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Singualisierung der Gesellschaft - Herausforderungen und Chancen für die Immobilienbranche

Gero Bergmann, Mitglied des Vorstands, Berlin Hyp AG, Berlin

Quelle: Hoffotografen

Die Nachricht, dass Deutschland altert, ist nicht wirklich neu. Den sich daraus ergebenden Konsequenzen wird bislang allerdings noch nicht angemessen Rechnung getragen. Bei Pflegeimmobilien etwa zeichnet sich eine massive Lücke zwischen Angebot und Nachfrage ab. Doch nicht nur der demografische Wandel verändert die Gesellschaft. Auch die Lebensentwürfe der jungen Deutschen sind oftmals anders als die ihrer Eltern und verlangen nach frischen Denkmustern und Konzepten im Bereich Wohnen. Der Autor des folgenden Beitrags beleuchtet diese Trends und erklärt, worauf es für die Akteure in der Immobilienwirtschaft ankommen wird. Red.

Die Welt wächst - Europa stagniert - Deutschland schrumpft: Demografischer Wandel, Singularisierung, moderne Lebensbiografien und ein sich wandelnder Arbeitsmarkt rücken neue Wohnformen ins Blickfeld. Micro-Apartments und Studentenwohnheime sowie Senioren- und Pflegeimmobilien geraten bereits heute zunehmend als Nischenprodukte in den Fokus der Branche.

Dass Deutschland wie alle Industrienationen altert, ist längst keine Überraschung mehr. Doch nicht nur dieser Aspekt wird die Baukultur im kommenden Jahrzehnt nachhaltig verändern. Wir werden nicht nur älter, wir werden weniger und wir werden über alle Alterssegmente hinweg singulärer. Schon heute bemerken wir, dass sich die Ansprüche der Bewohner in Seniorenresidenzen ebenso verändern wie die von Berufspendlern, die fünf Tage in der Stadt leben, in der sie arbeiten. Neue Wohnformen entwickeln sich. Der Unterschied zwischen Stadt und Land nimmt drastisch zu.

Bis 2050 wird Deutschland als bevölkerungsreichstes Land in Europa voraussichtlich von England oder Frankreich abgelöst. Trotz aller Migrationsbewegung wird die absolute Zahl der Einwohner in Deutschland abnehmen. Der Altenquotient hingegen nimmt stetig zu und damit auch die Nachfrage nach Betreuung im Alter. Im Zeitraum 2000 bis 2060 verliert die Bundesrepublik Deutschland 15,5 Prozent ihrer Einwohner. Deutschland weist bis heute eine der niedrigsten Geburtenziffern weltweit auf - im Jahr 2014 waren 1,39 Kinder pro Frau. Die Effekte des demografischen Wandels wirken sich damit direkt und indirekt auf den Wohnungsmarkt aus.

Daten und Fakten zeigen den Weg

Die Zahl der Ein- und Zweipersonenhaushalte wird weiter zunehmen. Verstärkt wird dies durch den Trend zur Singularisierung, der sich über alle Altersstufen hinweg zeigt. Zählten im Jahr 2000 noch 2,14 Personen zu einem Haushalt, so reduzierte sich die durchschnittliche Haushaltsgröße im Jahr 2014 auf 1,99 Personen je Haushalt. Für das Jahr 2030 wird mit einem Wert von 1,90 und im Jahr 2060 sogar nur noch mit 1,82 Personen je Haushalt gerechnet. Dieser Trend wird sich auch in den kommenden Jahren fortsetzen und die durchschnittliche Haushaltsgröße damit weiter abnehmen.

Diese Fakten bergen insbesondere für die Assetklasse Wohnen nicht nur umfangreiche Herausforderungen, sondern auch vielfältige Chancen. Als Folge verschiedener gesellschaftlicher Trends werden Städte als beliebte Wohnstandorte wiederentdeckt, "neue Wohnformen" entwickeln sich. Durch die zunehmende Singularisierung der Gesellschaft leben nicht nur jüngere Menschen, sondern verstärkt auch Senioren über längere Zeitabschnitte ihres Lebens allein. Damit gewinnt auch eine hohe infrastrukturelle Dichte im unmittelbaren Wohnumfeld an Bedeutung. Pulsierendes Leben mit Shopping, Gastronomie, Unterhaltung bis zur medizinischen Versorgung möchte man um die Ecke haben.

Neue Ansprüche an altersgerechtes Wohnen

Die Nutzungsart Pflege- und Sozialimmobilien wird durch die Alterung in Deutschland angetrieben. Der demografische Wandel wird somit gravierende Folgen für die Versorgungssituation pflegebedürftiger Menschen haben. Der Bedarf an Pflegeimmobilien vervierfacht sich bis 2060. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts in Deutschland gibt es derzeit knapp 800 000 Pflegebedürftige. Die aktuellen Neubauzahlen reichen bei weitem nicht aus. Im Jahr 2016 wurden lediglich knapp 9 000 Betten neu geschaffen. Die "Generation Babyboom" wird jedoch bald das Rentenalter erreichen. Marktexperten gehen deshalb davon aus, dass bis 2030 die Zahl der Pflegebedürftigen prognostisch um zirka 300 000 steigen wird.

Aber auch die Ansprüche an die Pflegeimmobilien der Zukunft werden sich verändern. Ältere Menschen wünschen sich immer mehr Selbstbestimmung, Privatsphäre und Individualität, was sich auch in der Entwicklung von Pflegeeinrichtungen widerspiegelt. Während Altenpflegeheime in den sechziger und siebziger Jahren eher noch Krankenhäusern glichen, integriert das Pflegeheim der Zukunft zahlreiche notwendige und optionale Versorgungsangebote innerhalb von "Quartieren". Die Einrichtungen gleichen eher Stadtvierteln oder Pflegedörfern mit bis zu 10 000 Bewohnern. Die Versorgungsangebote umfassen unter anderem auch Wohnformen für Kurzzeitpflege oder Intensivpflege sowie Betreutes Wohnen in seniorengerechten Wohnungen und Freizeitangebote.

Pro Jahr müssten nach Ansicht von Marktexperten 150 bis 400 Heime neu gebaut werden. Laut CBRE sind bis ins Jahr 2030 Investitionen von rund 55 Milliarden Euro in Pflegeimmobilien notwendig, um den steigenden Pflegebedarf decken zu können. Mit 5,5 Prozent erzielt die Assetklasse gegenüber den Segmenten Büro und Einzelhandel immer noch einen deutlichen Renditevorsprung von zwei Prozentpunkten. Dabei dürfen politische Abhängigkeiten nicht unterschätzt werden. Aufgrund der föderalen Gesetzgebung können alle Bundesländer zum Beispiel eigene Regelwerke mit baulichen Anforderungen an Pflegeimmobilien aufstellen. Der Markt ist lukrativ, die Chancen auf attraktive Renditen hoch, aber er erfordert viel Spezial-Expertise.

Der Mangel an Flächen und bezahlbarem Wohnraum führt zum Umdenken bei Nachfragern und Entwicklern. Gesellschaftliche Trends wie Singularisierung, Mobilität und "Sharing Communities" sind Herausforderungen für die Nutzungsart Wohnimmobilien. Micro-Apartments scheinen zunehmend attraktiver. Ausschlaggebend bei der Nachfrage ist nicht mehr nur die Quadratmeterzahl, sondern auch die Qualität des "Shared Spaces" - der gemeinschaftlich genutzten Flächen. Studentenwohnheime rücken hier ebenso in den Fokus wie Apartmenthäuser beispielsweise für Fernpendler. Allen gemeinsam ist der Wunsch nach einer zentralen Lage in den Metropolen und Universitätsstädten.

Wäscheservice oder Party?

Studentenapartments haben sich in Deutschland zunehmend als eigenständige Assetklasse mit professionellen Investmentstrukturen, Investoren und Betreibern etabliert. Die stark gestiegene Investmentaktivität zeigt, dass auch in Deutschland studentisches Wohnen zunehmend als rentables Investmentprodukt angesehen wird. Bedingt wird dies durch die allgemeine Wohnungsknappheit in vielen Hochschulstädten und dem damit verbundenen Mietanstieg. Verstärkt wird das Anlageinteresse durch das historisch niedrige Zinsniveau aber auch die niedrigen Renditen klassischer Assetklassen. Insofern etabliert sich das Studentenwohnen zunehmend als rentables Investmentprodukt sowohl mit sicheren Cashflows als auch mit einem attraktiven Risiko-Rendite-Verhältnis.

Doch auch bei studentischem Wohnen ändern sich die Anforderungen. Wenn die Quadratmeterzahl nicht mehr entscheidend ist, welche Zusatzleistungen zeichnen die Gebäude aus? Welche "Shared Spaces" bringen tatsächlich Geld? Ist es der voll ausgestattete Fitnessraum, eine offene Etagenküche, die begrünte Dachterrasse, schnelles Wlan oder ein Wäscheservice? Ob diese Frage bei der Projektentwicklung richtig analysiert wurde, ist für Investoren und Finanzierer entscheidend.

Noch anders sind die Bedürfnisse bei Projektarbeitern auf Zeit oder Fernpendlern, die während der Arbeitswoche oder vorübergehend eine Bleibe in der Metropole suchen. Die Zahl der Pendler, die mehr als 150 Kilometer von ihrem Arbeitsplatz entfernt wohnen, steigt stetig. Gerade für diese Klientel sind Micro-Apartments eine attraktive Alternative zu bisherigen Wohnformen. Die räumliche Mobilität der Gesellschaft wird deutlich erhöht. Auch besonders junge und beruflich erfolgreiche Arbeitnehmer und Selbständige können und wollen sich oftmals örtlich nicht mehr binden und sind auf ihre Bedürfnisse hinsichtlich Repräsentation und Services ausgerichtete Wohnformen angewiesen.

Micro-Apartments können Lösungen für diese Nutzer anbieten. Im Gegensatz zu den Studentenapartments können diese auch gern mal exklusiv sein. Für zahlreiche Zielgruppen ist Wohnen heute Statussymbol und die Wohnung ein Ort gesellschaftlicher Repräsentation und Ausdruck eines individuellen Lebensgefühls. Die Wohnung kann klein sein, dafür aber vielleicht hochwertig ausgestattet und mit Extras, die das Leben angenehm machen und den Alltag erleichtern. Das kann vom individuellen Service wie Wäsche-, Concierge- oder Haushaltshilfen reichen bis hin zur gemeinschaftlich genutzten Dachterrasse oder Espressobar im Erdgeschoss, welche die Nachbarschaft der Bewohner positiv fördern.

Wenn die Breite fehlt, muss die Höhe her

Die Ballungszentren werden ihr Gesicht verändern, denn dort möchte jeder gefühlt in der Mitte, im Zentrum, leben. Insofern ist auch die Geschosshöhe neu zu diskutieren. Man muss Hochhaussiedlungen nicht mögen, doch wenn wir in den Metropolen nicht mehr in die Breite gehen können, müssen wir in die Höhe gehen. Und dies, ohne die "Bausünden" vergangener Jahrzehnte zu wiederholen. Denn die deutschen Großwohnsiedlungen der sechziger und siebziger Jahre zeichneten sich nicht nur durch eine hohe Anonymität innerhalb der Gebäude, sondern auch durch fehlende nachbarschaftliche Strukturen aus, die soziale Spannungen begünstigten.

Für all diese Herausforderungen sind Zukunft weisende, sozial und energetisch sinnvolle, nachhaltig wirkende Konzepte gefragt. Die Berlin Hyp ist davon überzeugt, dass neue Wohnformen mit innovativen Lösungen für Jung und Alt der Immobilienbranche vielfältige Wachstumschancen bieten.

Die Studie der Berlin Hyp "Demografischer Wandel in Deutschland und Europa - Implikationen für verschiedene Immobiliennutzungsarten in Deutschland" finden Sie in unserem Research-Bereich, klicken Sie hier.

Der Autor: Gero Bergmann, Mitglied des Vorstands, Berlin Hyp AG, Berlin
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