PRIVATE WOHNUNGSBAUFINANZIERUNG

KASKADENVERWEIS - ENTSCHEIDUNG DES EUGH UND DIE HALTUNG DES BGH

Oliver Mogwitz, Foto: privat

Wieder einmal stellt sich der Bundesgerichtshof gegen eine europäische Institution. Während der EuGH den Kaskadenverweis als nicht ausreichend erachtet, da sich aus Verbraucherkreditverträgen auch die Berechnung der Widerrufsfrist "klar" und "prägnant" ergeben muss, urteilt der BGH analog zu seiner Einschätzung von 2016, dass der Verweis in Kombination mit der beispielhaften Aufzählung von Pflichtangaben nach den Maßstäben des nationalen Rechts klar und verständlich sei. Klarheit herrscht damit aber keine: Die Autoren kommen zum Schluss, dass der Wille des Gesetzgebers, die Rechtsprechung des EuGH sowie die divergierende Entscheidung des BGH für die Unwirksamkeit des Kaskadenverweises spreche. Das hätte enorme Folgen für die finanzierenden Banken. Red.

Der EuGH entschied am 26.03.2020 - C-66/19 - über den Vorlagebeschluss des LG Saarbrückens vom 17.01.2019 - 1 O 164/18. Der Vorlagebeschluss sollte über die umstrittene Frage Klarheit verschaffen, ob der Kaskadenverweis in § 492 Abs. 2 BGB wirksam sei. Dieser findet sich in der Muster-Widerrufsbelehrung in den Darlehensverträgen wieder und verweist hinsichtlich der Pflichtangaben auf § 492 Abs. 2 BGB und der wiederum auf andere nationale Rechtsvorschriften.

Der EuGH entschied, dass diese Verweisung den Verbraucher nicht klar und verständlich im Sinne des Art. 10 Abs. 2 lit. p) der Richtlinie 2008/48/EG über seine Rechte belehre. Bereits am 31.03.2020 ergingen zwei Beschlüsse des BGH - XI ZR 581/18 und XI ZR 198/19, die die Entscheidung des EuGH auf das deutsche Recht nicht für anwendbar erachten. Der Gesetzgeber hingegen betonte bereits im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2008/48/EG, dass auch Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge unter den Schutzbereich der Richtlinie fallen sollen.

Vorlagebeschluss des LG Saarbrücken und Entscheidung des EuGH

Das LG Saarbrücken hat sich in seinem Vorlagebeschluss mit der Frage befasst, ob bei den grundpfandrechtlich gesicherten Darlehen die Angabe des Fristbeginns zu der in Art. 10 Abs. 2 lit. p) der Verbraucherkredit-Richtlinie 2008/48/EG (im Folgenden: RL 2008/48/EG) genannten Frist und anderen Modalitäten zählt und ob durch die verwendete Widerrufsbelehrung, welcher der Kaskadenverweis zugrunde lag, die Widerrufsfrist in Gang setzen konnte. Der Kaskadenverweis lautet wie folgt:

"Die Frist beginnt nach Vertragsschluss, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (zum Beispiel Angaben zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat."

Das LG Saarbrücken brachte seine Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen Rechtsprechung mit Art. 10 Abs. 2 lit. p) der RL 2008/48/EG zum Ausdruck. Danach hat der Unternehmer den Verbraucher in klarer und prägnanter Form über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts zu belehren sowie dessen Fristen und andere Modalitäten anzugeben. Die Information über den Fristbeginn zähle jedenfalls zum Tatbestand "andere Modalitäten" und sei daher als Pflichtangabe in der Widerrufsinformation konkret zu benennen.1) Allein der Verweis auf die nationalen Vorschriften könne dem Gebot der Klarheit und Prägnanz des Art. 10 Abs. 2 lit. p) der RL 2008/48/EG nicht gerecht werden.2) Der Verbraucher müsse den Beginn der Widerrufsfrist eigenständig ermitteln, obwohl die Ermittlung dieser Frist ein juristisches Verständnis erfordere.3)

Der EuGH stimmte der Argumentation des LG Saarbrücken zu und entschied, dass der Kaskadenverweis den Verbraucher nicht in klarer und prägnanter Form über die in der Richtlinie vorgesehenen Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist belehre.4) Der Verbraucher müsse im Vorhinein über sämtliche Bedingungen, Fristen und Modalitäten für die Ausübung seines Rechts belehrt werden. Ein bloßer Verweis auf weitere Rechtsnormen reiche nicht aus, um den Verbraucher über den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung zu belehren. Dieser könne nicht nachvollziehen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle erforderlichen Angaben enthalte. Dadurch werde ihm die Ausübung seiner Rechte erschwert. Der Unternehmer müsse Sorge dafür tragen, dass der Verbraucher die ihm erteilten Informationen kenne und gut verstehe, sodass dieser anhand der erteilten Information seine (Gestaltungs-)Rechte uneingeschränkt ausüben könne.5)

Vorentscheidungen des BGH zum Kaskadenverweis

Den Kaskadenverweis sah der BGH schon jeher als geeignet an, den Beginn der Widerrufsfrist auszulösen. Der Verbraucher sei anhand der Formulierung des Kaskadenverweises über den Fristbeginn sowie die Pflichtangaben aufgrund der in Klammern gesetzten Beispiele klar und verständlich informiert.6) Der Verwender sei nicht verpflichtet, die Widerrufsinformation genauer als der Gesetzgeber zu formulieren.7) Ein solcher Verweis würde es "einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher"8) ermöglichen, die Angaben aufzufinden, die zudem übersichtlich gegliedert sind. Auch die beispielhafte Auflistung der Pflichtangaben stünde mit den gesetzlichen Vorgaben im Einklang. Die Gerichte, die ihrerseits der Gesetzesbindung unterliegen, dürften sich bei der Auslegung des Rechts zur Umsetzung der RL 2008/48/EG nicht über geltendes nationales Recht hinwegsetzen.9)

Schon den Vorlagebeschluss des LG Saarbrücken erachtete der BGH aus zweierlei Gründen für haltlos: Zum einen sei die RL 2008/48/EG ihrem Wortlaut nach auf den Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag nicht anwendbar. Außerdem verlange Art. 10 Abs. 2 lit. p) der RL 2008/48/EG nicht, dass in der Widerrufsbelehrung sämtliche Informationen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 lit. b) der RL 2008/48/EG aufgelistet sein müssten.10)

Die Beschlüsse des BGH

In seinem Beschluss vom 31.03.2020 - XI ZR 581/18 - bestätigt der BGH auch nach der Entscheidung des EuGH seine bisherige Rechtsprechung. Der Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB und die beispielhafte Aufzählung von Pflichtangaben seien nach den Maßstäben des nationalen Rechts klar und verständlich. Die RL 2008/48/EG finde auf Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge nach Art. 2 Abs. 2 lit. a RL 2008/48/EG keine Anwendung. Von der in den Erwägungsgründen Nr. 10 Satz 3 der RL 2008/48/EG eingeräumten Befugnis über die Ausweitung der Richtlinie auf die nicht in den Schutzbereich der Richtlinie fallenden Bereiche, habe sich der Gesetzgeber bewusst gegen den Gebrauch der ihm vom Unionsgesetzgeber eingeräumten Befugnis entschieden. Grundpfandrechtlich besicherte Darlehen seien nicht vom Schutzbereich der RL 2008/48/EG umfasst.11)

In einem weiteren Beschluss vom 31.03.2020 - XI ZR 198/18 - spricht er sogar davon, dass die Anwendung der Entscheidung des EuGH eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem sei. Es sei nicht der Wille des Gesetzgebers, grundpfandrechtlich besicherte Darlehensverträge in den Anwendungsbereich der RL 2008/48/EG einzubeziehen.12) Die Beachtung des gesetzgeberischen Willens sei Ausdruck demokratischer Verfassungsstaatlichkeit, der nicht übergangen oder verfälscht werden dürfe. So verwirkliche sich die in Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG vorgegebene Bindung der Gerichte an das Gesetz, weil dies eine Bindung an die im Normtext zum Ausdruck gebrachte demokratische Entscheidung des Gesetzgebers sei.13)

Die Verbraucherkredit-Richtlinie (2008/48/ EG) trifft Regelungen, um ein Mächtegleichgewicht zwischen dem Verbraucher und dem Unternehmer herzustellen. So sollte das Vertrauen der Verbraucher gesichert und Kreditangebote unter den bestmöglichen Bedingungen für Verbraucher ermöglicht werden.14)

Bedeutung der Verbraucherkredit-Richtlinie

Der Unternehmer muss den Verbraucher vor dem Abschluss des Kreditvertrages umfassend, klar und prägnant über dessen Rechte und Pflichten informieren.15) Diese Informationspflicht dient dem unionsrechtlich geschützten Verbraucherschutz und wird bei einer etwaigen Zuwiderhandlung seitens des Unternehmers mit einer Sanktion geahndet.16) Dies gilt auch im Widerrufsrecht, welches dem Verbraucher die Möglichkeit bietet, seine Entscheidung zu überdenken, um ihm eine weitere Chance zu geben, eine Abwägung zwischen der resultierenden Vertragspflicht und seiner Leistungsfähigkeit vorzunehmen.

Abzustellen ist dabei stets auf den "durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnitts ver braucher".17) Es handelt sich also um ein Zwei-Stufen-Modell. Der Verbraucher muss auf der ersten Stufe hinreichend informiert werden. Danach trifft ihn jedoch die Pflicht, mit den zur Verfügung gestellten Informationen eigenverantwortlich am Marktgeschehen teilzunehmen.

Ziel und Wille des deutschen Gesetzgebers

Der Gesetzgeber verfolgte bei der Umsetzung der RL 2008/48/EG das primäre Ziel, die Vorgaben der Richtlinie im Bereich der Vorschriften über den Darlehensvertrag umzusetzen. Er beachtete hierbei, dass die Neufassung der Verbraucherkreditrichtlinie verbraucherrechtliche Bestimmungen, vor allem die (vor-)vertraglichen Informationen und den Widerruf, harmonisiert.18) Zum Schutze des Verbrauchers sollten deshalb die Vorschriften der RL 2008/48/EG für grundpfandrechtlich besicherte Darlehen Anwendung finden.19) Obwohl nach Art. 2 Abs. 2 lit. a, b der RL 2008/48/EG dies nicht vorgesehen ist, begründete der Gesetzgeber diese Ausnahme damit, dass das Schutzbedürfnis des Darlehensnehmers, der gerade bei grundpfandrechtlich besicherten Darlehen ein erhöhtes Risiko eingeht, dies gebiete.20) Durch die Anwendung der Richtlinie auf diese Darlehensart machte er somit Gebrauch von seiner Befugnis aus dem Erwägungsgrund Nr. 10 Satz 3 der RL 2008/48/EG und brachte dies im Gesetzentwurf zur Umsetzung der RL 2008/48/ EG explizit zum Ausdruck:

"So sind auch weiterhin grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen und Renovierungsdarlehen grundsätzlich vom Anwendungsbereich der Vorschriften umfasst."21)

Deshalb sei auch diese Darlehensart vom Schutzbereich der Richtlinie umfasst, und zwar "anders als Artikel 2 Abs. 2 Buchstabe a und b der Verbraucherkreditrichtlinie" .22)

Der Gesetzgeber hat sich im Übrigen auch im Rahmen der Umsetzung der RL 2014/17/EU über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher das Ziel gesetzt, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu schaffen.23) Hierdurch hat er sich der Vorgaben der Union erneut unterworfen und die Ausführungen hinsichtlich der Anwendung der RL 2008/48/EG auf grundpfandrechtlich besicherte Darlehensverträge bestätigt und gefestigt. Die RL 2014/17/EU dient gleichfalls der Schaffung eines hohen Verbraucherschutzniveaus und damit und gleichzeitig zur Förderung einer nachhaltigen Kreditaufnahme sowie -vergabe.24)

Divergenzen zwischen Gesetzgeber und BGH-Rechtsprechung

Wenn der BGH davon ausgeht, die Anwendung der RL 2008/48/EG auf grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen sei ausgeschlossen, steht dies dem ausdrücklichen und unmissverständlichen Ziel und dem Willen des Gesetzgebers entgegen. Dieser sieht in solchen Darlehen ein hohes Risiko und weitet den Schutzbereich der Richtlinie bewusst auf diese Verträge aus.25) Das erhöhte Risiko des Darlehensnehmers muss nämlich mit den Informationspflichten des Darlehensgebers korrelieren.

Es besteht ein gegenseitiges und gleichlaufendes Vertragsverhältnis zwischen den Parteien, bei dem sich das Fehlen der einen Komponente negativ auf die andere Komponente auswirkt, weshalb eine ungleiche Risikoverteilung vermieden werden muss. Wenn der Unternehmer also ein Interesse daran hat, Darlehen mit hohen Beträgen nur bei Zurverfügungstellung einer Sicherheit anzubieten, muss der Darlehensnehmer wiederum vor Bereitstellen der Sicherheit umfassend informiert worden sein.

Der EuGH hat den Kaskadenverweis für unwirksam erklärt, da er den Verbraucher gerade nicht in klarer und prägnanter Form belehre. Seiner Entscheidung liegen die Grundsätze des Verbraucherschutzes zugrunde. Danach muss der Verbraucher die Möglichkeit haben, vertragswesentliche Informationen unmittelbar aus dem Kreditvertrag zur Kenntnis nehmen zu können. Der bloße Verweis auf eine Vorschrift wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Es obliegt dann nämlich dem Verbraucher, die vertragswesentlichen Informationen zu ermitteln, weshalb sich dies nachteilig auf dessen Entscheidungsfreiheit auswirkt. Gerade dies steht jedoch im Widerspruch zum Verbraucherbegriff. Der Verbraucher kann nämlich erst nachdem ihm sämtliche Informationen erteilt worden sind, als mündiger und informierter Verbraucher eigenständig Entscheidungen treffen.

Bedeutung der Muster-Widerrufsbelehrung

Wenn nun davon ausgegangen wird, dass der alleinige Verweis auf nationale Vorschriften genüge, wird dem Verbraucher die Möglichkeit, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen, derart erschwert, dass dem Verbraucherschutz an dieser Stelle nicht ausreichend Genüge getan und der Verbraucher hierdurch nur unvollständig darüber informiert wird, welche Pflichtangaben in der Widerrufsbelehrung enthalten sein müssen.

Der BGH kann sich zur Bejahung der Wirksamkeit des Kaskadenverweises auch nicht ohne Weiteres auf die Gesetzlichkeitsfiktion der Muster-Widerrufsbelehrung berufen.26) Durch die Verwendung der Muster-Widerrufsbelehrung sollte die Ordnungsgemäßheit der Belehrung über das Widerrufsrecht fingiert werden. Das Muster soll im Range eines formellen Gesetzes stehen und zur Rechtssicherheit und Rechtsklarheit dienen. Vor allem im Hinblick auf Vielzahl der in der Praxis betroffenen Verträge war eine ausführliche Prüfung und Ausarbeitung erforderlich. Der Gesetzgeber selbst betont jedoch zugleich vor Inkrafttreten der Muster-Widerrufsbelehrung:

"Eine derartig sorgfältige und umfassende Prüfung kann aus Zeitgründen vor Verabschiedung des oben genannten Entwurfs nicht mehr erfolgen"27) und verweist auf einen entsprechenden ergänzenden Gesetzesentwurf der zu Beginn der darauffolgenden Legislaturperiode vorgelegt werden sollte, was hingegen nicht geschah.28) Der BGH kann sich auch nicht auf einen Gutglaubensschutz hinsichtlich des gesetzlichen Musters berufen, wenn dieses gegen das Unionsrecht verstößt29), so wie hier.

Auf den Hinweis bezüglich der Unausgereiftheit der Muster-Widerrufsbelehrung geht der BGH in seinen Beschlüssen hingegen mit keinem Wort ein und lässt offen, welche Auswirkung diese unzureichende Prüfung der Muster-Widerrufsbelehrung durch den Gesetzgeber auf den Rechtsverkehr hat und ob die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters unter diesen Voraussetzungen Anwendung finden kann.

In seiner Entscheidung vom 23.02.2016 - XI ZR 101/15 - hat der BGH auf die RL 2008/48/EG Bezug genommen und hat zumindest damals die Anwendbarkeit der Richtlinie hinsichtlich Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge für unproblematisch erachtet.30) Dort überprüfte der BGH, ob die dortige Widerrufsbelehrung, die im Übrigen ebenfalls den Kaskadenverweis enthielt, den Anforderungen an eine "klare und verständliche" Form im Sinne der RL 2008/48/EG genügt. So betont er in seiner dortigen Entscheidung, dass sich der deutsche Gesetzgeber jenseits der Fälle der Verwendung des Musters an der Verbraucherkreditrichtlinie orientieren wollte, die über die Anforderungen klar und prägnant im Sinne des Art. 10 Abs. 2 lit. p) der RL 2008/48/EG hinaus keine weiteren formalen Anforderungen an die Angaben zum Widerrufsrecht aufstelle.

Vor diesem Hintergrund ist die Begründung der nach der Entscheidung des EuGH ergangenen Beschlüsse des BGH, die RL 2008/48/EG sei auf grundpfandrechtlich besicherte Darlehen nicht anwendbar, aufgrund der zuvorigen Entscheidung aus dem Jahre 2016, in der die Richtlinie auf ebensolche Verträge bedingungslos angewandt wurde, nicht konsequent und ohne erläuternde Begründung nicht nachvollziehbar.

Unwirksamkeit des Kaskadenverweises

Der Wille des Gesetzgebers, die Rechtsprechung des EuGH sowie die divergierende Entscheidung des BGH sprechen für die Unwirksamkeit des Kaskadenverweises. Gerade weil der BGH in seinen Beschlüssen auf den Willen des Gesetzgebers abstellt und die RL 2008/48/EG zuvor in seiner Entscheidung aus dem Jahre 2016 bedenkenlos angewandt hatte, war zu erwarten, dass er mit der Entscheidung des EuGH dessen rechtliche Würdigung bestätigt.

Der Gesetzgeber konnte eine fehlerfreie Umsetzung der RL 2008/48/EG im Rahmen der Muster-Widerrufsbelehrung nicht gewährleisten und nahm in Kauf, dass das Muster den Verbraucher zunächst nicht ordnungsgemäß und entsprechend den Anforderungen der RL 2008/48/EG belehrt. Wenn der Gesetzgeber schon offenlässt, ob eine korrekte Umsetzung erfolgte, dann muss der BGH erst recht mögliche Fehler erkennen und eine Korrektur vornehmen, um das Ziel des Gesetzgebers, also einen umfassenden Verbraucherschutz auf Grundlage einer klaren und verständlichen Information, zu erreichen. Damit würde er auch nicht die Gewaltenteilung umgehen, sondern ungeplante Regelungslücken schließen, bis der Gesetzgeber diese mittels Neuerungen regelt.

Der BGH stellt hingegen in seinen Beschlüssen fest, dass die Anwendbarkeit der RL 2008/48/EG nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche. Dies steht nicht nur im Widerspruch zum, aus den Gesetzesbegründungen klar erkennbaren, Willen des Gesetzgebers, sondern auch zu seiner eigenen Entscheidung aus dem Jahre 2016. Ob die Entscheidungen des BGH Bestand haben werden, wird sich zeigen, wenn das BVerfG über die Verfassungsbeschwerde - 1 BvR 1550/20 - hinsichtlich des Beschlusses des BGH vom 31.03.2020 - XI ZR 581/18 - entscheidet.

Fußnoten

1) LG Saarbrücken, Vorlagebeschl. v. 17.01.2019, Az. 1 O 164/18; BeckRS 2019, 1690, Rn. 24-27.

2) LG Saarbrücken, Vorlagebeschl. v. 17.01.2019, Az. 1 O 164/18; BeckRS 2019, 1690, Rn. 32.

3) LG Saarbrücken, Vorlagebeschl. v. 17.01.2019, Az. 1 O 164/18; BeckRS 2019, 1690, Rn. 31.

4) EuGH, Urt. v. 26.03.2020, C-66/19, Rn. 47.

5) EuGH, Urt. v. 26.03.2020, C-66/19, Rn. 44 ff.

6) NJW 2017, 1306 [16].

7) BGH, Beschl. v. 19.03.2019, Az. XI ZR 44/18 = BKR 2020, 30 [15]; BGH, Urteil vom 22.11.2016 - XI ZR 434/15 = NJW 2017, 1306 [17].

8) BGHZ 209, 86 = NJW 2016, 1881 [33]; BGH, Urteil vom 22.11.2016 - XI ZR 434/15 = NJW 2017, 1306 [14].

9) BGH, Beschluss vom 19.03.2019 - XI ZR 44/18 = NJW-RR 2019, 867 [16]; OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.02.2019 - 6 U 88/18, BeckRS 2019, 3514 [15].

10) BGH, Beschluss vom 19.03.2019 - XI ZR 44/18 = NJW-RR 2019, 867; OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.02.2019 - 6 U 88/18, BeckRS 2019, 3514 [19].

11) BGH Beschl. v. 31.3.2020 - XI ZR 581/18 = BeckRS 2020, 6252.

12) BGH, Beschl. v. 31.3.2020 - XI ZR 198/19 = BKR 2020, 253 [12].

13) BGH, Beschl. v. 31.3.2020 - XI ZR 198/19 = BKR 2020, 253 [11].

14) Verbraucherkredit-Richtlinie 2008/48/EG, Erwägungsgrund Nr. 8, Satz 1, 2.

15) Verbraucherkredit-Richtlinie 2008/48/EG, Erwägungsgrund Nr. 31.

16) Verbraucherkredit-Richtlinie 2008/48/EG, Erwägungsgrund Nr. 24, Satz 1; Art. 23 RL 2008/48/EG.

17) EuGH, Urt. v. 16.7.1998 - C-210/96.

18) BT-Drucks. 16/11643, S. 1, 66.

19) BT-Drucks. 16/11643, S. 1, 76.

20) BT-Drucks. 16/ 11643, S. 76.

21) BT-Drucks. 848/08, S. 116, Abs. 3.

22) BT-Drucks. 848/08, S. 116, Abs. 3.

23) BT-Druck 18/5922, S. 1.

24) Richtlinie 2014/17/EU, Erwägungsgründe 6.

25) BT-Drucks. 16/11643, S. 76.

26) Beschlussempfehlung des Bundestags 16/13669, S. 3.

27) BT-Drucks. 16/13669, S. 3.

28) BT-Drucks. 16/13669, S. 3.

29) EuGH, Urt. vom 23.10.2014, C-359/11, C-400/11.

30) BGH, Urteil vom 23.2.2016 - XI ZR 101/15 = NJW 2016, 1881 Rn. 26 ff.

DER AUTOR OLIVER MOGWITZ Fachanwalt für Arbeitsrecht, Mogwitz Rechtsanwälte, Koblenz
DIE AUTORIN CANSU BÜYÜKSAHIN Rechtsreferendarin, Oberlandesgericht Koblenz und Mogwitz Rechtsanwälte, Koblenz
Oliver Mogwitz , Fachanwalt für Arbeitsrecht, Mogwitz Rechtsanwälte, Koblenz
Cansu Büyükşahin , Rechtsreferendarin, Oberlandesgericht Koblenz und Mogwitz Rechtsanwälte, Koblenz

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X