Aufsätze

Aufgabenteilung im Verbund

Ein "wucherisches Treiben", das den "goldenen Mittelstand (...) zugrunde richtet", macht der engagierte Politiker in der Krise aus und beschließt zu handeln und nicht zu lamentieren. Noch sind amerikanische Schockwellen, die die Auswirkungen einer hausgemachten Finanzmarktkrise um den Erdball tragen, nicht zu befürchten. Es droht vielmehr ganz handfest eine Hungersnot, die der Politiker, ein Bürgermeister im Westerwald, nicht tatenlos auf seine Stadt zukommen lassen möchte. Er handelt beherzt und gründet den "Weyerbuscher Brodverein". Seine Idee ist bestechend: Wohlhabende Bürger stellen Geld für den Kauf von Mehl zur Verfügung; die Armen erhalten Brot gegen Schuldscheine. Die Kredite werden mit geringen Zinsen zurückgezahlt. Der Plan geht auf. Das System funktioniert. Der Bürgermeister heißt Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Das Jahr ist 1846.

Verantwortungsbewusstes Handeln als Antrieb

Raiffeisen erkennt schnell, dass die Situation der Bürgerinnen und Bürger nur auf der Basis gemeinschaftlicher Selbsthilfe zu verbessern ist. Mit dem 1864 gegründeten "Heddesdorfer Darlehnskassen-Verein" entsteht schließlich auf sein Betreiben die erste Kreditgenossenschaft Deutschlands. Der Schritt vom wohltätigen Verein zur Selbsthilfe in Genossenschaften ist vollzogen.

Auch Hermann Schulze-Delitzsch, vor 200 Jahren im sächsischen Delitzsch geboren, sieht die Not der kleinen Betriebe, die mit der Industrialisierung nicht Schritt halten können. Der Jurist und Politiker handelt. Er gründet die "Schuhmacher-Assoziation", um die Situation des Mittelstands zu verbessern. Einzelne schließen sich mit dem Ziel zusammen, durch gemeinsamen Einkauf wirtschaftliche Vorteile zu erlangen. Ihre Selbstständigkeit geben sie dabei nicht auf. 1850 gründet Schulze-Delitzsch den "Eilenburger Vorschussverein", der auf dem Prinzip der Selbstverwaltung beruht. Die Mitglieder und damit die Eigentümer stellen Geld zur Verfügung. Damit bilden sie die Grundlage der Genossenschaft und bestimmen ihre Unternehmenspolitik. Bereits 1855 liefert Schulze-Delitzsch Tipps zur Gründung von Volksbanken. Als Politiker stellt er später Genossenschaften auf eine rechtliche Basis.

Verantwortungsbewusstes Handeln in einer und für eine Gemeinschaft war stets der Antrieb genossenschaftlichen Denkens. Das Bewusstsein, dass diejenigen mehr erreichen, die sich zusammentun, ist fest verankert in der genossenschaftlichen Organisation. Ein fruchtbares Miteinander ist wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des Finanzverbundes. Allen Beteiligten ist dies bewusst. Gelegentliche unterschiedliche Betrachtungsweisen sind fruchtbarer Nährboden für die Effizienzsteigerung genossenschaftlicher Selbsthilfe.

Krisenfestigkeit

Ihre Krisenfestigkeit in der Gemeinschaft haben die Kreditgenossen längst unter Beweis gestellt, nicht nur in der aktuellen Finanzmarktkrise. Zum Beispiel die DZ Bank, die sich in 125 Jahren vom ihrem Vorläufer, der Landwirtschaftlichen Genossenschaftsbank in Darmstadt, zum hochprofessionellen Lieferanten erstklassiger Produkte und Dienstleistungen für die Volksbanken und Raiffeisenbanken entwickelte. Zum Beispiel die Sicherungseinrichtung des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, die - grob vereinfacht - nach dem Prinzip "Einer für alle - alle für einen" funktioniert. Über viele Jahrzehnte hindurch hat noch nie ein Kunde einer der Sicherungseinrichtung angeschlossenen Bank seine Einlagen verloren. Noch nie ging eine Genossenschaftsbank in die Insolvenz. Dafür sorgt der Institutsschutz, den die Sicherungseinrichtung schon seit den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts praktiziert.

Zum Beispiel die Kreditgenossenschaften, von denen jede einzelne zur Stabilisierung des deutschen Bankensystems beiträgt. Ihr Geschäftsmodell ist auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Sie verfügen über eine robuste Einlagenseite. Auf eine Refinanzierung über den Kapitalmarkt sind sie nicht angewiesen. Mit ihrer ungebrochenen Bereitschaft zur Kreditvergabe stärken sie Mittelstand und Privatpersonen. Ihr Ziel ist es, ihre Mitglieder und Kunden lebenslang nachhaltig zu begleiten. Ihr Anspruch, bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Leistungen zu bieten. Reines Renditedenken ist ihnen fremd. Sie bauen im besten genossenschaftlichen Sinn auf eine vertrauensvolle, durchaus auch emotionale Beziehung zum Kunden - weit über die klassischen Finanzfragen hinaus. Ihre Beratungsansätze sind ganzheitlich, ob beim VR-Finanz-Plan im Privatkundengeschäft oder beim VR-Finanz-Plan Mittelstand im Firmenkundengeschäft. Knotenpunkt und Herzstück ihrer Marktbearbeitung sind die Filialen. Aber selbstverständlich stellen die Banken ihren Kunden sämtliche Vertriebswege zur Verfügung - auch lokale Direktbankplattformen, die eine ständige Erreichbarkeit und die bequeme Abwicklung der täglichen Bankgeschäfte ermöglichen.

Doch das Bessere ist der Feind des Guten. So wichtig es für den genossenschaftlichen Finanzverbund auch ist, sich bewusst zu machen, woher wir kommen, so entscheidend ist es zu wissen, wohin wir gehen. Unser Blick muss sich nach vorn richten. Aggressive Wettbewerber setzen unsere Marktanteile unter Druck. Wir müssen handeln. Der Weg in die Zukunft führt über Qualität, Fairness und Nachhaltigkeit in der Kundenbeziehung und über eine bessere Ausschöpfung der Potenziale unserer über 30 Millionen Kundenbeziehungen. Diesen Weg kann der Finanzverbund nur als Gemeinschaft gehen.

Fachräte des BVR

Die Fachräte des BVR tragen ihren Teil dazu bei, indem sie in enger Zusammenarbeit mit den Regionalverbänden den Ortsbanken Konzepte in den Bereichen Vertrieb, Produktion und Banksteuerung, anbieten, die konsequent umgesetzt die Banken erfolgreicher machen können. Die Wettbewerbsfähigkeit der Ortsbanken wird neben ihrer Vertriebskraft auch wesentlich von der Fähigkeit bestimmt, die angebotenen Produkte und Dienstleistungen zu attraktiven Konditionen produzieren oder einkaufen zu können. Die Weiterentwicklung des Geschäftsmodells der Ortsbanken auf der Marktfolgeseite ist eine wichtige strategische Aufgabe für den Bundesverband, denn die Wettbewerbsfähigkeit der Volksbanken und Raiffeisenbanken ist entscheidend auch von den Produktionskosten der angebotenen Finanzdienstleistungen abhängig.

Gemeinschaftliches Handeln bedeutet aus Sicht der Ortsbanken auch, Transparenz über anfallende Kosten und Erlöse im Vermittlungsgeschäft einzufordern. Nur wenn die zentralen Lieferanten für Verbundprodukte und Dienstleistungen so viel zahlen, dass die Volksbanken und Raiffeisenbanken ihre Kosten decken und einen angemessenen Ertrag erzielen können, können die Banken ihre Aufgaben vor Ort dauerhaft wahrnehmen. Aber natürlich werden die Genossenschaftsbanken als wesentlicher Grundpfeiler ihres Geschäftsmodells immer auch Eigenbestandsgeschäfte auf der Aktiv- und Passivseite eingehen.

Eine enge Verzahnung

Auch nach 125 Jahren am Markt blickt die DZ Bank stets nach vorn. Eine neue fusionierte Zentralbank wird die Position des genossenschaftlichen Finanzverbundes als starker Partner des Mittelstands und der Privatkunden vor Ort weiter verbessern. Erklärte Ziele des Zusammenschlusses sind die Hebung von Synergien auf der Kostenseite, eine intensivere Unterstützung der Ortsbanken und eine erhöhte Transparenz der Ergebnisbeiträge. Um für die Volksbanken und Raiffeisenbanken den größtmöglichen Nutzen aus der neuen organisatorischen Aufstellung der vereinigten Zentralbank zu erreichen, brauchen wir auch künftig eine enge Verzahnung mit dem BVR als strategischem Kompetenzzentrum für den gesamten Finanzverbund.

Die strategische Weiterentwicklung des Verbundes ist eine Daueraufgabe, der sich der BVR gemeinsam mit der vereinigten Zentralbank stellt. Das grundsätzliche Rollenverständnis zwischen Volksbanken und Raiffeisenbanken als Träger des Finanzverbundes einerseits und der vereinigten Zentralbank mit den Verbundunternehmen andererseits sollte erhalten bleiben. Eine konzernähnliche Steuerung der genossenschaftlichen Bankengruppe wäre mit diesem Rollenverständnis nicht vereinbar. Der Einfluss der Ortsbanken auf die fusionierte Zentralbank über ihre Stellung als Anteilseigner, aber auch über den BVR ist auch in Zukunft wesentlich für einen kraftvollen Marktauftritt der Genossenschaftsbanken. Der BVR ist hier maßgeblich als Vertreter der Primärstufe gefordert. In bester genossenschaftlicher Tradition. Denn nur in der Gemeinschaft lassen sich wirtschaftliche Erfolge nachhaltig erzielen.

Uwe Fröhlich , Co-Vorsitzender des Vorstands , DZ BANK AG Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank, Frankfurt am Main
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