Wohnen im Spannungsfeld von Demografie und Strukturwandel

Roland Vogelmann

Steigende Mieten und Preise für Wohneigentum, Wohnungsmangel in Ballungszentren, Abriss von Wohngebäuden, Leerstand, Sanierung, Nachholbedarf beim Wohnungsbau, bezahlbares Wohnen, altersgerechtes Wohnen - die Nachrichten zum Thema "Wohnen" sind vielschichtig und teilweise widersprüchlich, haben aber alle eines gemeinsam: Sie haben es in die Schlagzeilen geschafft. Unsere Gesellschaft stellt heute die Weichen dafür, wie die Menschen in Zukunft wohnen werden. Die Rahmenbedingungen setzen vor allem die soziodemografische Entwicklung sowie der Strukturwandel in Städten und Gemeinden. Wie der Autor weiß, hat die Nachfrage nach Qualität die Nachfrage nach Quantität abgelöst. Es gibt nicht zu wenige Wohnungen, sondern zu viele "falsche" Wohnungen, die den aktuellen und kommenden Herausforderungen nicht genügen. Red.

Wohnen ist ein aktuelles und brisantes Thema, das viele angeht und bei dem großer Handlungsbedarf besteht. Diese Entwicklung ist nicht selbstverständlich. Hinter uns liegen mehr als zehn Jahre, in denen das Thema Wohnen in der öffentlichen Wahrnehmung nur eine Nebenrolle spielte. Nach dem Höhepunkt des Abschreibungsbooms in Ostdeutschland Mitte der neunziger Jahre ging der Wohnungsneubau im gesamten Bundesgebiet drastisch zurück. Der Wohnungsbedarf schien befriedigt. Erst jetzt ist die Diskussion um das Wohnen erneut aufgeflammt.

Vordergründig geht es darum, die Rückstände im Wohnungsbau aus den vergangenen Jahren durch Neubau aufzuholen, um die aktuelle Nachfrage zu befriedigen. Im Kern stehen aber völlig neue Fragen, denn es geht um die Qualität des Wohnens: Welche Bedürfnisse haben die künftigen Mieter und Eigentümer? Wo wollen sie wohnen und vor allem wie wollen sie wohnen? Was soll, was darf das Wohnen kosten? Wie ökologisch und wie nachhaltig ist das Wohnen? Und: Wie werden wir im Alter wohnen?

Bevölkerung schrumpft - Anzahl der Haushalte wächst

Lange Jahre haben sich Wohnungsmarktforscher auf der Erkenntnis ausgeruht, dass die Anzahl der Wohnungen in Deutschland ausreichen wird, weil die Bevölkerung schrumpft. Das hat sich als Trugschluss erwiesen: Zwar sinkt vermutlich bis zum Jahr 2030 die Zahl der Einwohner in Deutschland. Dennoch steigt der Wohnungsbedarf, weil die Anzahl der Haushalte wächst. Immer mehr Single-Haushalte, immer mehr ältere Menschen, die immer länger in ihren Wohnungen leben möchten, aber auch neue Formen des Zusammenlebens wie Wohngemeinschaften für Ältere - das bestimmt das Wohnen der Zukunft. Die Politik muss sich auf die veränderten Rahmenbedingungen einstellen und sich das Leitbild "Wohnen für alle" auf die Fahnen schreiben, denn um "Schöner wohnen für wenige" geht es schon lange nicht mehr.

Bei der Betrachtung des gestiegenen Nachfragedrucks wird rasch deutlich, dass die Nachfrage nach Qualität die Nachfrage nach Quantität abgelöst hat. Es gibt unter dem Strich nicht zu wenige Wohnungen, sondern zu viele "falsche" Wohnungen, denn Funktionalität und Gestaltung der Wohnungen von heute genügen den aktuellen und kommenden Herausforderungen nicht: Sie befinden sich entweder in Regionen, wo immer weniger Menschen wohnen möchten oder - mangels Arbeitsplätzen - wohnen können. Sie befinden sich an der Peripherie oder in suburbanen Räumen, obwohl es die Menschen vermehrt wieder in die Städte zieht, oder sie befinden sich in einem nicht bedarfsgerechten Zustand. Denn: Die Menschen leben immer länger. Sie leben auch immer länger allein, denn die traditionelle Form des gemeinsamen Wohnens mehrerer Generationen unter einem Dach ist so gut wie ausgestorben.

Zu viele "falsche" Wohnungen

Statistisch betrachtet führen sinkende Haushaltsgrößen pro Wohnung zu einem Anstieg des Wohnflächenverbrauchs pro Person: Von im Schnitt 45 Quadratmetern im Jahr 2010 wird der Pro-Kopf-Wohnflächenverbrauch im Bundesdurchschnitt auf 55 Quadratmeter im Jahr 2030 steigen. Das allein entspricht einem Bedarf von 300 000 zusätzlichen Wohnungen.

Der überwiegende Teil der älteren Menschen will so lange wie möglich im gewohnten Umfeld bleiben. Sie benötigen aber andere Wohnungen als bisher, denn diese müssen von ihrer Lage und Ausstattung her altersgerecht sein. Das heißt zum einen Nähe zu kulturellen, sozialen und medizinischen Infrastrukturen bieten. Das heißt zum anderen, dass die Wohnungen barrierefrei und pflegegerecht sein müssen, eingerichtet und ausgestattet mit den entsprechenden technischen Mitteln zur Kommunikation mit und zur medizinischen Überwachung und Unterstützung von pflege- oder betreuungsbedürftigen Bewohnern. Die altersgerechte Wohnung der nahen Zukunft wird ein High-Tech-Ort sein.

Nachholbedarf gibt es nicht nur bei Mietwohnungen. Auch beim Wohneigentum zeigt sich, dass dort zwar potenziell bessere Möglichkeiten zum altersgerechten Umbau bestehen, allerdings werden sie auch hier noch zu wenig genutzt. Wohnt noch die Hälfte aller 65- bis 79-Jährigen in eigenen vier Wänden, sind es von den über 80-Jährigen nur noch 39 Prozent. Viele Eigentümer müssen im Alter ihr gewohntes Umfeld aufgeben. Denn nur rund ein Prozent der Eigenheime der Senioren ist barrierefrei.

Strukturwandel verändert Wohnbedürfnisse

Demografischer Druck kommt auch vom anderen Ende der Alterspyramide. Immer weniger Kinder werden geboren, immer mehr Kinder leben als Einzelkinder und in Haushalten von alleinerziehenden Eltern. Das stadtferne Eigenheim für Eltern und Kinder im Grünen ist keine Mehrheitsoption mehr. Klassische Kriterien wie Familien- und Kindertauglichkeit als alleinige Grundanforderung für Wohneigentum verlieren an Bedeutung - Flexibilität ist gefragt.

Aktueller Trend ist das "Neue urbane Wohnen", das durch die Bedürfnisse von Singles, unverheirateten Paaren, Kleinfamilien und Studenten bestimmt wird. Damit einher geht die Konzentration von Arbeit, Einkauf, Dienstleistung, Kultur-, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen in der Stadt. Die Bewohner sind zunehmend bereit, für urbane Wohnformen Geld auszugeben. Die neue "Lust am Wohnen" löst teilweise die "Lust am Konsum" ab. Dabei ist das Wohnen zunehmend situations- und trendbestimmt. Quartiere werden nach Arbeits- und Familiensituation ausgewählt. Der "Nestbau", und die dauerhaften Wohnentscheidungen werden zunehmend in spätere Lebensabschnitte verlagert.

Nicht zu vernachlässigen sind die Wohnbedürfnisse von Zuwanderern und Neubürgern. In Familien mit Migrationshintergrund ist generationenübergreifendes Wohnen noch deutlich stärker ausgeprägt als unter Deutschen. Die Zuwanderer stärken den Zusammenhang von Wohnen und Arbeiten in der Stadt.

Die Wohnungsmärkte befinden sich in ständiger Bewegung. Die früher übliche Stadt-Umland-Wanderung kommt zum Erliegen und kehrt sich wieder um. Die Städte und die Wohnungswirtschaft werden vor die Aufgabe gestellt, das "kernstadtnahe Wohnen" aufzuwerten, Wohnumfelder und Umweltqualitäten zu verbessern, verkehrsberuhigende Maßnahmen zu ergreifen und Strukturen familien- und seniorengerecht umzubauen.

Umwelt gebietet energiebewusstes Wohnen

75 Prozent des Wohnungsbestandes in Deutschland sind 30 Jahre alt und älter. Ein Prozent des Wohnungsbestands wird jährlich saniert. Zwei Prozent wären erforderlich, um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen. Der Erfolg der Energiewende wird in wesentlichen Teilen davon abhängen, wie es gelingt, den Energieverbrauch beim Wohnen zu reduzieren. Zugleich wird Energie immer teurer, die Wohnnebenkosten gewinnen für Mieter und Eigentümer an Bedeutung. Sie werden wahrhaftig zur zweiten Miete und stellen Rentenbezieher zunehmend vor finanzielle Probleme.

Die energetische Sanierung von Bestandswohnungen sowie der Neubau auf höchstem Energiesparniveau sind also nicht nur Gebote des klima- und umweltverträglichen Wohnens, sie wird auch entscheidend für die Marktfähigkeit von Wohnungen sein.

Die Nachfrage nach qualitativ hochwertigem Wohnraum führt vielerorts zu steigenden Preisen und Mieten. Die Jahre der Enthaltsamkeit beim Wohnungsbau zeigen Langzeitwirkungen. Bezahlbares Wohnen in beliebten Ballungsgebieten wird immer mehr zur Mangelware. Wegen steigender Qualitätsanforderungen wird Bauen teurer, staatlicher Dirigismus - Stichwort Mietpreisbremse - sowie die rückläufige Wohnungsbauförderung dämpfen die Investitionsbereitschaft.

Für Menschen jeden Alters ist das Wohneigentum mehr denn je Ultima Ratio für die Verwirklichung individueller Wohnansprüche heute und in Zukunft. Zugleich ist gerade das selbst genutzte Wohneigentum ein wirksamer Schutz gegen spekulative Elemente auf den Wohnungsmärkten. Die bewährten Eigenkapitalanforderungen an private Eigenheim-Kreditnehmer haben eine stabilisierende Wirkung auf den Finanzierungsmarkt, der auf absehbare Zeit von den Verlockungen der Niedrigzinsen geprägt sein wird.

Der Autor

Roland Vogelmann Bereichsleiter Politik und Gesellschaft, Bausparkasse Schwäbisch Hall AG und Geschäftsführer, Schwäbisch Hall-Stiftung "Bauen wohnen leben", Schwäbisch Hall

Gewaltiges Immobilienkapital klopft an Europas Tür

Deutschland und Europa geraten immer mehr in den Fokus internationaler Anleger. Über 40 Prozent des gesamten Transaktionsvolumens im deutschen Gewerbemarkt entfallen inzwischen auf ausländische Investoren. Tendenz steigend. Denn global investierende Fondsmanager sehen Europa als ihren wichtigsten Zielmarkt an. Und es stehen gewaltige Summen im Raum. Im Vergleich zum Jahr vor der letzten Finanzkrise 2007 hat sich das Kapitalvolumen für europäische Immobilieninvestitionen laut Catella-Research von 250 Milliarden Euro auf aktuell 515 Milliarden Euro mehr als verdoppelt.Die Verfasser der Studie gehen davon aus, dass zum einen neben den Hauptinvestmentzentren London und Paris in den kommenden zwölf Monaten vor allem in Deutschland, Spanien und den nordischen Ländern die Investmentaktivitäten zunehmen werden. Zum anderen gewinnen auch die grenzüberschreitenden Aktivitäten zwischen diesen Märkten an Dynamik und die Investmentmärkte werden zunehmend internationaler. Die Gründe für diese großvolumigen Investments sind nicht allein in der hohen Liquidität durch die Politik der Fed und EZB zu suchen. Auch die schlechte Performance der Anleihen und Rentenmärkte, die Notwendigkeit für stabilisierende Investments auf lange Sicht, die Überallokation asiatischer Fonds in europäischen Volkswirtschaften, der starke Anstieg chinesischer Investments im Immobiliensektor in Europa und den USA, die neue Ausrichtung des Kapitals aus dem Nahen Osten, sowie das wieder leicht erhöhte Interesse von US-Investoren und Privat-Equity-Fonds sowie kanadischen Pensionsfonds spielen eine Rolle.Allerdings wird wohl nicht alles Kapital auch investiert werden können. Die Studie geht von lediglich der Hälfte aus. Das liege vor allem am Mangel an Immobilien im Core-Segment, an nicht übereinstimmenden Preiserwartungen und an neuen komplexen Regelungen, die die Investmentmöglichkeiten verhindern werden. Catella rechnet 2014 daher mit einem europäischen Transaktionsvolumen von rund 215 Milliarden Euro, was niedriger als 2007 ist, aber einen Anstieg von 52 Prozent gegenüber 2013 bedeutet.

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