Genossenschaftliches Wohnen

Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungsgenossenschaften

Prof. Dr. Theresia Theurl, Professorin für Volkswirtschaftslehre und Geschäftsführende Direktorin, Institut für Genossenschaftswesen, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster

Flüchtlinge bieten nach Auffassung der Autorin eine Möglichkeit, neue und jüngere genossenschaftliche Mitgliedergruppen zu gewinnen. Bereits mehr als die Hälfte der Mitgliedsunternehmen des GdW stellten für diese Personengruppe bereits Wohnungen zur Verfügung. Genannter Grund: die soziale Verantwortung. Es stelle sich jedoch die Frage der Mitgliedschaft der Mieter? Es müsse geklärt werden, wer die Mitgliedsbeiträge bezahle. Eine Unterscheidung sei ferner im Bereich der strukturstarken und strukturschwachen Regionen zu machen. Genossenschaften müssten auch einen geeigneten Weg zur Kommunikation mit der Zielgruppe, aber auch mit den Bewohnern der Genossenschaftswohnung, suchen. Meist wird durch einen Gewerbemietvertrag der Wohnraum an die Kommune vermietet, die diesen dann an Flüchtlinge weiterverteilt. Diese Vorgangsweise reduziere einerseits die Bonitätsrisiken, setze aber andererseits im Vorfeld die Klärung der steuerlichen und rechtlichen Aspekte der gewerblichen Vermietung voraus. Leider thematisiert die Autorin nicht ausreichend, dass mit dieser Praxis möglicherweise ein teilweises Durchbrechen der genossenschaftlichen Idee einhergeht. Red.

Warum ist die Unterbringung von Flüchtlingen ein Thema für Wohnungsgenossenschaften und auch heute noch relevant? Wohnungsgenossenschaften sind lokal verankert. Es ist Teil ihres Geschäftsmodells Verantwortung in der Region, in Quartieren und in der Kommune zu übernehmen, was auch gesellschaftliche und soziale Verantwortung beinhaltet. Die Unterbringung von Geflüchteten kann zusätzlich auch eine Möglichkeit darstellen, neue und jüngere Mitgliedergruppen zu gewinnen. Vor allem in strukturschwachen Gebieten könnte die Verringerung von Leerstand eine Folge sein. Schließlich kann die Unterbringung von Geflüchteten einen positiven Einfluss auf das Image der Wohnungsgenossenschaften in Kommune und Gesellschaft bewirken und Vorteile in der zukünftigen Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen ermöglichen. Auch eine Befragung der Mitgliedsunternehmen des GdW machte im Frühjahr 2015 noch vor dem starken Flüchtlingsstrom deutlich, dass bereits mehr als die Hälfte der Unternehmen Wohnungen für Flüchtlinge zur Verfügung stellte. Mehr als 90 Prozent der Unternehmen gaben als Grund hierfür ihre soziale Verantwortung an. Ein knappes Drittel sah in den Flüchtlingen jedoch auch eine zukünftige Gruppe von Nachfragern und erkannte damit auch wirtschaftliche Aspekte

Wohnungsgenossenschaften heben sich von anderen Wohnungsunternehmen durch die Mitgliedschaft ab. Die Mitglieder sind einerseits Mieter in ihrer Genossenschaftswohnung, andererseits sind sie aber auch Miteigentümer des genossenschaftlichen Wohnungsunternehmens mit den damit verbundenen Rechten und Pflichten. Die somit langfristig orientierte Beziehung geht mit der Zeichnung eines Geschäftsanteils einher. Das Nichtmitgliedergeschäft von Genossenschaften ist im Wohnungssektor zwar möglich, jedoch unüblich. Da das Wohnen in einer Genossenschaft mehr als nur mieten bedeutet, muss ihre Besonderheit auch Teil einer Kommunikationsstrategie mit der neuen Zielgruppe sein. Die genossenschaftlichen Merkmale erfordern es, geeignete Menschen aus der Zielgruppe auszuwählen, um ein konstruktives Zusammenwirken dauerhaft gewährleisten zu können. Wegen der speziellen Mitglieder- und Mieterstruktur der Wohnungsgenossenschaften ist es notwendig, auf den Fit mit möglichen neuen Bewohnern zu achten.

Für die konkrete Umsetzung sind strukturstarke und strukturschwache Regionen zu differenzieren. Strukturstarke Regionen haben tendenziell geringe wirtschaftliche Anreize für ein Engagement in der Unterbringung von Geflüchteten. Sie weisen höhere Opportunitätskosten auf, da eine alternative Vermietung leicht möglich ist. Diese Gebiete sind jedoch gleichzeitig bevorzugte Ziele für Flüchtlinge, da dort bessere Arbeitsmarktchancen bestehen. Strukturschwache Regionen weisen hingegen tendenziell einen höheren Leerstand auf, sind jedoch für Geflüchtete weniger attraktiv. Aus der Sicht der Wohnungsunternehmen ergeben sich daher höhere wirtschaftliche Anreize für ein Engagement, sodass auch das Nichtmitgliedergeschäft an Attraktivität gewinnen könnte.

Zwischen passiven und aktiven Kommunen unterscheiden

Für ein Engagement von Wohnungsgenossenschaften ist schließlich auch relevant, wie aktiv die Kommune in der Flüchtlingsthematik ist. In aktiven Kommunen sind meist kommunale Wohnungsgesellschaften tätig, auf deren bautechnische Kompetenz und auf deren Wohnungen zurückgegriffen werden kann. Solche Rahmenbedingungen bedeuten für Wohnungsgenossenschaften tendenziell eine geringere Handlungsnotwendigkeit, wenngleich Handlungsoptionen verfügbar sind. Hingegen sind passive Kommunen mit einer tendenziell höheren Handlungsnotwendigkeit verbunden, was verfügbare Gebäude und Baukompetenz betrifft. Typischerweise verfügen passive Kommunen über keine kommunale Wohnungsgesellschaft und damit über keine oder nur wenige geeignete Gebäude. Auf diese Weise kann ein höherer Druck auf Wohnungsgenossenschaften entstehen, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, obwohl sie sich auf ihr Mitgliedergeschäft beschränken.

Aufgrund der besonderen Governance der Wohnungsgenossenschaften mit ihrer Mitgliedschaft besteht für sie keine Verpflichtung, Flüchtlinge aufzunehmen, da sie primär den Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet sind. Es ist also zu prüfen, ob sie dennoch Wohnraum für Flüchtlinge anbieten wollen. Die Beantwortung dieser Frage hängt sowohl von den eigenen Kompetenzen als auch vom zur Verfügung stehenden Wohnraum ab.

Eigene Vermietungserfahrungen prüfen

Bei den eigenen Kompetenzen sollte geprüft werden, ob Erfahrungen in der Vermietung an Menschen mit Migrationshintergrund vorhanden sind, was bei vielen Wohnungsgenossenschaften, insbesondere in Städten mit hohen Ausländeranteilen, der Fall ist. Da sich die Flüchtlinge jedoch insbesondere hinsichtlich ihrer Sprachkenntnisse unterscheiden, ist es für eine erfolgreiche Vermietung wichtig, dass auf Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit sozialen Diensten und Wohlfahrtsorganisationen zurückgegriffen werden kann.

Zahlreiche Wohnungsgenossenschaften betreiben teilweise enge Kooperationen in der Betreuung älterer Mitglieder mit diesen Organisationen. Auch Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Kommune und den dortigen Ansprechpartnern sind für eine Unterbringung vorteilhaft, um Missverständnissen vorzubeugen und bei Problemen schnelle Lösungen finden zu können. Schließlich ist die Kommunikation mit den aktuellen Mitgliedern eine Herausforderung, wobei sich herausgestellt hat, dass in vielen Wohnungsgenossenschaften entweder die Initiative zur Unterbringung ohnehin von Mitgliedern ausgeht oder dass diese bereit sind, Unterstützung bei der Integration anzubieten. Dennoch sind auch Kompetenzen im Bereich der Konfliktbewältigung notwendig, um dauerhaften Schaden im Innenverhältnis der Genossenschaft zu verhindern.

Fällt die Entscheidung für eine Aufnahme, sind im nächsten Schritt die Optionen der Unterbringung zu prüfen, wobei eine dezentrale Unterbringung, eine Zwischennutzung sowie der Neubau zu unterscheiden sind:

- Dezentrale Unterbringung: Eine solche Unterbringung ist grundsätzlich in jeder Wohnungsgenossenschaft möglich. Während ihr Vorteil eine schnelle Verfügbarkeit ist, können meist nur geringere Volumina ermöglicht werden. Meist lässt sich wegen der geringen Anzahl auch eine gute Integration bewirken. Aufgrund der Unterbringung im Bestand ist die Kommunikation und Einbeziehung der Mitglieder von großer Bedeutung. Sie können die Neumieter unterstützen und dadurch Integrationseffekte hervorrufen, die sich langfristig auch positiv auf die Wohnungsgenossenschaft auswirken. Voraussetzung ist die Verfügbarkeit von Wohnraum im Bestand, sodass tendenziell eher Wohnungsgenossenschaften in strukturschwächeren Gebieten diese Option wählen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass auch Wohnungsgenossenschaften in Märkten mit hoher Wohnungsnachfrage Wohnraum für Flüchtlinge bereitstellen, was sie sowohl mit gesellschaftlicher Verantwortung als auch mit den Forderungen von Mitgliedern begründen.

- Zwischennutzung: Etwas komplexer stellt sich eine Zwischennutzung geeigneter Objekte dar. Sie ist an entsprechende Bestände oder Projekte gebunden. Typischerweise handelte es sich um Objekte, die vollsaniert oder auch abgerissen werden sollen und für die Verzögerungen im Planungsprozess aufgetreten sind oder bei denen Verzögerungen unschädlich sind. Diese können für einen kurzen Zeitraum so umgerüstet werden, dass eine temporäre Unterbringung von Flüchtlingen für ein bis zwei Jahre möglich wird. Damit können recht kurzfristig für einen beschränkten Zeitraum eine größere Anzahl von Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. Für eine dauerhafte Unterbringung ist dieses Konzept hingegen nicht geeignet. Aufgrund der konzentrierten Unterbringung in einem Objekt ist es wichtig, die Integration der Geflüchteten mit geeigneten Maßnahmen im Quartier zu begleiten.

- Neubau: Der Neubau von Wohnraum für Flüchtlinge stellt die komplexeste und bisher auch seltenste Variante dar. Der Neubau zielt dabei nicht auf eine exklusive und dauerhafte Unterbringung der Flüchtlinge in diesen Objekten ab, sondern auch sie geht von einer temporären Unterbringung aus. Folglich ist eine Nachnutzung sicherzustellen, die eine flexible Gestaltung der Objekte erfordert. Nach der Nutzung durch Geflüchtete müssen entsprechende Umrüstungen schnell und kostengünstig möglich sein. Diese Lösungsvariante entsteht meist in Kooperation mit der Kommune, die auch für die Nachnutzung sorgt. Gegebenenfalls ist hierbei die satzungsmäßige Zulässigkeit eines Nichtmitgliedergeschäfts der Genossenschaften erforderlich.

Bei der Art der Vermietung werden zwei Varianten praktiziert. Am häufigsten wird durch einen Gewerbemietvertrag der Wohnraum an die Kommune vermietet, die diesen dann an Flüchtlinge weiterverteilt. Diese Vorgangsweise reduziert einerseits die Bonitätsrisiken, setzt aber andererseits im Vorfeld die Klärung der steuerlichen und rechtlichen Aspekte der gewerblichen Vermietung voraus. Insbesondere muss eine solche gewerbliche Vermietung von der Satzung der Wohnungsgenossenschaft zugelassen sein.

Durch den nur mittelbaren Kontakt zu den Geflüchteten muss die Auswahl der Flüchtlinge organsiert werden, um einen Fit im Quartier zu gewährleisten. Es ist sicherzustellen, dass eine reibungslose Kommunikation mit den Flüchtlingen erfolgen kann, um die Regeln der Wohnungsgenossenschaft (Hausordnung, Wohnverhalten) vermittelt werden. Auch in diesen Mietverhältnissen muss eine Sanktionierung der Verstöße gegen die Regeln möglich sein.

Frage nach Zahlung des Geschäftsanteils

Schließlich kann eine direkte Vermietung an Flüchtlinge vorgesehen werden, was diese zu Mitgliedern macht. Zunächst ist zu klären, wer die Zahlung des Geschäftsanteils übernimmt, was von der Kommune oder einer privaten Organisation erfolgen kann. Dann hat man sich damit auseinanderzusetzen, wie mit Sonderleistungen für Geflüchtete umzugehen ist, konkret, ob sie eine Besserstellung gegenüber anderen Mitgliedern darstellen. Die Kommunikation der neuen Situation an die aktuellen Mitglieder und die Besonderheiten der Mitgliedschaft und ihrer langfristigen Orientierung an die neuen Mitglieder ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Nur wenn diese Aufgaben gelingen, ist von einer guten Integrationsperspektive auszugehen.

Obwohl Wohnungsgenossenschaften eine spezielle Governance aufweisen, ist es auch für sie notwendig und naheliegend, sich mit der Unterbringung von Geflüchteten systematisch auseinanderzusetzen. Auch die Entscheidung, sich nicht zu engagieren, muss sorgfältig getroffen, begründet und kommuniziert werden. Wie aufgezeigt existieren für Wohnungsgenossenschaften unterschiedliche Handlungsoptionen, bei denen sie jedoch stets ihr besonderes Innenverhältnis durch die Mitgliedschaft zu berücksichtigen haben.

Der Autor Prof. Dr. Theresia Theurl Professorin für Volkswirtschaftslehre und Geschäftsführende Direktorin, Institut für Genossenschaftswesen, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Prof. Dr. Theresia Theurl , Institut für Genossenschaftswesen, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
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