Interview

Arzt für die Wirtschaft - Redaktionsgespräch mit Professor Hans Joachim Krahnen anlässlich des 90. Geburtstags

Herr Krahnen, Sie waren dem Bankgewerbe mehr als ein halbes
Jahrhundert ein aktiver und seitdem ein passiver, aber interessierter
und beratender Begleiter. Was sind die wesentlichen Unterschiede im
Wettbewerb damals, in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, und
heute?
\
Der Wettbewerb ist heute sehr viel intensiver als früher. Die Banken
waren damals so selbstherrlich, dass sie gar nicht auf die Idee kamen,
sich um den Kunden zu bemühen. Heute haben die Institute gelernt, über
den Wettbewerb um den Markt zu kämpfen. Und Wettbewerb ist immer die
beste Kontrolle, der allerdings nicht funktioniert, wenn eine Seite
schon zu stark ist. Es war für mich als jungem Bankangestellten immer
ein Rätsel, wie dieser Wettbewerb zu einer Ordnung führen konnte.
\
Sind die Sparkassen schon zu stark?
\
Die Privilegien der Sparkassen stören die privaten Banken, solange ich
denken kann. Zwei Dinge möchte ich dazu anmerken.
\
Erstens: Den Sparkassen gebührt ein Lob dafür, dass sie den
Finanzmarkt für die breite Masse der Bevölkerung geöffnet haben.
\
Zum zweiten sind die Großbanken selbst schuld an ihren geringen
Marktanteilen. Sie waren lange Zeit nicht gewillt zu erkennen, dass
die kleinen privaten Haushalte und Unternehmen ebenfalls ein Markt
sind. Obwohl sie mit dem Kleinkredit doch über das geeignete
Instrumentarium verfügten. Der große Verdienst der Großbanken war es
in den sechziger Jahren, dass der Mensch als arbeitendes Objekt eine
Wert hatte, und nicht nur die Sicherheiten zählten.
\
Ansonsten bin ich ein großer Verfechter der Genossenschaftsbanken. Die
Form der Genossenschaften, nämlich über den Geschäftsanteil Kunden zu
Mitinhabern zu machen, ist ideal für die Entwicklung einer
Volkswirtschaft. Die Volks- und Raiffeisenbanken haben ihren
Marktanteil sicherlich zu recht.
\
Ändert sich nun "nach Brüssel" Ihrer Ansicht etwas wirklich
Entscheidendes?
\
Ich denke nicht, dass sich furchtbar viel ändern wird. Die Sparkassen
haben den Übergang sehr gut hinbekommen. Die heutige Zeit ist geprägt
durch den Zwang, Erfolg durch Gewinn nachzuweisen. Hier haben die
Sparkassen mehr Freiheit, auffällig öffentlich gute Taten zu begehen,
da ihre Eigentümer - Kommunen - nicht nur auf wirtschaftliche Erfolge
drängen dürfen.
\
Wie war das eigentlich, als Sie nach 25 Jahren die Deutsche Bank
verließen, um zum Bankhaus Bethmann zu wechseln?
\
Das war eine große Aufregung. Ich war 1960 gerade Filialdirektor in
Essen geworden, einem der großen Regionalbezirke. Als ich kündigte,
wurde ich von den oberen Herren einbestellt, und man versuchte mich
umzustimmen. Aber ich wollte eine Veränderung. Auf die Frage, ob ich
denn nicht wüsste, was man mit mir noch vorhabe, habe ich nur
geantwortet, es sei mir zu langweilig, und ich hätte "nur Krach" in
dieser Deutschen Bank.
\
Im Nachhinein folgten mir natürlich auch viele Kunden aus Essen und
Wuppertal von der Deutschen Bank zu Bethmann, da gab es dann das
zweite Mal Ärger. Mir wurden sogar Konsequenzen angekündigt. Aber
passiert ist nie etwas.
\
Ist die enge Beziehung von Kunde zu Banker Ihrem Eindruck nach heute
noch wie früher?
\
Wir haben die Bank damals sehr viel stärker nach der Person gesteuert.
Der Kontakt zwischen Banker und Kunde, von Unternehmer zu Unternehmer
also, war sehr viel intensiver, als das heute der Fall ist. Banker
waren auch Berater, daraus ergab sich eine viel engere Bindung. Von
daher waren Zahlen und Ratingsysteme und was inzwischen alles
eingeführt wurde für uns bei der Steuerung nicht so relevant.
\
Wie kam es zu dem Kontakt zur Bethmann Bank?
\
Ich kannte Johann Philipp Bethmann schon aus einem Diskussionskreis,
wo wir Jungen die alten Herren einmal richtig rannehmen durften. Das
hat großen Spaß gemacht. Offenbar haben Herrn Bethmann meine Fragen
gefallen, so dass er mich eines Tages angesprochen hat. Er bräuchte
Hilfe bei der Suche nach einem persönlich haftenden Gesellschafter, ob
ich denn jemanden wüsste? Ich selbst habe verschiedene
Persönlichkeiten angesprochen, allerdings ohne Erfolg. Da sagte Herr
Bethmann zu mir: Kapierst Du eigentlich nicht, dass ich Dich will?!
\
Obwohl ich gewarnt wurde - die Bank sei zu klein und Herr Bethmann sei
starrköpfig - wechselte ich 1961 zur Bethmann Bank, als persönlich
haftender Gesellschafter. Aber mehr als eine 2, 5-Prozent-Einlage
haben sie mir nicht zugebilligt, denn ich war schließlich kein
Familienmitglied.
\
Es gab nur zwei persönlich haftende Gesellschafter bei der Bethmann
Bank?
\
Ja. Und wir hatten keinen Beirat, waren allein der Familie gegenüber
verantwortlich. Mit Johann Philipp Bethmann, der nur Bankier wurde,
weil sein Bruder gefallen war, habe ich mich gut verstanden.
\
Wir hatten eine klare Arbeitsteilung - er war für den öffentlichen
Markt zuständig und ich betreute den Inlandsmarkt und die Kundschaft.
Zur Bank: Wir hatten damals 100 Mitarbeiter und nur ein kleines
Kapital, das sich aber in der Folge sehr schön entwickelte.
\
Welche wirtschaftliche Bedeutung messen Sie dem Mittelstand und
Familienunternehmen zu?
\
Erfolgreiche europäische Volkswirtschaften zeichnen sich dadurch aus,
dass sie einen Mittelstand haben. Der Mittelstand ist ein
Wirtschaftsfaktor mit Pilzqualität. Schneidet man einen ab, kommt
sofort ein neuer nach. So sind vor allem hier in Deutschland viele
heutige Großunternehmen entstanden. Die Großbanken beispielsweise sind
nur gewachsen, weil sie Regionalbanken übernommen haben. Oder die IG
Farben alles übernommen, bis sie wieder zerschlagen wurde.
\
Für Familienunternehmen ist festzustellen, dass die Freude des eigenen
Nachwuchses auf all die Last und Lust des Unternehmerseins nachlässt.
Dafür rücken aber Personen aus dem gehobenen Management nach, die
genau dieses Unternehmertum leben wollen.
\
Insgesamt ist, denke ich, zu beobachten, dass sich die Struktur der
Neugründungen gewandelt hat: Waren es zu meiner aktiven Zeit noch fast
ausschließlich Produktionsunternehmen, sind es heute vor allem
Beratungsunternehmen.
\
Sie reden wie ein Unternehmer, nicht wie ein Banker.
\
Ich wollte auch immer mehr sein, als ein Banker. Ich war Präsident der
Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Unternehmer (ASU), ich hatte einen
Lehrauftrag und wurde 1969 Professor, ich habe bei der Gründung von
Obi mitgewirkt, ich war Gründungsmitglied des Frankfurter Instituts
und, und, und. Ich hatte wahrlich ein buntes Leben.
\
Das möchte ich jungen Leuten heute gerne mitgeben: Seid immer wach mit
Augen und Ohren. Denn nur durch eigene Kraft und Leistung erreicht man
seine Ziele. Geschenkt wird einem nichts, geerbt wird wenig, also
liegt es am eigenen Einsatz und dem entsprechenden Quäntchen Glück.
Früher wollte ich immer Arzt werden. Ich bin Arzt für die Wirtschaft
geworden.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X