IMMOBILIENFINANZIERUNG

"BANKEN UND ALTERNATIVE FINANZIERER SIND KEINE DIREKTEN WETTBEWERBER"

Marek Pärtel, Foto: EstateGuru

Auf fast eine Dekade dynamisches Wachstum blickte die deutsche Community für Immobilien-Crowdinvestments zurück - dann kam das Corona-Jahr 2020. Laut dem Marktreport von crowdinvest.de ging das finanzierte Volumen 2020 binnen Jahresfrist um knapp 20 Prozent auf 255 Millionen Euro zurück. Hört man sich bei den Anbietern um, so ist die Zuversicht groß, dass es sich hierbei lediglich um eine einmalige Delle in einer ansonsten intakten Wachstumsstory handelt. Auch der estländische Akteur Estateguru verfolgt hierzulande (und darüber hinaus) ehrgeizige Ziele, wie das folgende Redaktionsgespräch belegt. Red.

Wann und aus welchem Anlass wurde Estateguru gegründet?

Marek Pärtel: Wir haben Estateguru 2013 gegründet und 2014 das erste Projekt finanziert. Ich bin seit mehr als 15 Jahren im Immobiliengeschäft aktiv - als Investor, Entwickler und Asset Manager. Die Finanzkrise 2009 war ein Wendepunkt für die Branche, denn die Banken gingen nun wesentlich restriktiver bei der Kreditvergabe vor.

Selbst wenn ein solider Geschäftsplan und eine gründliche Risikoanalyse vorlagen, wurden Kreditanträge - meist nach langen Bearbeitungszeiten - abgelehnt. Das brachte uns auf die Idee für Estateguru: eine digitale Plattform, die Unternehmen mit Finanzierungsbedarf mit Investoren vernetzt, die in immobilienbesicherte Kredite investieren wollen.

Welche Arten von Fremdkapital stellen Sie bereit?

Marek Pärtel: Wir haben zu Beginn unterschiedliche Konzepte erprobt, von der Eigenkapital-Bereitstellung bis hin zu Mezzanine. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise wollten wir für unsere Investoren jedoch ein Modell mit größtmöglicher Sicherheit entwickeln. Deshalb basieren 98 Prozent der Deals auf Senior Debt, also erstrangig be sicherten Hypotheken.

Welche Volumina wurden bislang über Estateguru bereitgestellt?

Marek Pärtel: Rund 500 Millionen Euro in acht verschiedenen Ländern. Das derzeitige monatliche Finanzierungsvolumen beträgt etwa 20 bis 25 Millionen Euro. Wir expandieren zurzeit stark, sodass hier schon bald neue Meilensteine erreicht werden. Ziel ist es, das Volumen jedes Jahr zu verdoppeln und ab 2025 jährlich 5 Milliarden Euro an Krediten zu finanzieren.

Welche Rolle spielt dabei der deutsche Markt?

Nicola Picone: Deutschland ist der größte Immobilienmarkt in Europa sowie das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Land. Damit ist der deutsche Markt ein wichtiger Baustein unserer Expansionsstrategie und wird in Zukunft einen Großteil des von Estateguru finanzierten Volumens ausmachen. Bis Ende 2021 entfielen bereits 60 Millionen Euro an finanzierten Projekten auf Deutschland. Für 2022 streben wir ein Finanzierungsvolumen von 200 Millionen Euro an.

Bislang spielt das Thema Schwarmfinanzierung bei Immobilienprojekten eine Nischenrolle. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass sich daran in den kommenden Jahren etwas ändert?

Marek Pärtel: Wir glauben fest an das rasante Wachstum des alternativen Finanzierungssektors und die aktuellen Trends belegen diese Entwicklung eindeutig. Der Markt für digitale Immobilienfinanzierungsplattformen in Europa befindet sich im Aufwärtstrend. Auf Investorenseite stärken große Investmentunternehmen ihr Engagement im alternativen Finanzierungssektor und auch das Publikum der Privatanleger wächst in diesem Niedrigzinsumfeld rasant.

Nicola Picone: Auch die Nachfrage vonseiten der Kreditnehmer steigt. Die Gründe dafür sind vielfältig: So haben zum Beispiel sogar etablierte Projektentwickler oft damit zu kämpfen, die immer strengeren Anforderungen der Banken zu erfüllen. Für jüngere Unternehmen ist es damit praktisch unmöglich, eine Finanzierung zu erhalten, wenn sie keinen jahrelangen Track-Record vorweisen können. Alternative Finanzierungen schließen diese Lücke und ermöglichen es diesen Unternehmen, so stark zu wachsen, dass sie sich irgendwann eine Finanzierung aus traditionelleren Quellen sichern können.

Zudem wird der Faktor Geschwindigkeit immer entscheidender im Immobiliensektor. Bei einer Bank nimmt der gesamte Antragsprozess Wochen oder sogar Monate in Anspruch. Solche Verzögerungen gefährden mitunter die erfolgreiche Realisierung eines Projektes. Bei Estateguru hingegen dauert der Prozess im Idealfall nur wenige Tage. So können Projektentwickler sich eine kurzfristige Finanzierung sichern, die später von einem klassischen Bankdarlehen abgelöst werden kann. Aber erstmal sind sie handlungsfähig und darauf kommt es an. Immer mehr Unternehmen erkennen diese Vorteile, sodass die eigentliche Alternative oft zur ersten Wahl bei der Finanzierung wird.

Wer genau sind die auf Ihrer Plattform aktiven Investoren?

Marek Pärtel: Wir zählen inzwischen über 113 000 Investoren. Die Anlegerstruktur ist vielfältig, denn unsere Eintrittsbarrieren sind niedrig. Private Anleger können bereits ab 50 Euro investieren, ohne Limit nach oben. Damit demokratisieren wir gewissermaßen den Immobilieninvestment-Prozess und öffnen ihn auch für jüngere Anleger. Daneben arbeiten wir aber auch verstärkt mit der institutionellen Private-Debt-Seite zusammen, insbesondere mit Kreditfonds.

Vor kurzem haben wir etwa einen Tender für institutionelle Investoren aufgesetzt, der eine Kreditlinie in Höhe von 200 bis 300 Millionen Euro als Ergänzung zu den Plattform-Investoren bietet. Unser Team sourct im Moment so viele Deals, dass wir sie allein über die Kleinanleger auf der Plattform nicht finanziert bekämen.

Und wer sind die Kreditnehmer von Estateguru?

Marek Pärtel: Estateguru finanziert Entwicklungs-, Überbrückungs- und Geschäftskredite. Unsere Kreditnehmer sind schwerpunktmäßig Entwickler von Wohnimmobilien. Es gibt auch gewerbliche Projekte auf der Plattform, aber Wohnen dominiert bislang. Bei der Finanzierung selbst handelt es sich oftmals um Brückenfinanzierungen, die für einen kurzen Zeitraum von einigen Monaten zum Einsatz kommen, nicht selten direkt zu Beginn einer Projektentwicklung. Im Anschluss kommt dann üblicherweise eine klassische Bank als Kreditgeber ins Spiel. Unsere durchschnittliche Kreditlaufzeit liegt bei elf Monaten.

Was ist der Unique Selling Point (USP) von Estateguru?

Marek Pärtel: Eindeutig die Faktoren Schnelligkeit und Flexibilität. Projektentwickler müssen im aktuellen Umfeld zügig Entscheidungen treffen und wenn eine Finanzierungsanfrage bei der Hausbank zwei Monate in Anspruch nimmt, ist das viel zu spät. Diese Lücke können wir mit unseren Strukturen schließen. Darüber hinaus können wir Projekte in ganz Europa finanzieren, dazu sind nur wenige andere Finanzierer in der Lage.

Aber wenn man bedenkt, dass viele Ihrer beworbenen Projekte mit einer jährlichen Rendite von rund 10 Prozent locken, dann deutet das doch darauf hin, dass die Developer einigermaßen verzweifelt sind, oder?

Marek Pärtel: Nein, das ist eine falsche Interpretation. Unsere Kreditnehmer sind grundsolide aufgestellt. Es geht hier ganz wesentlich um die genannten Faktoren Schnelligkeit und Flexibilität. Die Darlehen werden oft nur als Überbrückungsfinanzierung für einige Monate genutzt und dann von klassischen Krediten abgelöst.

Banken und alternative Finanzierer sind keine direkten Wettbewerber, sie bieten lediglich unterschiedliche Instrumente an. Das richtige Instrument muss zur richtigen Zeit eingesetzt werden. Es geht hier nicht um "entweder oder", sondern um "sowohl als auch".

Wie viele an Sie herangetragene Projekte finanzieren Sie am Ende?

Marek Pärtel: Über alle Länder betrachtet ungefähr eines von zehn. Das belegt, dass wir bei allen Expansionsbestrebungen immer mit der gebotenen Vorsicht agieren. Qualität geht bei uns klar vor Quantität.

Stichwort "Vorsicht": Wie genau funktioniert Ihr Risikomanagement?

Marek Pärtel: Der Fokus liegt fast ausschließlich auf erstrangigen Darlehen; und mit einem sehr konservativen LTV von durchschnittlich 57 Prozent verfügen wir zudem über reichlich Puffer für eventuelle Preisrückgänge. Alle Kreditnehmer und Projekte sowie die hinterlegten Sicherheiten werden von einem Expertenteam aus den Bereichen Immobilienfinanzierung,-recht und -bewertung geprüft. Dabei werden wir von professionellen Partnern in den jeweiligen Märkten vor Ort unterstützt.

Geprüft werden unter anderem die Unternehmenshistorie eines Kreditnehmers, die finanzielle Leistungsfähigkeit und seine Erfolgsbilanz, einschließlich Nachweisen über früher realisierte Projekte und einem Geschäftsplan. Hinsichtlich der Beleihungsobjekte sind Kriterien wie Lage, Marktwert, Methodik des Wertgutachtens und der frühere Verkaufspreis relevant. Wir konsultieren auch Drittquellen und halten Kontakt zu den Bauaufsichtsbehörden. Unsere Mitarbeiter führen zudem regelmäßig Inspektionen vor Ort durch, bis ein Projekt abgeschlossen ist.

Wie können Sie die Renditen Ihren Investoren eigentlich ex ante garantieren?

Marek Pärtel: Der Vertrag besteht zwischen dem Kreditnehmer und dem Investor. Ist der Kreditnehmer außerstande, vertragsgemäß zu zahlen, gerät das Projekt in Verzug und das Schuldenmanagement wird eingeleitet. Selbstverständlich prüfen wir alle Projekte durch eine sorgfältige Due-Diligence-Prüfung, um Risiken zu minimieren, aber es gibt niemals Garantien. Unser Forderungsmanagement ist jedoch sehr gut aufgestellt, sodass die durchschnittliche Rendite der eingeholten Kredite immer noch bei 9,4 Prozent liegt.

Wie verdienen Sie dabei Geld? Und ist Ihr Unternehmen bereits profitabel?

Marek Pärtel: Die Haupteinnahmequellen von Estateguru sind zum einen Vermittlungsgebühren in Höhe von durchschnittlich 2,8 Prozent des Darlehensbetrags. Diese fallen automatisch an, wenn das Darlehen vollständig auf der Plattform investiert ist. Wir nehmen zudem eine Zinsspanne. Je nach Darlehen liegt der Zins aufschlag, der von den Zinszahlungen abgezogen wird, zwischen 0 und 1 Prozent. Aktuell befinden wir uns in der Skalierungsphase und folgen unserem Investitionsplan. Aber gleichzeitig achten wir natürlich darauf, die Balance zwischen Einnahmen und Kosten zu wahren.

Inwieweit hat Corona Ihr Geschäft beeinflusst?

Marek Pärtel: Unsere laufenden Projekte haben sich trotz der Pandemie positiv weiterentwickelt. Ansonsten haben wir von der durch Corona nochmals gesteigerten Nachfrage nach Wohnimmobilien in Europa profitiert.

Sie haben zuletzt knapp 6 Millionen Euro an zusätzlichem Wagniskapital eingesammelt. Wie ist es gelaufen?

Marek Pärtel: Wir sind sehr zufrieden. Als Lead-Investor konnten wir unter anderem TMT Investments Plc gewinnen, die sich bereits an den estnischen Einhörnern Bolt und Pipedrive beteiligt hat.

Die frischen Gelder wollen Sie unter anderem einsetzen, um die Plattform traditionellen Finanzierern schmackhaft zu machen. Wer ist damit konkret gemeint? Und wie fällt bislang das Feedback dieser Zielgruppe aus?

Marek Pärtel: Wie gesagt, ab 2025 wollen wir ein jährliches Volumen von 5 Milliarden Euro auf die Plattform bringen. Das ist ambitioniert, aber realistisch, wenn man bedenkt, dass der europäische Gesamtmarkt für gewerbliche Immobilienkredite bei etwa 400 Milliarden Euro pro Jahr liegt.

Ohne institutionelle Player wie Banken und Kreditfonds sind diese Summen jedoch nicht finanzierbar. Wir werden deshalb in Kürze auch einen Luxemburger Debt-Fonds an den Start bringen mit Eigenkapitalzusagen in Höhe von rund 170 Millionen Euro. Dieser richtet sich speziell an professionelle Anleger, denn die Nachfrage nach Investments im Bereich Real Estate Debt wächst.

Institutionelle Investoren werden für Sie also an Bedeutung gewinnen?

Marek Pärtel: Definitiv. Aktuell werden noch rund 85 Prozent unseres Volumens von Retail-Investoren finanziert. 2025 wird dieser Anteil voraussichtlich nur noch 30 Prozent betragen, sodass der Großteil der Volumina von institutionellen Investoren stammen wird.

Nicola Picone: Dabei geht es jedoch nicht darum, dass professionelle Investoren private Anleger verdrängen. Im Gegenteil: Die Nachfrage nach Immobilienkrediten steigt rasant an und hat inzwischen einen Punkt erreicht, an dem sie von privaten Investments allein nicht mehr erfüllt wird.

Institutionelle Anleger tragen deshalb entscheidend dazu bei, dass der Markt weiterwachsen kann. Dies kommt auch Retail- Investoren zugute, denn mit Hilfe institutioneller Gelder können wir mehr und größere Projekte auf die Plattform bringen und so mehr Möglichkeiten für Investitionen und Diversifizierung bieten.

Verfügt Estateguru über eine Banklizenz?

Marek Pärtel: Nein, die benötigen wir nicht. Wir sind aber selbstverständlich in allen Ländern, in denen wir aktiv sind, reguliert.

Seit November 2021 gilt die neue Verordnung zum European Crowdfunding Service Provider (ECSP). Welchen Einfluss wird die Verordnung Ihrer Meinung nach auf den Markt, und auch auf Estateguru, haben?

Marek Pärtel: Estateguru hat sich von Anfang an für die EU-Verordnung eingesetzt und war Teil des Prozesses. Wir sind die Plattform mit den meisten einzelnen Lizenzen in verschiedenen Märkten, deshalb ist es für uns wesentlich effektiver und kosteneffizienter, wenn es jetzt eine einzige Verordnung gibt, die alle Märkte reguliert.

Dies wird dazu beitragen, die Transparenz der Anlageplattformen zu erhöhen und das Vertrauen in den Prozess zu stärken. Des Weiteren verdeutlicht es den Menschen, dass dieses Geschäftsmodell zum Mainstream gehört, Teil des Finanzsystems ist und in diesem eine klare Rolle innehat.

Was sind die nächsten wesentlichen Etappenziele für Estateguru?

Marek Pärtel: Ein wichtiger Faktor ist die Integration von Dienstleistungen beziehungsweise Produkten dritter Anbieter. Ich bin ein großer Verfechter von Open Banking und digitalen Ökosystemen. Das birgt enormes Potenzial für die gesamte Branche. In unserer Heimat Estland sind wir diesbezüglich schon recht weit, andere Länder wie etwa Deutschland befinden sich erst am Anfang dieser Entwicklung.

Wir wollen dieses Potenzial europaweit mit Estateguru heben und ein digitales und grenzenloses Ökosystem für Immobilienfinanzierungen und -investitionen entwickeln. Geplant ist zudem die Durchführung einer weiteren Seed-Finanzierungsrunde bei Venture-Capital-Investoren, um bis zu 20 Millionen Euro einzusammeln. Und natürlich steht auch die Expansion in weitere Länder, beispielsweise nach Großbritannien und in die Niederlande, ganz oben auf der Agenda.

Könnte ein IPO am Ende dieser Entwicklung stehen?

Marek Pärtel: Das ist ein denkbares Szenario. Wir werden sehen.

Marek Pärtel , CEO und Mitgründer , EstateGuru, Tallinn
Nicola Picone , Managing Director, , EstateGuru Germany GmbH, Berlin

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