohnungen, wie eine Untersuchung des Kuratoriums Deutsche Altershilfe ergab. Vielen älteren Menschen, vor allem Pflegebedürftigen, bleibt daher nur der Weg ins Pflegeheim. Rund 15 Prozent von ihnen könnte ein Heimaufenthalt erspart werden, wenn mehr für den altengerechten Umbau getan würde. Das ergab eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bauen und Reaktorsicherheit. Demnach belaufe sich der Einspareffekt für den Staat und für die privaten Haushalte auf 5,2 Milliarden Euro. Dieser mögliche Einsparbetrag würde bis zum Jahr 2030 sogar auf 7,5 Milliarden Euro steigen, so die Verfasser der Studie.

Mag sein, dass der Trend zum Smart Home das einträglichere Geschäft verspricht. Dem Technologieverband VDE zufolge dürften sich die kumulierten Umsätze in diesem Bereich in den nächsten zehn Jahren allein in Deutschland auf rund 19 Milliarden Euro belaufen. Doch was nützt es, wenn ich das Licht theoretisch von jedem Ort der Erde ein- und ausschalten kann, wenn ich meine Wohnung nicht mehr verlassen kann?

Dr. Michael Held, Geschäftsführer, Terragon Investment GmbH, Berlin

Noch keine Bewertungen vorhanden


X