AUFBRUCHSSTIMMUNG ADÉ

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

"Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne." Ein bisschen fühlte man sich an diesen berühmten Satz aus Hermann Hesses Gedicht "Stufen" erinnert, als Olaf Scholz und die weiteren Chefverhandler der Ampel-Parteien da am 24. November 2021 auf der Bühne im Berliner Westhafen-Center, einer hippen, ehemaligen Lagerhalle, ihren Koalitionsvertrag präsentierten. Der designierte Kanzler strahlte über beide Ohren, Christian Lindner zitierte Egon Bahr, Robert Habeck gab einen ersten Vorgeschmack seiner bedeutungsschwangeren Rhetorik und über allem schwebte natürlich der Geist Willy Brandts ("Mehr Fortschritt wagen"). Kurzum: Nach 16 langen, mitunter narkotisierenden Jahren unter Angela Merkel bekam man hier durchaus Lust auf einen Neuanfang, ja, eine Art Aufbruchsstimmung machte sich breit.

Noch nicht einmal sechs Monate ist das jetzt her, doch gefühlt sind seitdem Jahre vergangen und vom anfänglichen Zauber ist quasi nichts mehr zu spüren. Nicht, dass das per se überraschend wäre: Neue Regierungen werden früher oder später ja immer vom tristen Alltag eingeholt. Aber die Schnelligkeit und Intensität, mit der es im vorliegenden Fall geschieht, ist schon atemberaubend. Natürlich spielt der Ampel das Schicksal dabei übel mit: Kaum vereidigt, kam zu Corona der Ukraine-Krieg, der zu Recht als Zeitenwende gesehen wird, hinzu. Gleichwohl haben auch schwerwiegende Fehler aus den eigenen Reihen zu dem alles in allem schlechten Erscheinungsbild nach so kurzer Zeit beigetragen. Man denke nur an das Impfpflicht-Debakel, für das man einfach keine Mehrheit organisiert bekam, der Rücktritt von Familienministerin Anne Spiegel oder das ewige Hin und Her bei den Russland-Sanktionen beziehungsweise den Waffenlieferungen an die Ukraine.

Wahrlich kein Ruhmesblatt war freilich auch der wohn- und baupolitische Start. Völlig überstürzt verkündete die Regierung am 24. Januar den sofortigen Stopp der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Der damit einhergehende Vertrauensverlust in die Politik hätte nicht größer sein können, vor allem wenn man bedenkt, dass dieses Aus für innovative und klimafreundliche Bauprojekte im ganzen Land auf Initiative von Klimaminister Robert Habeck erfolgte. Das i-Tüpfelchen dieses Desasters folgte dann aber erst vor Kurzem am 20. April, dem Tag der Neuauflage der Förderung für effiziente Neubauten nach Effizienzhaus-40-Standard: Noch am selben Tag musste die KfW sie doch tatsächlich wieder einstellen. Wer hätte gedacht, dass die Deckelung auf eine Milliarde Euro einen solchen Run aus lösen und sich somit lediglich als Tropfen auf dem heißen Stein erweisen würde? "Es ist ein zweites Fiasko mit Ansage", brachte es GdW-Präsident Axel Gedaschko trefflich auf den Punkt.

Die einzig tröstliche Erkenntnis aus alldem ist die Erkenntnis, dass die Deutschen noch immer bauen wollen, und zwar nach ehrgeizigen energetischen Standards. Eine verlässliche, langfristig ausgerichtete Förderpolitik ist für viele Bauherren aber zugleich eine Grundvoraussetzung. Hoffentlich wird dieser Prämisse also zeitnah wieder Rechnung getragen, spätestens im Rahmen des ab Januar 2023 vorgesehenen, neuen Programms "Klimafreundliches Bauen". Die bis dahin geltende Zwischenlösung eines anspruchsvolleren EH-40-Programms (nur noch in Kombination mit dem Qualitätssiegel für nachhaltige Gebäude, QNG) macht diesbezüglich aber wenig Hoffnung. Zum einen fehlten zum Zeitpunkt des Programmbeginns am 21. April noch etliche Details zur konkreten Umsetzung, zum anderen ist bereits jetzt absehbar, dass das QNG-Siegel als Förderbedingung für viele Bauwillige zum Nadelöhr wird, da die Kapazitäten zur Vergabe noch nicht ausreichend vorhanden sind.

Eigentlich klar ist damit auch, dass das von vornherein überambitioniert anmutende Ziel von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr bereits Makulatur ist. Wobei das Schicksal der Ampelkoalition auch hier durchaus etwas gnädiger hätte sein können: Für die durch den Ukraine-Krieg nochmals erheblich verschärften Rahmenbedingungen in der Bauwirtschaft kann sie schließlich nichts. Wie der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) berichtet, ist die durch Materialmangel und rasant steigende Kosten versursachte Not inzwischen so groß, dass Materiallieferanten keine verbindlichen Angebote mehr machen. Teilweise würden Preise nur noch im Stundenrhythmus garantiert. Eine geradezu absurde Situation für eine Branche, in der sich das Abarbeiten von Aufträgen in aller Regel über viele Monate hinzieht.

Der Bund geht hier im Übrigen mit gutem Beispiel voran: Unter anderem sollen neue Verträge mit Preisgleitklauseln versehen werden, die eine Anpassung an die Marktentwicklung ermöglichen. Das trägt sicher zur Planungssicherheit bei. Doch ob sich damit ein Einbruch beim Wohnungsbau in Deutschland verhindern lässt, steht, wie so vieles dieser Tage, in den Sternen.

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag
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